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PJ115_S21-43_Gerlach_Die Fügung der Welt

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Die Fgung der Welt

Mathematik und Ontologie der Proportionenlehre im platonischenTimaios Stefan GERLACH (Tbingen)

Die Bedeutung Platons fr die Mathematik und die von Beginn der Neuzeit an entstehenden mathematischen Naturwissenschaften ist unbestritten. Ebenso unbe- stritten ist, dass Platon selbst der Mathematik einen hohen Stellenwert in allen Bereichen seines philosophischen Denkens zugemessen hat. Insbesondere hat die mathematische Konzeption seiner im Dialog Timaiosdargestellten Naturphiloso- phie herausragende Beachtung gefunden, nicht nur, weil derTimaios die einzige ber das Mittelalter hinweg kontinuierlich im Abendland berlieferte Schrift Pla- tons war, sondern auch, weil gerade hier der die Naturwissenschaften der Neuzeit leitende Gedanke, die materielle Natur sei in sich selbst nach mathematischen Strukturen verfasst, von Platon umfassend entwickelt worden ist.

Dabei ist ber den Grundgedanken hinaus, dass Natur nach mathematischen Strukturen gebildet sei, die Art,wieMathematika und die Grundelemente der phy- sischen Welt imTimaioszusammenkommen, von besonderem Interesse. Dies gilt einerseits fr die historischen Wirkungen, die von den im Timaiosvorgestellten Zusammenhngen zwischen mathematisch Ideellem und sinnlich Wahrnehmbarem in der nachfolgenden Wissenschaftsgeschichte ausgingen. Das eigentlich philoso- phische Interesse betrifft jedoch die interne Art des Zusammenhangs zwischen der Mathematik und der physikalischen Welt, und ihre Begrndung durch Platon. Denn darin entfalten sich die Grundkonzepte der platonischen Philosophie der Natur.

Eine solche „mathematische“ Naturphilosophie muss auf zwei Fragen Antwort geben. Erstens: Gibt es einen strukturellen Zusammenhang zwischen den spezi- fischen Mathematika, die beim Aufbau der Welt gebraucht werden und der durch sie zustande gebrachten physischen Welt? Und zweitens: Lsst sich ein hierdurch vorgestellter prinzipieller Zusammenhang zwischen Mathematik und Physik aus der platonischen Ontologie begrnden?

Im Lichte dieser Fragen soll der Mythos von der Einheitsstiftung des Kosmos durch den Gebrauch derMittleren Proportionalen, wie sie Plato inTimaios31b–34a dargestellt hat, untersucht werden. Hierbei werden zunchst massive interpretato- rische Unklarheiten zutage treten. So wird es sich zeigen, dass es schon in der phi- lologischen Frage, von welchem mathematischen TheoremTimaiosan dieser Stelle eigentlich handelt, in der Platon-Forschung keine einheitliche Antwort gibt. Daher

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wird eine Beantwortung dieser Frage selbst aus dem Zusammenhang mit den all- gemeinen Fragen unternommen werden mssen.

Hieraus ergibt sich die Aufgabe, zunchst die platonische Argumentation um die Lehre von der Proportionierung des Weltkrpers und die mit ihr verbundenen ber- tragungsschwierigkeiten darzustellen, und sodann die sich hierbei zeigenden mg- lichen mathematischen Kontexte je bezglich ihres Gehaltes, ihrer mathematikhis- torischen Bedeutung und ihrer damit verknpften mathematisch-ontologischen Dimension vorzustellen und sie hernach an den die Untersuchung leitenden Fragen nach ihrem strukturellen Zusammenhang zur platonischen Physik und ihrem kon- zeptionellen Zusammenhang zur platonischen Ontologie zu prfen.

Das Ziel wird sein, zu zeigen, dass eine Deutung der Lehre von den Mittleren Proportionalen auf das antike Problem der Wrfelverdoppelung hin nicht nur phi- lologisch mglich und sowohl im mathematikhistorischen Kontext als auch im Zu- sammenhang des platonischen Gesamtœuvres sinnvoll ist, sondern dass sich durch eine solche Deutung, weit ber gngige Platon-Lesarten hinaus, die These der T- binger Schule um Gaiser bestrken lsst, Platon habe an eine ontologische Vermitt- lerfunktion der Mathematik durch eine in ihr angelegte viergliedrige Dimensionen- folge vom Punkt zum Krper gedacht.

I. Die Fgung des Weltkrpers durch geometrische Proportionierung 1. Die Darstellung des Timaios

Beginnend in 31b erzhlt der literarische Timaios Platons von der Erschaffung des sinnlich wahrnehmbaren Weltkrpers durch eine Verbindung der beiden Ele- mente Feuer und Erde. Dies ist die erste Stelle, an welcher er in seinem langen Monolog ber „den Ursprung des Entstehens und der Welt“1(30a) explizit mathe- matische Verhltnisse gebraucht, um die Zusammenfgung materieller oder imma- terieller Weltbausteine durch die Figur eines gttlichen Handwerkers, des Demiur- gen, zu erklren. Wohl hatte Platon literarisch bereits im Vorfeld dieser Passage eine gewisse „mathematische Atmosphre“ entstehen lassen, da eben die Frage nach der numerischen Einheit, Zweiheit oder Vielheit der durch den Demiurgen geschaffe- nen Welt verhandelt worden war (30c, 31b).2Allerdings waren die Erwgungen, die Timaios zur Annahme nureinerWelt gefhrt hatten, nicht selbst mathematischer, sondern ethischer, sthetischer und metaphysischer Art gewesen.3Nun jedoch, da die Entscheidung ber die Einsheit der Welt, d. h., ihre Einzigkeit und Einheitlich-

1 Sofern nicht anders vermerkt, stammen die Zitate aus den platonischen Werken der bertragung von Schleiermacher/Mller (1994).

2 Es gibt Interpreten, die bereits im Beginn des gesamten Dialoges, da Sokrates die Anwesenden durch- zhlt, eine thematische Exposition der Mathematik des Raumes sehen. Dies mag dahingestellt bleiben.

Jedenfalls ist es richtig, dass feinhrige Rezipienten durch diesen Anfang bereits auf den Gegenstands- bereich der Zahlen hingelenkt werden.

3 Das ethische Argument war die Gte des Demiurgen gewesen, der die Welt deswegen als Eine schaffen wollte, weil sie als Eine zugleich die Beste sei (29a, e), das sthetische, dass sie damit zugleich die schnste sei (29a, 30d), das metaphysische, dass sich dies nur im Hinblick auf die Ideen realisieren lasse (28ab, 29a).

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keit getroffen war und sich fr Platon die systematische Frage stellte, wie „das Gewordene“ (31b), das heißt: das sinnlich wahrnehmbare Viele sich innerhalb der bergreifenden Einheit des Kosmos denken ließ, beantwortete er diese Frage mit Hilfe eines mathematischen Lehrstckes, dessen Einfhrung fr einen Leser aus der großen historischen Distanz der Neuzeit berraschend ist und dessen Inhalt ihm schwer verstndlich sein muss.

Da die Welt „ein Krperliches, ein Sichtbares und Betastbares“ (31b) sei, erlutert Timaios zunchst, msse sie aus Feuer und Erde bestehen. Dies ist unmittelbar ein- sichtig, da Feuer Sichtbarkeit und Erde Betastbarkeit verbrgt. Doch Timaios fhrt fort: Aus zwei Elementen eine Einheit zu fgen, knne (generell) nicht ohne ein Drittes, Verbindendes geschehen, wobei „seiner Natur nach am besten ein gegen- seitiges Verhltnis“ (31c) die Verbindungsglieder zu einer Einheit verbinde, und zwar so, dass das Verhltnis vom ersten Grundelement zum Verbindungsglied das- selbe sei, wie das Verhltnis von diesem zum zweiten Grundelement. Allerdings genge „ein Vermittelndes“ (32ab) nur fr die Verbindung zu „einer keine Tiefe habenden Flche“ (32b), whrend fr die Verbindung von KrpernzweiMittelglie- der bentigt wrden. Diese zwei Mittelglieder seien Luft und Wasser, sodass aus der Gleichartigkeit der Verhltnisse: Feuer zu Luft wie Luft zu Wasser wie Wasser zu Erde die angezielte Einheit des Weltgefges entstehe, das von den Elementen „jedes einzelne ganz in sich aufgenommen habe.“ (32c)

Diese Stelle zeigt nicht nur, dass Platon mit Raffinesse argumentiert, da er die von Empedokles bernommene Ansicht, dass die krperliche Welt aus den vier ange- fhrten Grundelementen auferbaut sei (mit Luft und Wasser zwischen der Erde und dem himmlischen Feuer), als Resultat einer scheinbar notwendigen Dialektik ber die grundstzlichen Wesensmerkmale der Krperlichkeit, Sichtbarkeit und Betast- barkeit der Welt erhlt. Sondern sie zeigt auch, dass Plato in der Rede ber die Verbindung von Flchen oder Krpern durch ein oder zwei Mittelglieder auf ma- thematische Theorien referiert, die er offensichtlich bei seinen Lesern als so bekannt voraussetzt, dass sie keiner weiteren Erklrung bedrfen.

Daher stellt sich fr uns die Frage: Welches mathematische Theorem (oder Pro- blem) zitiert Timaios mit der seinen Zuhrern offensichtlich bekannten Lehre, dass verschiedenes Flchiges durch das Ins-Verhltnis-Setzen zu einem Mittelglied Eins werden kann und dass fr den analogen Vorgang bei Krperlichem zwei Mittel- glieder gebraucht werden?4

4 Indem sich die Auslegung auf die mathematische Seite der Argumentation beschrnkt, bergeht sie bewusst deren sonstige Schwierigkeiten, die beispielsweise in der Frage liegen, wie Verbindung grund- stzlich gedacht werden kann. Immerhin wird sich zeigen, dass die Proportionenlehre mit dem ihr zugrun- de liegenden mathematischen Logos ein Muster fr Verbindungen berhaupt aufweist. Dass dabei Feuer und Erde als Qualitten nicht direkt in Grßenverhltnisse eingehen knnen, ist klar. Es sei darauf hinge- wiesen, dass entsprechende Versuche, ber die Volumina der nachTimaios53 ff. ihnen zugrunde liegenden regelmßigen Polyeder oder den Grßen von deren Seitenflchen das viergliedrige Proportionsschema zu erfllen, scheiterten. Vgl. Gaiser (1962), 151, Cornford (1937), 51, und die Grßenberechnungen bei Bris- son (1996), 248. Allgemein zur Mathematik bei Platon vgl. Stenzel (1924) und Heath (1981).

