Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
NOTFALL IM BEREITSCHAFTSDIENST
Die stumpfe Herzverletzung
Die zunehmende Zahl von Verkehrs-, Arbeits- und Sportunfällen hat in den letzten Jahren auch die Zahl traumatischer Herzschäden ansteigen lassen. Der stumpfen Herzverletzung kommt dabei eine beson- dere Bedeutung zu. Sie ist weitaus häufiger als die penetrierende Herzverletzung. Ursache ist in der Regel eine direkt auf das Präkordium einwirkende Gewalt durch Schlag oder Stoß mit einem festen stumpfen Gegenstand. Das ist zum Beispiel der Fall beim Aufprall des Brustkorbs auf das Steuerrad im Rahmen eines Autounfalls. Aber auch ein Faustschlag gegen das Brustbein, der Aufprall eines Balls, ein Hufschlag oder ein Fall auf die Brust bei einem Sturz haben eine ähnliche Wirkung. Außerdem kann es bei Kompressionen des Brustkorbs (Überfahrunfälle, Verschüttungen), bei einer Kompression des Bauchraums (Bauchlandungen beim Sprung vom Turm eines Schwimmbads) sowie bei Explosionen und Detonationen zu stumpfen Herzverletzungen kommen.
Symptomatik
Oft besteht eine Diskrepanz zwischen der Schwere der Verletzung des Herzens einer- seits und den geringen äuße- ren Verletzungszeichen ande- rerseits.
In etwa einem Drittel fehlen äußere Verletzungszeichen fast ganz.
Meist in unmittelbarem Zu- sammenhang mit einem Trau- ma, selten auch erst nach ei- nem zeitlichen Intervall von Stunden bis wenigen Tagen, Auftreten retrosternaler und präkordialer Angina-pectoris- ähnlicher Schmerzen, die je- doch nicht auf Nitropräparate ansprechen.
Häufig sind die Schmerzen nur sehr gering und werden — vor allem bei Mehrfachverlet- zungen — durch andere Verlet- zungsfolgen überlagert, so daß eine Herzverletzung leicht übersehen wird, wenn nicht speziell danach gesucht wird.
Bei der Auskultation oft ohr- nahes, hochfrequentes, systo- lisch-diastolisches Perikard-
Diagnose
Bei jeder Verletzung muß man auch die Möglichkeit einer Mitverletzung des Herzens in Betracht ziehen.
Die Diagnose wird in der Mehrzahl der Fälle nicht ge- stellt, da wegen der oft gerin- gen Beschwerden und äuße- ren Verletzungszeichen nicht an eine Herzverletzung ge- dacht wird.
Neben der Anamnese ist vor allem eine EKG-Aufzeichnung wertvoll. Es gibt allerdings keine spezifischen beweisen- den Veränderungen.
Grundsätzlich sind sämtliche EKG-Veränderungen möglich, insbesondere Endteilverände- rungen, Rhythmusstörungen und Erregungsleitungsstörun- gen. In Ausnahmefällen Kam- merflimmern oder Asystolie.
Selten Bilder wie bei einem frischen Infarkt.
Sicherung der Diagnose bei kurzfristigen Veränderungen, entweder im Vergleich mit ei-
Therapie
Leichte Fälle bedürfen keiner besonderen Therapie, jedoch in jedem Fall einer Ruhigstel- lung mit enger ärztlicher Überwachung unter stationä- ren Bedingungen, da die Schwere der Verletzung zu- nächst nur ungenügend abzu- schätzen ist, und die Gefahr verzögert auftretender Herz- rhythmusstörungen und Blu- tungen, die ein sofortiges ärztliches Eingreifen erforder- lich machen, groß ist.
Sauerstoff, Analgetika, Digita- lis, Diuretika und Antiarrhyth- mika soweit erforderlich.
Bei hypovolämischem Schock Infusionen, Plasmaexpander.
Beim Vorliegen einer Herz- beuteltamponade kann eine Perikardpunktion akut lebens- rettend sein. Allerdings wird unter Umständen durch die Tamponade infolge des er- höhten Drucks auf das Myo- kard auch eine Blutstillung begünstigt, so daß eine Peri-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 39 vom 27. September 1979
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Die stumpfe Herzverletzung
Symptomatik
reiben, das aber sehr flüchtig sein kann, insbesondere dann, wenn sich ein Hämope- rikard oder ein größerer Peri- karderguß entwickelt.
Neigung zu Tachykardien und Arrhythmien sowie bei schwe- ren Verletzungen Zeichen der Herzinsuffizienz.
Bei Verletzungen der Herz- wand mit Blutungen in den Herzbeutel Zeichen einer Herztamponade mit Halsve- nenstauung, Abfall des arte- riellen Blutdrucks, Luftnot, Unruhe, Angstgefühl und kal- tem Schweiß.
Bei eröffnetem Perikard Blu- tung in die Thoraxhöhle und Zeichen des hämorrhagischen Schocks.
Bei ausgeprägten Verletzun- gen mit Ruptur der Herzwand, des Kammerseptums oder Verletzung der Herzklappen meist schweres lebensbe- drohliches Krankheitsbild mit Zeichen der myokardialen De- kompensation.
Diagnose
nem EKG vor dem Unfall oder bei Kontrollen nach dem Unfall.
Enzymerhöhungen sind mei- stens unzuverlässig wegen gleichzeitiger anderer Verlet- zungen, außer Erhöhung der myokardspezifischen CPK- MB.
Bei Herzbeuteltamponade Si- cherung der Diagnose durch Perikardpunktion.
In der Klinik außerdem Echo- kardiographie, Röntgen, Computertomographie.
Therapie
kardpunktion ambivalent wir- ken kann. Deshalb bei relativ stabilen Kreislaufverhältnis- sen lieber zunächst den Pa- tienten in das nächsterreich- bare Krankenhaus einweisen.
Dort ist gegebenenfalls eine Thorakotomie mit lokaler Blutstillung erforderlich.
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Volker Carstens Professor Dr. med.
Hans Hermann Hilger Medizinische
Universitätsklinik und Poliklinik
Lehrstuhl Innere Medizin III und Abteilung für Kardiologie (Direktor: Professor Dr. med.
Hans Hermann Hilger) der Universität zu Köln 5000 Köln 41
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