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Archiv "Die Rehabilitation ertaubter Patienten durch Elektrostimulation des Hörnerven" (14.05.1981)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Einleitung

Seit etwa zwei Jahrzehnten befassen sich einige Forschungsgruppen in der Welt mit dem Problem, ertaub- ten Patienten den akustischen Kon- takt zu ihrer Umwelt wiederzugeben.

Man geht davon aus, daß dies durch Elektrostimulation des noch funk- tionstüchtigen Hörnerven erreicht werden könnte. Da versucht wird, durch Implantation von Elektroden akustische Signale zu vermitteln, wird dieses Vorgehen in der ameri- kanischen Literatur als „cochlear implant" bezeichnet. Voll befriedi- gende Ergebnisse konnten bisher nicht erzielt werden.

Das „cochlear implant" darf nur bei ertaubten Patienten angewendet werden, bei denen zwar die Innen- ohrfunktion vollkommen ausgefal- len ist, jedoch noch ausreichend funktionierende Hörnervenfasern vorhanden sind.

Das Arbeitsteam

Wegen der mannigfaltigen Proble- me im medizinisch-technischen und pädagogischen Bereich ist es unbe- dingt erforderlich, bei derartigen Versuchen ein eng zusammenarbei- tendes Team zu bilden. Dazu gehö- ren außer dem Ohrchirurgen der Au- diologe, der Fachpädagoge für Hör-

erziehung und aus den theoreti- schen Fachdisziplinen der Anatom und der Neurophysiologe sowie aus dem technischen Bereich der Elek- troingenieur und Elektroniker. Da der Aufwand für die Auswahl bezie- hungsweise postoperative Betreu- ung der Patienten sehr groß ist, kann das Team nur mit erheblicher finanzieller Unterstützung seitens Dritter funktionieren.

Nicht weniger wichtig ist ein flexi- bles und auf Forschung eingestell- tes Industrieunternehmen, das die zahlreichen notwendigen Geräte und ihre Modifikationen je nach Be- darf individuell herstellen kann. Die Geräte werden sowohl für die Vor- und Nachuntersuchungen als auch für die technische Kontrolle der Elektroden benötigt. Außerdem ge- hört zur Aufgabe dieses Unterneh- mens die Anfertigung eines Reizge- rätes (Stimulator), das nach den An- gaben des gesamten Teams für je- den einzelnen Patienten individuell hergestellt und eventuell später noch modifiziert werden muß.

Eine besonders wichtige Rolle spielt der Fachpädagoge für Hörerzie- hung. Er hat sich in der postoperati- ven Phase um die psychoakustische Betreuung der Patienten zu küm- mern. Seine mühselige und intensi- ve Arbeit erstreckt sich oft über mehrere Monate.

Bei einer beschränkten An- zahl innenohrertaubter Pa- tienten ließ sich durch neuarti- ge mikrochirurgische Metho- den, verbunden mit elektroni- schen Geräten, der akustische Kontakt zur Umwelt wieder herstellen. Eine normale Sprachdiskrimination ließ sich jedoch bisher nicht erreichen.

Das Erlernen des Lippenable- sens aber konnte mit dem Cochlea Implant erheblich er- leichtert werden. Eine Aus- wechslung des Implantats durch bessere technische Sy- steme ist jederzeit möglich.

Die Auswahl der Patienten

Voraussetzung für die Anwendung des „cochlear implant" ist, daß der Patient völlig taub ist und auch mit einem Hörgerät kein akustischer Kontakt zur Umwelt mehr hergestellt werden kann, das heißt, daß mit der Hörhilfe nicht nur keine Sprachdis- krimination mehr möglich ist, son- dern auch keine Hintergrundgeräu- sche mehr wahrgenommen werden können. Beim derzeitigen Stand werden solche Patienten für das Cochlear Implant bevorzugt, die postlingual — also nach dem Erler- nen des Sprechens — ertaubt sind.

Die postlingual Ertaubten können nämlich die durch Anwendung der Elektrostimulation verursachten Hörerlebnisse besser beschreiben beziehungsweise an Hand ihrer Erinnerungen mit den früheren Hör- wahrnehmungen vergleichen. Dem- gegenüber muß erwähnt werden, daß die prälingual Ertaubten (ange- borene Taubheit) erfahrungsgemäß nicht so hohe Erwartungen an die durch die Elektrostimulation hervor- gerufenen Hörerlebnisse setzen dürfen.

