POLITIK
stein nicht rütteln, andere Teile der Ärzteschaft würden es am liebsten völlig aus den Angeln heben. Schorre selbst steht wohl irgendwo dazwi- schen und sieht eine seiner vordring- lichen Aufgaben darin, einen Be- wußtseinsprozeß in Gang zu bringen.
„Ich weiß, daß ich dicke Bretter boh- ren muß, damit ein neuer Anfang ge- lingen kann. Ich muß argumentieren und überzeugen."
Der KBV-Vorsitzende tut das auf die ihm eigene Art: als aufmerk- samer Zuhörer und behutsamer Ge- sprächspartner. „Knallharte Diskus- sionen" als vorrangiges Mittel der Berufspolitik lehnt er ab. Schorre:
„Ich will statt dessen eine echte Ge- sprächs- und Streitkultur. Man tut gut daran, den anderen in seiner Per- sönlichkeit zu achten."
Im selben Zusammenhang weist er auch Vorwürfe zurück, es mangele ihm an Führungsstärke. „Meinen Sie etwa die Führungsstärke eines
DAS GESPRÄCH / KURZBERICHT
Chrutschschow, der seinen linken Schuh auszog, um damit auf den Tisch zu schlagen?"
Zur Zeit, sagt der Kölner Psych- iater, reise er viel herum. Er war bei den Vertreterversammlungen der Kassenärztlichen Vereinigungen in Hamburg, Rheinhessen und Berlin, auf dem Kassenärztetag in Süd- Württemberg, bei der KV Pfalz zu berufspolitischen Diskussionen im Hambacher Schloß, und er war bei ärztlichen Verbänden, beim BPA und beim Hartmannbund. „Ich will erfahren, was die Basis denkt. Und ich will mit den Ärzten vor Ort ins Gespräch kommen." Seine Ein- drücke: Die Bandbreite der Gefühle reicht von heller Wut über tiefsitzende Verbitterung bis hin zur Resignation.
Was Dr. Schorre auf diese Weise erfährt, wertet er gleichermaßen als Bestätigung seiner Ideen und als An- sporn, auf dem eingeschlagenen Weg fortzufahren. Bei seiner Wahl zum
Vorsitzenden der KBV hatte er gefor- dert: „Wir müssen einen neuen An- fang machen. Der neue Vorstand in meinen Vorstellungen muß den Ärz- ten ihre ärztliche Freiheit einschließ- lich einer angemessenen Vergütung ihrer Arbeit zurückgewinnen." Ein halbes Jahr nach Amtsantritt und zu- gleich um einige Erfahrungen reicher bekräftigt Dr. med. Winfried Schorre dieses übergeordnete Ziel seines be- rufspolitischen Engagements: „Ich habe mir eine ernste Aufgabe gestellt
— und ich mache so weiter! Ich bin mir ganz sicher, daß die Ärzte in den Praxen eine grundsätzliche Reform des Gesundheitswesens wollen. Das Herumdoktern mit immer den glei- chen Techniken bringt uns nicht wei- ter. Wir müssen endlich wieder zu freiheitlichen Strukturen kommen und die Planwirtschaft hinter uns las- sen. Das aber erfordert Mut, den die Ärzte jetzt dringender brauchen denn je." Josef Maus
439 Stellenangebote für Ärzte wurden in der FAZ zwischen Mai 1991 und Mai 1992 gezählt; von Mai 1992 bis Mai 1993 waren es nur noch 389 Anzeigen. Aus der Pharma-Indu- strie kamen zuletzt 159 Angebote, im Jahr zuvor waren es noch 265. Die Krankenhäuser suchten zwar 1992/93 per FAZ-Anzeige mehr als doppelt soviel Humanmediziner wie 1991/92
— aber es waren dennoch nur 78 Stellenangebote. Zwischen 42 und zehn betrug die Zahl der den Ärzten offerierten Stellen in der chemischen und Medizingeräte-Industrie sowie bei Forschungsanstalten und Behör- den. 1992/93 wurden 79 Ärzte für den Außendienst gesucht, in den zwölf Monaten zuvor waren es 163.
Für die Forschung waren 59 Jobs für Humanmediziner im Angebot statt 85 im Jahr zuvor.
Während die Ärzte-Arbeitslosig- keit am 30. September 1992 die Vor-
jahreszahl um acht Prozent übertraf, war der Bestand der gemeldeten of- fenen Stellen mit total 1 700 nur vier Prozent höher als 1991. Obwohl also die Spanne zwischen Arbeitsplatzan- gebot einerseits und Arbeitsplatz- nachfrage von arbeitslosen Ärzten andererseits schon im Jahr 1992 im Jahresvergleich größer geworden ist, befanden sich im vergangenen Jahr die Mediziner im Vergleich zu allen Akademikern statistisch weiterhin noch in einer relativ guten Position:
Der Bestand an gemeldeten offenen Stellen war am Stichtag in allen aka- demischen Berufsgruppen niedriger als 1991; einzige Ausnahme waren die Ärzte und Apotheker.
Ein Warnzeichen aber, das auf einen schnellen Verlust dieses relati- ven Vorteils von Jung-Ärzten auf dem Arbeitsmarkt hinweisen könnte, zeigte sich bereits 1992: Die Arbeits- losigkeit von Medizinern ohne Wei-
terbildung war am Stichtag binnen Jahresfrist mit elf Prozent mehr als doppelt so stark angestiegen wie die Arbeitslosigkeit aller Akademiker mit Universitätsabschluß (plus fünf Prozent). Setzt sich der Trend 1993 und in den nächsten Jahren fort, sind Ärzte bald kein Akademiker-Sonder- fall mehr.
Eine recht komfortable Sonder- stellung hatten im vergangenen Jahr noch die Fachärzte. Während sich bei steigenden Bewerberzahlen die Nachfrage nach Ärzten ohne Ge- bietsbezeichnung 1992 weiter abge- schwächt hat, trafen Mediziner mit abgeschlossener Weiterbildung auf einen günstigen Arbeitsmarkt. Den 1 200 arbeitslos gemeldeten Gebiets- ärzten standen am 30. September 1992 in der Statistik immerhin 820 of- fene Stellen gegenüber. Von der Nie- derlassungssperre im ambulanten Bereich sind zwar auch viele Fach- arztgruppen voll betroffen. Dennoch dürfte es ihnen auch künftig leichter fallen als Ärzten ohne Weiterbil- dung, alternative berufliche Perspek- tiven in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Gesundheitswesen zu realisieren.
Angelika Skornja, Pressereferat der Medica, Düsseldorf
Auswertung von Stellenanzeigen
Sinkende Chancen für
Ärzte ohne Weiterbildung
A1 -2974 (22) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 45, 12. November 1993