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Archiv "Behutsamer Umgang mit sexuell missbrauchten Patientinnen" (15.10.2004)

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S

exueller Missbrauch ist ein gesell- schaftlich relativ häufiges Phäno- men. Mehrere Befragungen von Be- rufsschülerinnen ergaben übereinstim- mend Prävalenzen von missbrauchlich vollzogenem Geschlechtsverkehr (geni- tal, oral, anal) von zwei Prozent und von konkreten sexuellen Manipulationen von etwa zehn Prozent (1). Da die Pati- entinnen (der Autor bezieht sich über- wiegend auf missbrauchte Frauen, meist sind die Vorschläge aber auch auf Män- ner übertragbar) sich dabei häufig in ei- nem veränderten Bewusstseinszustand befanden, bestehen bei bis zu 50 Prozent keine konkreten bewussten Erinnerun- gen im biografischen Gedächtnis an diese Situationen. Dennoch sind im emo- tionalen Gedächtnis szenische Erinne- rungen abgespeichert, die in ärztlichen Untersuchungssituationen aktiviert (ge- triggert) werden können (5). Von daher ist es für Ärzte besonders wichtig, diese Zusammenhänge zu kennen. Erschwe- rend kommt hinzu, dass die Patientinnen früher häufig schlechte Erfahrungen bei den Versuchen gemacht haben, ihr Erle- ben zu thematisieren. Sowohl fehlende konkrete Erinnerungen als auch schlech- te frühere Erfahrungen tragen dazu bei, dass nur circa sieben Prozent der betrof- fenen Patientinnen bei Ärzten die The- matik von sich aus ansprechen. Werden sie von den Behandlern angesprochen, sind aber 70 Prozent gesprächsbereit (6).

Tatsächlich sprechen Ärzte von sich aus die Thematik aber nicht an. (8) Das heißt, die Behandler müssen lernen, solche Ge- spräche zu führen.

Da sexuelle Missbrauchserfahrungen verstärkt zur Ausbildung seelischer oder somatoformer Störungen disponieren (2), muss in ärztlichen Praxen mit einer entsprechend erhöhten Prävalenz von

traumatisierten Patientinnen gerechnet werden. Ärztliche Untersuchungen brin- gen die Patientinnen mit einer Vielzahl von traumaassoziierten Auslösereizen in Verbindung. Da die Patientinnen ihre dadurch angestoßenen Erlebnisweisen selbst nicht verstehen, können sie sich auch nicht angemessen verhalten. Ent- weder wirken sie unkooperativ und schwierig, belasten damit die Beziehung, zwischen Arzt und Patient oder sie las- sen die Untersuchungen stumm (und möglicherweise dissoziiert) über sich er- gehen, was aber eine Retraumatisierung bedeutet. Es wäre daher wünschenswert, wenn möglichst alle ärztlichen Behand- ler über gewisse Basiskenntnisse und Fähigkeiten zur Beziehungsgestaltung mit sexuell traumatisierten Patientinnen verfügten.

Missbrauchsassoziierte Symptomatik

Zum Verständnis der Problematik sollen hier einige Besonderheiten der sexuell traumatisierten Patientinnen kurz skiz- ziert werden. In den traumatisierenden Situationen befanden sich die Patientin- nen in einem Zustand großer Ohnmacht und Abhängigkeit. Sie mussten sich dem Willen der Missbraucher unterwerfen und konnten kaum oder keinen offenen Widerstand leisten. In entsprechenden Untersuchungssituationen besteht da- her die Gefahr, dass die Patientinnen wiederum nicht offen ihre Bedürfnisse vertreten, sondern auf indirekte, kör- persprachliche Kommunikationssignale ausweichen. Daher werden konkrete Hinweise zum Umgang mit solchen Si- tuationen gegeben, damit sich die negati- ve, traumaspezifische Interaktion nicht wiederholt. Es gibt keine traumaspezifi- schen Symptome, die zwingend auf ei- nen sexuellen Missbrauch schließen las- sen. Anderseits gibt es relativ typische

Behutsamer Umgang

mit sexuell missbrauchten Patientinnen

Zusammenfassung

Sexueller Missbrauch ist ein häufiges Phäno- men; er stellt einen wichtigen Kofaktor bei der Entstehung psychischer oder psychosomati- scher Beschwerden dar. Bevor der entsprechen- de Entstehungszusammenhang erkannt wird, suchen die Patientinnen wegen unspezifischer Beschwerden in der Regel Hausärzte oder primär behandelnde Internisten auf. Hier be- steht die Gefahr, dass durch unsachgemäßes Vorgehen bei körperlichen Untersuchungen ei- ne Retraumatisierung ausgelöst wird. Hiermit konfrontierte Ärzte sollten über Grundkennt- nisse der Störungsentstehung verfügen und die basalen Regeln der Beziehungsgestaltung und Gesprächsführung kennen, um den Patien- tinnen angemessen begegnen und sie einer spezifischen Behandlung zuführen zu können.

