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ie 20-jährige New Yorkerin Jazlyn Bradley bringt bei einer Körper- größe von nur 1,67 Metern 122 Kilo auf die Waage. Das reichte jetzt ihrem Vater: Er verklagte Mc- Donald’s wegen des Übergewichts seiner Tochter. In der Annahme, McDonald’s sei gesund für seine Kinder, habe er sie mit Burgern, Chicken-Nuggets und Milkshakes großgezogen und müsse nun schockiert – weil nicht gewarnt – das Ergebnis sehen.Vergleichbare Fälle gibt es in den USA genug. Bekanntlich muss der Ta- bakkonzern Philipp Morris an Angehö- rige verstorbener Kettenraucher hohe Entschädigungssummen zahlen. Dass übermäßiges Rauchen Lungenkrebs ver- ursachen kann, wussten die Verstorbe- nen nicht – so die Argumentation der Hinterbliebenen.
Im US-Staat Illinois trank ein junger Mann zwischen seinem 17. und 21. Le- bensjahr so viel Whiskey, dass er den Schulabschluss verpasste, den Führer- schein und alle Jobs verlor. Dann machte
er eine Entziehungskur und verklagte den Hersteller seines Whiskeys auf Scha- denersatz, weil dieser auf der Flasche nicht darauf hingewiesen hatte, wie ge- fährlich Alkohol sei.
Nun liegt es nahe, dies alles als „typisch amerikanisch“ abzutun.Weit gefehlt! Das Oberlandesgericht Düsseldorf musste jetzt die Klage eines zuckerkranken Richters (!) gegen den Süßwaren-Herstel- ler Masterfoods verhandeln. Der Jurist
führt seinen Diabetes auf den Verzehr von Schokoriegeln zurück und monier- te den fehlenden Warnhinweis. Die Klage wurde abgeschmettert! Aber dennoch: Wenn schon Richter kla- gen – dann können das Normalbür- ger erst recht. Weinhändler, Wurst- fabrikanten, Schnapsbrenner und Schokoladenproduzenten müssen aufpassen. Wer weiß, vielleicht wer- den auch deutsche Gerichte, dem Ver- braucherschutz ohnehin immer mehr zugetan, bald derartige Haftpflichtan- sprüche anerkennen.
Die Tendenz wird klar: Es ist immer ein anderer schuld! Und der soll zahlen.
Wenn Skifahrer, Freeclimber und Dra- chenflieger verunglücken; Übergewich- tige, Trinker und Raucher erkranken – irgendeiner müsste sich doch finden lassen, der dafür geradesteht. Geradeste- hen wollen zum Beispiel die Kranken- kassen nicht mehr – ihre geplanten Bo- nus-Tarife sollen ja gesundheitsbewuss- tes Verhalten honorieren. Konsequenz:
Wer sündigt, kriegt weniger oder zahlt mehr . . . Bernd Ellermann
S
o, so, da hat sich der Ger- hard Schröder in der Vor- karnevalszeit im Kanzler- amt mit deutschen Spitzen- bankern getroffen. Die einen sagen, es sei halt ein schlichter Informationsaustausch gewe- sen, die anderen flüstern, es wären dort gar Horror-Szena- rien erörtert worden.Ein eilig zusammengerufe- nes Geheimtreffen sei das ge- wesen, und die Herren hätten an diesem besagten Sonntag, es soll der 16. Februar gewe- sen sein, sogar einen Notfall- plan für havarierte oder ins Schlingern geratene Banken eruiert.
Den Vogel, wenn es denn stimmt, schoss der Chef der Deutschen Bank ab. Josef Ackermann habe bei dieser trauten Runde angeregt, eine
„Bad Bank“ zu gründen, die unter staatlicher Federführung in Not geratenen Banken faule Kredite abkauft. Für sein Insti-
tut schlösse er aber eigentlich solche Verkäufe aus.
Entweder weiß der Mann mehr als der Rest der Branche, oder er zündelt aus Brandlust – sein Institut sei ja, weil nicht betroffen, fein raus, was ich mir eigentlich nicht denken kann.
So verrückt kann einer ja gar nicht sein, andere Banken ins Zwielicht pressen zu wollen.
Oder Josef Ackermann hat, wie ich mir vorstellen könnte, einen akuten Anfall von Um- nebelung des gesunden Men- schenverstandes erlitten. Der Primus des deutschen Geldge- werbes darf solch horrible Sa- chen allenfalls denken, aus- sprechen jedoch keineswegs.
Wie gesagt, kein Außenstehen- der weiß, was dort wirklich ge-
sprochen wurde und welcher Teufel den geritten hat, der diese Gerüchte in die Presse brachte.
Der Vorschlag des Deutsch- bankers, so er ihn wirklich aus- gesprochen hat, wäre in der Tat sensationell. Wenn der Staat betroffenen Banken wirklich für faule Kredite zur Seite springen soll, kann er sich di- rekt selbst mit ins Grab legen.
Die üble Gemengelage gab der Börse, wer will es ihr ver- denken, den Rest. Zu den Irak- Ängsten brachte diese „Bad- Bank“-Story das Fass zum Überlaufen. Der DAX rausch- te bei hohen Umsätzen auf fast 2 400 Punkte, dem niedrigsten Stand seit 1996. Entsetzen al- lerorten.
Nun wäre es ein Leichtes, die Sache aus der Welt zu schaf- fen, so oder so. Entweder der Kanzler stellt sich hin und spricht einige klärende Worte.
Bis jetzt Fehlanzeige. Prima Krisenmanagement. Oder der böse Bube Ackermann steigt in die Bütt und bringt Ordnung in das von ihm möglicherweise ohne Not angezettelte Angst- szenario. Doch der taucht ein- fach ab, tourt durch Asien und ist für niemanden zu sprechen.
Klarer Fall von Vogel Strauß.
Wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, haben wir es mit einer Riesenblase an hysteri- scher Aufgeregtheit zu tun. Kei- ne Frage,die deutschen Banken befinden sich in einer schweren Ertragskrise. Aber von einer Liquiditätsnot zu sprechen oder einen Systemzusammenbruch zu befürchten, dazu gibt es mei- nes Erachtens wirklich keinen Anlass. Oder ich habe den Sprung in der Schüssel. ) S C H L U S S P U N K T
[44] Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 107. März 2003
zur Bankenkrise
Sprung in der Schüssel
Börsebius
Post Scriptum