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Archiv "Fünf Monate nach der Flutkatastrophe: Die Augen traurig und leer" (17.06.2005)

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us der Ferne sieht es aus wie eine Idylle aus einem Werbefilm: Fi- scher am Strand ziehen ihren ur- tümlichen Katamaran an Land. Wenn man hingeht, zeigen sie ihre Beute: ein halbes Dutzend Krebse. Bereitwillig lassen sie sich fotografieren – erst bei genauerem Hinsehen fallen die Augen der Männer auf: die einen abgrundtief traurig, die anderen leer, ausgebrannt

„wie Asche“, oder aber flackernd, hek- tisch, bei jeder Veränderung des Ge- räuschpegels des Ozeans den Blick starr auf das Meer gerichtet.

Dies sind erste Eindrücke einer zwölftägigen Reise in die von der Tsunami-Katastrophe am 26. Dezem- ber 2004 am stärksten betroffenen Ge- biete auf Sri Lanka. Die Reise wurde im Auftrag des Goethe-Instituts München durchgeführt, das den Autor, Leiter der Sektion Psychotraumatologie an der Psychosomatischen Universitätsklinik Heidelberg, gebeten hatte, eine „Fact- Finding-Mission“ durchzuführen, um ein Bild vom psychotraumatologischen Behandlungsbedarf der betroffenen Menschen auf Sri Lanka zu gewinnen.

Begleitet wurde die Reise von einem Mitarbeiter des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg, das eine Zweig- stelle in Colombo unterhält.

Kompetenz in dem Bereich, den man hier unter „psychosozialer Medizin“ zu- sammenfassen würde, gibt es auch auf Sri Lanka, auch wenn die Organisationsfor- men andere sind. Der Hintergrund für diese Kompetenz ist der zurückliegende, wenngleich noch nicht überwundene Bürgerkrieg zwischen den Gruppen der Tamilen und Singhalesen. In diesem Zusammenhang gab es Aktivitäten ver- schiedener Hilfsorganisationen, die ein Bewusstsein für mögliche psychotrauma- tologische Folgen erlittener Gewalt aus- bildeten. Ein „Psychologisches Forum“

fasst zahlreiche Hilfsorganisationen zu- sammen und hat unmittelbar nach der

Tsunami-Katastrophe eine organisieren- de Funktion übernommen.Trotzdem be- steht immer noch ein großer Bedarf an Schulungen und Trainings.

Nicht nach Gefühlen fragen

Die Reise beschränkte sich aufgrund der kurzen Zeit auf die West- und Süd- küste zwischen Colombo und Hamban- tota. In den Dörfern und Lagern fiel es nicht schwer, mit Betroffenen, mit Hel- fern und den jeweiligen Dorf- und La- gerältesten ins Gespräch zu kommen.

Die Gespräche wurden anhand eines

„inneren Leitfadens“ geführt, der si- cherstellen sollte, dass bestimmte Punk- te in jedem Fall angesprochen wurden.

Es ging nicht darum, nach „Gefühlen“

oder „Symptomen“ zu fragen, sondern nach scheinbaren Äußerlichkeiten wie Wohn- oder Familiensituation, Versor- gung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln oder Schulmöglichkeiten. Dieses Vor- gehen basierte auf der langjährigen Er- fahrung in psychotraumatologisch ori- entierter Anamneseerhebung. Wird hingegen auf das Befinden zentriert, be- steht das Risiko, dass die Befragten in

Hyperarousal-Zustände geraten, Flash- backs erleben oder dissoziieren.

Die Hauptsorge der Betroffenen galt dem Wiederaufbau ihrer Häuser. Fast al- le beklagten sich darüber, dass es eine Vorgabe der Regierung gebe, die besagt, dass in einem Küstenstreifen von 100 Metern Breite zum Strand keine zerstör- ten Häuser wiederaufgebaut werden dürften. Hotels dagegen dürften stehen bleiben und repariert, gegebenenfalls auch neu gebaut werden. Die meisten äußerten die Vermutung, dass die Regie- rung die Gelder der Hilfsorganisationen für den Aufbau einer touristischen Infra- struktur verwende und nicht den Betrof- fenen selbst zur Verfügung stelle. In eini- gen Regionen waren den Beschädigten ersatzweise Grundstücke weiter im Lan- desinneren zugesagt worden, in anderen Regionen war das nicht erfolgt. Aller- dings gab es auch bei einer Zusage Ratlo- sigkeit darüber, wie eine Existenz als Fi- scher weitergeführt werden sollte, wenn man zwei bis fünf Kilometer landein- wärts wohnen sollte.Am zweithäufigsten wurde über den Verlust von Schulgebäu- den, Schulbüchern und Lehrern geklagt.

Auch erzählten die Betroffenen, dass die Kinder nachts nicht schlafen könnten, sondern bei jeder Beunruhigung durch Geräusche angstvoll weinten.

Eine systematische Felderhebung konnte angesichts der knappen Zeit nicht durchgeführt werden. Die Betrof- fenen ließen sich jedoch drei Gruppen zuordnen. Eine solche Zuordnung wird auch auf dem Hintergrund folgender Zahlen verständlich: Es gab circa 31 000 Tote, circa 5 000 Vermisste und circa T H E M E N D E R Z E I T

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A1732 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 24⏐⏐17. Juni 2005

Fünf Monate nach der Flutkatastrophe

Die Augen traurig und leer

Eindrücke zum psychotraumatologischen Behandlungsbedarf auf Sri Lanka

Sri Lankas Fischer sehen ihre Existenz gefährdet.