So können Fehlbehandlungen und lange Lei- denswege vermieden werden.

Schlüsselwörter: Sexualdelikt, Psychosomatik, hausärztliche Versorgung, Arzt-Patient-Bezie- hung, posttraumatische Belastungsstörung

Summary

Sexually Abused Patients in the General Practice

Sexual abuse in childhood happens frequently, and it is a relevant cofactor for the develop- ment of mental or psychosomatic disorders.

Primarily patients are consulting physicians with non-specific symptoms long before the specific origin is revealed. Physical examination or procedures bare the risk of retraumatization if not performed appropriately. Especially for these first line treating physicians a basic knowledge about the onset and treatment including the establishment of a substantial therapeutic relationship is necessary to meet the patients’needs and guide them to a specific therapy. This can avoid inadequate somatic treatments and patient careers.

Key words: sexual offence, psychosomatics, general health care, doctor patient relation, posttraumatic stress disorder

Psychosomatische Abteilung (Leitender Arzt: Dr. med.

Eckhard Roediger), Gemeinschaftskrankenhaus Havel- höhe, Berlin

Eckhard Roediger

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Symptomkonstellationen, die häufig mit Missbrauchssituationen verbunden sind und die es zweckmäßig erscheinen las- sen, diesen möglichen Zusammenhang in der ärztlichen Untersuchungssituati- on anzusprechen (Textkasten 1). Solange lediglich einzelne Kriterien erfüllt sind, wird man die Patientin nicht konkret nach Missbrauchserlebnissen fragen, zu- mindest nicht, solange nicht in der Untersuchungssituation interaktionelle Auffälligkeiten auftreten.Trifft hingegen die Mehrzahl der im Textkasten 1 ge- nannten Kriterien zu, steigt die Wahr- scheinlichkeit, dass sexueller Missbrauch ein wesentlicher Kofaktor bei der Stö- rungsentstehung ist. In diesen Fällen ist eine offen formulierte Frage auch im knappen Zeitrahmen einer normalen Sprechstunde zu stellen. Bestätigt die Patientin gewaltsame und/oder sexuelle Einflussnahmen, sollte dies zum Anlass genommen werden, für das gezeigte Ver- trauen zu danken und sie zur fachkundi- gen Abklärung an Experten in der Regi- on weiterzuleiten.

Eine Besonderheit posttraumatischer Störungen besteht darin, dass die Pa- tientinnen gewissermaßen wie „aufge- teilt“ imponieren. Während sich einer- seits eine relativ handlungskompetente Person präsentiert, können unvermittelt in besonderen Gesprächs- oder Unter- suchungssituationen ganz andere kind- haft panische Erlebensweisen auftreten.

Ebenso wie die häufige Amnesie beruht dies darauf, dass die traumaverbun- denen Erlebensweisen im emotionalen Gedächtnis abgespeichert sind, das be- wussten Erinnerungsversuchen nicht ohne Weiteres zugänglich ist. Dadurch können diese Erlebnisse auch nicht zeit- lich als lange zurückliegend eingeordnet werden, sondern erscheinen bei der Ak- tivierung in Gegenwartsqualität (3). Die Patientinnen haben dann das Gefühl, so behandelt oder gequält zu werden, wie sie es damals erlebt haben. Sie kön- nen von sich aus ihr damaliges Erleben nicht vom jetzigen trennen und brau- chen dabei Hilfe. In den Untersuchungs- situationen muss daher gezielt darauf hingearbeitet werden, dass durch die Be- ziehungsgestaltung und das Verhalten des Arztes immer wieder die Unter- schiede zwischen dem damaligen Erle- ben und der jetzigen Situation deutlich werden.

