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Der Reformator Dr. Martin Luther als Dauerpatient

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Der Reformator Dr. Martin Luther als Dauerpatient

„Lass Dir die Sonn in den Arsch schei- nen“.

„Gott mit uns, der Teufel hole die anderen“.

„Am Wort erkennt man des Men- schen Herz“.

Solche kernigen, aber auch mitfüh- lenden Sätze aus der handschriftli- chen Sprichwortsammlung Martin Luthers lassen sich oft mühelos an Klang und Inhalt Luther zuordnen.

Richtig ist, dass dieser nicht nur eine von Vitalität sprühende Kraftnatur war, sondern ein Mann mit vielen gesundheitlichen Störungen. In Tischreden, „Jammerbriefen“ und Gesprächen schildert Luther freimü- tig seine Befindlichkeiten. Petrus Mosellanus charakterisiert Luther 1519 während der Leipziger Disputa-

tion: „Martinius ist nur mittelgroß, hager und von Sorgen wie von vie- lem Studieren ausgemergelt“ mit fröhlichem und freundlichem Um - gang. Luther wird Ende April 1501 in die Matrikel der Universität Erfurt eingetragen. Martin ist ein über- durchschnittlich begabter Student, der gern mit seinen Kommilitonen trinkt und feiert. Luther urteilte spä- ter: Erfurt sei „ein hurhauß und bier- hauß“ gewesen. „Diese zwei Lektio- nen haben die Studenten dieser Schule beherrscht.“ Im Januar 1505 unterzieht er sich der Magisterpro- motion. Warum der eigentlich völlig weltliche Student, welcher nach des Vaters Willen Jurist werden sollte, am 17. Juli 1505 als Mönch in das Erfurter Augustinerkloster eintrat, ist bis heute eigentlich unklar. Viele Lutherforscher meinen, dass er wohl ohne große Freude und Bereitwillig- keit Mönch wurde. Mit seinem Seel- sorger und väterlichen Freund, dem Wittenberger Professor Johannes Staupitz, sprach er vorher mehrere Male. Wahrscheinlich sind das Able- ben seines besten Freundes Hieroni- mus Buntz, der Pesttod zweier Brü- der und das Gewittererlebnis von Stotternheim am 2. Juli sich poten- zierende Ereignisse im Jahre 1505,

vor denen er seinen inneren Frieden im Kloster suchte. Es wird auch dis- kutiert, dass Luther seinen Freund im Duell tödlich mit dem Degen ver- letzt haben könnte. Martin Luther erledigte im Kloster alle ihm aufge- tragenen Verpflichtungen. Er zog zum Beispiel bettelnd mit dem Sack auf dem Rücken durch Erfurt und säuberte Latrinen. Im Kloster hatte sich sichtbar eine große Sündenlast auf den todernsten Novizen gelegt.

Er unterwarf sich deshalb freiwillig strengsten Exerzitien, fastete viele Tage, betete stundenlang, wachte viele Nächte, studierte die Bibel. Die Arbeit begann früh um 3.00 Uhr.

Diese überstrenge Askese rampo- nierte wahrscheinlich Martin Luthers Gesundheit und machte ihn anfällig in den starken Belastungen seines Lebens. Er urteilt später selbst: „Ich hätte mich, wenn es noch länger gewährt hätte, zu Tode gemartert…“

Ab 1505 hielt Luther philosophische Verlesungen an der Leukera in Wit- tenberg. 300 bis 400 Studenten bevölkerten täglich seine Hörsäle.

Bei seinen Bibelstudien des Römer- briefes erkannte der Mönch Luther, dass die Rechtfertigung des Men- schen vor Gott durch keinerlei gute Taten, Geld, Ablass, Kreuzzüge, Ge - bete oder andere Bußübungen ver- dient werden kann, sondern dass diese dem Menschen allein aus Gnade und aus dem Glauben ge - schieht. Wie Schuppen fiel ihm diese Erkenntnis aus dem Römerbrief von den Augen. Dieser fundamentale Re - formationsgedanke Luthers wider- sprach der Lehrmeinung der damali- gen Kirche. Die Menschen nahmen

aber die sich rasant ausbreitende neue Lehre begeistert auf. Auch Paul Gerhardt griff diese Gedanken in vie- len seiner anrührenden Liedtexte auf.

Als Luther seine 1517 veröffentlich- ten 95 Thesen auf dem Wormser Reichstag 1521 nicht verwarf, wurde er geächtet und damit vogelfrei. Der Kurfürst Friedrich III., der Weise von Sachsen, nahm Luther deshalb als Junker Jörg incognito 10 Monate auf der Wartburg zu Eisenach in Schutz- haft. Hier fühlte sich der Reformer körperlich und seelisch aus- und ein- gesperrt. Das ungewohnt üppige und deftige Ritteressen bekam dem schmalen Junker Jörg gar nicht. Und jetzt begann etwa ab dem 38.

Lebensjahr das Übel mit seinen kör- perlichen Beschwerden durch eine Fülle verschiedener Gebrechen, die ihn nicht wieder verlassen sollten.

