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Berufsbildung: Das Erfolgsrezept der Schweiz | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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BILDUNG

Die Volkswirtschaft  12 / 2016 45

Berufsbildung: Das Erfolgsrezept der Schweiz

Das Schweizer Berufsbildungssystem kann sich international zu Recht sehen lassen: In einem neuen KOF-Index, der die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Arbeitswelt und der Bil- dung misst, erzielt das Land hohe Werte. Dennoch gibt es Verbesserungspotenzial – beispiels- weise bei den systematischen Firmenbefragungen.   Ursula Renold, Thomas Bolli

D

as internationale Interesse am dualen Bildungssystem der Schweiz ist gross.

Ausschlaggebend für den Erfolg ist nicht zuletzt die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Berufsschulen. Was be- deutet diese «Koppelung» von Akteuren des Arbeitsmarktes und der Berufsbildung?

Wie kann sie gemessen werden? Antwor- ten liefert der «KOF Education-Employ- ment Linkage Index»: Er basiert auf einem systemtheoretischen Ansatz und misst die Koppelungsintensität anhand einer Exper- tenbefragung in ausgewählten Ländern.

Die Koppelung der Bildungs- und Be- schäftigungssysteme bezieht sich auf die Qualität der Kommunikation zwischen den jeweiligen Akteuren. Daraus ergibt sich eine Relation zwischen dem Machtver- hältnis von Bildungs- respektive Beschäf- tigungssystem und der Koppelungsinten- sität. Wenn das Bildungssystem alleine für Berufsbildung zuständig ist, stimmen die in der Berufsbildung erlernten Fähigkei- ten nicht mit der im Beschäftigungssys- tem nachgefragten Fähigkeiten überein, sodass ein sogenannter Skills Mismatch entstehen kann.1 Wenn hingegen das Be- schäftigungssystem alle Macht aufweist, kippt die Balance, und es werden zu ein- seitig firmenspezifische Fähigkeiten ver- mittelt. Folglich ist die Koppelungsinten-

1 Renold und Bolli (2014).

Abstract  Die Berufsbildung der Schweiz rückt stärker in den Fokus ausländischer Staaten.

Diese möchten verstehen, warum die Schweiz die Jugend erfolgreich in den Arbeitsmarkt in- tegriert. Dabei wird oft die Verbundpartnerschaft, also die Koppelung zwischen Akteuren des Bildungs- und des Beschäftigungssystems, als wichtige Determinante für die Qualität von Be- rufsbildung genannt. Allerdings besteht wenig Evidenz zur Frage, wie und wo Akteure aus dem Beschäftigungssystem sich im Bildungsprozess beteiligen sollten. Der «KOF Education-Emp- loyment Linkage Index» basiert auf einem neuen Ansatz, der die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteurgruppen in Berufsbildungsprozessen misst. Dadurch soll eine Dis- kussion über Stärken und Schwächen der Berufsbildungssysteme angeregt werden. Die For- schungsergebnisse zeigen: Die Schweiz steht im internationalen Vergleich insgesamt sehr gut da. Verbesserungspotenzial gibt es beispielsweise bei der Verfügbarkeit von Information be- züglich der Auswirkungen von Ausbildungen auf dem Arbeitsmarkt.

sität am höchsten, wenn Bildungs- und Beschäftigungssystem die Macht teilen, indem die Kommunikation zwischen den beiden Systemen optimiert wird.

Um die Koppelungsintensität zu mes- sen, müssen die Prozesse identifiziert wer- den, in denen Akteure des Bildungs- und Beschäftigungssystems miteinander kom- munizieren können und sollen. Dafür wird das Konzept einer Wertschöpfungsket-

te über den Bildungsprozess hinweg ver- wendet. Diese sogenannte Curriculum Va- lue Chain unterteilt den Bildungsprozess in drei Phasen: In der ersten – der Design- phase – werden der Lerninhalt, die Qualifi- kationsstandards sowie die Prüfungsform definiert. In der darauf folgenden Anwen- dungsphase findet die Ausbildung statt.