Foto:dpa

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 24⏐⏐17. Juni 2005 AA1733

1,5 Millionen Obdachlose. Bei den Be- troffenen der ersten Gruppe stehen ma- terielle Sorgen im Vordergrund. Die er- ste der fünf Tsunami-Wellen wurde von ihnen als Warnung verstanden, sodass komplette Familien rechtzeitig ihre Häuser verlassen konnten. Diese Fami- lien haben zwar ihre Häuser verloren, selbst aber überlebt. Sie leben gegen- wärtig überwiegend in Lagern.

In einer zweiten Gruppe könnte man Menschen zusammenfassen, die eben- falls ihren Besitz verloren haben und in Lagern wohnen, gleichzeitig aber auch den Verlust eines Familienmitglieds be- klagen. Die Überlebenden sind häufig am Tage des Ereignisses nicht vor Ort gewesen, lediglich ein Angehöriger ist zurückgeblieben oder hat irgendwo in einer Katastrophenregion gearbeitet und ist Opfer der Flutkatastrophe ge- worden. Diese Gruppe trauert, der ver- bliebene Familienverband scheint aber stark genug zu sein, um ausreichende Unterstützung anbieten zu können.

Die dritte Gruppe – anteilig die klein- ste, aber in absoluten Zahlen er- schreckend hoch – besteht aus den Men- schen, die viele Familienangehörige ver- loren haben und häufig als einzige über- leben konnten. Berichtet wurde, dass diese Betroffenen ins Landesinnere geflüchtet sind. Über den Verbleib zahl- reicher Kinder, die unmittelbar nach der Katastrophe noch gesehen wurden, ist nichts bekannt. Die leitende Psychiaterin der Psychiatrischen Universitätsklinik in Galle sah ihre Hauptaufgabe darin, diese Menschen zu finden: Sie seien häufig in einem chronischen Schockzustand und erheblich gefährdet. Ein Gemeindepfar- rer in Hambantota hat aus Hilfsgeldern einen Postboten und einen Polizisten ein- gestellt, die einige dieser versprengten Katastrophenopfer in der Region gefun- den haben. Der Gemeindepfarrer führt eine Datei: Bis zu 19 verlorene Familien- angehörige sind für einen derartig Be- troffenen keine Seltenheit.

Gegenwärtig wird versucht, Dritt- mittel einzuwerben für die Einrichtung einer Stelle in der Sektion Psychotrau- matologie in Heidelberg. Der Stellenin- haber soll Trainings in Sri Lanka organi- sieren, um Helfer in aktuellen Metho- den der Traumatherapie sowie in psy- chosozialer Intervention auszubilden.

Priv.-Doz. Dr. med. Günter H. Seidler

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us der Lagersprechanlage ertönt der Alarm: „MedEvac – MedEvac – MedEvac – MasCal – MasCal – MasCal. Dies ist eine Übung.“ Ich ent- schuldige mich bei dem Hauptfeldwebel, den ich gerade wegen eines fiebrigen Infektes in der Sprechstunde behandle, und begebe mich mit meiner Ausrüstung in die Operationszentrale der Task Force Merkur, um weitere Informationen über den Notfalleinsatz zu

erhalten. Aufgrund der Alarmierung „MedEvac – MasCal“ weiß ich be- reits, dass es sich um einen Hubschrauberein- satz bei einem Massen- anfall von Verletzten

handelt. MedEvac ist die englische Ab- kürzung für Medical Evacuation und MasCal für Mass Casualty, den Massen- anfall von Verletzten.

In der Operationszentrale in Toplicane im Kosovo haben sich bereits die beiden Piloten des SAR-Rettungshubschraubers der Luftwaffe eingefunden. Sie emp- fangen gerade die Koordinaten und alle weiteren Informationen über den Ein-

satz. Ich erhalte alle zur Verfügung ste- henden medizinischen Informationen aus dem Rescue Coordination Center, der Rettungsleitstelle, der Task Force Prizren: Auf dem Internationalen Flug- platz von Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, sei ein Treibstofftanker explo- diert. Es sei mit mehr als 40 zum Teil schwer verletzten Soldaten der KFOR- Schutztruppen zu rechnen, erste Ret- tungskräfte seien bereits vor Ort.

Ich bin Oberstabsarzt der Reserve und arbeite als Unfallchirurg an der Berufsgenossenschaftli- chen Unfallklinik in Lud- wigshafen. Eine Freiwil- ligenmeldung beim Sanitätsführungs- kommando in Bonn, die zivile und militärische Qualifikation sowie die gesundheitliche Eignung waren Vor- aussetzung für den Auslandseinsatz. In der Ludwigshafener Unfallklinik bin ich unter anderem als Notarzt auf dem dort stationierten Rettungshubschrauber Christoph 5 eingesetzt. Einsätze mit schwer verletzten Personen sind mittler-

Bundeswehreinsatz im Kosovo

Rettung aus der Luft

Truppenarzt Dr. med. Markus Muhm versorgte im Feldlager Toplicane rund 300 internationale Soldaten. Neben der Routine spielten in der Krisenregion Rettungsübungen eine große Rolle.

In militärischen Einsätzen ist immer

mit einem Massen- anfall an Verletzten

zu rechnen.

Fotos:Markus Muhm

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