Von den ertaubten Patienten kön- nen — wie schon erwähnt — selbstver- ständlich nur diejenigen mit einem Cochlear Implant versehen werden, bei denen nur das Innenohr ausge- fallen ist. Die Überprüfung, ob noch

Die Rehabilitation ertaubter Patienten

durch Elektrostimulation des Hörnerven

Paul Banfai, Fritz Wustrow, Günter Hortmann, Stephan Kubik

Aus der Hals-Nasen-Ohren-Klinik

(Direktor: Professor Dr. Dr. Fritz Wustrow der Universität zu Köln und dem

St.-Marien-Hospital, Hals-Nasen-Ohren-Abteilung, Düren (Leitender Arzt: Professor Dr. med. Paul Banfai)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 20 vom 14. Mai 1981 999

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Gemischte Wortliste

Ring, Blume, 98, Eimer, Spott, Puppe, 22, Geist, Kuchen, 86

Patient: M. L. Datum: 13. 5. 80 gegeben richtig falsch

100 79 21 nur Lippenlesen

100 67 33 mit Stimulator

ohne Lippenlesen

100 95 5 mit Stimulator

mit Lippenlesen Zur Fortbildung

Aktuelle Medizin

Elektrostimulation des Hörnerven

Abbildung ® Schematische Darstellung der Opera- tion. Die Elektroden werden in die Cochlea ohne Eröffnung der lnnenohrräume eingeführt

Abbildung C) Die von uns verwendete 8-Kanal-Elek- trode mit dem Außenstecker. Die Elektroden beste- hen aus Platin und sind mit einem Teflonmantel isoliert

Abbildung ® Die Lage des Außensteckers

Abbildung ® Das Reizgerät wird für jeden Patien- ten individuell angepaßt

Abbildung ® Psycho-akustische Werte einer unse- rer Patientinnen

1000 Heft 20 vom 14. Mai 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Elektrostimulation des Hörnerven

Höranteile funktionieren, wird mit ei- nem speziell für diese Zwecke her- gestellten Cochlear-Nerv-Tester vor- genommen. Dabei wird eine Nadel- elektrode transtympanal durch das Trommelfell an das Promontorium angelegt und der Hörnerv mit ver- schiedenen Frequenzen und Span- nungen gereizt. Der Patient gibt an, ob er subjektive Hörempfindungen wahrnimmt und beschreibt die Art des Hörempfindens. Nur bei etwa 10 Prozent unserer Fälle konnten wir durch Reizung des Hörnerven bei den Patienten keine Hörempfindung erzielen. Letztere Patienten sind ver- ständlicherweise für das Cochlear Implant nicht geeignet.

Das operative Vorgehen

Während die meisten Forschungs- gruppen die Elektroden durch das runde Fenster in die Scala tympani der Schnecke (invasive Methode) einführen, werden die von uns ent- wickelten Elektroden zwar in die Cochlea eingelegt, jedoch ohne Eröffnung des endolymphatischen Raumes (Abbildung 1). Durch Versu- che an Meerschweinchen konnten wir feststellen, daß die Einführung der Elektroden in die Scala und da- mit in die häutige Schnecke erhebli- che sekundäre pathologische Ver- änderungen hervorruft, die sich nicht nur auf die Cochlea beschrän- ken, sondern auch eine deutliche degenerative Erscheinung im Gan- glion spirale und an dem Hörnerven selbst verursachen.

Der Vorteil unseres Verfahrens (nichtinvasive Methode) ist, daß die Elektroden keine durch die Implan- tation verursachten pathologischen Veränderungen in der Cochlea be- ziehungsweise am Hörnerven her- vorrufen. Zudem bleibt den Patien- ten die Chance erhalten, das Implan- tat gegen eventuell verbesserte Sy- steme auswechseln zu lassen. Damit ist nach der Implantation der Weg für neue Methoden nicht verbaut.

Zur Zeit verwenden wir ein 8-Kanal- Elektroden-System (Abbildung 2).

Die Signal- und Energievermittlung erfolgt mittels eines sogenannten perkutanen Systems, das heißt ein Außenstecker, der hinter dem Ohr

aus der Haut heraustritt, ermöglicht die Verbindung zu dem noch später zu beschreibenden „Hörgerät" be- ziehungsweise Stimulator und zu den Elektroden (Abbildung 3). Ange- strebt wird, später die Signal- und

Energieübertragung transkutan, das heißt in einem geschlossenen Sy- stem mit Hilfe eines Senders und Empfängers zu vermitteln. Das per- kutane System vermeidet in der Er- probungsphase ungünstige Störfak- toren.