Anamneseerhebung

Befragung nach möglichen Missbrauchs- erfahrungen – Das Aufgreifen dieses Themas sollte selbstverständlich in neu- traler/nicht direktiver Form erfolgen, zum Beispiel: „Die von Ihnen geschilder- ten Beschwerden treten manchmal bei Menschen auf, die früher Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen gemacht ha- ben. Könnte so etwas auch bei Ihnen eine Rolle spielen?“ Eine solche Frage baut der Patientin eine Brücke, über solche Erlebnisse zumindest in Andeutungen zu berichten. Sie eröffnet einen Gesprächs- raum und zeigt, dass offensichtlich auch andere Patientinnen ähnliche Erfahrun- gen gemacht haben und der Arzt bereit ist, die Patientin ernst zu nehmen und auch in dieser Frage zu unterstützen.

Mögliche Zusammenhänge zwischen aktueller Symptomatik und einer even- tuell erlittenen Missbrauchserfahrung erläutern – Wenn die Mehrzahl der im Textkasten 1 genannten Kriterien erfüllt ist und die Patientin dennoch wage oder ausweichend geblieben ist, kann man im nächsten Schritt behutsam etwas konkreter werden, indem mögliche Zusammenhänge angedeutet werden:

„Manchmal kommt es zu Unterbauch- schmerzen, wenn dort früher etwas gemacht wurde“ oder „Enge- oder Erstickungsgefühle können entstehen, wenn es zu Handlungen im Mundbe- reich kam“. Mit etwas Fingerspitzenge- fühl lassen sich auf diese Weise Bezüge vorsichtig konkretisieren. Wenn die Pa- tientinnen daraufhin irritiert oder pi- kiert reagieren, sollte das Thema nicht weiter vertieft werden. Die Patientin weiß nun, dass der Arzt mit dieser The- matik umgehen kann, und wird gege- benenfalls nach einer Bedenkzeit dar- auf zurück kommen. Wenn die Patien- tin weiterhin Kontakt hält, aber beteu- ert, dass sie sich an nichts erinnern kann, kann man der Patientin signalisie- ren, dass man jederzeit gesprächsbereit ist, wenn ihr später etwas einfällt. Da manche Patientinnen starke Scham und/ oder Schuldgefühle haben, fällt es ihnen leichter etwas aufzuschreiben oder zu malen, als es direkt mitzuteilen.

Auch diese Kommunikationswege soll- ten willkommen sein. Allerdings sollte der Behandler ein formales Verhältnis zur Patientin aufrechterhalten und nicht

zu viel Interesse bekunden, um nicht falsche Erinnerungen anzustoßen.

Patientin kann sich an nichts Kon- kretes erinnern – Es geht in dieser Phase des Gesprächs nicht darum, konkrete Erinnerungen oder Abläufe festzu- schreiben. Häufig waren die Patien- tinnen während der traumatischen Er- fahrungen dissoziiert, und es sind durch die damit verbundene Amnesie im bio- graphischen Gedächtnis keine konkre- ten Erinnerungen greifbar. Es geht dar- um, eventuell abgespaltene Erlebnisse behutsam wieder in den Gesprächspro- zess zu bringen und der Patientin zu zei- gen, dass es dafür kompetente Ge- sprächspartner gibt, an die die Patientin vermittelt werden kann.

Das emotionale Gedächtnis kennt kein „Verfallsdatum“ – Die Patientin- nen wundern sich oft, warum die Schmerzen mit jahrelang zurückliegen- den Erlebnissen zu tun haben sollen.

Um das zu verstehen, muss man der Pa- tientin erklären, dass emotionale Erleb- nisse anders abgespeichert werden als biografische Erinnerungen (4). Zur Er- klärung könnte Folgendes angeführt

Missbrauchassoziierte Symptome und Verhaltensweisen

>Durch Schlüsselreize (Trigger) ausgelöstes Trau- maerleben (Flashback)

>Übermäßige Schreckreaktionen auf unerwarte- te Situationen

>Skeptisch misstrauische Beziehungsgestaltung,

>Amnestische Lücken bis in die Pubertätszeit hinein

>Funktionelle Störungen/Schmerzen besonders im Unterbauch oder Hals-/Brustbereich

>Diffuse oder wechselnde Angst- beziehungs- weise Paniksymptome

>Schlafen mit Licht, häufige Albträume, Schlaf- störungen

>Störungen der Impulskontrolle (Suchtverhalten, Bulimie, Selbstbeschädigung)

>Sexuelle Funktionsstörungen

>Häufig in helfenden Berufen arbeitend (Kran- ken- oder Altenpflege, Erzieherin, Therapeutin)

>Dependente Beziehungsgestaltung: die Patien- tin bleibt in Beziehungssituationen, die retrau- matisierend sind und ihr schaden

Wenn die Mehrzahl der Kriterien erfüllt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein sexueller Missbrauch stattgefunden hat.

