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Archiv "Die Kelten, zum Beispiel: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah" (11.12.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Die Kelten, zum Beispiel

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute

liegt so nah

Nachdem das Vorbild nordame- rikanischer Indianerstämme und des Trappertums die Diskussion um naturverbundeneres Leben wieder verlassen haben und die Suche nach einer alternativen Spiritualität sich im Dunst der ja- maikanischen Rastafaris aufge- löst hat, zerstört inzwischen der Blick auf die Disco-Paläste der Baghwan-Sekte in bundesdeut- schen Großstädten vollends auch die Sicht auf Indien als po- pulärstem Fluchtpunkt vor der haßgeliebten Industriegesell- schaft. Mit dem Dahinwelken jeglicher Idole scheint es lo- gisch-naheliegend, die Grundla- gen eines Kontrastdenkens nun- mehr auf dem Boden heimatli- cher Frühgeschichte zu bauen, anstatt weiterhin seine Erfüllung in der geistigen Emigration zu suchen.

Schon 1981 fand die Alternativ- szene in der Friedensbewegung

ihr patriotisches Bewußtsein wieder. Den vergangenen Win- ter über trug ein parallel durch die Medien geisternder Trend zu einer Umorientierung bei: Man trug wieder Heimat. Was dem Regisseur Edgar Reitz ein Titel als verklärende Grundlage für ein aufreibendes fünfzehnstün- diges Kino- und Fernsehaben- teuer war, wurde ebenso Kon- zept für eine Welle neuer ameri- kanischer Farmerfilme, die auch hierzulande Kritiker und Publi- kum bewegten. „Menschen am Fluß", „Ein Platz im Herzen"

und „Country" heißen sie, ha- ben mit Sissy Spacek, Sam She- pard und Jessica Lange ebenso- wenig triviale wie unkritische Darsteller zu bieten, oder sind — im Falle „Ein Platz im Herzen" — gar mit Oscarehren bedacht worden. Der „Heimatboom" soll hier aber nur eine Stoßrichtung weisen, um auf die Spuren der Kelten zu gelangen.

Daß der europäische Boden einstmals eine außerordentlich erforschenswerte und gesunde Naturmystik besaß, wurde lange genug beflissentlich übersehen.

Den zivilisationsüberdrüssigen Deutschen hinderte das latente Problem, daß ihm als naturvölki- sches Vorbild nichts ferner lie- gen darf als seine germanischen Ahnen, sollte er sich nicht ernst- haften Faschistisierungsver- dächtigungen aussetzen wollen.

Auffallend ausgeprägt ist ausge- rechnet im Süden unseres

Sprachbereichs das Bewußt- sein, daß man ja doch weniger germanisches als vielmehr kelti- sches Blut in seinen Adern ha- be. Historisch hat dies durchaus seine Richtigkeit, wie vielerlei Ausgrabungen eindeutig kel- tisch geprägter Kultur bezeu- gen, die südlich der Main-Linie gemacht wurden. Allerdings wa- ren bereits zur Zeitenwende die kulturellen Trennlinien zwi- schen Germanen und Kelten all- zu unscharf, als daß das vielzi- tierte bayerische Anderssein in irgendeinen Bezug dazu ge- bracht werden könnte. Hier äu- ßert sich schon im Ansatz das Problem, wer eigentlich genau die Kelten waren und wen man als ihre eindeutigen Erben be- nennen kann.

Sollte Stonehenge wegen Beschädigungen durch Touristen tatsächlich gesperrt werden, muß auch der Druiden- kult nach hundert Jahren Tradition seinen Mittsommertreffpunkt in das geplante Ersatz-Stonehenge verlegen

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 50 vom 11. Dezember 1985 (59) 3785

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Keltisches Bewußtsein

Keltisches Sommerfest am Ottensteiner Stausee nahe Zwettl, Niederösterreich, September 1984: Während aus dem Dickicht bizarre Klänge dringen, harrt das Volk dem nächtlichen Abbrennen einer Opferfigur Foto: AVIVA

Aus dem Dunkel — in das Dunkel

Die Kelten kamen „aus dem Dunkel", wie uns der Titel eines Standardwerkes von Gerhard Herrn im Econ-Verlag klarmacht.