Daraus resultieren beobachtbare Ergeb- nisse im Arbeitsmarkt, welche schliesslich in der dritten Phase, der Feedbackphase, in den Bildungsprozess einfliessen.

Koppelungsintensität anhand von 11 Prozessen gemessen

Das Konzept erlaubt es, in jeder Phase der Wertschöpfungskette die für die Koppe- lungsintensität relevanten Bildungspro- zesse zu identifizieren (siehe Abbildung 1).

So werden in der Designphase die Prozes- se untersucht, durch welche die Ausbil-

Praxisnähe ist eine ausschlaggebende Zutat des Schweizer Bildungssystems.

ALAMY

(2)

BILDUNG

46 Die Volkswirtschaft  12 / 2016 Ausbildungsinhalte

Wer definiert Ausbildungsinhalte und Qualifika- tionsstandards, d. h., muss ein Lernender eine Maschine zusammenbauen oder nur den Unter-

halt durchführen können?

Prüfungsform

Wer definiert die Prüfung, d. h. ob es eine prak- tische Prüfung gibt oder nicht?

Qualität des Koppelungsprozesses Wie gross ist der Anteil repräsentierter Firmen?

Sind Organisationen der Arbeit involviert?

Curriculum-Designphase

Lernort

Wie gross sind die Anteile Schule und Arbeits- platz?

Regulation des Arbeitsplatztrainings Wie wird die Qualität des Arbeitsplatztrainings sichergestellt – etwa durch einen Lehrplan für das

Arbeitsplatztraining?

Kostenaufteilung

Beteiligen sich Firmen an den Kosten für die Ausbildung?

Ausrüstung

Stellen Firmen Werkzeuge und Maschinen für die schulische Ausbildung bereit?

Lehrpersonen

Wie hoch ist der Anteil Lehrpersonen, welche den Fachunterricht nebenamtlich erteilen?

Prüfungsdurchführung

Wie stark sind Betriebe in der praktischen Prüfung involviert?

Curriculum-Anwendungsphase

Informationssammlung Gibt es Befragungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezüglich der Auswirkungen von

Ausbildungen? Findet ein Automechaniker eine passende Stelle? Wie gut kann er ein Auto

reparieren?

 Aufdatierungszeitpunkt

Wer definiert den Zeitpunkt zur Überarbeitung des Curriculums?

Curriculum-Feedbackphase

RENOLD ET AL. (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Abb. 1: Prozesse in den drei Phasen einer Wertschöpfungskette (mit Beispielen)

dungsinhalte und die Prüfungsform defi- niert werden. Zudem wird die Qualität der Koppelung geprüft, zum Beispiel anhand des Anteils repräsentierter Firmen und ob einzelne Firmen involviert sind oder ob Organisationen der Arbeitswelt die Infor- mationen von Firmen aggregiert einbrin- gen.

Die Anwendungsphase enthält insge- samt sechs Prozesse: Die ersten beiden erfassen, wie wichtig der Arbeitsplatz als Lernort ist und wie die Qualität der Ausbil- dung am Arbeitsplatz sichergestellt wird.

Drei weitere Prozesse messen, inwieweit sich Akteure des Beschäftigungssystems in der schulischen Ausbildung einbringen können. Dies kann durch Kostenteilung, durch Lehrpersonen oder durch das Ein- bringen von Ausrüstung wie zum Beispiel Maschinen und Werkzeuge geschehen.

Der letzte Prozess erfasst, inwieweit Prü- fungen sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Schule durchgeführt werden.

In der Feedbackphase wird schliess- lich geprüft, inwiefern gute Informationen zur Auswirkung von Ausbildungen auf die Arbeitsmarktsituation von Jugendlichen vorliegen. Dies gewährleistet eine evi- denzbasierte Überarbeitung der Curricu- la. Ebenfalls untersucht wird, wer die Ent- scheidung trifft und wann ein Curriculum überarbeitet werden soll.