Textkasten 1

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werden: „Das ist, als wenn wir in einem Fotoalbum blättern: erst beim Anschau- en der Bilder tauchen manche Gefühle ganz aktuell wieder auf, an die wir uns vorher gar nicht mehr erinnert haben“.

Unterstützen der eigenen Wahrneh- mungen und Vorstellungen der Patien- tin – In den traumatischen Erlebens- zusammenhängen wurde den Patien- tinnen der Wahrheitsgehalt der eigenen Wahrnehmungen systematisch abge- sprochen („das tut dir gut“, „das brauchst du“ et cetera). Dies führte zu einer anhaltenden Verunsicherung gegenü- ber den eigenen Wahrnehmungen und Einschätzungen (10). Um so wichtiger ist es für die Behandlung, dass sich die Patientin in ihren Wahrnehmungen und

Vorstellungen bestätigt fühlt. Die Vor- stellungen des Behandlers können als alternative Möglichkeit daneben ste- hen, damit die Patientin selbst entschei- den kann. Ferner sollte geprüft werden, inwieweit die Vorstellungen der Patien- tin damals möglicherweise adäquat ge- wesen sein könnten. In den emotiona- len Erinnerungen und den Symptomen fühlen die Patientinnen immer noch als Kind, auch wenn sie heute erwachsen sind.

Sicherheit der aktuellen Lebenssi- tuation und aktuelle Auslösereize – Oft befinden sich die Patientinnen noch immer in Lebenssituationen, die sie schädigen oder in denen bestimmte Auslösereize die alten Erlebensmuster aktivieren, was möglicherweise die Symptome jetzt zum Aufflackern ge- bracht hat. Braucht die Patientin Un- terstützung, sich in einen sichereren Rahmen zu begeben? Dies könnte durch eine stationäre Behandlung, den vorübergehenden Auszug zu Angehöri- gen oder Freunden oder durch die Unterbringung in einem Frauenhaus realisiert werden. In diesem Fall sollte die Patientin vorrangig an stationäre oder ambulante traumatherapeutisch qualifizierte Weiterbehandler vermit- telt werden.

Weitere Gesprächsbereitschaft sig- nalisieren – Manchmal können die Pati- entinnen im ersten Gespräch nicht auf das für sie oftmals überraschende An- gebot eingehen. Sie sind verunsichert und brauchen Zeit, um sich über mögli- che Zusammenhänge Gedanken zu machen.Auch wenn die Patientin im er- sten Gespräch ablehnend, zurückhal- tend oder ausweichend reagiert, sollte weiterhin Gesprächsbereitschaft signa- lisiert werden. Viele traumatisierte Pa- tientinnen „testen“ erst die Gesprächs- partner, bevor sie sich anvertrauen.

Hilfe bei Weitervermittlung in trau- maspezifische Behandlung – Die Arbeit mit traumatisierten Patientinnen ist schwierig und verlangt eine spezielle Ausbildung, die nicht Gegenstand übli- cher Therapieausbildungen ist. Daher sollte der Arzt nicht seine Möglichkei- ten überschätzen. Andererseits sind die Patientinnen oft froh, überhaupt einen Menschen gefunden zu haben, der sich dieser Thematik annimmt. Sie möchten dann gerne bei diesem Menschen blei-

ben. Diese Bindungswünsche müssen abgelehnt werden. Hier besteht die Ge- fahr, dass sich nicht qualifizierte Primärbehandler zu tief inhaltlich ein- lassen und durch nicht therapeutisch geübte Gesprächsführung massive Af- fekte auslösen können. Eine hieran anschließende abrupte Beendigung der Beziehung wirkt retraumatisierend.

Deshalb sollte die Patientin von Anfang an auf die Grenzen des hausärztlichen Begleiters hingewiesen und ihr Unter- stützung bei der Suche nach einem ge- eigneten Psychotherapeuten zugesagt werden. Zu diesem Zweck sollte jeder Behandler über entsprechende regio- nale Kontakte verfügen. Falls die Pati- entin gehemmt ist, von sich aus weitere Kontakte zu knüpfen, kann eine telefo- nische Anmeldung oder Rücksprache angeboten werden.