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2. Die bersetzungsproblematik

Worauf spielt Timaios an? In der Beantwortung dieser Frage herrscht unter den Timaios-Interpreten keine Einigkeit. Ursprung dieser Uneinigkeit ist eine sprach- liche Mehrdeutigkeit in 31c-32a, auf die zuerst Cornford in seinemTimaios-Kom- mentar hinwies. Die Stelle lautet: optan gÞr ⁄riqmn trin e—te gkwn e—te dun€mewn £ntiwno‰n –Æ t mffson. Hier benennt Platon auf mathematischer Seite die Glieder, die in einer Proportion (⁄nalogffla; 31c) zueinander in Verhltnisse (lgoi) gesetzt werden sollen: ariqmoi – e—te gkwn e—te dun€mewn(31c–32a).

Dabei ist nach Cornford weder semantisch klar, was die Ausdrckegkwi(Massen) und dun€mei@(Krfte) – die sich hier auf Krperliches und Flchiges bezgen, je- doch sinnlos in der Beschreibung einer dreigliedrigen geometrischen Proportion seien – genau bedeuten sollen, noch grammatikalisch, ob sie denn als Beispiele der arijmoi(Zahlen) diesen untergeordnet, oder aber als Alternativen zu diesen ange- fhrt wrden.5 Die hierdurch entstehende kombinatorische Vielfalt an berset- zungsmglichkeiten spiegelt sich denn auch in der Vielfalt tatschlicher berset- zungsvarianten wider. Cornford selbst bersetzt:

„of three numbers, the middle one between any two that are either solids (cubes?) or squares“6,

weist aber auf die grammatisch korrekten Alternativen hin, die von einer Mittleren

„of any three numbers, whether solids or squares“7und

„of any three numbers or solids or squares“8

handeln. Die Cornfordschen bersetzungsvorschlge zeigen, dass die sprachliche Unklarheit nicht nur in der Frage besteht, ob hier neben ‚gewhnlichen‘ Zahlen noch von Quadratzahlen und Flchenzahlen, oder Quadraten und Rechtecken, oder Flchen berhaupt und entsprechend von Kubikzahlen und Krperzahlen oder Wrfeln und Quadern, oder allgemein Krpern geometrischer oder materiel- ler Art die Rede ist; kurz: von Gegenstnden der Arithmetik, der Geometrie oder der Physik.9Sondern unklar ist auch, ob sich diese Ausdrcke jeweils nur auf die

5 Cornford (1937), 46.

6 Ebd., 44.

7 Ebd., 44 Anm. Diese Variante kann aus mathematischen Grnden ausgeschlossen werden. Sind die ußeren Glieder quadratische Zahlen (squares), so sind es die mittleren gerade nicht.

8 Cornford (1937), 44 Anm., weist weiter darauf hin, dass aus der zuletzt genannten bersetzungsvariante folge, dass dann mit „numbers“ solche gemeint sein mssten, „that are neither squares or solids“, womit er zeigt, dass er auch in dieser Variante „squares“ und „solids“ als Zahlen interpretiert. Nun wrde dies jedoch bedeuten, Plato wrde hier nur von Zahlenverhltnissen in drei Varianten sprechen, bei deren erster nur Zahlen auftreten wrden, die weder quadratisch noch kubisch sind, wohingegen bei der zweiten nur Qua- dratzahlen usw., was mathematisch berhaupt keinen Sinn ergibt. Sinnvoll wird die letzte bersetzungs- variante, wenn man „solids“ und „squares“ geometrisch als Krper und Flche auffasst, wodurch die drei Varianten von den drei Dimensionen Zahl-Flche-Krper handeln wrden. Diese Ungenauigkeiten zeigen, dass auch Cornford, obwohl er sieht, dass hier ein Problem des bersetzens vorliegt, sich weder ber dessen mathematischen Gehalt noch ber dessen interpretatorische Folgen letzte Klarheit verschafft hat.

9 Unter „Flchenzahlen“ sind solche zu verstehen, die aus einer einfachen Multiplikation zweier ganzer Zahlen > 1 hervorgehen, welche sich dann als die zwei Seiten einer Flche vom Inhalt der Flchenzahl interpretieren lassen. Krperzahlen sind entsprechend solche, die sich einer Multiplikation dreier ganzer Zahlen > 1 verdanken. Dies wird in Abschnitt II. 4 nhere Erluterung finden.

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ußeren oder alle Glieder des vorgestellten Verhltnisses beziehen. Diese Unklar- heit zeigt sich auch an den gngigen deutschen bersetzungen, die mit der Mitt- leren

„von irgendwelchen Zahlen, ob von krperhaften oder flchenhaften“ (Rufener);

„von drei beliebigen Zahlen, sie seien aus verschiedenen Faktoren entstanden, oder es seien Quadratzahlen“ (Zekl) und

„von irgendwelchen drei Zahlen oder Massen oder Flchen“ (H. Mller)

bertragen. Klar ist indes lediglich, dass Timaios hier vorgreift und sachlich falsch bei der Diskussion eines Verhltnisses von Dreien bereits von Krperlichem (wel- cher Art auch immer) spricht, obwohl dieses gerade bei einem „Festen“ (32b – H. Mller; Zekl: „Rumlichen“; Cornford: „solid in form“), wie er anschließend er- lutert, eines viergliedrigen Verhltnisses (welcher Art auch immer) bedarf.

Allerdings lsst sich die sprachlogische Vielheit an bersetzungsmglichkeiten auf zwei sachlich sinnvolle Varianten reduzieren, die sich darin unterscheiden, ob sieausschließlich von Zahlen oderauch von anderemhandeln und die Cornfords eigener bersetzung und seiner ersten Alternativvariante einerseits und anderer- seits der geometrischen Deutung seiner zweiten Alternativvariante entsprechen.

Von den gngigen deutschen bersetzungen folgen hierbei Rufener und Zekl der ersten Cornfordschen Alternativvariante, whrend die alte bertragung von Hiero- nymus der zweiten Alternativvariante entspricht.

Nun ist es klar, dass die Entscheidung darber, ob Timaios hier nur von Zahlen bestimmter Art oder auch von Flchen und Krpern spricht, mithin, ob unter diesen Krpern die dreidimensionalen Gegenstnde der Geometrie des Raumes (Stereo- metrie) zu verstehen seien, oder bereits die sichtbaren und betastbaren Gegenstnde des Weltkrpers, um dessen Zusammenfgung es doch geht, weitreichende Kon- sequenzen fr die philosophische Frage nach dem Zusammenhang von Mathema- tischem und dem „stets [w]erdenden“ (28a) Kosmos imTimaioshat. Daher gibt es den zwei Hauptlinien in der bersetzung entsprechend zwei Hauptlinien in der mathematischen und philosophischen Interpretation dieser Passage. Der auf Zahlen reduzierten bertragung entspricht die Ansicht, Platon beziehe sich hier auf die algebraischen Stze 11 und 12 von den Mittleren Proportionalen, die sich im achten (viii.) Buch derElementeEuklids finden.10Der bersetzung hingegen, die allgemein von Krpern und Flchen und nicht von bestimmten Grßen handelt, entspricht die Ansicht, das so genannteDelische Problemder Wrfelverdoppelung oder aber, da- mit verbunden, das antike mathematische Grundproblem von Rationalitt und Irra- tionalitt, sei der Hintergrund, auf den Timaios hier anspiele.11

10 So z. B. Sachs (1917), 126, Cornford (1937), 46, und Heath (1981), 297. Zu den 13 Bchern der eukli- dischenElementeist anzumerken: 1) Dass davon ausgegangen werden kann, dass die in ihnen aufgefhr- ten Mathematika an der platonischen Akademie bekannt waren, auch wenn der jngere Euklid dieEle- mente, die in der Hauptsache eine Zusammenfassung lterer Mathematika sind, erst nach dem Tod Platons verfasst hat. Und 2), dass die 13 Bcher nicht homogen sind, sondern dass in ihnen eine Kluft besteht zwischen den pythagoreisch-arithmetischen (zu denen das viii. Buch gehrt) und den geometrischen B- chern (hierzu: Toeplitz (1965), 46).

11 Hierfr Kutschera (2002), Bd. 3, 52, und Gaiser (1962), 52 ff. und 67 ff.

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Da die Euklidschen Stze und das Delische Problem Anwendungen desselben mathematischen Verfahrens auf verschiedene Bereiche sind, bietet es sich an, zu- nchst die konkreteren Euklidschen Stze und mit ihnen das Verfahren der stetigen Proportionierung zu erlutern, um von dort aus die komplexen Probleme, die das Delische Problem fr die griechische Mathematik mit sich fhrte, aufzuzeigen.

II. Euklidviii, 11und12 1. Der mathematische Gehalt der reinen Zahlentheoreme

Die im viii. Buch derElementeangefhrten Stze Nr. 11 und 12 besagen, dass es zu zwei Quadratzahlen a und b immer eine so genannte „Mittlere Proportionszahl“

x und zu zwei Kubikzahlen u und v immer zwei Mittlere Proportionszahlen k und l gibt, so dass gilt:12

(1) a : x = x : b und (2) u : k = k : l = l : v,

wobei a, b, x und u, v, k, l Elemente der natrlichen Zahlenø= {1,2,3,4 …} sind.

