Aufsätze -Notizen DIE GLOSSE
C)
Der Wärmeverlust hält sich in Grenzen.C) Neuer Sauerstoff wird mit der Frischluft wieder dem Wohn- und/
oder Schlafzimmer zugeführt.
® Die radioaktiven Emanations- gase aus den Wänden der Woh- nung werden größtenteils ent- fernt.
Letzteres ist zwar dem Fachmann bekannt, wird aber erst jetzt der Öffentlichkeit durch die Strahlen- forscher eindringlich vor Augen geführt; zumal neuere Untersu- chungen über Radioaktivität in Häusern uns klarmachen, daß die direkte Gammastrahlung der Bau- materialien unserer Häuser nicht unerheblich zur Exposition gegen- über der natürlichen ionisieren- den Strahlung beiträgt. Darüber hinaus aber zerfällt das in den Wänden sitzende Radium in radio- aktive Folgeprodukte (auch solche aus der Uran- und Thoriumzer- fallsreihA), von denen vor allen das Edelgas Radon und das Radionu- klid Polonium für die Inkorporie- rung wichtig sind.
Kritische Organe sind Lunge und Nieren. In der Lunge als „Abfang- organ" der Radon-Tochter-Radio- nuklide können Strahlen-„Bela- stungen" in der Größenordnung von 500 mrem/Jahr auftreten. Pro- fessor W. Jakobi, Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung, München, meint hierzu nach Quick: „Ich habe kürzlich Messun- gen durchgeführt. Wenn man die Raumbelüftung um zehn Prozent verringert, belastet das die Lunge mit einer vielfach stärkeren Strah- lendosis, als zum Beispiel ein Kernkraftwerk im Normalbetrieb abgibt. Von der derzeitigen Lun- genkrebshäufigkeit in unserer Be- völkerung entfallen etwa drei Pro- zent auf diese natürliche Radon- strahlung."
Also ist es wohl am besten, dem Übel an die Wurzel zu gehen und Häuser zu bauen, deren Wände kein giftiges Radongas aushau- chen. „Radon entsteht aus Ra- dium. Und das kommt überall in
der Erde vor, aus der ja unser Bau- material stammt. Besonders rei- chert es sich aber an in den Bau- zuschlagstoffen, im Chemiegips und in Schlackensteinen, die aus Kohleschlacke hergestellt wer- den", weiß der angesehene Fach- mann, Mitglied der internationalen Strahlenschutzkommission. „Viel- leicht kann man eines Tages die Wände mit Kunstharzen versie- geln. Das muß noch geprüft werden."
Weiterhin haben Jakobi und auch Gießener Strahlenforscher festge- stellt, daß in Kellerräumen die Ra- donkonzentration am höchsten ist. In manchen Kellerräumen soll sie sogar so hoch sein wie in ei- nem Uranbergwerk!
In solchen Gruben hat man (er- zählt Jakobi weiter) eindrucksvolle Erfahrungen mit der Radonstrah- lung gemacht. Es sei nicht mög- lich, aus den heute bei uns auftre- tenden Lungenkrebsfällen jene herauszufinden, die auf die Woh- nungsradioaktivität zurückzufüh- ren sind. Aber in den Eisen- und Urangruben Englands, Schwe- dens und Amerikas konnte bei ho- hen Radonbelastungen das ver- mehrte Auftreten des Lungenkreb- ses eingehend studiert werden.
Aus diesen Erfahrungen läßt sich das zusätzliche „Drei-Prozent-Ri- siko" in Deutschland abschätzen.
Die Bundesregierung will künftig noch weitere Energie-Sparmaß- nahmen in den gesetzlichen Bau- vorschriften festlegen. Ob sie die Strahlenschutz-Erkenntnisse dar- in berücksichtigt, ist mehr als frag- lich: „Ich habe schon vor andert- halb Jahren beim Bundesministe- rium des Innern auf das Problem der Radioaktivität hingewiesen und gebeten, das Wohnungsbau- ministerium zu informieren."