Das weithin überspannte Gemüt Luthers führte zu gelegentlichen Hal- luzinationen: nächtliche Poltergeister, die sich in einem Kasten mit Nüssen zu schaffen machten und ein auf sei- nem Bett ruhender schwarzer Hund.

Alles Teufelswerk! Während des Reichstages zu Worms 1521 litt er unter Magen- und Darmbeschwer- den, Gallenschmerzen, Störungen der Verdauung, Obstipation, Gemüts- verstimmungen mit Angst- und Be - klemmungsgefühlen. Gegenwärtige Diagnostiker haben Luthers Be - schwerden als Römheldsyndrom ein- geordnet, Verdauungsstörungen mit reflektorischen Herz- und Kreislauf- störungen. Dies verließ ihn nie wie- der. Und immer wieder heftige Obs- tipation: „… noch hat mich das Übel, das mich schon in Worms plagte, nicht verlassen, ja es ist eher stärker geworden, ich leide an zu harten Exkrementen“, schrieb er 1521 an Professor Spalatin nach Wittenberg.

Oder „Heute hatte ich endlich nach sechs Tagen Stuhl, aber so hart, dass ich mir fast die Seele auspresste.“

Zusammen mit seiner Verstopfung treten Hämorrhoiden auf. „Mein ars ist bös worden“, jammert Luther 1521 in einem Brief. Auf einer Fuß-

reise nach Augsburg zum Verhör durch Kardinal Cajetan 1518 hatte er Magenschmerzen. Luther wendete Hausmittel an, vor allem reichlich

„Naumburger Bier“mit wenig Alko- Medizingeschichte

Ärzteblatt Sachsen 7 / 2014 301

© Collier's New Encyclopedia, 1921, unbekannter Künstler

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hol und guter abführender Wirkung.

Während der Auflösungszeit von Luthers Kloster 1522 bis 1525 litt der Reformator unter Angst- und Be - klemmungsgefühlen, Herzdrücken und „Ohnmachten“, bei denen er mit ausgebreiteten Armen bäuch- lings auf dem Boden lag. Sie werden heute als psychogene Anfälle einge- ordnet. Ab dem 6. Juli 1527 berich- ten Luthers Chronisten über akute Episoden von Drehschwindel, Sausen und Brausen im Kopf und Schwer- hörigkeit, die heute als Morbus Menière angesehen werden. Luther spricht von „Sausen und Brausen wie eine starke Windsbraut“. Ab dieser Zeit plagte ihn permanent Ohrensausen. Auch Herzattacken, Schwächezustände, Infekte, Heiser- keit, Mittelohrentzündungen häuf- ten sich. Während eines Angina-pec- toris-Anfalles bangte Luther um sein Leben. Für ihn waren dies alles Sturm attacken und Anfechtungen des leibhaftigen Satans, der nun frei- lich ständig einen Fuß in der Tür hatte. „Alles satanische Faustschläge auf mein Fleisch“ und es wäre „der schwarze Geselle gewest“ sagt er.

Nur mit großer Energie und Disziplin kann der Reformator seine Aufgaben

erfüllen. Aber es kam noch schlim- mer: Nach der Heirat mit Katharina von Bora am 13. Juni 1525 versorg- te diese ihren lieben Martin reichlich mit üppigen Mahlzeiten, sodass er alsbald übergewichtig wurde, die nächste wesentliche Ursache für sich entwickelnde gesundheitliche Stö- rungen. Immer häufiger streckte ihn ein Menière-Anfall nieder. „Niemand glaubt mir, wieviel Qual mir der Schwindel, das Klingen und Sausen der Ohren verursacht.“ Auch ein hoher Blutdruck ist wahrscheinlich und 1526 wirft ihn erstmalig eine schwere Nierensteinkolik um: „Ich gehe abermals schwanger und liege in Kindesnöthen, krächze am Steine, welches eigentlich der Teutschen Krankheit ist…“, äußert er in einer Tischrede. Er liegt viel im Bett. Ehe- frau Katharina versuchte ihm zu hel- fen, indem sie ihren Martin mit ihrer

„Heildiät“ aus gelben Erbsen mit Brat- und Salzheringen traktierte sowie bei Harnverhalten mit Pferde- äpfeln und reichlich Knoblauch.

1527 schrieb Luther an Spalatin:

„Auch wurde ich vorgestern von einer plötzlichen Synkope befallen, dass ich verzweifelt glaubte, unter den Händen meiner Frau sterben zu müs- sen.“ Häufige Krankheiten, die stän- dige angstvolle Erwartung des nächsten Menière-Anfalls und eine extreme psychische Belastung über- schatteten Luthers Leben und trie- ben ihn in den Zustand der Resigna- tion, Depression und Verzweiflung.

War es wirklich richtig, die Reforma- tion auszulösen und im Alleingang den Papst herauszufordern? Er wurde verbittert, reizbarer, unduld- sam, zornig und manchmal auch ungerecht. Mit heftigen Worten ver- letzte er seine Umgebung, die Gemeinden und auch Freunde, die sich manchmal frustriert zurückzo- gen. Dies ist Ausdruck seiner körper- lichen und seelischen Erschöpfung.