Die Richtigkeit dieser Stze lsst sich zeigen, wenn man die Quadratzahlen a und b in der Form c2und d2schreibt, wobei a = c · c und b = d · d, mit c, d2ø, wodurch sich folgende Gleichung ergibt:

(1’) c2:x = x : d2,

die wahr ist, wenn x = c · d ist. Hierbei zeigt sich, dass unter der gegebenen Vo- raussetzung, dass c und d natrliche Zahlen sind, x ganzzahlig sein muss. Hier- durch lsst sich die Gleichung (1’) in folgender Form darstellen:

(1’’) c2:c · d = c · d : d2.

An dieser Proportion lsst sich nun nicht nur unmittelbar ablesen, dass es fr zwei Quadratzahlen immer eine ganzzahlige Mittlere Proportionale gibt, sondern auch, dass das Verhltnis, in der diese zu den Quadratzahlen steht, c : d ist. Des Weiteren zeigt sich, dass die drei Glieder dieser Proportion, c2, c · d und d2, durch den Faktor d/c sich aus ihren jeweiligen Vorgngern erzeugen lassen.

Eine analoge Umformung der Proportion (2) ergibt fr die Kubikzahlen u = f3und v = g3die Proportion

(2’) f3:k = k : l = l : g3,

12 Die nachfolgenden Erluterungen der Euklidischen Stze bedienen sich moderner mathematischer Sprache. Stze wie (1) oder (2) nennen sich „Verhltnisgleichungen“ oder „Proportionen“. Sie knnen erstens wie Gleichungen und zweitens in Gleichungen umgeformt werden, weswegen sie fr die moderne Algebra, die mit Gleichungssystemen operiert, kaum noch Bedeutung haben. Beides jedoch war der Antike fremd. Die Richtigkeit dieser Stze zunchst in der Gegenwartssprache zu zeigen, um ihre Bedeutung erst dann fr die antike mathematische Denkweise zu zeigen, scheint jedoch unter dem hermeneutischen Ge- sichtspunkt sukzessiver Annherung sinnvoll.

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die fr die ganzzahligen Mittleren Proportionalen k = f2g und l = fg2wahr ist. Hie- raus ergibt sich die Proportion

(2’’) f3:f2g = f2g : fg2= fg2:g3,

deren Wahrheit fr beliebige f, g2 øsich zeigt, wenn man die Proportion als Gleichung mit Brchen interpretiert, die sich alle nach den Regeln der Bruchrech- nung zu f/g krzen lassen, wonach sich f/g = f/g ergibt. f : g ist also das Verhltnis, das den Verhltnissen, in die die Glieder der Proportion eingehen, zugrunde liegt und fr alle Verhltnisse der Proportion gleich ist.

2. Die Bedeutung der Proportionenlehre in der antiken Mathematik

Aus moderner Sicht mag eine Proportion wie (2’’) trivial erscheinen, da die in ihr ausgedrckte mathematische Erkenntnis nicht ber die Krzungsregeln der Bruch- rechnung hinausreicht. Bedenkt man jedoch, dass der Zahlenraum der Griechen sich auf die natrlichen Zahlen beschrnkte, ihnen die Null, negative Zahlen und Brche nicht als Elemente, mit denen sich mathematisch operieren ließ, bekannt waren, zudem die mathematischen Operationen, die sie mit ganzen Zahlen durch- fhrten, gerade die Technik einfachen Multiplizierens erreicht hatten, whrend die Division oder das Wurzelziehen ihnen fremd waren, dann zeigen sich die angege- benen Proportionen als echte Erkenntnisse ber die Beziehungen besonderer Ele- mente der arithmetischen Basis untereinander.13

Hinzu kommt, dass der modernen Mathematik das Operieren mit Proportionen fremd geworden ist, da sich Proportionen einfacher in Gleichungssystemen darstel- len lassen. Der wesentliche Unterschied zwischen einer Gleichung und einer Pro- portion ist, dass bei der Gleichung Zahlen (oder sonstige Grßen) gleichgesetzt werden, bei der Proportion jedoch Verhltnisse (lgoi) von Zahlen (oder sonstigen Grßen). Solche Verhltnisse wiederum waren in der Antike so bedeutend gerade deswegen, weil Brche, Dezimalzahlen und normierte Maße unbekannt waren.14 Proportionen waren die einzige Form, in der sich berhaupt Grßenverhltnisse ausdrcken ließen. Da Euklid viii. (und gemß dieser Interpretation Platon inTimai- os31b) ausschließlich vom Bereich der natrlichen Zahlen 1, 2, 3, 4, usf.15handelt, bedurfte es der Proportion, um auch nur eine Beziehung wie die eines Eineinhalb- fachen zu einem anderen auszudrcken. Nicht das Quantum, die einzelne Zahl,

13 Vgl. Toeplitz (1965), 48.

14 Um es an einem Beispiel zu erlutern: Die Aussage, ein Stab x sei 1,5 Meter lang, ist eine uns heute sofort verstndliche Aussage ber dessen Lnge. Es bedarf gewissermaßen keiner weiteren Erklrung.

Diese Verstndlichkeit basiert darauf, dass wir die (der Antike unbekannten) Ausdrcke „Meter“ und „1,5“

verstehen. Um sie zu erlutern, mssten wir erklren, dass der Stab eineinhalb mal so lang sei, wie ein anderer Stab y (z. B. der normierte Ur-Meter in Paris), der „Meter“ genannt wird und dass dieses „einein- halb“ bedeutet, dass ein Vergleich der beiden Stbe zeigen wrde, dass eine beiden Stben gemeinsame Lnge, das ihnen gemeinsame Maß, nmlich die Hlfte des Pariser Stabes, in diesen zweimal, in unseren aber dreimal passe; kurz; dass unser Stab sich zum „Meter“ genannten Stab so verhalte wie 3 zu 2. Die Proportion x : y = 3:2 weist sich so als Hintergrund und quivalent der Gleichung x = 1,5 Meter lang aus.

15 Und hierin liegt die grßte Zumutung fr das moderne Bewusstsein: sich in Probleme einer historischen Algebra einzudenken, bei welcher es zwischen der 1 und der 2 keine weiteren Zahlen gibt.

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sondern das Verhltnis zweier Zahlen wurde so zur elementaren operativen Einheit der griechischen Mathematik, zum „griechischen Substrat des modernen Zahl- begriffs“16. Dieses ideelle Substrat, das Verhltnis (lgo@) ist es, dessen Gleichheit die Proportion (⁄nalogffla) aufzeigt.

In Proportionen konnten nun nicht nur Zahlenverhltnisse, sondern verschiede- ne Verhltnisse, wie die von Volumina, Strecken, Flchen und Zeiten gesetzt und mit anderen Verhltnissen verglichen werden. Das mathematische Erkenntnisziel war es hierbei, herauszufinden, welche Verhltnisse einander gleich waren. Diese Gleichheit zweier Verhltnisse, die wiederum nicht von gleicher Art sein mussten, wurde durch die Proportion in der Grundform a : b = c : d ausgedrckt. Dass eine Stecke a doppelt so lange wie eine Strecke b war, ließ sich durch die Proportion a : b = 2:1 darstellen; durch sie wurde also die Gleichheit zweier zueinander hetero- gener Verhltnisse (von Zahlen und Strecken) aufgezeigt. Zahlen gingen so als Ele- mente in Verhltnisse ein, die mit anderen Verhltnissen in Proportionen verglichen werden konnten.

Von der Grundform der Proportion, a : b = c : d, her wird einsichtig, weshalb die (geometrische) Proportion (1) a : x = x : b von besonderer Bedeutung war: da in ihr ein Glied in beiden Verhltnissen auftritt (die so genannte „Mittlere Proportionale“), ist sie nicht nur allgemeines, aber leeres Schema, sondern sie zeigt eine besondere Beziehung ihrer Glieder untereinander auf, wie die, dass es zu quadratischen uße- ren ganzzahlige mittlere gibt. Die Proportion war also das wichtigste und nahezu ausschließliche Operationsschema der griechischen Mathematik. Ihre so genannte

„geometrische“ Form mit Mittlerer Proportionale galt als ihre perfekte Gestalt.17

3. Der Gedanke der Einheit der Proportion

Allerdings ist hierdurch noch wenig Licht in die Frage gebracht, weshalb Platon meint, durch eine Ordnung der Elemente nach den angegebenen mathematischen Verhltnissen lasse sich deren Vielheit zur Einheit des Kosmos formen. Kaum drfte klarer geworden sein, weshalb durch die Proportionierung von Quadrat- oder Ku- bikzahlen diese mitsamt den proportionierenden Gliedern zu einer Einheit gewor- den sein sollen, viel weniger also, wie dies mit Elementarbausteinen des Krper- lichen geschehen soll. Welcher Gedanke leitete Platon, abgesehen von ihrer berragenden Bedeutung innerhalb der griechischen Mathematik, fr den Bau des Weltalls auf diese „zahlentheoretischen“ Stze zurckzugreifen?

Mit dem Gedanken der Vereinheitlichung mehrerer Glieder scheint zunchst die Umformulierbarkeit von Proportionen gemeint zu sein. Aus (1) a : x = x : b folgt (Vertauschung): x : b = a : x und ebenso (Umkehrung): b : x = x : a und (neuerliche Vertauschung): x : a = b : x. Es ist leicht zu sehen, dass hierbei jedes Glied jede Po- sition der Proportion einnehmen kann. Der Platonische Text in der Mller-berset- zung, der besagt, dass daraus, dass von den Gliedern der Proportion „die mittlere zur ersten und letzten wird und die letzte und erste beide zu mittleren“ (32a), not-

16 Toeplitz (1965), 51.

17 Cornford (1937), 45, nennt sie „the proportionpar excellenceand primary“.

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wendig folge, „dass alle dieselben seien“ (ebd.) und schließlich, „dass alle eins sein werden“ (ebd.), legt dies nahe.18Allerdings ist dies irrefhrend. Aus der Vertausch- barkeit der Glieder folgt natrlich nicht deren Gleichheit untereinander, sondern durch ihren Eingang in gleiche Verhltnisse innerhalb einer vorgegebenen Form gehen die Glieder als Teile in das Gesamte einer Einheit ein. Indem die Proportion (1) zwei Verhltnisse, a : x und x : b, von verschiedener „Oberflchenstruktur“

gleichsetzt, zeigt sie dadurch deren Gleichsein und damit, dass diese Verhltnisse in ihrem „Wesen“ dieselben sind.19Diese Art der Einheitsstiftung durch die Propor- tion war fr die Antike eine der vier Grundarten von Einheit berhaupt. Und zwar war sie explizit gerade die Art, wie Einheitinnerhalb der Mathematikgedacht wer- den konnte.20

4. Die pythagoreische Vorstellung geometrischer Eigenschaften von Zahlen

Nachdem sich so die Einheit stiftende Funktion der geometrischen Proportion gezeigt hat, bleibt zu klren, weshalb diese gemßTimaiosin ihrer viergliedrigen Form insbesondere die Einheit des Raumes stiften soll.

