Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 50|
13. Dezember 2013 A 2395Z
ufrieden oder ärgerlich, erleichtert oder enttäuscht – die Reaktionen darauf, dass es dem vorläufigen Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union zufolge keine Reformen an den Schnittstellen von gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenver- sicherung (PKV) geben soll, fielen höchst unterschied- lich aus. Nur: Dass zu diesem Thema nichts im Koaliti- onsvertrag steht, heißt nicht, dass nichts passiert. Dar- auf deuten nicht nur Äußerungen der beiden Unter- händler für Gesundheit, Prof. Dr. med. Karl Lauterbach (SPD) und Jens Spahn (CDU), zu vertraulichen Zusatz- vereinbarungen hin. Hierauf verwiesen unlängst eben- falls namhafte Vertreter von Krankenkassen – mit hör- barer Sorge, auch ihnen könne dabei etwas passieren.Bei einer Festveranstaltung zum 100-jährigen Beste- hen der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen hatte Lauterbach erwähnt, im Koalitionsvertrag hätte zum Thema GKV/PKV „fast etwas dringestanden“. Fast hätten beihilfeberechtigte Beamte die Möglichkeit er- halten, zwischen PKV und Krankenkasse zu wählen und in beiden Fällen vom Arbeitgeber bezuschusst zu werden. Fast hätte es angeblich auch Absichtserklärun- gen zum Kontrahierungszwang und zur Mitnahme der Altersrückstellungen innerhalb der PKV gegeben.
Man kann natürlich unterstellen, Lauterbach habe nur bei der Parteibasis für den Koalitionsvertrag und seine Möglichkeiten werben wollen. Doch auch Dr.
Timm Genett, Geschäftsführer Politik des PKV-Ver- bands, geht davon aus, dass sich etwas tun wird: „Wenn geklärt ist, wer das Ministerium übernimmt, wird es ei- ne kleine, pragmatische Reform geben.“ Jürgen Graal- mann, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesver- bands, nannte ein anderes Argument, weshalb man sich auf Untätigkeit an der Schnittstelle GKV/PKV nicht verlassen sollte: Ein Arzneimittelmarktneuordnungsge- setz hätten Union und FDP vor vier Jahren auch nicht im Koalitionsvertrag vereinbart, dann aber auf den Weg gebracht. „Das Thema GKV/PKV bleibt“ – davon ist der Krankenkassenchef deshalb überzeugt.
Auch, so ergänzte er, weil es die bekannten Proble- me bei der PKV gibt. Genett revanchierte sich mit Hin- weisen auf die der GKV, aber milde. Die PKV als Ge- fängnis, aus dem man sich kaum befreien kann, die GKV als Minimalmedizinanbieter mit beschönigendem Qualitätsmäntelchen – über solche Vorwürfe wurde nur am Rande gezankt. Die Kassen sorgen sich nämlich mittlerweile, dass sie zur Lösung der Probleme man- cher Privatversicherter herangezogen werden. „Uferlos steigende Prämien, keine Kostenbegrenzungsinstru- mente: Das wird sich die Politik nicht ewig ansehen“, gab Michael Weller zu bedenken, Leiter der Stabsstelle Politik beim GKV-Spitzenverband. „Was soll die Poli- tik dann anderes machen, als den Rückwechsel zur GKV zu ermöglichen?“, ergänzte Graalmann. Eine Schwächung der GKV durch gesetzgeberische „Mit- leidsaktionen“ müsse man verhindern, so Lauterbach.
Genett hörte höflich zu und verwies auf die Proble- me der Krankenkassen. Ihnen geht es aus seiner Sicht heute auch deshalb finanziell gut, weil die Babyboomer auf ihrem beruflichen Höhepunkt sind und hohe Beiträ- ge in die GKV einzahlen. „Das sind aber programmier- te Leistungsempfänger in 30, 35 Jahren“, gab er zu be- denken. Fazit: Das duale System hat nicht nur duale Probleme, sondern auch ein gemeinsames, nämlich die Alterung der Versicherten.
DUALES KRANKENVERSICHERUNGSSYSTEM
Trügerische Ruhe
Sabine Rieser
Sabine Rieser Leiterin der Berliner Redaktion