Als mögliche Kontaktadressen, die kurzfristig ansprechbar sind, kommen (in Abhängigkeit von dem Schwerpunkt der Symptomatik) sowohl Zentren für Psychotraumatologie an psychologi- schen, psychosomatischen oder psychia- trischen Einrichtungen, ambulante Zen- tren für Psychotraumatologie, speziali- sierte gynäkologische Abteilungen in- frage sowie qualifizierte Beratungsstel- len oder Notrufe (Textkasten 2).

Keine Fragen aus Neugierde stellen – Selbst wenn die Patientin es von sich aus anbietet, sollte der Primärbehand- ler nicht auf detaillierte Schilderungen eingehen. Es besteht sonst die Gefahr, dass man in einen Behandlungszusam- menhang und eine Beziehungsinten- sität hineingezogen wird, der man langfristig nicht gewachsen ist. An die- ser Stelle muss auch darauf hingewie- sen werden, dass es Patientinnen gibt, die erlebt haben, dass sie vermehrt Zeit und Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie andeuten, dass da „etwas ge- wesen sein könnte“. Konkretes Nach- fragen kann dazu führen, dass immer neue Assoziationen angeboten oder induziert werden (so genanntes False- Memory-Syndrom [7]). Deshalb sollte über zurückliegende Erlebnisse nur soweit gesprochen werden, wie es für aktuell anstehende Entscheidungen wichtig ist. Der Hausarzt hat den Be- handlungsauftrag voll erfüllt, wenn er einen möglichen Zusammenhang zwi- schen den aktuellen Symptomen und Internetadressen mit Informationen

zur Traumatherapie

>Bundesarbeitsgemeinschaft Prävention und Pro- phylaxe e. V. zu Sexueller Gewalt: www.bundesar- beitsgemeinschaft.de/sexuelle_gewalt.htm; bietet Information zu sexueller Gewalt und sexuellem Missbrauch

>Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotrauma- tologie e. V. (DeGPT): www.degpt.de; wissen- schaftliche Fachgesellschaft

>Klinische Behandlungsangebote in Psychotrau- matologie: www.trauma-response.com/trauma- klinik.html; enthält eine Liste mit traumaqualifi- zierten Kliniken

>www.traumatherapie.de; ermöglicht Kontakte zu ambulanten Traumatherapeuten

>www.emdria.de; präsentiert Listen von ambulan- ten Therapeuten, die mit der Traumatherapie- Technik EMDR („eye movement desensitization and reprocessing“) arbeiten

>TIZ-Trauma Informationszentrum: www.trauma- information-zentrum.de; stellt Informationen für Betroffene zur Verfügung

>Zentrum für Psychotraumatologie und trauma- zentrierte Psychotherapie: www.zentrum-psy- chotrauma.de; enthält Informationen zur Aus- und Fortbildung

>Deutsches Institut für Psychotraumatologie (DIPT): www.psychotraumatologie.de; Institut zur Erforschung der posttraumatischen Störungen

>Feministisches Frauen-Gesundheits-Zentrum Ber- lin: www.ffgz.de; Informationen zu frauenspezi- fischen Fragen mit bundesweiten Kontaktadres- sen

>Links zu weiteren Themen für Betroffene, interes- sierte Laien und Behandler aller Berufsgruppen:

www.fifap.de

>Links zu dissoziativen Störungen: www.dissoc.de Textkasten 2

(4)

den früheren Erlebnissen benannt so- wie Therapiemöglichkeiten aufgezeigt und den Patientinnen eine weitere Odyssee von Arztbesuchen und Unter- suchungen erspart hat.

Untersuchung und Beziehungsgestaltung

Vorgehen der Patientin erklären – Wie schon erwähnt, fühlen die Patientinnen in emotionalen Aktivierungszuständen immer noch wie Kinder. Die Untersu- chungssituation erinnert an die Situa- tionen, in denen früher sexuelle oder gewaltsame Handlungen durchgeführt wurden (Ausziehen, Hinlegen, Hantie- ren mit Instrumenten). Dies kann Ge- fühle von Ohnmacht und Ausgeliefert- sein aktualisieren. Aus diesem Grund sollte man die Untersuchung kindge- recht durchführen und die Vorgehens- weise sowie die verwendeten Instru- mente erklären.

Untersuchung kann Flashbacks aus- lösen – Bei vielen modernen Untersu- chungsverfahren werden heute Instru- mente in Körperöffnungen eingeführt.