Die euklidischen Stze (1) und (2) handeln von Zahlen, wenngleich von solchen des Quadrates und des Kubus. Wiewohl durch die Ausdrcke der „Quadrat-“ und

„Kubikzahl“ in der deutschen Gegenwartssprache etwas von diesem Gedanken er- halten geblieben ist, mutet doch die Ansicht, die Zahlen selbst htten geometrische Eigenschaften und die Eigenschaften von Zahlverhltnissen gben geometrische Verhltnisse wieder, heute fremd an. Der Akademie war dies jedoch eine gngige Vorstellung. Plato nennt Quadratzahlen „viereckige und gleichseitige“21 und Pro- dukte aus zwei verschiedenen natrlichen Zahlen „lngliche Zahlen“22. Ebenso nennt Euklid Zahlen, die aus der Multiplikation dreier ganzer Zahlen entstehen,

„Krperzahlen“ und deren Teiler „Seiten“ oder „Kanten“.23

Historischer Hintergrund der Vorstellung geometrischer Eigenschaften von Zah- len ist die pythagoreische Mathematikund Ontologie, die, wie Aristoteles berichtet,

„die Prinzipien der Mathematik fr die Prinzipien alles Seienden“24hielt, und daher zu dem Schluss gelangte, es seien „die Elemente der Zahlen […] Elemente alles Seienden.“25Also erhielten Zahlen „geometrische Eigenschaften“ durch die Prmis- se, dass der Geometrie wie berhaupt der krperlichen Welt zahlenmßige Verhlt- nisse zugrunde liegen. Unter solcher Prmisse entsprechen den Verhltnissen der

18 Auch Cornford (1937), 45, scheint dies so zu sehen, wenn er aus der Vertauschbarkeit der Glieder schließt: „Thus […] the unity they constitute is as perfect as possible.“

19 Vgl. Fritz (1969), 301.

20 Aristoteles,MetaphysikD1016b: „Ferner ist einiges der Zahl nach Eines, anderes der Art, anderes der Gattung, anderes der Analogie nach. […] der Analogie nach [nmlich das], was sich ebenso verhlt wie ein anderes zu einem anderen.“

21 Theaitetos147e.

22 Ebd., 148a.

23 Euklid,Elemente, vii, Def. 17: „Wenn drei Zahlen bei gegenseitiger Vervielfltigung eine Zahl bilden, ist die entstehende eine krperliche Zahl und die einander vervielfltigenden Zahlen sind ihre Seiten.“

24 Aristoteles,MetaphysikA 985b.

25 Ebd., A 986a.

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Zwei- und Dreidimensionalitt von Flche und Raum solche Zahlen, die aus zwei bzw. drei Faktoren zusammengesetzt sind, da sich diese Faktoren als Seiten und Kanten von Flchen und Krpern deuten lassen, deren Inhalt dann eben die Flche oder das Volumen ist, das die lngliche oder krperliche Zahl angibt.26 Dabei liegt es nahe, dass unter den Flchen- und Krperzahlen unter dem Gesichtspunkt der Einheit diejenigen eine besondere Stellung erlangten, deren Teiler sich gleich sind:

Quadrat- und Kubikzahlen.

Nun zeigt sich: einer Position, der Zahlen Prinzipien (⁄rcffi) des Seins und Kr- perzahlen Grundbausteine des Raumes sind, liegt es nahe, Krperzahlen als Prinzi- pien des Krperlichen zu sehen und daher algebraische Verhltnisse zwischen sol- chen Zahlen als allgemeine Strukturen von Krpern, auch materieller Art, zu deuten. In solcher Sicht wird die Heranziehung der viergliedrigen geometrischen Proportion zur Erluterung des Aufbaus des Weltkrpers nicht nur zur ußeren Analogie, weil hier wie dort vier Elemente zu einer Einheit gebracht werden sollen, sondern die geometrische Proportion mit zwei Kubikzahlen als ußeren und zwei Krperzahlen als inneren Gliedern ist so zugleich die Struktur, in der sich Rumli- ches berhaupt aus den pythagoreischen Urelementen, den natrlichen Zahlen, entfalten kann. Beziehungen zwischen rumlichen Zahlen zeigen sich auf diese Weise als Strukturen der krperlichen Welt selbst. Fr die Pythagoreer war die Ma- thematik die fundamentale Wirklichkeitswissenschaft.27 Die algebraische Bedin- gung, dass die stetige Proportionierung nicht fr alle Krperzahlen, sondern nur fr Kubikzahlen als ußere Glieder durchfhrbar ist, entspricht dabei der zuvor schon angefhrten metaphysisch-sthetischen Forderung nach Ein(s)heit. Denn die Kubikzahl (und ihr entsprechend der Wrfel im Vergleich zu Quadern) zeichnet sich unter allen Krperzahlen dadurch aus, dass ihre Kanten untereinander diesel- ben sind.

III. Das Delische Problem der Wrfelverdoppelung und die Mathematik der Inkommensurablen

1. Die Stellung von Arithmetik und Geometrie im platonischen System der Wissenschaften

ber die reine Zahlenlehre der euklidischen Stze hinaus treffen in der Lehre, dass Festes sich durch zwei Mittelglieder verbinde, mehrere grundstzliche Probleme antiker Mathematik zusammen. Das viii. Buch der Elemente Euklids ist pythago- reisch. DieGeometriehatte sich zur Zeit Platons aber bereits von einer Mathematik, die ihre ausschließliche Basis in der Arithmetik ganzer Zahlen sah, fortentwickelt.

Hinzu kommt, dass dieStereometrie, d. h. die Geometrie des Raumes und der Krper eine eben aufblhende Disziplin zur Zeit der Niederschrift desTimaioswar und dass die Frderung dieser Disziplin Platons ureigenstem Anliegen entsprach. So bemn-

26 Darin liegt, dass in einer Flchenzahl wie 6 Form (nmlich der Seitenlngen 2 und 3) und Inhalt (eben 6 = 2 · 3) der geometrischen Figur, eben des Rechtecks, gegeben ist.

27 Vgl. Kutschera (2002), Bd. 3, 52.

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gelt der platonische Sokrates im siebten Buch derPoliteia, dass die Wissenschaften der Astronomie und ebenen Geometrie wohl gepflegt wrden, es aber mit der Unter- suchung „der Ausdehnung des Wrfels [!] und mit allem, was Tiefe hat“ noch „l- cherlich“ stehe.28Es sei aber falsch, von der Flche sogleich zu den bewegten Kr- pern berzugehen, ohne sie „zuvor an und fr sich betrachtet zu haben“29. Also sei die Ausarbeitung der Stereometrie als eines notwendigen Mittelgliedes zwischen Planimetrie und Astronomie gefordert. Sokrates plaziert sie in der Systematik der mathematischen Wissenschaften an die dritte Stelle nach der Arithmetik und ebe- nen Geometrie und vor die Astronomie. Die Untersuchung der Geometrie von Kr- pern ist also im Kontext desTimaiosnicht irgendeine von verschiedenen mglichen mathematischen Disziplinen, sondern hat einen Ort systematischer Notwendigkeit als Begrndungsdisziplin in einer Rede ber die „Natur des Weltalls“ (27a). Hin- gegen msste sich, aus der Sicht der systematischen Forderung der Politeia, eine Gestaltung des Kosmos nach den algebraischen Stzen aus Euklid viii. die Kritik gefallen lassen, die geometrischen Disziplinen, die zwischen Zahl und Krper ste- hen, im Ganzen bersprungen zu haben.

Es ist bekannt, dass die Entdeckung und Erforschung der fnf regelmßigen Po- lyeder durch Theaetet30, mitsamt dessen Beweis, dass es nur genau diese fnf geben knne, als ein erster Hhepunkt dieser jungen Disziplin von Platon imTimaiosin den Aufbau der krperlichen Welt eingeflochten wurde (53c ff.), indem er vier der Polyeder den atomar gedachten Elementen als ihre geometrische Form zuordnete.

Und dieser Zusammenhang ist einzusehen, ist doch die Zuordnung der Polyeder zu den Elementen eine Zuordnungderelementaren Krperformen zudenelementaren Krpern. Der systematischen Bedeutung der Elemente fr die Physik der sinnlichen Welt entspricht hier die Bedeutung der regelmßigen Krper fr die Mathematik des Raumes. Wenngleich ein direkter mathematischer Zusammenhang zwischen der Proportionslehre und den regelmßigen Krpern nicht hergestellt werden kann, ist doch deren stereometrische Gestaltung gemß der Forderung derPoliteiaein Indiz dafr, dass auch die Proportionierung der Elemente zum Ganzen des Kosmos als allgemeines Theorem zur Stereometrie gedacht sein knnte.

2. Das Delische Problem der Wrfelverdoppelung

Die Anwendung der Lehre von den zwei Mittleren Proportionalen auf das so genannteDelische Problemder Volumenverdoppelung eines Wrfels stellt gerade diesen Zusammenhang her.31Das Problem, zu einem gegebenen Wrfel einen zwei-

28 Politeia, vii, 528d. Fowler (1987), 118, ist der Ansicht, dass sich Platon in derPoliteia-Stelle speziell auf das Delische Problem der Wrfelverdoppelung beziehe, da dieses ungelst geblieben sei, whrend andere stereometrische Probleme, wie die Konstruktion der regelmßigen Krper, bereits gelst gewesen seien.