In diesem Zustand waren für ihn Papisten, Täufer, Türken und Juden Sturmtruppen der Teufelsarmee.

Während der Pest 1527 machten Martin Luther und Frau Katharina ihr Wittenberger Haus zum Spital. Als Luther 1530 während des Augsbur- ger Reichstages fast ¼ Jahr auf der Feste Coburg lebte, begleiteten ihn

seine treuen Plagegeister Kopf- schmerzen, Schwindel, Brausen im Kopf, Magenschmerzen, Schwäche, Obstipation, ein „offenes Bein“, für Luther alles „satanische Faustschläge auf mein Fleisch“, wie bei Paulus ein Pfahl im Fleisch. Rückblickend schrieb er an Hans Hanold: „Und ist je wahr, dass ich diesen Sommer mehr denn die Hälft hab müssen fei- ren dem Sausen und Rauschen im Häupt.“ Ab 1533 peinigen den flei- ßigen Reformator heftige Anfälle einer wahrscheinlich sekundären Gicht. Er wolle diese gerne gegen

„frantzoß“ (Syphilis) oder „pestilenz“

tauschen, es müssen also verhee- rende Schmerzen gewesen sein.

Seine Finger wurden gichtknotig. Die Ärzte hatten es mit ihrem Patienten schwer, weil der ihrem Rat ständig ablehnend gegenüberstand. Was sollten sie auch therapeutisch tun?

„Ich eß, was mir schmeckt und leid danach, was ich kann“, oder „Wäh- rend ich mein Wittenbergisch Bier trinke, fließt das Evangelium.“ „Wäh- rend der Schmalkaldischen Bündnis- gespräche 1537 blockieren Nieren- steine sechs Tage die Harnwege des Reformators vollständig, sodass schwerste Koliken und ein komplet- tes Harnverhalten ihn dem Tode nahe brachten: „Oh Herr höre doch mein seufzen und schreien und hilf mir.“ Die Stöße des Pferdewagens auf der Rückreise lösten die Steine, sodass mit 11 Kannen Urin sechs Steine bis Bohnengröße herausge- spült wurden. Martin Luther wurde zunehmend hinfälliger, sodass er zeitweise mit einem Wägelchen in Kirche und Hörsaal gefahren werden musste. Und seit 20 Jahren immer wieder Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen Gelenkschmerzen, Angina pectoris. Seine Reizbarkeit und Unbeherrschtheit nahmen zu.

1545 erschien eine Schmähschrift

„Wider das Papsttum in Rom, vom Teufel gestiftet“. Man solle dem Papst und den Kardinälen als Gottes- lästerern die Zungen hinten am Hals rausreißen.

Im Januar 1546 schlichtete Luther im Auftrag der Obrigkeit einen Zwist der befreundeten Grafen von Mansfeld, wozu er unter großer Anstrengung in seine Geburtsstadt Eisleben reiste.

Medizingeschichte

302 Ärzteblatt Sachsen 7 / 2014

Lutherbrunnen am Dom zu Freiberg

© Wikimedia commons, Dr. Bernd Gross

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Es ging ihm am Abend des 17. Feb- ruar zunehmend schlecht: „Mir wird aber weh und bange wie nie zuvor um die Brust.“ Und er ahnte: „… ich werde nun wohl in Eisleben bleiben.“

Martin Luther litt wieder unter Luft- not und bedrohlichen Brustbeklem- mungen. „O, ich habe große, ge - fährliche Schmerzen.“ Zwei Stadt- ärzte versuchten ihn mit mancherlei Mitteln zu stärken. Am 18. Februar 1546 verschied Martin Luther in sei-

ner Geburtsstadt in der dritten Mor- genstunde unter den Zeichen eines Herzinfarktes. Er erhielt seine Ruhe-

stätte in der Schlosskirche zu Witten- berg. Noch einige Zeit vor seinem Tode überraschte Luther mit dem drastischen Ausspruch: „Wenn ich wieder heim gen Wittenberg komme, so will ich mich in den Sarg legen und den Maden einen feisten Doktor zu essen geben.“ Nun war es so weit.

Philipp Melanchthon hielt am 22.

Februar die Grabrede: „… dazu er uns alle wie ein Vater herzlich geliebt hat, aus diesem Leben und unserer Mitte und Gesellschaft hinweggefor- dert und abgeschieden ist, des tra-

gen wir billig Kummer und Schmer- zen. Denn wir sind nun ganz wie arme verlassene Waisen, so einen trefflichen Mann zum Vater gehabt und deß beraubt sind.“ Der uner- müdliche Reformator Dr. Martin Luther vollbrachte trotz andauern- der Schwächung durch Krankheiten eine epochale Leistung, welche die protestantische Christenheit zu Recht mit respektvollem Stolz erfüllt.

Mit Luther war das Mittelalter been- det.

Dr. med. Jürgen Fege, Weißenborn/OT Berhelsdorf

Medizingeschichte

Ärzteblatt Sachsen 7 / 2014 303

Kunst und Kultur

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