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Ewalds «J’accuse!»Eine Buchbesprechung von Matthias Bürgi

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Inf.bl. Landsch. 76, 2010 5

Ewalds «J’accuse!»

Eine Buchbesprechung von Matthias Bürgi

Vor mehr als dreissig Jahren publi- zierte Klaus C. Ewald das Buch «Der Landschaftswandel. Zur Veränderung schweizerischer Kulturlandschaften im 20. Jahrhundert» (ewald 1978).

Mit diesem Buch, ausgestattet mit umfangreichem Kartenschuber und einem giftiggrünen Einband, wollte der Autor auf die seit dem zweiten Weltkrieg beschleunigt verlaufende Veränderung der Landschaft in der Schweiz hinweisen.

Das Werk, das Ewald 2009 gemein- sam mit seinem Co-Autor Gregor Klaus vorlegt, hat bezüglich Farb- gebung des Einbandes eine gewisse Mässigung erfahren: Das Giftgrün ist einem dezenten Lindengrün ge- wichen. Ansonsten jedoch, formal wie inhaltlich, von Mässigung keine Spur: Das Werk ist niederschmetternd durch sein Gewicht und noch viel- mehr durch seinen Inhalt. Akribisch werden Verfehlungen, Versäumnisse und Verbrechen an der schweize- rischen Kulturlandschaft dokumen- tiert und analysiert.

Mit weit über 500 ausgezeichne- ten Abbildungen und einem klaren Layout lädt das Buch zur Lektüre ein.

Nach einer knapp gehaltenen Einfüh- rung werden die wichtigsten Quel- len und Methoden zur Untersuchung des Landschaftswandels vorgestellt.

Ebenfalls kurz sind die wunderschön illustrierten Kapitel zur Entwicklung von der Natur- zur Kulturlandschaft und zur sogenannten traditionellen Kulturlandschaft und ihrer wich- tigsten Elemente, wie Ackerterras- sen, Hohlwege und Lesesteinhaufen.

Deren Entstehung und Funktion wird in ihrem agrargeschichtlichen Kon- text nachvollziehbar beschrieben und damit ist die Grundlage gelegt für was nun folgt. Kapitel 6 bis 14 wid- men sich den verschiedenen Dimen- sionen, in denen die beschriebene traditionelle Kulturlandschaft einen tiefgreifenden Wandel erfahren hat.

Angefangen wird mit dem Thema Wasser. Die Autoren beschreiben, wie die Flüsse «ins Streckbett» gelegt worden sind, und wie weite Teile des

Ewald, K.C.; Klaus, G., 2009:

Die ausgewechselte Landschaft. Vom Umgang der Schweiz mit ihrer wichtigsten natürlichen Ressource.

Bern, Stuttgart, Wien, Haupt Verlag, 752 S., in Schuber mit 8 Kartenbeilagen Mittellandes entwässert und abgetorft wurden. Eindrückliches Bildmaterial belegt, wie sich in kurzer Zeit das Bild der Landschaft komplett verän- dert hat und es wird nachvollziehbar, wie der auf den ersten Blick etwas seltsam anmutende Titel des Buches zustande kam. Neuere Bemühungen, den Fliessgewässern wieder mehr Raum zu geben, werden ebenfalls dargestellt. Umfangreich ist Kapitel 7, das sich mit den zerstörerischen Auswirkungen der diversen Melio- rationswellen auf die Struktur und Funktion der traditionellen Kultur- landschaft befasst. Hier wird Klartext gesprochen: Die dokumentierten Ta- ten der «Flurpeiniger» werden als mit Steuergelder subventionierten Kultur- vandalismus bezeichnet, dessen tole- riertes Ausmass unser gleichzeitiges Entsetzen über die Zerstörung der Bamian-Buddhas in Afghanistan oder die Plünderung der Museen in Bag- dad scheinheilig erscheinen lässt. Das nachfolgende Kapitel über die Land- schaftswirkung der neuen Agrarpo- litik, mit dem System der Direktzah- lungen, wird ergänzt durch ein Essay von Andreas Bosshard, der Ideen für eine Weiterentwicklung der Agrarpo- litik präsentiert.

Insgesamt sieben Essays sind im Buch enthalten und haben offensicht- lich die Funktion, Folgerungen aus dem präsentierten landschaftlichen Schlamassel zu ziehen. So wird auch das Kapitel zum Wald im Wandel der Zeit durch ein Essay abgeschlossen.