29 Politeia, vii, 528ab; Platon ußert hier nicht weniger, als dass die Erforschung der geometrischen Struk- tur von Krpern derenAn-und-fr-sich-Betrachtungsei!

30 Dass dieser Beweis durch Theaetet gefhrt wurde und nicht Platon selbst der Entdecker der gleichwohl nach ihm benannten „Platonischen Krper“ war, gilt seit Sachs (1917) als gesichert.

31 Das Delische Problem hat seinen Namen wohl daher, dass es zuerst auftrat, als man auf Delos einen kubusfrmigen Altar durch einen neuen, doppelt so großen, d. h. doppelt so voluminsen ersetzen wollte.

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ten zu konstruieren, dessen Volumen von doppelter Grße ist, gehrte mit dem Problem der Quadratur des Kreises und der Dreiteilung eines beliebigen Winkels zu den drei klassischen Problemen der Antike, die unter den Voraussetzungen der Euklidischen Geometrie nicht gelst werden konnten.32Jedoch genossen diese Pro- bleme hohen Rang und waren Gegenstand intensivster Lsungsbemhungen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die mathematisch gebildete Zuhrerschaft des Timaios nicht nur um diese Probleme, sondern auch um die aktuellen Versuche, sie zu lsen, wusste.

Die Lsungsversuche des Delischen Problems waren zahllos.33 Allein, im Ver- gleich zu allen rein geometrisch-konstruktiven Versuchen ragte die Entdeckung der Hippokrates von Chios heraus, dass das Problem der Volumenvergrßerung von Wrfeln quivalent ist mit dem Problem des Auffindens der zwei Mittleren Proportionalen zu zwei gegebenen Grßen.34 Hippokrates entdeckte damit nicht weniger als die Zurckfhrbarkeit dieses Problems der Geometrie des Raumes auf einen bekannten algebraischen Satz. Nun hatte sich in der geometrischen Interpre- tation der Euklidischen Stze gezeigt, dass die Mittelglieder als Produkte von Kan- ten und Seiten der ußeren Wrfel angesehen werden knnen. Nach Hippokrates gilt dies nun nicht nur fr Wrfel mit ganzzahligen Kantenlngen (und nur als solche lassen sich die Kubikzahlen im pythagoreischen Zahlenraum der natrlichen Zahlen ja interpretieren), sondern auch fr solche mit beliebigen Kantenlngen.

Dies lsst sich aus dem Satz (2’’) f3:f2g = f2g : fg2= fg2:g3

mittelbar entnehmen. Wenn f und g als die Seiten der Wrfel („-zahlen“) f3und g3 angesehen werden knnen, dann tritt bei der Frage nach der Volumenverdoppelung die Seitenlnge des gesuchten Wrfels als zweites Glied der Proportion unmittelbar auf. Denn Volumenverdoppelung bedeutet, dass das Verhltnis der ußeren Glieder f3: g3= 1:2 ist. Aus f3= 1 folgt f = 1; und daher folgt, wenn g3= 2 gesetzt wird, aus (2’’):

(2’’’) 1:g = g : g2= g2:2,

wobei sich zeigt, dass das gesuchte Verhltnis der Kanten der beiden Wrfel 1:g genau das Verhltnis ist, das dieser Proportion zugrunde liegt. Allerdings stellte das gesuchte Verhltnis 1:g ein doppeltes Problem dar: es war einerseits kein ratio- nales Zahlenverhltnisund dadurch mit den Mitteln der pythagoreischen Algebra nicht bestimmbar. Und es war andererseits alsGrßenverhltnismit den Mitteln der Euklidischen Geometrie nicht konstruierbar.

Diese beiden Probleme standen in engem Zusammenhang; ihre Bedeutung fr

32 Diese Voraussetzungen sind die prinzipielle Konstruierbarkeit durch Zirkel und Lineal, wodurch sich ein Aufbau der gesamten Euklidischen Geometrie aus Kreisbogen und Gerade ergibt. Hilbert hat Ende des 19. Jahrhunderts nachgewiesen, dass diese drei klassischen Probleme mit den Mitteln Zirkel und Lineal grundstzlich nicht lsbar sind.

33 Heath (1981), 246–270, fhrt alleine 13 antike ‚Lsungen‘ vor, die sich natrlich alle als unhaltbar erwiesen haben.

34 Hierzu ebd., 200.

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die antike Mathematik lsst sich aufzeigen, wenn man die Problemgeschichte der irrationalen Zahlen (und Zahlverhltnisse) von Pythagoras zu Platon verfolgt.

3. Exkurs: Die Geschichte der Irrationalitt

Die Pythagoreische Ontologie, die in der These gipfelte, „die Zahlen seien die Dinge selbst“35, fußte auf einer Mathematik, deren Fundament natrliche Zahlen und deren Erkenntnisziel die Einsicht in die Gleichheit (analogia) von Verhltnissen (logoi) ganzer Zahlen war, sowohl in der Arithmetik, als auch in der Geometrie. Die Erkenntnis der Verhltnismßigkeit von Grßen war dabei methodisch gleichbe- deutend mit der Erkenntnis eines ihnen gemeinsamen Maßes. Gab es zu zwei geo- metrischen Grßen eine dritte Grße, von der die beiden ganzzahlige Vielfache waren, hatten die Grßen ein gemeinsames Maß; sie wurden dann „kommensura- bel“ genannt und ihr Verhltnis zueinander ließ sich durch Verhltnisse natrlicher Zahlen ausdrcken.36

Es war wohl zuerst die erstaunliche Entdeckung des Hippasos von Metapont um 450 v. Chr., dass es im regelmßigen Fnfeck kein gemeinsames Maß fr Seite und Diagonale gibt, dass also in dieser einfachen Figur Grßenverhltnisse auftreten, die nicht zueinander kommensurabel sind.37 Diese Tatsache zerstrte jede Hoff- nung, alle geometrischen, astronomischen (und musikalischen) Verhltnisse in ganzen Zahlen ausdrcken zu knnen.38Die Krise, in die die griechische Mathema- tik durch die Entdeckung der Inkommensurabilitt gefhrt wurde, bezog sich nicht alleine auf das durch sie in Frage gestellte mathematisch-ontologische Programm der Rckfhrung aller Dinge auf Verhltnisse ganzer Zahlen, sondern Inkommen- surabilitt bedeutete, dass geometrische Grßen auftraten, die nicht mehr in Ver- hltnisse (logoi) gebracht und damit nach den bis dahin gngigen Verfahren ber- haupt nicht mehr mathematisch begriffen werden konnten. Das Verhltnis von zwei Grßen wie Seite und Diagonale im Pentagramm (oder Quadrat) wurde daher zu- nchst mit dem Ausdruck˝logo@, d. h.nicht-Verhltnisbedacht.

35 Aristoteles,Metaphysik, 987a.

36 Zwei beliebige Strecken a und b sind genau dann kommensurabel, wenn es zu ihnen eine dritte Strecke c gibt, von der a und b jeweils ganzzahlige Vielfache sind. Diese Strecke c als ihr gemeinsames Maß konnte stets ber die Methode der Wechselwegnahme herausgefunden werden. Dabei wurde von zwei Grßen die kleinere von der grßeren abgezogen und dies mit dem Resultat und der kleineren so lange weitergefhrt, bis zwei gleiche Grßen brig blieben, die das gemeinsame Maß der ursprnglichen waren. Von diesem musste dann nur noch errechnet werden, wie oft es zu den Ursprungsgrßen vervielfltigt werden musste.

(Beispiel: Wie verhalten sich 15 und 25 zueinander? 25–15 = 10; 15–10 = 5; 10–5 = [ebenfalls] 5, also ist 5 das gemeinsame Maß; da die 5 3-mal zur 15 und 5-mal zur 25 vervielfltigt werden muss, folgt: 15:25 = 3:5). Dieses Verfahren wurde in gleicher Weise in der Geometrie durch Abtragung von Strecken ange- wandt. Bei Zahlenverhltnissen stand dabei von vornherein fest, dass sie kommensurabel waren, ist den natrlichen Zahlen doch allen die 1 gemeinsam. Das Problem der Inkommensurabilitt konnte also auf der Basis der natrlichen Zahlen gar nicht auftreten – ihr Auftreten stellte jedoch umgekehrt diese Basis als einzig mgliche der Mathematik in Frage.

37 Siehe hierzu und zum Folgenden Fritz (1969). Hippasos hatte den Beweis gefhrt, indem er gezeigt hatte, dass die Anwendung der Methode der Wechselwegnahme zwischen diesen Grßen in einen unend- lichen Regress fhrt, da die Ursprungsverhltnisse nach dem zweiten Wegnahmeschritt wiederkehren.

