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as Geschäft mit Mu- sicals boomte. Jetzt scheint es, als würde das Interesse an den großen Theatergeschichten über Viet- nam-Krieg, Französische Re- volution oder flotten Bibelin- terpretationen nachlassen. Zu viele Produktionen erlitten in den letzten Monaten Schiff- bruch: „Miss Saigon“ in Stutt- gart, „Les Misérables“ in Duisburg und „Joseph“ in Essen; sie alle ereilte früher als geplant der Musical-Tod.Über die Hintergründe – schlechte Standorte, zu teure Eintrittspreise – wird schon seit langem heftig diskutiert.
In Wien dagegen scheint die Welt noch ziemlich in Ordnung zu sein – zumindest was die Musicals betrifft. Dort setzen die engagierten Da- men und Herren der Vereinig- ten Bühnen Wien (VBW) um ihren Intendanten Rudi Klausnitzer seit einiger Zeit auf Uraufführungen. „Die VBW sind damit eindeutig zum aktivsten Eigenprodu- zenten von Musicals am Kon- tinent geworden“, lässt Klaus- nitzer vollmundig verkünden.
Der Erfolg gibt ihm Recht:
Mit dem Interesse an „Elisa- beth“, einem Stück über das Leben und die Todessehn- sucht der österreichischen Kaiserin fernab jeglichem
„Sisi“-Kitschs, hat die Wiener Musical GmbH Geschichte geschrieben. Seit 1992 sahen fast zwei Millionen Besucher das Stück nicht nur in Wien, sondern auch in Osaka, To- kio, Szeged und Budapest.
„Es scheint, als entwickle sich hier am Geburtsort der Ope- rette eine europäische Form des Musicals, mit der Wien abermals das populäre Mu- siktheater bereichert“, meint Musicalautor Dr. Michael Kunze. Er hat Stücke wie
„Evita“, „Cats“, „Phantom der Oper“ oder „Sunset Bou- levard“ ins Deutsche über-
setzt und „Elisabeth“ die Worte in den Mund gelegt.
Jetzt will man den Erfolg der Kaiserin wiederholen.
Das alte Musical-Rezept: ein österreichisches Thema, aber auch weltweit vermarktbar.
Wolfgang Amadeus Mozart, das Wunderkind aus Salz- burg, wurde
zur Ziel- scheibe des
Kunze-Teams um Sylvester Levay (Musik), Harry Kupfer (Regie) und Hans Schaver- noch (Bühnenbild). „Mozart!
– Das Musical“ feierte am 2. Oktober 1999 im Theater an der Wien Welturaufführung.
Gespannt blickten die Musicalfreunde erneut nach Wien, enttäuscht kehrte man aus der Donaustadt zurück.
Zwar hat Hans Schavernoch
gigantische, optisch einmali- ge Szenen für „Mozart!“ ent- wickelt, die Kostüme Yan Taxs’ bestechen durch Ein- fallsreichtum; was Kunze, Le- vay und Kupfer beisteuern, bleibt Durchschnitt. Die Mängel des Projektes liegen eindeutig im Buch. Wie schon in „Elisabeth“
geht es Michael Kunze beim Mozart-Stoff
darum, eine historische Figur von Verkitschung und Ver- götterung zu befreien, um sie vom heutigen Standpunkt aus neu zu entdecken.
Um die Mozart-Biographie musicalgerecht aufzubereiten, bedient sich Kunze einiger dramaturgischer Effekte, die teils zu stark konstruiert er- scheinen. So darf Naturfor- scher Dr. Mesmer an Mozarts
Grabstätte am Friedhof St.
Marx nach den Überresten des Komponisten graben, wobei sich der Doktor an eigene Be- gegnungen mit Wolfgang erin- nert. Das Stück beginnt, taucht ein in die (Um-)Welt des Wun- derknaben: Der ehrgeizige Va- ter Leopold, die liebliche, un- terschätzte Schwester Nan- nerl, der despotische Fürsterz- bischof Colloredo und die schrecklich unehrliche Familie Weber haben ihre festen Auf- tritte, eben so, wie es Mozarts Leben schrieb. Dem Men- schen Mozart stellt Michael Kunze das Genie Amadé ge- genüber: ein kleiner Junge, der fortan den erwachsenen Mozart durch die Lebenssta- tionen begleitet. Dieser Dra- maturgie-Trick funktioniert;
im Gegensatz zu Kunzes Tex- ten, die streckenweise äußerst banal über die Rampe kom- men. Sylvester Levay lässt Amadé und seine Musik unan- getastet, nur kurz hören wir
„echten Mozart“. Der Rest Levay ist bedauerlicherweise ohrwurmfrei.
Ein perfektes Ensemble, aus dem vor allem Uwe Krö- ger als Fürsterzbischof Col- loredo herausragt und in dem Yngve Gasoy- Romdal als Mozart eine gute Figur macht, ist bei den Wiener Produktio- nen fast schon Usus.
Wenn der Erfolg in der Post-„Elisabeth“- Zeit mit dem anderen Österreicher nicht ein- treten sollte, die VBW haben noch einen Trumpf in der Stadt:
Im Raimund-Thea- ter luden bis Mitte Januar die Transsyl- vanier zum „Tanz der Vampire“ ein.
Die Produktion unter Regie von Roman Polanski löst ab 31. März 2000 „Miss Saigon“
im Stuttgarter SI-Centrum ab. Die Wiener beißen sich durch die Musical-Flaute.
Informationen und Kar- ten für die Wiener Musicals der VBW unter Wien Ticket Tel 00 43/1/5 88 85 oder im In- ternet www.musicalvienna.at
Christian M. Sauer A-261 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 5, 4. Februar 2000
V A R I A FEUILLETON
Im alten Theater an der Wien wird das neue High-Tech-Musical aufgeführt.Foto: Vereinigte Bühnen Wien
„Das Musical“
In Österreichs Hauptstadt floriert das populäre Musiktheater.
Foto: Christian M.Sauer