Dies kann bei den Patientinnen das emotionale Gedächtnis und damit aktu- elles Wiedererleben früherer Erlebnis- se (Flashbacks) auslösen. Sie sind oft in- nerlich aufgespalten (dissoziiert) und während der Körper apathisch daliegt und das Sprachzentrum unterdrückt ist, erfahren sie starken Stress (9). Bei So- nographien sind der abgedunkelte Raum, das Aufbringen des Kontaktgels und die Berührung mit der Sonde mög- liche Trigger. Bei der Endoskopie sind die Lagerung in einer unnatürlichen Haltung, das Einführen der Instrumen- te und dadurch ausgelöste Körpersen- sationen kritisch; bei Narkosen eben- falls die Lagerung, aber auch das Anflu- ten von Narkosestoffen, das an das Dis- soziationsgefühl erinnern kann. Für manche Patientin ist es bereits schwie- rig, Tabletten zu schlucken. Soweit wie möglich sollten solche Vorgänge be- sprochen werden und gegebenenfalls eine Mitarbeiterin hinzugezogen wer- den. Auf mögliche Irritationen muss so- fort reagiert werden; im Zweifelsfall sollte die Untersuchung abgebrochen werden, bis sich die Patientin stabilisiert hat.

Keine Zwangssituation herbeifüh- ren – Subtile oder offene Zwangssitua- tionen kennen die Patientinnen aus dem Missbrauchserleben. Deshalb sollten keine Formulierungen wie „das muss jetzt sein“ gebraucht werden.

Wenn irgend möglich, sollten mehre- re Möglichkeiten angeboten werden, beispielsweise die Untersuchung spä- ter durchzuführen oder unter modi- fizierten Bedingungen, zum Beispiel in Anwesenheit von vertrauten Per- sonen. Die Patientin sollte befragt werden, was die Situation erleichtern könnte. Dieses Verhalten passt nicht zu den früheren traumatischen Situa- tionen und erleichtert es daher der Patientin, sich auf die Untersuchung einzulassen. Hierbei ist Geduld und Vertrauen erforderlich, notfalls muss die Untersuchung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und der Patien- tin ermöglicht werden wiederzukom- men.

Nonverbale Mitteilungen beachten – In den traumatischen Situationen sind die Patientinnen oft nicht mehr sprach- fähig oder sogar dissoziiert. Der Unter- sucher muss daher alle körpersprachli- chen Signale, wie Weggucken, Anhal- ten des Atems, Anspannen von Mus- keln, diffuse Abwehrbewegungen, ernst nehmen und sofort die Maßnahme un- terbrechen. In diesem Fall sollte die Patientin angesprochen und das Set- ting verändert werden, beispielsweise durch Licht anmachen oder die Pati- entin aufsetzen lassen. Der sprach- liche Kontakt kann dazu beitragen, Dissoziationen entgegenzuwirken. Das Vorgefallene sollte besprochen und neue Wege sollten gesucht werden, die Untersuchung zu ermöglichen. Um das Vertrauen der Patientin zu stär- ken, sollte so flexibel wie möglich rea- giert werden.

Skepsis, Entwertungen oder Zwei- fel nicht persönlich nehmen – Der Un- tersucher sollte mögliche Zusammen- hänge zwischen der jetzigen Untersu- chungssituation und früheren Erle- benssituationen direkt ansprechen, und Verständnis signalisieren, so kann ein Stoppzeichen vereinbart werden, um die Untersuchung abzubrechen.

Ferner ist auf die Unterschiede zwi- schen der Untersuchung und den vor- angangenen negativen Erfahrungen

hinzuweisen. Es sollte versucht wer- den, die Patientin in der Gegenwart zu halten: „Sehen Sie, wenn Ihnen jetzt etwas unangenehm ist, nehme ich dar- auf Rücksicht. Es ist gut, wenn sie mir das sagen.“

Entscheidung der Patientin akzep- tieren – Die Missbrauchssituationen zeichneten sich dadurch aus, dass der Willen der Patientin systematisch übergangen oder sogar gebrochen wurde. Eine Wiederholung dieser Er- fahrung muss unbedingt vermieden werden. Nicht selten testet die Patien- tin zu Behandlungsbeginn den Unter- sucher aus. Dass der Wille der Patien- tin akzeptiert wird, ist für sie eine kor- rigierende Erfahrung, die Vertrauen schafft und zeigt, dass sich in dieser Behandlung möglicherweise alte Er- fahrungen nicht wiederholen werden.

