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Archiv "Die Zeiten ändern sich" (07.09.2007)

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A2416 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 36⏐⏐7. September 2007

M E D I Z I N

D

ass die Arbeitszeiten der Ärztinnen und Ärzte in den deutschen Krankenhäusern zum Teil unver- antwortlich lang sind – wie Judith Rosta es nun erstmals in einer groß angelegten bundesweiten Erhebung nach- gewiesen hat –, ist keine Überraschung. Nach Rostas Daten verbringen vor allem junge Ärzte viel Zeit in der Klinik: um zu helfen, weil sie möglichst viel lernen wol- len, aus Faszination an der Medizin und um bei ihren Vorgesetzten nicht in Ungnade zu fallen. Doch die Zeiten ändern sich.

Bis vor wenigen Jahren konnte der Ärztenachwuchs noch davon ausgehen, später für seine außerordentliche Einsatzbereitschaft während der Weiterbildung zum Facharzt entschädigt zu werden. Es lockte eine gut be- zahlte Karriere im Krankenhaus oder eine lukrative Tätigkeit als niedergelassener Arzt. Mittlerweile sind die Aussichten weniger rosig. Insbesondere für Fachärzte ist eine Niederlassung wegen der strengen Bedarfsplanung heute kaum noch möglich. Durch die strikte Honorar- budgetierung ist die „eigene Praxis“ zudem deutlich un- attraktiver als früher. Für immer mehr Ärzte ist das Kran- kenhaus zum Lebensarbeitsplatz geworden – und nicht alle von ihnen können in leitende Positionen aufrücken.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewünscht

Vor allem wegen der schlechteren Perspektiven hinterfra- gen immer mehr Ärzte die Arbeitszeiten in den Kliniken.

Dabei spielt es auch eine Rolle, dass der Anteil der Ärz- tinnen zunimmt: von 33,6 Prozent im Jahr 1991 auf 42 Prozent Ende des Jahres 2006. Der Wunsch nach Verein- barkeit von Familie und Arztberuf gewinnt an Bedeutung.

Und es tut sich etwas: Als Meilenstein auf dem Weg zu familienfreundlicheren Arbeitszeiten in den Kliniken erweist sich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 3. Oktober 2000. Zunächst bezogen auf spanisches Recht stellten die Richter klar, dass die Be- reitschaftsdienste in den Krankenhäusern zu 100 Pro- zent als Arbeitszeit zu werten sind. Am 9. September 2003 bestätigte der EuGH das Urteil für Deutschland:

Bereitschaftsdienst sei Arbeitszeit – auch wenn der Arzt sich in den Stunden, in denen seine Arbeitszeit nicht be- ansprucht werde, an der Arbeitsstelle ausruhen dürfe.

Seit Beginn dieses Jahres ist das entsprechend novellier- te deutsche Arbeitszeitgesetz ausnahmslos in Kraft, und die Dienste müssen voll auf die Höchstarbeitszeiten an- gerechnet werden. Dies hat zur Folge, dass weniger Dienste geleistet werden dürfen.

Nach dem Arbeitszeitgesetz darf die werktägliche Ar- beitszeit 8 Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 10 Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von 6 Monaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durch- schnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Die Tarifpartner können jedoch Abweichendes vereinba- ren. Letzteres ist in den Verhandlungen zwischen dem Marburger Bund und öffentlichen Klinikarbeitgebern ge- schehen. Für die kommunalen Krankenhäuser wurde et- wa vereinbart, dass kombiniert mit Bereitschaftsdiensten in niedrigen Belastungsstufen die tägliche Arbeitszeit über 8 Stunden hinaus auf bis zu 24 Stunden verlängert werden darf. In der Bereitschaftsdienststufe mit der höchs- ten Belastung beträgt die zulässige Gesamtzeit 18 Stun- den. Die wöchentliche Arbeitszeit kann in Verbindung mit Bereitschaftsdienst in allen Stufen sogar bis zu 58 Stunden im Jahresschnitt betragen, wenn die Ärztin/der Arzt dem zustimmt.

Rostas Untersuchung zufolge arbeiteten unmittelbar vor Inkrafttreten des novellierten Arbeitszeitgesetzes mehr als die Hälfte der Klinikärzte in Deutschland täglich mindestens 10 Stunden. Mehr als ein Drittel der Ärzte leisteten mehr als 6 Bereitschaftsdienste im Monat. Die Chirurgen arbeiteten am längsten, dicht gefolgt von den Ärzten in anderen operativen Fächern, wie Gynäkolo- gie/Geburtshilfe oder Urologie. Auch wenn das neue Ge- setz sicher nicht in allen Kliniken 1 : 1 umgesetzt wird, so ist doch davon auszugehen, dass die Zahl der geleisteten Dienste seit Beginn des Jahres rückläufig ist. Folglich müssten auch die Arbeitszeiten abnehmen. Doch nicht al- le Ärzte begrüßen diese Entwicklung. Denn mit der sin- kenden Zahl der Bereitschaftsdienste verringert sich auch das Einkommen. Die arztspezifischen Tarifverträge, die der Marburger Bund inzwischen mit sehr vielen Kran- kenhausträgern abgeschlossen hat, sehen zwar ein höhe- res Grundeinkommen für die Ärzte vor, können diesen Effekt allerdings nicht bei allen Ärzten kompensieren.

Mit der Knappheit steigt der Preis

Die Grundeinkommen der Ärzte könnten jedoch mit der nächsten Tarifverhandlungsrunde noch einmal steigen.

Dafür spricht, dass die Nachfrage nach guten Ärzten der- zeit größer ist als je zuvor. Auch dies ist eine Folge des EuGH-Urteils: Durch die kürzeren Arbeitszeiten werden mehr Ärzte benötigt, um die anfallende Arbeit zu leisten.

Gleichzeitig stehen nicht genügend Ärzte zur Verfügung, weil zu viele wegen der schlechten Arbeitsbedingungen ins Ausland oder in andere Berufe geflüchtet sind. Im Er- gebnis herrscht Ärztemangel. Und mit der Knappheit steigt der Preis, lehrt die Ökonomie.

Times are changing Jens Flintrop

Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik E-Mail: flintrop@aerzteblatt.de

EDITORIAL

Die Zeiten ändern sich

Jens Flintrop

Zu dem Artikel

„Arbeitszeit der Krankenhausärzte in Deutschland“ von Judith Rosta auf den folgenden Seiten

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

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