Vergleich mit den Besten

Um die Koppelungsintensität empirisch zu untersuchen, wurden Berufsbildungsex- perten aus dem Bildungssystem, dem Be- schäftigungssystem und der Wissenschaft in 20 Ländern befragt. Die Länder dieser Pilotuntersuchung wurden anhand zweier Indikatoren2, welche auf erfolgreiche und arbeitsmarktorientierte Bildungssyste- me hindeuten, ausgewählt: Einerseits sind dies Länder oder Gebiete wie Schanghai, Singapur, Hongkong und Südkorea, die in der Pisa-Studie 2012 die besten Ergebnis- se erzielt haben, also ein gut funktionieren- des Grundbildungssystem haben. Anderer- seits wurden Staaten wie die Schweiz, die Niederlande, Dänemark und Deutschland gewählt, welche Höchstwerte im KOF Ju- gendarbeitsmarktindex aufweisen.3

In den sechs Fokusländern Dänemark, Hongkong, Niederlande, Singapur, Südko- rea und Schweiz wurden im Durchschnitt 20 Experten befragt. In 12 Ländern gab es jedoch nur je ein bis zwei Befragungen – weshalb diese Ergebnisse mit Vorsicht zu geniessen sind. In zwei Ländern haben gar keine Experten geantwortet. In der Schweiz liegen Antworten von 59 Experten

2 Renold et al. (2015).

3 Renold et al. (2014).

vor, was einer Rücklaufquote von 57 Pro- zent entspricht. Sie stammen zu 39 Prozent aus dem Bildungssystem, zu 53 Prozent aus dem Beschäftigungssystem und zu 8 Pro- zent aus der Forschung.

Um einen Index der Koppelungsintensi- tät zu berechnen, ist es nötig, jeder Phase und jedem Prozess ein Gewicht zuzuord- nen. Aufgrund der explorativen Natur der Untersuchung ist es a priori unklar, wie hoch diese Gewichte sein sollten, weshalb sie aufgrund der Antworten der befrag- ten Bildungsexperten bestimmt werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Design- phase im Durchschnitt mit 42 Prozent das höchste Gewicht erhält, gefolgt von der Anwendungsphase mit 34 Prozent und der Feedbackphase mit 24 Prozent. Bei den einzelnen Prozessen wurde der Auf- datierungszeitpunkt (22,5%) am stärksten gewichtet, gefolgt von der Definition der Ausbildungsinhalte (15,8%). Ebenfalls ein hohes Gewicht erhielten die Koppelungs- qualität (14,3%) und der Zeitanteil, welche Studierende am Arbeitsplatz anstelle der Schule verbringen (13,2%).

Schweiz überall über dem Durch- schnitt

Das höchste Gesamtergebnis hat Ös- terreich erzielt. Allerdings ist das Resul-

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BILDUNG

Die Volkswirtschaft  12 / 2016 47

Literatur

Renold, Ursula; Thomas Bolli; Maria Esther Egg und Filippo Pusterla (2014). On the Multiple Dimensions of Youth Labour Markets. A Guide to the KOF Youth Labour Market Index. ETH Zürich.

Renold, Ursula und Thomas Bolli (2014). Die Arbeitsmarktsituation von Jugendlichen im internationalen Vergleich, in: Die Volks- wirtschaft Nr. 9.

Renold, Ursula; Thomas Bolli; Katherine Caves; Ladina Rageth; Vipul Agarwal und Filippo Pusterla  (2015). Feasibility Study for a Curriculum Comparison in Vocational Education and Training Intermediary Report I: The 20 Top Performers. KOF Studies No. 70. ETH Zürich.

Renold, Ursula; Thomas Bolli; Katherine Caves; Jutta Bürgi; Maria Esther Egg;

Johanna Kemper und Ladina Rageth (2016). Feasibility Study for a Curriculum Comparison in Vocational Education and Training Intermediary Report II:

Education-Employment Linkage Index.