Hier ist es Otto Wildi, der sich Gedan- ken zur Zukunft des Schweizerwaldes macht, nachdem die Autoren die Nut- zungsgeschichte und die Geschichte der Bemühungen um mehr Natur- schutz im Wald Revue passieren lies- sen. Siedlungs- und Verkehrsentwick- lung sind die nächsten Themen. Auch hier kommen die Stärken des Werkes schön zur Geltung: Der aktuelle Stand des Wissens um die Entwicklungen und ihre Einflussgrössen ist zusam- mengestellt und erneut hervorragend illustriert. Eine dieser Illustrationen zeigt ein etwas windschiefes Bauern- haus in Villmergen, versammelt davor die 22 Bewohnerinnen und Bewohner, und wirft dadurch eine Frage auf, die im Text aus meiner Sicht etwas selten Erwähnung findet: Viele der aufge- zeigten Entwicklungen gingen einher mit einem beträchtlichen Gewinn an Komfort und Lebenserwartung. Wer wäre bereit, diese wieder herzugeben, um dadurch Blumenwiesen, Schmet- terlingsschwärme und landschaftliche Idylle wieder zu erlangen? Die Frage ist so natürlich zu einfach gestellt und die präsentierten Veränderungen oft- mals dergestalt, dass nachvollziehbar ist, wieso die Autoren immer wieder zu heftigen Worten greifen. «Ver- fichtung» und «Verstrassung» wider- fuhr dem Wald, «Vermaisung» dem Landwirtschaftsland. Die Siedlung wird als «Gruselkabinett von archi- tektonischer Selbstverwirklichung»

bezeichnet und die «apokalyptische Herumfahrerei» des «Homo mobilis

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Inf.bl. Landsch. 76, 2010 6

Impressum

Redaktion:

PD Dr. Otto Wildi otto.wildi@wsl.ch Peter Longatti peter.longatti@wsl.ch Autoren

Dr. Elizabeth Feldmeyer elizabeth.feldmeyer@wsl.ch PD Dr. Matthias Bürgi matthias.buergi@wsl.ch

Bezug von WSL-Publikationen:

http://www.wsl.ch/eshop oder eshop@wsl.ch

Liste der von der WSL herausgegebenen Publikationen:

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WSL Publikationen

helveticus» angeprangert. Im näch- sten Kapitel, das sich den Auswir- kungen des Tourismus auf die Berg- welt zuwendet, wird angesichts von sich überbietenden Fun & Action Angeboten konstatiert, dass dem Frei- zeitmenschen offensichtlich nichts zu dumm sei. So scheint es tatsächlich.

Das Kapitel Verkehr hätte, ange- sichts der Brisanz der damit verbun- denen Auswirkungen auf die Qua- lität von Landschaft und Leben in der Schweiz, neben dem Essay von Hanspeter Schneider zu der Erhaltung der historischen Verkehrswege, noch Ausführungen darüber verdient, wie mit der offenbar naturgesetzmässig explodierenden Mobilität landschafts- verträglicher umgegangen werden könnte. Kurz und treffend sind die es- sayistischen Erläuterungen zur Land- schaft als Freizeitpark von Raimund Rodewald.

Das anschliessende Kapitel zu Land- schaft und Energie wird mit einem packenden Bildvergleich vom Rhein bei Laufenburg vor und nach der Errichtung des dortigen Laufkraft- werkes eingeleitet. Deutlich wird, dass die Geschichte der Landschaft in der Schweiz auch eine Geschichte der Überflutung und Verkabelung ist, auch wenn in diesem Kapitel einige Positivbeispiele (beispielsweise zum Flusskraftwerk Ruppoldingen) etwas versöhnlich stimmen. Eine weitere Stärke des Werkes wird offensichtlich:

Die Autoren scheuen sich nicht vor Aktualität, indem sie beispielsweise die Auswirkungen der Deckelung der kostendeckenden Einspeisevergütung für Solarstrom diskutieren. Natürlich birgt der Bezug zu laufenden Debat- ten die Gefahr, dass Teile des Buches in wenigen Jahren veraltet erscheinen.

Dafür liegt eine enorm umfassende Momentaufnahme der Probleme und Diskurse rund um die Landschaft in der Schweiz vor.

Die Schweiz ist von den konsta- tierten Entwicklungen und ihren Aus- wirkungen keineswegs überrascht worden. Mit eindrücklichen Zitaten wird in diesem Buch immer wieder deutlich, dass es schon zu jeder Zeit Köpfe gab, die nicht kapitulierten vor der «Dreistigkeit des permanenten

Nützlichkeitsdenkens». Und damit wären wir bei dem Thema Planung, deren Aufgabe es ja ist, Entwick- lungen in gesamtgesellschaftlich er- wünschte Bahnen zu lenken. Das ent- sprechende Kapitel beinhaltet unter anderem eine akribische Darstellung der Geschichte von KLN/BLN, wo Ewald als langjäh riges Kommissions- mitglied Interna präsentieren kann.