Demnach schien sich der Herd einer Völkerwanderungswelle, die sich im Lauf der zwei vor- christlichen Jahrtausende vom Schwarzen Meer bis zum Atlan- tik erstrecken sollte, nördlich des Balkans zu liegen, wo sich der keltische Volkstypus über ei- nen nicht exakt festlegbaren Zeitraum aus verschiedenen Vorläuferstämmen entwickelt hatte. Bei aller Brachialität die- ser wild anzusehenden kriege- rischen Männer wie Frauen zeichnete sie doch ein außeror- dentlicher Respekt vor ihren geistigen, wissenschaftlichen, gar juristischen Führern, den Druiden, aus. Bis zu zwanzig Jahre dauerte die Ausbildung ei- nes Druiden, im Dialog mit der

Natur und ihren Göttern und durch mündliche Weitergabe vererbten Wissens die notwen- dige Reife zu erlangen.

Seit dem Niedergang der Kelten waren druidenähnliche Typen- gestalten am unverfälschtesten in der christianisierten Mytholo- gie Irlands und Wales' zu finden.

Als nächstliegende Figur bietet sich die des Magiers Merlin an, denn die durchaus als spätkel- tisch durchwachsen verstande- ne Artuslegende mit den ihr ver- knüpften Stonehenge-Rätseln hat zu keinem Zeitpunkt eine derartig breite Themenvariation erfahren, wie sie der Fantasy- getränkte Buchmarkt der achtzi- her Jahre aufweist.

Selbst der Vorgang der Unterjo- chung und Verdrängung, der die Kelten einst von der Weltfläche hat verschwinden lassen, scheint im irischen Konflikt ge- gen England schon seit Jahr-

hunderten als bewegtes Erinne- rungsbild erhalten. Dieses Ima- ge der Widerstandskämpfer wird auch durch die populärste keltische Typengestalt vermit- telt, in den Abenteuern von Asterix dem Gallier. Weit und breit weiß man der eindeutigen Lokalisierung wegen mit den Galliern mehr anzufangen als mit dem Oberbegriff der Kelten.

Aber noch in den wilden Sechzi- gern schien es sogar dem Mün- chener Kauka-Verlag ungeeig- net, die schwammigen völker- kundigen Vorstellungen seiner Leser überzustrapazieren. Er funktionierte Asterix den Gallier in seiner ersten deutschsprachi- gen Übersetzung kurzerhand zu Siggi dem Germanen um.

Kelten in der Popkultur

Erst kürzlich hat die Stadt Neuss zu ihrem Jubiläum mit der Her- ausgabe eines neugetexteten 3786 (60) Heft 50 vom 11. Dezember 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Met hin, Guiness her: Auch die deutsche Punk-Szene läßt sich derzeit iri- sche Folklore, made in London, gefallen. Im Namen der Band, The Pognes, grüßt gar Götz von Berlichingen auf gälisch Foto: Teldec

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Keltisches Bewußtsein

Asterix-Comics Coleur bekannt, wes Boden es war, auf dem die Römer vor zweitausend Jahren ihr Lager Novaesium befestig- ten. Möglich, im allgemeinen Asterix-Boom ein Indiz für wie- dererwachtes gallokeltisches Bewußtsein zwischen Rhein und Atlantik zu wittern; der aufsässi- ge Naturbursche als Symbol des Aufbegehrens in einer durch- strukturierten Welt, die vom rö- mischen Ordnungsapparat ge- prägt wurde.

Doch wenden wir uns dem Kern des keltischen Gedankens zu, der vor allem durch Publikatio- nen des Dianus Trikont-Verlages just im Vorjahr zum Keimen ge- bracht worden ist. Der Dianus Trikont-Verlag, auch er, ist in München beheimatet und spie- gelt mit seiner siebzehnjährigen Veröffentlichungsgeschichte die obligatorische 68er-Entwick- lung vom Revolutionärpoliti- schen zum Ökologismus wider, geht aber darüber hinaus, ledig- lich bloße Ergänzungslektüre zu grünengagierter Gesellschafts- kritik zu stellen.

sigten Art, die auf altem Wissen fußen und mit einem mystischen Einschlag Hand in Hand gehen.