Doch der Professor wurde ver- höhnt: „Das einzige Ergebnis war, daß ich die Broschüre zugeschickt bekommen habe, Wie spare ich Energie in Häusern`."
Der Bürger kann also in Zukunft wählen: Erhöhtes Todesrisiko ent-
weder durch Sauerstoffdefizit in der Einatmungsluft und/oder durch (natürliche) radioaktive Strahlung.
Um diesen Gefahren weitgehend zu entkommen, bietet — so läßt sich abschätzen — z. B. ein Haus inmitten des Bodensees, positio- niert in der Mitte zwischen See- oberfläche und Seegrund, zusätz- lich gut belüftet, die besten Vor- aussetzungen zum diesbezügli- chen Überleben! Für ein solches Aqua-Haus spricht, daß auch durch die darüberliegende Was- sermasse ein weiterer Teil der Gammahöhenstrahlung absor- biert wird.
Ist der überlebende Bürger der Zu- kunft also ein Aquanaut? EHG
Verdrängungs- wettbewerb
Der Freiraum für karitative Initiati- ven, Aktivität und Hingabe wird in der Bundesrepublik Deutschland von Staats wegen immer mehr drastisch reduziert und minimiert.
Was noch gestern privater Aktivi- tät überlassen war, ist heute dem Staat als Staatsaufgabe aufge- drängt oder von ihm selbst als
„Gemeinschaftsaufgabe" über- nommen worden.
Die Folge dieser Entwicklung für den Staatsbürger ist, daß er sich durch die dadurch immer drük- kender werdende Steuerlast selbst außerstande sieht, wesentliche Teile seines Einkommens und Ver- mögens karitativ zu disponieren, daß er aber auch sich selbst durch die Aktivität des Staates entlastet fühlt und daß damit die unmittel- bare irrationale und spontane Ca- ritas aufs Ganze gesehen im Her- zen jedes einzelnen Bürgers ver- dorrt.
In dieser Begrenzung, Beschrän- kung und systematischen Mini- mierung des Freiraumes karitati- ver Aktivitäten wird nun als Folge
410 Heft 7 vom 14. Februar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aufsätze Notizen
Mangelerscheinung?
„ Im Krebs, der verzehrenden Krankheit, steckt viel Dynamik.
Der Kampf gegen diesen letzten Feind wird von Hunderttausenden von Forschern, Millionen von Ärz- ten und ungezählten Kranken ge- führt. Noch viel mehr Menschen nehmen in Gedanken daran teil.
Sorgen, Ängste, Hoffnung, Ver- zweiflung können in riesige Di-
S tidcl eutsch e 7 e i t un g
mensionen wachsen, wenn es um Krebs geht. Hier hat der Krieg der Lebenden gegen den Tod seine breiteste Front, und wer nicht kämpft, zeichnet wenigstens Kriegsanleihen, gibt Geld für Waf- fen. So hat die Deutsche Krebshil- fe viel gesammelt und viel ausge- geben für Krankenhausausrüstun- gen, Forschungsgerät oder Wer- bung zur Krebsvorsorgeuntersu- chung. Die 60 000 Einladungen zu einem Monsterkongreß zeigen aber, daß es der Krebshilfe an ver- nünftigen Verwendungszwecken für ihr Geld zu mangeln beginnt."
Ein Vorschlag zur Güte ..
„Mein Vorschlag: Frau Dr. Scheel hätte am 3. November (ein Sams- tag) . . . Gelegenheit gehabt, die Teilnahme der Ärzteschaft ihres
Kölner etaDternbeigtr
Wohnortes Köln zu sehen, wenn sie dem Aufruf zur Fortbildung ge- folgt wäre, der von der Uni Köln ausging zur ganztägigen Fortbil- dung mit dem Thema ,Nachbe- handlung und Nachsorge bei Tu- morleiden durch den niedergelas- senen Arzt', Frau Dr. Scheel nimmt teil an den Fortbildungsveranstal- tungen für die praktisch tätigen
PRESSESTIMMEN
Ärzte in ihrem Wohnort, und wir übrigen Ärzte lesen die Zeitungs- veröffentlichungen der Deutschen Krebshilfe, um zu begreifen, daß Klappern zum Handwerk gehört und nicht nur die stille tägliche Pflichterfüllung."