38 Vgl. Becker (1965), XVII.

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Die Gewinnung von Verfahren, durch welche man mit inkommensurablen Gr- ßen wie Diagonale und Seite im Quadrat dennoch mathematisch operieren konnte, d. i. die Ausdehnung der Proportionenlehre auf inkommensurable Grßen, be- stimmte den Fortgang der griechischen Mathematik, bedeutete zugleich aber eine Abkehr vom pythagoreischen Programm, alle Dinge auf Verhltnisse ganzer Zahlen zurckzufhren. Platon fhrt im Theaitetoseine dieser Mglichkeiten vor. Basie- rend auf der Erkenntnis, dass zu jedem Quadrat sich ein zweites mit doppeltem Flcheninhalt ber der Diagonale des ersten konstruieren lsst39, nennt er die Seiten von Quadraten, deren Flcheninhalt keine Quadratzahl ist,

Wurzeln, weil nmlich sie selbst als Lngen nicht durch gleiches Maß mit jenen [den Seiten von Quadraten mit einer quadratischen Zahl als Flcheninhalt] knnen gemessen werden, wohl aber die Flchen, welche aus ihnen zu entspringen vermgen.40

Mit anderen Worten: die Quadratwurzeln aus 2, 3, 5, 6 usf. knnen nicht „durch gleiches Maß“ an den „Lngen“, d. i. Quadratwurzeln von 1, 4, 9 usf., also an den natrlichen Zahlen 1, 2, 3, … gemessen werden. Die Quadratwurzeln sind zu den natrlichen Zahlen inkommensurabel. Sie sind geometrische Grßen und keine Zahlen, aber es gibt ein gemeinsames Maß fr die Flchen der ber ihnen bildbaren Quadrate und diese Flchen wiederum lassen sich als Zahlen interpretieren und sind mit den natrlichen Zahlen kommensurabel. Darber hinaus lassen sich innerhalb des Bereiches der Quadratwurzeln Verhltnisse mit gemeinsamem Maß entdecken, die dadurch zu Verhltnissen natrlicher Zahlen in Proportion gesetzt werden kn- nen. ffiffiffi

p2

verhlt sich zu ffiffiffi p8

wie 1:2. Als nur quadriert zu natrlichen Zahlen kom- mensurable Grßen erhalten Quadratwurzeln zwar noch nicht den Status an Ratio- nalitt wie natrliche Zahlen, da sie erst durch einen Zwischenschritt zu diesen in der Vernunft zugnglichen Verhltnissen gesetzt werden knnen; sie haben sich durch dieses Verfahren jedoch weit entfernt vom ursprnglich an ihnen aufgetrete- nen Problem gnzlicher Irrationalitt.41

Hinzu kommt, dass sich die Quadratwurzeln aller natrlicher Zahlen als geo- metrische Grßen konstruieren lassen und dass diese grundstzliche geometrische Konstruierbarkeit bekannt war. Damit war in gewisser Weise ber die geometrische Konstruktion und den Beweis ihrer Inkommensurabilitt (z. B. von Seite und Dia- gonale im Quadrat) die Existenz irrationaler Grßen wie ffiffiffi

p2

verbrgt und dadurch, dass sie quadriert, d. h. geometrisch als Flchen, arithmetisch als natrliche Zahlen untereinander und zu sonstigen bekannten Grßen kommensurabel wurden, konn- ten sie als erweiternde operable Elemente in die nachpythagoreische antike Mathe- matik aufgenommen werden.

39 Platon gebraucht dieses Beispiel imMenon, 82c – 85b.

40 Platon,Theaitetos, 148ab.

41 Man beachte, dass z. B. der berhmte Pythagoreische Lehrsatz zu den Quadraten ber den Seiten recht- winkliger Dreiecke a2+ b2= c2fr fast alle rechtwinkligen Dreiecke ein rationales Verhltnis ((a2+ b2) : c2= 1 : 1) ber nur quadriert kommensurable Grßen, nmlich die Seiten a, b, c solcher Dreiecke, ist. Das Kuriose ist, dass Pythagoras selbst die Feststellung inkommensurabler Grßen nicht akzeptiert hat.

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4. Die systematische Bedeutung des Delischen Problems als Grundproblem der Stereometrie

Vor diesem Hintergrund lsst sich die volle Dimension, die das Delische Problem fr die Mathematik zu Platons Zeit haben musste, einsehen. Das Problem, zu einem gegebenen Wrfel einen solchen mit doppeltem Volumen zu konstruieren, ist die bertragung der imMenon vorgefhrten konstruktiven Aufgabe der Flchenver- doppelung des Quadrates auf Verhltnisse des Raumes. So wie das Quadrat eine besondere Figur der ebenen Geometrie ist, da es durch Dehnung der (eindimensio- nalen) Linie um ihre eigene Grße entsteht (weswegen sich die arithmetische Grße der Flche durch Multiplikation der als Zahl gedachten Grße der (Seiten-) Linie mit sich selbst errechnen lsst), hat der Wrfel eine herausragende Stellung innerhalb der Geometrie des Raumes, da er aus dem Quadrat durch entsprechende Dehnung entsteht und sein Volumen (analog zum Volumen des Quadrates) sich durch dop- pelte Multiplikation der als Zahlen interpretierten Grßen der Seiten mit sich selbst errechnen lsst. Da in ihm sowohl Seiten als auch Kanten rechtwinklig aufeinander stehen, ist im Wrfel der Raum exemplarisch aufgespannt. Die Aufgabe, zu einem gegebenen ganzzahligen Inhalt die Grße der begrenzenden Seite bzw. Kante zu finden, fhrte fr Quadrate zu eben jener Problematik nur flchenhaft (quadriert) kommensurabler Grßen; die analoge Aufgabe bei Wrfeln istdas Delische Pro- blem.

Die Parallelitt der Aufgabenstellung von Quadrat- und Wrfelverdoppelung legte die Vermutung nahe, dass die gesuchte Kantengrße des gedehnten Wrfels inkommensurabel zur Kantengrße des gegebenen Wrfels sein wrde, und dass diese Grßen nicht quadriert, sondern nur kubisch, d. i. durch doppelte Multiplika- tion mit sich selbst kommensurabel sein wrden, an der gesuchten Grße also gleichsam ein erhhter Grad an Irrationalitt auftreten wrde – alleine all dies ließ sich nicht aufzeigen, solange es nicht gelang, diese Grße geometrisch zu kons- truieren. Da diese Konstruktion jedoch fehlschlug, blieb diese Grße eine Unbe- kannte, die sich nicht nur allen geometrischen und algebraischen Operationen ent- zog, sondern deren Existenz selbst zweifelhaft blieb und die dadurch das gesamte Programm der systematischen Ausarbeitung einer Geometrie des Raumes zu unter- graben drohte.42

Auf diese Weise stellt sich das Problem der Wrfelverdoppelung als Kernproblem einer antiken Geometrie des Raumes dar, als deren systematische Stelle in derPoli- teiaeben der Ort ausgewiesen wurde, an dem Platon imTimaiosdie Proportionen- lehre einfhrt. Als Wissenschaft vom Raum gibt die Stereometrie das Modell der inneren Struktur rumlicher Dinge, genauso wie in der mythischen Erzhlung des Timaios die Materie erschaffen, d. i. in ihr Wesen gebracht wird dadurch, dass ihr als

42 Dass Platon in der Inkommensurabilitt der Grßen von Lnge, Flche und Raum ein wesentliches Problem sah, zeigtNomoi, vii, 819d-820c: Dort wird den Menschen eine so „lcherliche und schimpfliche Unwissenheit“ in Bezug auf „Messungen, die sich auf Lnge, Breite und Dicke beziehen“, bescheinigt, wie sie weniger Menschen, „sondern einer Herde von Schweinen“ zukomme, da sie nicht zu unterscheiden vermgen, „wie seiner Natur nach das gegeneinander Messbare und Unmessbare [!] beschaffen ist“.

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ihre innere Struktur die Verhltnismßigkeit der viergliedrigen geometrischen Pro- portion zugefhrt wird.

In diesem Zusammenhang erhlt die Erkenntnis des Hippokrates, dass das Pro- blem der Wrfelverdoppelung quivalent ist zum Problem, zu zwei gegebenen Gr- ßen die Mittleren Proportionalen zu finden, zentrale Bedeutung. Denn indem sich die Verhltnisse a : b dieser Proportion als die gesuchten Verhltnisse der Kanten von Wrfeln zeigen, deren Volumina als ußere Glieder in diese Proportion einge- hen, erweist sich die viergliedrige geometrische Proportion als ein algebraisches Schema, in welchem die gesuchten irrationalen und geometrisch nicht darstell- baren Verhltnisse zu einemallgemeinenVerhltnis schematisiert werden.

Daher lsst sich diese Proportion als rationales Modell eines˝logo@, eines weder arithmetisch erfassbaren noch geometrisch konstruierbaren, und damit rational berhaupt nicht zugnglichen Verhltnisses deuten, und damit als die einzige ra- tionale Struktur berhaupt, die das An-und-fr-sich der Materie gemß der Forde- rung derPoliteiabeschreibt. Hinzu kommt, dass die Anwendung des arithmetischen Satzes Euklid viii., 12 auf rumliche Grßen berhaupt den im ersten Teil dargeleg- ten mathematisch-physikalischen Strukturzusammenhang jener Stze transportiert und um die Dimension rumlicher Inkommensurabilitt erweitert. Durch eine Deu- tung von Timaios31b ff. als Lsungsschema fr das Delische Problem verbindet sich also die mathematikhistorische und platonisch-wissenschaftssystematische Stellung der Proportionenlehre przise mit ihrem literarischen Ort imTimaios.

Doch damit ist die ganze Weite der Dimension, die sich durch eine Deutung der Proportionenlehre imTimaiosals das Lsungsschema des Delischen Problems er- ffnet, noch nicht erschpft. Sie lsst sich erst erahnen, wenn die Frage nach dem allgemeinen Verhltnis von Mathematik und Krperwelt im Lichte der platonischen Ideenlehre gestellt ist.

IV. Die Lehre von den Mittleren Proportionalen im Lichte der Ideenlehre Die imTimaiosentfaltete Kosmologie steht von Anfang an unter den Prmissen der von Platon zur Zeit seiner Niederschrift bereits voll entwickelten und in den so genanntenmittleren Dialogendargestellten Ideenlehre. Literarisch manifestiert Pla- ton ausdrcklich das Bestehen dieser Prmissen durch den Hinweis des Timaios zu Beginn seines langen Monologes,

zuerst[…] zu unterscheiden: was ist das Seiende, das Entstehen nicht an sich hat, und was das stets Werdende, aber niemals Seiende; [und dann zu sehen, dass] das eine, stets gemß demsel- ben Seiende […] durch Vernunft mit Denken zu erfassen, das andere dagegen durch Vorstellung vermittelst vernunftloser Sinneswahrnehmung vorstellbar [ist]. (27d-28a, Herv. S. G.)