Im Rahmen seines Programms verstehen sich die Kelten nicht als eine historische Angelegen- heit, die vor knapp zwei Jahrtau- senden zu existieren aufhörte, sondern als Träger von Brauch- tümern und Mythen, die seit zwei Jahrtausenden in Europa schlummern.

Ungeeignet für eine Qualitäts- verlagerung des landläufigen Keltenbegriffs erweist sich Jean Markales „Die keltische Frau", das auf 370 Seiten mit umfang- reichen bibliographischen An- gaben die keltische Geistes- und Götterwelt samt zugehöri- ger Legenden mit Schwerpunkt Frau erschöpfend behandelt. Zu erschöpfend, möchte man sa- gen, die allzu wissenschaftliche Tiefenforschung Markales ist möglicherweise für Historiker und Semiotiker interessant, überfordert aber den Laien. Wie ein wildes Gewächs aus einem Kraut- und Rübengarten mutet dagegen das ebenso handliche

wie unkomplizierte Taschen- büchlein „Wiederkehr der Kel- ten" an, in dem die mittlerweile 89jährige Martha Sills-Fuchs ihr Wissen um die Lebensweise der Kelten mit eigenen Erfahrungen in Beziehung setzt, welche Bräuche sich bis heute außer- halb des Stadtlebens bestätigt und erhalten haben.

Dieses Bewußtsein tatsächlich wiederzubeleben wurde bereits im Spätsommer letzten Jahres im niederösterreichischen Wald- viertel eine Tagung einberufen, zu der das neu erschienene Buch „Keltisches Bewußtsein"

eine programmatische Nachlese stellt.

Konferenz im Wald

Während dieses Seminars galt es, den Teilnehmern in einem Wechsel von Vorträgen, künst-

lerischen Darbietungen und Workshops eine Ahnung kelti- scher Riten und Naturphiloso- phie zu vermitteln, die durchaus im modernen Privatleben, der Politik und der Ökologie Nieder- Statt dem dialektischen Materia-

lismus ist nach konsequenter Gratwanderung das Seinbestim- mende Bewußtsein zum roten beziehungsweise grünen Ver- lagsfaden geworden. Zum Ver- ständnis für den entscheiden- den Unterschied führt Verlags- leiter Herbert Röttgen gerne als Maxime die Worte eines Hopi- Indianers an: „Mir ist aufgefal- len, daß die Ökologiebewegung auf keiner spirituellen Grundla- ge basiert. Und ich frage mich wie jemand die Erde retten will, der nicht in geistigem Kontakt mit ihr steht."

Das Dianus Trikont-Spektrum beschäftigt sich demgemäß mit zum Teil durchaus handfesten Grundlagen, die einem solchen spirituellen Bewußtsein voran- gestellt sind. Dazu gehört die Beschäftigung mit Religion und Religionen, ebenso mit Natur- wissenschaften der vernachläs-

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 50 vom 11. Dezember 1985 (61) 3787

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Auf dem europäischen Festland wird uns weiterhin keltischer Wind um die Nase wehen, solange das französische Nationalgefühl intakt bleibt, die beliebtesten Zigaretten „Gauloises" heißen, Asterix sich als Alibicomic in Kulturkritikerkreisen erhält und die Druiden für Immobilien werben; ob da- bei allerdings ein wie auch immer geartetes keltisches Bewußtsein eine Rolle spielt, darf wohl füglich bezweifelt werden Fotos (2): Econ Verlag

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KULTURMAGAZIN Keltisches Bewußtsein

schlag finden könnten. Zum Auf- takt von vier der fünf Veranstal- tungstage betonte eine mor- gendliche Harfenmeditation die spirituelle Gewichtung des Se- minars, tagsüber wechselte sich Wissenschaftliches in Vorträgen namhafter Kapazitäten zu kelti- scher Geschichte, Geomantie, Tradition und Mythologie mit Selbstengagement in Semina-

ren, Workshops und Diskus- sionsrunden ab. Bestandteil

letzterer waren schamanische Freiluftübungen, bei denen die Beteiligten mit mäßig, bisweilen gar übermäßig starken Erleuch- tungen die Wirksamkeit von

Druidenritualen, beispielsweise einer Wassermeditation, an Kör- per und Geist verspüren konn- ten.