Deshalb sollte nach Wegen gesucht werden, die es ermöglichen, die Unter- suchungen unter Bedingungen durch- zuführen, welche die Patientin akzep- tieren kann. Ob eine Indikation zur Untersuchung zwingend gegeben ist, oder auch anders vorgegangen werden kann, muss geprüft werden. Vielleicht ist die Patientin später zur Untersu- chung bereit.

Keine bagatellisierenden Formulie- rungen aussprechen – Aus den trau- matischen Situationen sind der Patien- tin Formulierungen wie „das ist doch nicht so schlimm“, „das ist doch gleich vorbei“, „das tut doch nur kurz weh“,

„das muss sein“ bekannt. Diese For- mulierungen müssen vermieden wer- den, gegebenenfalls wird die Untersu- chung unterbrochen. Am besten ist, die Patientin arbeitet aktiv mit und er- klärt, unter welchen Bedingungen es vielleicht besser geht.

Non-Compliance kann Ausdruck versteckter Angst sein – Wenn die Pa- tientin bei Untersuchungen nicht mit- arbeitet oder vorbereitende Maßnah- men nicht richtig ausführt, kann das ein Ausdruck von versteckter Angst sein. Man kann diese Möglichkeit als einen Ausdruck des Selbstschutzes direkt ansprechen und nach den mög- lichen Befürchtungen der Patientin fragen. Vielleicht muss der Ablauf noch einmal erklärt oder die Untersu- chungsbedingungen müssen etwas ab- gewandelt werden.

(5)

So ehrlich wie möglich sein – Die Patientinnen sind früher systematisch belogen und getäuscht worden. Daher sollte der Untersucher so ehrlich wie irgend möglich sein, nichts beschöni- gen, Fehler oder eigene Unsicherhei- ten zugeben sowie eigene Grenzen offenlegen. Gerade dieses Verhalten wird das Vertrauen der Patientin er- heblich steigern. Je symmetrischer und partnerschaftlicher die Beziehung ge- staltet wird, um so mehr wird sich die jetzige Situation von den früheren Er- fahrungen unterscheiden und um so si- cherer wird sich die Patientin fühlen.

Sie wird für die Geduld und Anpas- sungsfähigkeit danken.

Manuskript eingereicht: 9. 2. 2004, revidierte Fassung an- genommen: 6. 5. 2004

Der Autoren erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2825–2829 [Heft 42]

Literatur

1. Amann G,Wipplinger R, eds.: Sexueller Missbrauch.Tü- bingen: DGVT 1997.

2. Egle U T, Hofmann SO, Joraschky P, eds.: Sexueller Miss- brauch, Misshandlung, Vernachlässigung. Stuttgart, New York: Schattauer 1997.

3. Fischer GRP: Lehrbuch der Psychotraumatologie. Mün- chen: Ernst Reinhardt Verlag 1999.

4. Kolk van der BA: Zur Psychologie von Kindheits- traumata. Prax Kinderpsychol Kinderpsychiatr 1998;

47: 19–35.

5. Kolk van der BA:The body keeps the score: Memory and the evolving psychobiology of posttraumatic stress.

Harvard Review Psychiatry 1994; 1: 253–265.

6. Leeners B et al.: Schwangerschaft und Mutterschaft nach sexuellem Missbrauch im Kindesalter. Dtsch Arz- tebl 2003; 100: A 715–719 [Heft 11].

7. Loftus EF: The reality of repressed memories. Am Psy- chol 1993; 48: 518–537.

8. Peschers UM, Du Mont J, Jundt K, Pfurtner M, Dugan E, Kindermann G: Prevalence of sexual abuse among women seeking gynecologic care in Germany. Obstet Gynecol 2003; 101: 103–108.

9. Unfried N: Trauma und Entwicklung – Physiologische und biologische Veränderungen nach frühen kindlichen Traumata und deren Behandlungsmöglichkeit. ZPPM 2003; 1: 59–71.