Ergebnisse

Bisher haben wir sechs Patienten mit der von uns entwickelten 8-Ka- nal-Elektrode nach unserer Opera- tionsmethode ausgestattet. Die aus- gefallene Innenohrfunktion wird durch den Stimulator ersetzt (Abbil- dung 4). Das Gerät wandelt die Schallenergie in entsprechende elektrische Potentiale um, die dann über den Außenstecker und die Elektroden bis zum Hörnerv weiter- geleitet werden. Postoperativ wer- den die Leistungen der einzelnen Elektroden und die entsprechenden Hörimpulse registriert, dementspre- chend wird der Stimulator individu- ell eingestellt. So gehört zu jeder Elektrode ein bestimmter Frequenz- bereich.

Mit Hilfe dieses Gerätes erreichen die Patienten eine recht exakte Ton- höhenerkennung (Frequenzanalyse) und eine sog. Periodizitätsanalyse (Erkennung von Rhythmen). Weiter können bestimmte Hintergrundsge- räusche erkannt und voneinander unterschieden werden. Auch ein ge- wisser Lautheitsunterschied ist wahrzunehmen. Ferner erleichtert das Cochlear Implant das Lippenab- lesen dadurch erheblich, daß die Pa- tienten neben den visuellen Impul- sen zusätzliche wertvolle akustische Signale empfangen können. Nach entsprechender Übung macht das Cochlear Implant es möglich, durch Neukodierung der Sprache be- stimmte Wörter ohne Lippenablesen zu erkennen. Dies zeigt Abbildung 5.

Der Patient M. L. konnte zum Bei- spiel aus der Wortliste nur mit Lip- penablesen 79 Prozent richtig er- kennen, dieser Wert wurde mit dem

Stimulator auf 95 Prozent verbes- sert. Ohne Lippenablesen und aus- schließlich mit dem Stimulator war ein Wortverständnis von 67 Prozent gegeben. Obwohl die bisher erziel- ten Erfolge noch nicht als normale Sprachdiskrimination bewertet wer- den können, bedeutet das Erreichte für die Patienten doch schon eine erhebliche Verbesserung ihrer zwi- schenmenschlichen Kontakte. Sie werden buchstäblich aus ihrer sonst völlig lautlosen Welt herausge- rissen.

Ausblick

Wir streben an, durch eine Erhö- hung der Reizorte in der Schnecke ein besseres Erkennen und Verste- hen der Worte, gegebenenfalls so- gar ein Satzverständnis zu errei- chen. Die bisherigen Maßnahmen sind zunächst noch als Erprobungs- phase anzusehen. Eine routinemäßi- ge Anwendung des Cochlear Im- plant kann noch nicht anempfohlen werden.

Literatur

(1) Banfai, P.: Zugangswege für das Cochlear Implant, HNO 26 (1978) 85 — (2) Banfai, P.;

Hortmann, G.; Wustrow, F.: Erste Beobach- tung nach einer Cochlear Implant-Operation.

HNO 26 (1978) 377 — (3) Banfai, P.; Hortmann, G.; Kubik, S.; Wustrow, F.: Cochlear Implant mit Multielektroden ohne Eröffnung der lnnenohrräume, Laryng-Rhinol. Otol. 58 (1979) Heft 6 — (4) Burian, K.: Klinische Erfahrungen mit der Elektrostimulation des Hörorgans, Arch. Otorhinolaryngol. 223, 139-166, Kon- greßbericht 1979 Berlin — (5) Chouard, C. H., et al.: Röhabilitation chirurgicale des surditös to- tales et des surdi-mutitös, Ann. Oto-Laryng.

(Paris) (1978) 3 — (6) Dillier, N.; Spillmann, T.:

Elektrische Stimulation des Gehörs beim Men- schen: Übersicht über den aktuellen Stand der Entwicklung einer implantierbaren Prothese für sensorisch neurale Taubheit, HNO 26 (1978) 77-84 — (7) Hortmann, G.: Reizstromdia- gnostik und -therapie nach Nervenschädigun- gen, Verlag Erbe Elektromedizin, Tübingen, (1970) - (8) House, W. F.: Cochlear implants, Ann. Otol. Rhinol. Laryng (1976) (Suppl. 27) 85, 1 — (9) Tonndorf, J.: Cochlear Prosthesis, A State-of-the Art Review, Ann. Otol. Rhinol. La- ryngol. (1977) (Suppl. 44), 86, No. 6, Part. 2

Anschriften der Verfasser:

Professor Dr. Dr. Fritz Wustrow Direktor der

Hals-Nasen-Ohren-Klinik

Medizinische Universitätsklinik Köln Joseph-Stelzmann-Straße 9

5000 Köln 41

Professor Dr. med. Paul Banfai St.-Marien-Hospital

5160 Düren-Birkesdorf 1002 Heft 20 vom 14. Mai 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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