Timaios ruft bei seinen Zuhrern also zuerst die ontologische und epistemologi- sche Grundunterscheidung zwischen dem der Vernunft zugnglichen Seienden und dem nur vernunftlos vorstellbaren Werdenden wach. Anschließend gibt er gleich- sam eine komprimierte Zusammenfassung der Kernthesen der Ideenlehre, indem er fortfhrt, die Welt sei „nach dem durch Vernunft […] zu Erfassenden […] auferbaut“

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(29ab), nach einem „Vorbilde“ (29a), von dem „diese Welt […] ein Abbild sei“ (29b).

Da der Kosmos als Gegenstand der Untersuchung aber ein sicht- und betastbarer ist, muss Timaios sich von Anfang an ber die methodische Frage Rechenschaft geben, wie von diesem, der nicht vernunftgleich ist, berhaupt Wissenschaft mglich sein knne. Die Antwort ist bekannt: Nur eine „wahrscheinliche Rede“ (29d) knne ber Gegenstnde wie die sichtbare Welt gefhrt werden, die der Vernunft nicht unmit- telbar zugnglich seien, da die Rede dem „verwandt“ (29b) sein msse, von dem sie handle.

Diese wahrscheinliche Rede ist der bildhafte Mythos vom welterschaffenden Handwerker. Dessen gestaltende Grundhandlung ist, ein gegebenes Sichtbares, das er „in ungehriger und ordnungsloser Bewegung vorfand, […] aus der Unordnung zur Ordnung“ (30a) zu bringen. Dies soll geschehen dadurch, dass er, „der Ordner“

(30c) seinen „Blick auf das Unvergngliche“ (29a) richtet, welchem „in jeder Bezie- hung Vollkommenen mglichst hnlich zu machen“ (30d) er die Welt beabsichtigt.

Diese Grundstruktur der Ordnungsstiftung konkretisiert sich bezglich der ersten Formung des Makrokosmos zu einem Einen eben durch die Proportionierung der vier Elemente. Dabei ist dasjenige, das die der Vernunft nicht zugngliche Unord- nung einer chaotischen Bewegung des Werdenden zu einem der „Vernunft Teilhaf- tigen“ (30b) fgt, die geometrische Proportionierung.43 Hierdurch erweist sich die Mathematik als vermittelndes Zwischenglied zwischen den Bereichen der Ideen und des Werdens. Sie ist es, die Vernunftloses und dadurch der Vernunft gnzlich Ver- schlossenes zu etwas strukturiert, das qua bildhafter hnlichkeit zum Bereich der Ideen, der bildhaften Rede und damit irgendeiner Form des Erkennens berhaupt zugnglich wird.

Dieser Status der Mathematik hat in der Rezeptionsgeschichte desTimaiosunter dem Stichwort „Mathematisierung der Natur“44 stets besondere Wrdigung erfah- ren. Der Gedanke einer in die Natur gefgten „sinngebenden Kraft der Mathema- tik“45hat entscheidend zum Entstehen der neuzeitlichen Naturwissenschaft um die Schlsselgestalt Galilei beigetragen, welcher methodisch die Mathematik die Erkl- rungsmuster zur Beschreibung experimentell gewonnener Naturphnomene an die Hand gab.46Der Platonische Grundgedanke hierbei ist, dass mathematische Gesetze deshalb in der Natur gelten, „weil diese [Gesetze] ihr Wesen sind, weil die Mathe- matik das Wesen der Natur zum Ausdruck bringt“47. Noch die Neuerer der Quanten- physik im 20. Jahrhundert wie C. F. von Weizscker oder W. Heisenberg wrdigten

43 Dies ist verkrzt dargestellt. Die Ordnung nach Mustern mathematischer Vernnftigkeit imTimaios geschieht in mehreren Durchgngen, von denen die Proportionierung nach der Geometrisierung der Ato- me und der Arithmetisierung der Weltseele wohl systematisch die letzte ist. Da sich diese drei Durchgnge als Aspekte eines Strukturzusammenhangs auffassen lassen, der ein ‚Frher‘ und ‚Spter‘ nur literarisch kennt, scheint eine Fokussierung des Blicks ausschließlich auf die Proportionenlehre von 31b ff. zulssig.

Jedenfalls treten durch diese Auslegung keine Widersprche zu den andern Stellen auf. Zum Verhltnis der Mathematika von Weltkrper und Atomen siehe Anmerkung 4; zum selben Verhltnis bezglich der spter eingefhrten Weltseele siehe unten, Abs. IV. 2.

44 Gaiser (1962), 325.

45 Gloy (2000), 319.

46 Friedlnder (1954), Bd. 1, 285.

47 Vgl. Weizscker (1971), 134.

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die platonisch-pythagoreische Ansicht, dass „ein ideelles Formprinzip als Urgrund alles Seienden“ angesehen wurde, als den „Grundgedanken, […] der spter das Fun- dament aller exakten Naturwissenschaften gebildet hat“48.

Also stellt sich hinsichtlich der Ideenlehre nun nochmals die Frage, ob und wie sich die Mathematika in Timaios 31 ff. als Strukturen eines durch sie geformten Kosmos denken lassen, oder ob eine Auslegung dieser Stelle unter Hinweis auf den Wahrscheinlichkeitscharakter der platonischen Rede ihre Grenze bei den mathema- tisch-physikalischen Strukturgleichheiten und beim bloßen Faktum des Gebrauchs von Mathematika finden muss.

Dieser Frage wird erneut mittels eines Vergleichs zwischen der pythagoreischen Interpretation der Proportionenlehre gemß dem achten Buch Euklids und ihrer Deutung als Lsungsschema fr das Problem der Wrfelverdoppelung nach Hippo- krates von Chios nachgegangen. Es wird sich dabei zeigen, dass auch hinsichtlich der Ideenlehre eine Interpretation von 31b ff. in Richtung auf das Delische Problem die Proportionenlehre im Timaios um eine ganze Dimension erweitert – um die Dimension der mndlichen Lehre Platons.

1. Nach Euklidviii.

Die Interpretation mit Blick auf die zahlentheoretischen Stze vermutlich pytha- goreischer Herkunft, die im achten Buch der Euklidischen Elementefestgehalten sind, hatte mehrere Besonderheiten herausgestellt, die fr eine Interpretation dieser Stze als Wesensbestimmungen von Natur bedeutsam sind. Mit ihnen lsst sich feststellen, dass die Einfgung der viergliedrigen Proportion in das Unbestimmte der gestaltlosen Materie zum Einen des Kosmos, ber alle durch die Vierzahl gege- bene ußere Analogie hinaus, das Gesamte der Materie nur deshalb erfolgreich mathematisieren kann, weil der Kosmos mit eben dieser Proportion aus den Prinzi- pien einer auf der pythagoreischen Zahlenbasis gegrndeten Mathematik erbaut wird: In der viergliedrigen Proportion sind mit den Zahlen (arithmoi) als Gliedern und den Verhltnissen (logoi) als der Proportion zugrunde liegenden Gleichheiten die ontologischen und operativen Grundbausteine pythagoreischer Algebra gege- ben – mit der Zahl die letzten Seinsgrßen, mit den Verhltnissen die letzten Ope- rationsgrßen. Und diese realisieren durch ihren Eingang in das basale methodische Erkenntnisschema der Proportion das mathematische Ziel der Einheitsstiftung. Da- rber hinaus ist mit den Krperzahlen, die durch die Stze von den zwei Mittleren Proportionalen schematisiert werden, der spezifische Zusammenhang zwischen den rumlich-geometrischen Eigenschaften natrlicher Zahlen und der Geometrie des durch sie aufgespannten Raumes aus pythagoreischer Sichtweise gegeben. Wo Zah- len als Prinzipien des Seins angesehen werden, werden Krperzahlen zu den Prin- zipien des Raumes. Entsprechend verdankt sich die Einheitlichkeit des physika- lischen Raumes so der Einheit gleicher Verhltnisse rumlicher Zahlen in der Proportion.

Allerdings fhrt die Vorstellung einer Einfgung reiner Zahlverhltnisse zur Ver-

48 Heisenberg (1987), 96.

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einheitlichung des Vierfachen der Elemente im Einen des entstehenden Weltkrpers zu Konsequenzen, die wohl den pythagoreischen Aspekten der Platonischen Onto- logie, nicht aber dieser im Ganzen entsprechen.

Es gilt als wahrscheinlich, dass Platonim Bereich der Ideenan eine Zuordnung von Ideen und natrlichen Zahlen gedacht hat, und an eine zahlenmßige Hierar- chisierung der Ideen, in welcher der in derPoliteiaausgesprochenen Reduzierbar- keit aller Ideen auf die eine des Guten die Deduzierbarkeit aller Zahlen aus der Eins entsprechen sollte.49Sofern es richtig ist, Platon Pythagoreismus zu bescheinigen, dann gilt dies sicherlich fr eine zahlenmßige Ordnung des intelligiblen Bereichs der Ideen. Darber hinaus erfhrt die Weltseele, die Platon inTimaios 35b ff. in einer Mittelstellung zwischen Krperwelt und Ideenwelt konzipiert, eine mathema- tische Strukturierung durch Verhltnisse ganzer Zahlen, die ihre Basis in den kleinsten Zahlenreihen hat, die die Proportion (2) aus Euklid viii., 12 erfllen. Al- lerdings wrde die einfache Gleichsetzung der Mathematika, die in Weltseele und -krper eingehen, als ungebrochene bertragung pythagoreischer Mathematik auf den Bereich der sinnlich zugnglichen Materie50die platonische Ontologie verkr- zen, da sie die fundamentalen Einsichten hinsichtlich einer epistemologischen und ontologischen Dunkelheit der sinnlichen Welt ausblenden wrde, die Platon im Timaiosdargestellt hat und die erst in der Anwendung des proportionalen Schemas einer Geometrie irrationaler Grßen auf die Materie ihre mathematische Entspre- chung findet.51

2. Als Darstellungsschema des Delischen Problems – in den Dimensionen der mndlichen Lehre Platons

Eine Deutung der TextstelleTimaios31b ff. vor dem Hintergrund des Delischen Problems und der mit ihm verbundenen Problematik der Inkommensurabilitt lsst einen strukturellen Zusammenhang zwischen dem Lehrstck von den Mittleren Proportionalen und einem mathematisch-ontologischen Grundschema der plato- nischen Ideen- und Prinzipienlehre aufleuchten, der weit ber den platonischen Pythagoreismus hinausgeht.