10. Wais M, Gallé I: Der ganz alltägliche Missbrauch. Aus der Arbeit mit Opfern,Tätern und Eltern. Ostfildern: Edi- tion tertium 1996.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Eckhard Roediger Psychosomatische Abteilung Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe Kladower Damm 221

14089 Berlin

E-Mail: Eroediger@havelhoehe.de

Fruchtbares Forschungsgebiet

Die Grundlagen der Östrogenbildung bei Männern und die Bedeutung der Östrogene für den Mann wurden sachge- recht dargestellt. Der Hinweis der Auto- ren auf häufig unklare Indikationen und Therapieziele ist notwendig. Tatsächlich stehen die präventive oder therapeuti- sche Östrogenbehandlung bei Männern im Sinne einer Prävention kardiovas- kulärer Ereignisse (Umbreit 1999, 2000) oder der Verzögerung des Alterns (Mery, Metka, Kindl 1999) bisher auf einer sehr bescheidenen Grundlage, oft basierend auf kasuistischen Mitteilungen und größ- tenteils fehlgeplanten Beobachtungsstu- dien mit meist zu hohen Östrogendosen.

Ich verweise hierzu auf die Stellungnah- me der Kommission Steroidtoxikologie und die Übersicht von A. Römmler. Eine sehr kompetente Darstellung der Grund- lagen des Gesamtproblems findet sich bei H. Kuhl und in dem Handbuchartikel von Oettel.

Meine Kritik geht dahin, dass der Bo- den wissenschaftlicher Argumentation von den Autoren dann verlassen wird, wenn fragwürdige Ergebnisse einer Östrogensubstitution an Frauen im Ana- logieschluss zur Stärkung der Beweis- führung gegen eine bisher nur hochdo- sierte Östrogentherapie bei Männern herangezogen werden. Die WHI-Studie, auf die sich die Verfasser beziehen, er- laubt nach Feststellung ihrer Autoren ausschließlich Rückschlüsse auf das in der Studie verwendete Präparat (konju- giertes Östrogen plus Gestagen) und nur im Bezug auf die in der Studie untersuch-

te Population und nicht auf die Ergebnis- se bei hochdosiert behandelten kardio- vaskulär nicht gesunden Männern. Diese Nichtübertragbarkeit der Befunde – eine eigentlich selbstverständliche wissen- schaftliche Feststellung – wird im Kom- mentar von Fletcher und Colditz in der gleichen Ausgabe von JAMA nochmals wiederholt.

Ein weiterer Einwand gegen die Argu- mentation von Jockenhövel und Lehnert bezieht sich auf die Heranziehung des Coronary Drug Project. Diese Studie wurde mit kardiovaskulär erkrankten Männern durchgeführt, die mit gegen- über heutigen Vorstellungen achtfach überhöhten oralen Östrogendosen be- handelt wurden. Somit besitzen diese Er- gebnisse aufgrund der zu erwartenden Nebenwirkungen gegenüber einer ech- ten Substitutionsbehandlung bei sonst gesunden Männern keine Aussagekraft.

Die Probanden hatten bereits Myokard- infarkte erlitten. Es ist längst bekannt, dass Östrogene bei ausgeprägten athero- sklerotischen Veränderungen an den Ge- fäßen oder nach kardiovaskulären Ereig- nissen nicht mehr vaskulär wirksam sind, sondern nur im Rahmen einer primären Prävention, die zum Zeitpunkt der Me- nopause bei noch gefäßgesunden Frauen einsetzt.

Darüber hinaus wurde den Männern in dieser Studie nicht Östradiol sondern konjugiertes Östrogen (5 mg pro Tag) ge- geben. Diese Mischung equiner Östroge- ne enthält kein 17β-Östradiol. Übrigens wurde in der Fortsetzung des gleichen Projekts (oral wirksames Östradiol stand noch nicht zur Verfügung) mit einer Do- sis von 2,5 mg konjugierten Östrogenen kein Anstieg von Koronarerkrankungen und Todesfällen dokumentiert. Lediglich die Häufigkeit von Thrombosen war noch leicht erhöht, dies ist ein Hinweis zur Dosisabhängigkeit. Bei Verwendung niedrigerer oraler Dosen oder bei trans- dermaler Applikation von Östradiol in Normaldosen ist (bei Männern und Frau- en) die Rate kardiovaskulärer Kompli- kationen nicht erhöht (Scarabin et al.

2003).

In der Studie von Oliver und Boyd (Referenz 40 in der Literatur von Jockenhövel und Lehnert) fehlt die An- gabe, dass sie bei Frauen durchgeführt wurde. Die Dosis von 200 µg Äthinyl- östradiol entspricht der gegenwärtigen zu dem Beitrag

Östrogene für den Mann - sinnvoll oder gefährlicher Unfug?

von

Priv.-Doz. Dr. med. Friedrich Jockenhövel

Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert in Heft 09/2004

DISKUSSION

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