Er ist selbstverständlich bei vielen Themen Betroffener und Beteiligter und so wird denn auch die in diesem Kapitel aufgestellte Chronologie der Meilen- und Grabsteine der Natur- schutzbemühungen in der Schweiz abgeschlossen durch die Aufhebung seines Lehrstuhls für Natur- und Landschaftsschutz an der ETH, die mit seiner Emeritierung 2006 vollzo- gen worden ist.

Eine vertiefte und differenzierte Analyse des Landschaftswandels im Reuss tal bildet einen weiteren Hö- hepunkt des Buches. Dazu gehören auch die beigelegten Karten und er- neut ein kurzes Essay, diesmal von Heiner Keller, zu den anstehenden Problemen. Das Kapitel ist mehr als die im Titel angetönte Kartenstudie.

Vielmehr gelingt es den Autoren, auf der Ebene eines konkreten Projektes, der «Sanierung» des Reusstales, das Kräftespiel zwischen Nutzern und Schützern im Laufe der Zeit nachvoll- ziehbar zu illustrieren.

Abgeschlossen wird das Werk mit einem «Landschafts-Knigge», der mit zahlreichen ermunternden Beispie- len aus dem Projektfundus des Fonds Landschaft Schweiz FLS illustriert ist. Erneut ist es ein kluges Essay von Raimund Rodewald, das den Blick in die Zukunft lenkt, in dem er postuliert, dass eine Trendumkehr möglich sei.

Er fordert, die Landschaft vermehrt als Gesundheitsressource wahrzuneh- men, eine umfassende Landschafts- strategie zu erstellen, die Errichtung eines «Swiss National Trust» zur Stärkung der Landschaftspflege (in Anlehnung an britische Vorbilder) und die Eindämmung des Bodenver- brauchs.

Allein, es braucht eine gehörige Portion Optimismus, angesichts der aufge- zeigten Veränderungen, die Trendum-

kehr als baldige Realität zu erhoffen.

Das Buch ist in vielen Teilen depri- mierend. Man möchte widersprechen, auf den einen oder anderen Erfolg hin- weisen, der den Autoren entgangen ist.

Doch just in diesem Moment tickert die Meldung herein, dass der Natio- nalrat die Ratifizierung der Durchfüh- rungsprotokolle der Alpenkonvention mit der Begründung ablehnt, die Vor- lage berücksichtige die Interessen der Schweizer Wirtschaft zuwenig.

Klaus C. Ewald legt, unterstützt durch Gregor Klaus, mit diesem Buch etwas Unzeitgemässes vor, nämlich e in Lebenswerk, ein Rundumschlag, eine Gesamtschau. Obschon viele der dar gestellten Themen und Stu- dien durchaus bekannt sind, gelingt es den Autoren doch immer wieder, erschütternde Beispiele und beelen- dende Tatsachen zu präsentieren.

Bereits ange tönt habe ich, dass die Sprache teilweise hart, erbarmungs- los und bitter ist. Viel Persönliches ist eingeflossen, und es hätte dem Buch keinen Schaden getan, wenn der eine oder andere pauschale Seitenhieb ge- gen Förster, Bauern oder Planer nicht geschrieben worden wäre. Wenn man schon so gute Argumente, derart ein- drückliche Dokumente hat – wieso muss die Atmosphäre zusätzlich ver- giftet werden durch Aussagen, die eine sachliche Auseinandersetzung sicherlich erschweren werden? Hier waren keine Diplomaten am Werk, sondern Mahner, Betroffene, Verletz- te, vielleicht sogar Verbitterte. So ist von der geneigten Leserschaft etwas Übersetzungsarbeit zu leisten: Auch in der Anklage liegt ein Wert, und die Autoren waren klug genug, diese Anklage gezielt durch konstruktive Essays voller Lösungsansätze und Perspektiven zu ergänzen. Meine Bilanz: Eine umfassende, aktuelle, prächtig illustrierte Geschichte von Landschaft und Landschaftsschutz in der Schweiz, aus einer persönlichen Optik geschrieben. Ein Appell wider Wut- und Mutlosigkeit im Einsatz für Werte und Qualitäten in der Land- schaft – und das für lediglich Fr. 78.–.

Somit: Kaufen, lesen, nachdenken über die Zukunft der schweizerischen Kulturlandschaft!

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