Dr. med. Christa Dehnert, Brühl
Desinteresse unterstellt
„ .. Noch heftiger reagierten jetzt die Ärzte, als ihnen die Präsidentin der Deutschen Krebshilfe unver- blümt Desinteresse an einem der Nachbehandlung von Krebskran- ken gewidmeten Kongreß vorwarf.
Von rund 60 000 eingeladenen Medizinern wollten nur 29 kom- men. Daraufhin sagten die Veran-
Nina OtaDt•übeigtr
stalter — Hartmannbund und Krebshilfe — das Treffen ab, aller- dings nicht ohne spitz hinzuzufü- gen: Leider haben wir den Infor- mationsbedarf bei Deutschen Ärz- ten überschätzt. Deutschlands er- ster Mediziner mochte das nicht auf den Kollegen sitzenlassen. Der Präsident der Bundesärztekam- mer griff die Präsidentin der Krebshilfe scharf an ... "
Michael Brandt
BLÜTENLESE
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Aus der Augsburger Allgemei- nen Zeitung vom 20. Juli 1836:
„. . und erkläre hiermit jeden, der sagt oder zu verstehen gibt, ich wäre mittel- oder un- mittelbar durch Goethe auf meine Idee der Wirbeldeutung der Schädelknochen gekom- men, für einen böshaften Lüg- ner, Verleumder und Ehrab- schneider.
Professor Dr. med. Oken"
Verdrängungswettbewerb
dieser Entwicklung ein krankhaft erscheinendes Degenerationsphä- nomen sichtbar:
Es beginnt eine wechselseitig rui- nöse Konkurrenz der karitativen Initiativen mit unverhältnismä- ßig steigenden „Werbungsko- sten" und mit einem nicht von der rationalen Rangfolge der Notwen- digkeiten, sondern von der Clever- ness in Propaganda und Showge- schäft gesteuerten Erfolgschance.
Damit ist es letztendlich dem Ge- schick und Glück im Wettbewerb von Werbeagenturen und PR-Ab- teilungen überlassen, ob Krebshil- fe, Kriegsgräberfürsorge, Behin- dertenhilfe oder Brot für die Welt den größten Anteil mitmenschli- chen Mitleides auf ihren Konten verbuchen können. Wer die wir- kungsvollste Show abzieht, kas- siert den größten Vorschuß auf Gotteslohn für gute Werke.
Zu einem ganz besonders wir- kungsvollen Instrument des kari- tativen Managements haben sich Schirmherrschaft und Aktivität po- litischer Prominenz entwickelt.
Paradebeispiel: die Deutsche Krebshilfe. Hier ist mit professio- neller Marketing-Strategie eines potenten PR-Teams das öffentli- che Ansehen der „Ersten Frau im Staate" eingesetzt worden, um hunderte von Millionen Mark für die Deutsche Krebshilfe einzuwer- ben, wodurch ganz sicher weniger prominent und weniger professio- nell beworbene karitative Aufga- ben in einem Verdrängungswett- bewerb bisher nicht gekannten Ausmaßes ins Hintertreffen gera- ten sind.
Ist die Teilnahme von politischer Prominenz am Wettbewerb um die Opferbereitschaft der Bürger nicht als solche bereits Symptom dafür, wie sehr der Staat und seine Re- präsentanten nun schon gewohnt sind, in die freien Initiativen einzu- greifen, sie zu usurpieren und da- mit auch die noch vorhandenen Reste spontaner Hilfsbereitschaft zu lenken? FM
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 14. Februar 1980 411