Die musischen Soiröes boten selbstverständlich spätkeltische Kost. Neben Musik bretonischer Art und frischfolkloristischen Klängen der irischen Gruppe

„Grannog", wurden Waldvierte- ler-Lieder von Lotte Ingrisch ge- spielt, die außerdem im Tages- programm über die lokalen Hei- matkobolde referierte.

Über die Veranstaltungen im einzelnen und über ihr Gesamt- konzept wurde bereits im „Spie- gel" reichhaltig gestichelt. Wei-

teres kann man der Buchveröf- fentlichung entnehmen, die auch die Seminarabschlußdis- kussion „Liegt Europas Zukunft in seinen Anfängen?" enthält.

Dort erfuhr man seinerzeit, daß die heraufbeschworene Kelten- seligkeit während des Seminars doch gewaltig zur „Wischi-Wa- schi-Keltisiererei" ausgeufert sei, die Kritikfähigkeit gegen- über Mißbrauch von Außen ein- schlummen ließ und so der Ger- manomanie des Dritten Reiches gefährlich nahe kam.

Die Zukunft Europas im Kelten- tum scheiterte also vorerst an der Barriere der guten alten deutschen Vergangenheitsbe- wältigung, an der jede vorüber- gehende Laune zerredet wird, bevor eine bleibende Idee dar- aus erwächst. Christian Kohl

Literaturhinweise: Herrn, Gerhard:

Die Kelten. Das Volk, das aus dem Dunkel kam. Econ, Düsseldorf/Wien 1975; Sills-Fuchs, Martha: Wieder- kehr der Kelten. Dianus Trikont, München 1984; Markale, Jean: Die keltische Frau. Dianus Trikont 1984;

Lancelot Lengyel: Die Kelten. Her- mann Bauer, Freiburg; sowie diver se Aufzeichnungen von Seminarver- anstaltungen auf Cassetten des Avi- va W. Dahlberg-Verlages, Frankfurt.

Evangeliar Heinrichs des Lö- wen in Berlin — Im Berliner Kunstgewerbemuseum, Tiergar- tenstraße, kann bis zum 10. Ja- nuar 1986 eine spektakuläre Ausstellung besucht werden: Ei- nes der bedeutendsten Bücher der deutschen Geschichte, das Evangeliar des Welfenherzogs Heinrichs des Löwen wird in Berlin zusammen mit dem soge- nannten „Welfenschatz" ge- zeigt, dem Kirchenschatz des

Braunschweiger Dorns, für den das Evangeliar einst geschaffen wurde. Vor zwei Jahren wurde es bei Sotheby's in London für 32,5 Millionen Mark gemeinsam von Bundesrepublik Deutschland, Bayern, Niedersachsen und der Stiftung Preußischer Kulturbe- sitz „zurückgeholt". WK Carl Spitzweg in München — Bis zum 2. Februar 1986 zeigt das Haus der Kunst in München eine umfassende Retrospektive des Werkes von Carl Spitzweg (1808-1885) mit Leihgaben aus aller Welt. Und weil die Stadt München ihren großen Sohn zur 100. Wiederkehr seines Todes- jahres gleich richtig ehren will, sind in der Schack-Galerie, Prinzregentenstraße 9, bis 2.

Februar „Spitzweg, Begegnung mit Moritz von Schwind und Ar- nold Böcklin" und im Palais Preysing, Prannerstraße 2, bis zum 31. Januar Zeichnungen und Skizzen von Spitzweg zu se- hen. EB Marc Chagall in Mainz — Das Landesmuseum Mainz stellt bis zum 19. Januar 1986 die frühe Druckgraphik von Marc Chagall aus als Dank der Stadt Mainz und des Landes Rheinland-Pfalz für die von Chagall geschaffe- nen neun Glasfenster der Main- zer Pfarrkirche St. Stephan, die heute zu einem besonderen An- ziehungspunkt in Mainz gewor- den sind. LM

Aktuelle Kulturnotizen

3788 (62) Heft 50 vorn 11. Dezember 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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