Dass Platon Grundtheoreme seiner Ideenlehre (die so genannte „Prinzipienlehre“) fr nicht im Medium der Schriftlichkeit darstellbar hielt und sie daher nur mndlich an der Akademie weitergab, ist die Grundthese der Tbinger Schule der Platon-For- schung.52Die wichtigste Quelle fr diese mndliche Lehre ist sein Schler Aristote-

49 Vgl. hierzu Gaiser (1962), 124.

50 Eben diesen Pythagoreismus besttigen Platon auch hinsichtlich der Proportionenlehre diejenigen, die sie auf die Euklidschen Stze hindeuten, z. B. Taylor (1928), 96, und Cornford (1937), 46.

51 Zur These der Dunkelheit: Das Werden der Weltordnung ist ein „Gemischtes aus einer Vereinigung der Notwendigkeit [dem Vernunft Widerstrebenden] und der Vernunft“ (47e-48a). Diese Notwendigkeit ist „ein unsichtbares, gestaltloses […] Wesen, auf irgendeine hchst unzugngliche Weise am Denkbaren teilneh- mend und ußerst schwierig zu erfassen.“ (51ab)

52 H. J. Krmer und K. Gaiser haben dabei versucht, ber die vorhandenen Berichte ber Platons mndli- che Lehre diese systematisch zu rekonstruieren; T. Szlezk hat dies weitergefhrt. Die Thesen der Tbinger Schule sind bis heute umstritten. Hier soll nicht fr deren Richtigkeit geworben, sondern vielmehr gezeigt

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les. Ihm zufolge hatte die Mathematik innerhalb der platonischen Ontologie den Status einer Mittelstellung zwischen dem Sinnlichen und den Ideen.53 In dieser Mittelstellung hatte sie zugleich eine vermittelnde Funktion zwischen den Ideen und dem Sinnlichen; das schwierige Problem der Teilhabe des sinnlich-vielen Wer- denden an den einfachen Ideen als ihren Ursachen und Formen sollte sich ber das Verbindungsglied der Mathematik denken lassen. Diese Mittlerfunktion konnte die Mathematik nach Ansicht K. Gaisers deshalb erfllen, weil in ihr selbst das Schema des bergangs vom Einen (der Idee) zum Vielen der (sinnlich wahrnehmbaren) Krper angelegt ist:

Mit der ontologischen Mittelstellung desMathematischenist also […] bezeichnet, dass die Abstufung und Gliederung im Seinszusammenhang analog zu den mathematischen Struktur- gesetzen begriffen werden soll.54

Im vi. und vii. Buch derPoliteia, in denen die Mittelstellung der Mathematik in ihrer epistemologischen Funktion als Aufstieg vom sinnlich Wahrnehmbaren zum theoretischen Wissen gezeigt wurde, blieb offen,wiedieser Aufstieg sich vollziehen solle und wie die mathematische Mittelstellung sich begrnde. Dies vermag das mathematische Strukturmodell einer viergliedrigen Folge der Dimensionen Punkt – Linie – Flche – Krper zu leisten, die einem Aristotelischen Bericht zumTimaios zu entnehmen ist.55Nimmt man den Punkt als die hchsteEinheitder Ideen56 und den Krper als die Unbestimmtheit der physischen Welt, des in den Raum entfalte- ten Vielen57, so zeigt das Dimensionenmodellerstens:wie eine Deduktion des sinn- lich Vielen aus dem noetisch Einen undzweitensdas Verhltnis von ideeller Form und materiellem Inhalt im Lichte der Ideenlehre gedacht werden kann. So wie die Linie gedehnter Punkt ist, ist die Flche gedehnte Linie und der Krper gedehnte Flche. Zugleich ist die Flche des Krpers Begrenzung, so wie die Linie die Flche und der Punkt die Linie begrenzt. In der Dehnung ist gedacht, wie sich aus dem unteilbaren uniform Einen des Punktes das teilbare Viele von Linie, Flche, Krper erzeugen lsst, in der Begrenzung, wie die je hhere Dimensionenstufe formgebend zur je untergeordneten ist. Ontologisch ist die Idee das Formgebende der Materie58 und diese Formgebung lsst sich im Modell der Formgebung, d. i.: Begrenzung von

werden, wie fruchtbar sich diese mit der gegebenen Problemstellung verbinden lassen. Ich beziehe mich hierbei weitgehend auf die Darstellung, die Platons mndliche Lehre in Gaiser (1962) gefunden hat.

53 Aristoteles,Metaphysik, 987b: „Ferner erklrte er [= Platon], dass außer dem Sinnlichen und den Ideen die mathematischen Dinge existierten, als dazwischen liegend.“ Dies findet auf epistemologischer Seite seine Besttigung bei Platon,Politeiavi, 511d: „Verstand aber scheinst du mir die Fertigkeit der Mess- knstler […] zu nennen, als etwas zwischen der bloßen Vorstellung und der Vernunfterkenntnis Liegendes.“

54 Gaiser (1962), 25.

55 Aristoteles,De anima404b: Platon habe bestimmt, dass das Lebewesen (= die Seele) „selbst aus der Idee des Einen sowie aus der ersten Lnge, Breite und Tiefe bestehe, und die anderen Dinge auf entsprechende Weise.“

56 Vgl. Euklid,Elemente, i., Def. 1: „Ein Punkt ist was keine Teile hat“.

57 Ob diese Unbestimmtheit mit derchoraimTimaiosauf der einen und auf der anderen Seite mit dem Prinzip des unbestimmt Groß-Kleinen, von welchem Aristoteles neben der Idee der Einheit als zweitem platonischen Prinzip berichtet, gleichzusetzen ist, mag hier dahingestellt bleiben.

58 Baltes (1999), 275, weist darauf hin, dass Idee (§dffa) und Form (morffi) bei Platon bisweilen synonym gebraucht werden.

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Krpern durch Flchen ebenso denken wie die Seinsstiftung der Welt im Hinblick auf die Ideen durch das mathematische Vermittlungsschema dimensionaler ber- gnge von Punkt zu Krper, da Ordnung Einheitsstiftung in der Vielheit ist und zugleich Einheit die Unbestimmtheit und Vielheit begrenzt.59 So wenig die Idee durch die Formgebung der Materie ihren ontologischen Status verliert, so wenig ist eine Linie flchig oder eine Flche krperlich, wiewohl sie als begrenzende For- men Flchen erst zu Flchen und Krper zu Krpern machen.60 Daher ist die ma- thematische Dimensionenfolge, indem sie ihre eigene Funktion darstellt, zugleich strukturelles Schema der platonischen Ontologie und Teil von ihr. Als Mittelglied und strukturelles Schema zugleich fr den bergang vom Sein zum Werden, vom Einen zum Vielen, von den Erkenntnisstufen des hchsten Wissens zur sinnlichen Wahrnehmung ist sienicht(wie die pythagoreische Ontologie der Mathematik) aus- schließlich dem Bereich des Ideellen und noetisch Einsichtigen zugeordnet, sondern in ihrfindet sich gemß der Abfolge der Dimensionen eine Abstufung an Rationa- littsgraden von den hchsten noetisch erfassbaren Einheiten punktartiger Ideen zu den an den Krpern auftretenden Verhltnissen gesteigerter Irrationalitt. Der ma- thematisch-ontologischen Dimensionenfolge Punkt-Linie-Flche-Krper entspre- chen die arithmetischen Grundverhltnisse punktartiger Einheit (1 : 1), linearer Kommensurabilitt (2 : 3), nur quadratisch kommensurabler Grßen (1 : ffiffiffi

p2 ) und zuletzt den Krpern das hypothetische und geometrisch fr die griechische Mathe- matik gar nicht darstellbare Verhltnis der Kanten von Wrfeln, die zueinander doppeltes Volumen haben.61 Dieses Verhltnis, fr das wir heute den Ausdruck 1 :3 ffiffiffi

p2

gebrauchen wrden, ließ sich fr Platon alleine durch das irrationale Ver- hltnis 1 : a im Schema der Mittleren Proportionalen (1 : a = a : b = b : 2) darstellen.

Das Ungeheuere der Lehre von den Mittleren Proportionalen als Lsungsschema des Delischen Problems ist eben, dass hier in der Analogie, dem Medium der Rationali- tt selbst, zugleich die hchste Irrationalitt darstellbar wird.

Diese Proportion formt also diejenige unter den mathematischen Grßen, die von hchster Unbestimmtheit ist, zu einem der Vernunft zugnglichen Schema. Dabei ist der Vernunft an der Proportion einsichtig das Gleichsein der irrationalen Ver- hltnisse, also die Identitt und damit das Einsein von etwas, das ihr an ihm selbst unzugnglich ist. Eben dies jedoch entspricht der Ttigkeit des Demiurgen, der die sich in ungehriger Unordnung befindliche hchste Unbestimmtheit der gestaltlo- sen Materie durch die Proportion, in der sich diese Struktur spiegelt, zur Einheit des Kosmos formt. Insofern die physikalische Welt desTimaiosprinzipiell konzipiert ist als wechselseitige Durchdringung der Vernunft der Ideenwelt und der vernunft- losen, schicksalhaften Notwendigkeit der Materie, erscheint die Proportionenlehre als Lsungsschema des Delischen Problems – und das ist die vernnftige Struktur eines der Vernunft Widerstrebenden – als adquates Theorem der Verbindung von

59 Vgl. Krmer (1996), 261.

60 InTimaios53b heißt dies: „die Tiefe [hat] das Wesen der Flche um sich“; womit wohl gemeint ist: Die Tiefe hat die Flche als ihr Wesen um sich.

61 Dieses Schema absteigender Rationalittsgrade ist Gaiser (1962), 25, entnommen, der allerdings dem Zusammenhang zwischen Proportionslehre und Delischem Problem keine Beachtung schenkt.

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