KOF Studies No 80. ETH Zürich.

tat nur bedingt aussagekräftig, da für das Nachbarland nur eine Beobachtung vor- liegt. Nur unwesentlich tiefer ist die Kop- pelungsintensität der Schweiz, gefolgt von Dänemark und Deutschland – alles Länder mit einem ausgeprägten dualen Berufsbil- dungssystem. Hingegen liegen die südost- asiatischen Pisa-Spitzenreiter Hongkong, Singapur, Südkorea und Japan bezüglich der Koppelungsintensität am Ende der Ska- la. Das mag ein Hinweis darauf sein, dass gute Schulleistungen in der Grundbildung zwar eine notwendige, aber keine hinrei- chende Bedingung für eine erfolgreiche In- tegration von Jugendlichen in den Arbeits- markt ist.

Für die Schweiz zeigen die Ergebnisse:

Das Land liegt in den meisten der 11 Pro- zesse weit über dem Durchschnitt (siehe Abbildung 2). Ausnahmen sind die Bereit- stellung von Ausrüstung in der schulischen Ausbildung sowie die Informationssamm- lung. Hier schliesst die Schweiz lediglich

Abb. 2: Koppelungsintensität des Bildungs- und Beschäftigungssystems der Schweiz im Vergleich (nach Prozessen)

RENOLD ET AL. (2016) / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Ausbildungsinhalt

Prüfungsform

Qualität des Koppelungs- prozesses

Lernort

Regulation des Arbeitsplatz- trainings Kostenaufteilung

Ausrüstung Lehrpersonen

Prüfungungs- durchführung Informationssammlung

Aufdatierungszeitpunkt

  Curriculum-Designphase       Curriculum-Anwendungsphase       Curriculum-Feedbackphase    Schweiz        Dänemark        Durchschnitt        Top

6

0 1 2 4 5

3

Thomas Bolli

Dr. sc., Post-Doc, Forschungsbereich Bil- dungssysteme, KOF Konjunkturforschungs- stelle der ETH Zürich

Ursula Renold

Dr. phil., Leiterin Forschungsbereich Bil- dungssysteme, KOF Konjunkturforschungs- stelle der ETH Zürich

durchschnittlich ab, und der Abstand zur höchsten Ausprägung innerhalb der untersuchten Länder ist sogar relativ hoch.

Ebenfalls deutlich unter dem Höchst- wert liegt die Schweiz bei der Koppe- lungsqualität in der Designphase. Dies deutet darauf hin, dass das schweizeri- sche Berufsbildungssystem dahin ge- hend möglicherweise noch Verbes- serungspotenzial hat. So sollte zum Beispiel eruiert werden, wie die Ver- knüpfung von administrativen Daten, die das Bundesamt für Statistik neuer- dings bereitstellt, dazu genutzt werden kann, bessere Informationen bezüglich der Auswirkungen von Ausbildungen zu gewinnen. Zudem sollte untersucht wer- den, inwieweit Verbesserungspotenzial bezüglich des Einbezugs von Firmen in der Auswahl und Bereitstellung von Aus- rüstung, Werkzeugen und Maschinen im schulischen Unterricht besteht. Bei der

Koppelungsqualität sehen die befragten Experten mögliche Verbesserungen in Be- zug auf den Anteil repräsentierter Firmen.

Allerdings werden die Schwächen im Direktvergleich mit Dänemark relativiert, welches ebenfalls sehr gut abgeschnit- ten hat und für welches genügend Exper- tenantworten vorliegen, um eine Analyse dieses Detaillierungsgrades zu ermögli- chen: Ausser bei der Qualität der Koppe- lung in der Designphase und bei der Be- stimmung des Aufdatierungszeitpunktes des Curriculums in der Feedbackphase schlägt die Schweiz Dänemark in allen Di- mensionen.

Zusammenfassend lässt sich feststel- len: Der «KOF Education-Employment Linkage Index» leistet einen wichtigen Bei- trag, die Koppelungsintensität zwischen den Akteuren des Bildungs- und Beschäf- tigungssystems zu messen. Bildungsver- antwortliche aus dem In- und Ausland er- halten dadurch ein Werkzeug. Der Index schafft somit eine Diskussionsgrundlage für die Schwächen und Stärken von Be- rufsbildungssystemen.

Referenzen

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