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Archiv "Screening in der Schwangerschaft: Ethische Aspekte" (03.03.2000)

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ie Erweiterung der diagnostischen Möglichkeiten während der Schwan- gerschaft wirft in ethischer Hinsicht schwierige Fragen auf. Denn die Am- bivalenz der Folgen, die zu bedenken sind, ist ausgeprägt und komplex (6, 10). Auch pränata- le Tests zur Risikospezifizierung wie der Triple- Test sind mit solcher Ambivalenz verbunden (siehe hierzu: „Der so genannte Triple-Test“ in diesem Heft) (1, 11): Denn auf der einen Seite erlaubt der Test eine genauere Ermittlung des Risikos, als es der alleinige Rückschluss aus dem mütterlichen Alter gestattet, sodass sich in einer beachtlichen Zahl von Fällen die risiko- reichere Amniozentese erübrigt und die Betrof- fenen zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft von ängstigender Ungewiss- heit befreit werden. Wie die Zahlen vermuten lassen, könnte der Einsatz des Tests auch die Zahl der aus solcher Konstellation erfolgenden Schwangerschaftsabbrüche sinken lassen.

Auf der anderen Seite gibt der Test nur bei größtmöglicher Sorgfalt und einer Restquote falsch positiver Ergebnisse die gesuchte Sicher- heit. Insofern er den ersten Schritt zur Diagno- stik unheilbarer schwerer Krankheit darstellt, ist er zudem mit all den ethischen Problemen verbunden, von denen pränatale Tests dieser Art begleitet sind (7). Deshalb gilt auch für den Triple-Test, was für alle pränatalen Tests von schwerwiegenden Erkrankungen gilt, für die ei- ne Prävention oder Therapie nicht zur Verfü- gung stehen, dass sie nämlich – wie es in den jüngsten Richtlinien der Bundesärztekammer zur pränatalen Diagnostik heißt – zu einer „im Kern nicht auflösbare[n] Konfliktsituation“

führen (4).

Der Konflikt beginnt mit der Frage, welche Art von Wissen von dem zur Verfügung stehen- den pränatalen Test erwartet werden kann, wel- che Folgen mit ihm verbunden sind und wie da- her mit der Möglichkeit solchen Wissens umzu- gehen ist. Denn der gleiche Test kann im einen Fall von bedrückender Sorge befreien oder früh einsetzende Prävention oder prä- beziehungs- weise postnatale Therapie ermöglichen. Im an- deren Fall kann er ein Wissen eröffnen, das zur schicksalhaften Last wird, wenn der entdeckten Krankheit oder möglichen Behinderung keine Möglichkeiten der Prävention oder Therapie gegenüberstehen, – ein Wissen, das nicht wenige Eltern zu dem Entschluss veranlasst, von der rechtlichen Möglichkeit eines Abbruchs der Schwangerschaft im Rahmen der medizinischen Indikation Gebrauch zu machen. Der hier sich zeigenden Ambivalenz der Möglichkeiten ent- spricht die Konkurrenz der Ansprüche, der sich der handelnde Arzt ausgesetzt sieht. Wie kön- nen Ärzte und Eltern in einer solchen Lage und angesichts der sich öffnenden Schere zwischen Diagnostik und Therapie verantwortlich mit den sich bietenden Testmöglichkeiten umge- hen?

Konflikt der Ansprüche

Sicher kann hier nicht auf die Maxime zurückgegriffen werden, diagnostisch nicht mehr aufzudecken, als therapeutisch bewältigt werden kann. Einem solchen Vorgehen steht in der modernen Medizinethik der Anspruch auf die Selbstbestimmung der Betroffenen und das daraus resultierende Recht auf Wissen gegen-

A-529

M E D I Z I N EDITORIAL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 9, 3. März 2000

D

Screening in

der Schwangerschaft:

Ethische Aspekte

Ludger Honnefelder

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über. Dem Anspruch auf Selbstbestimmung wird allerdings nur entsprochen, wenn dem Recht auf Wissen – und damit wird ein erstes wichtiges ethisches und rechtliches Kriterium sichtbar – ein symmetrisches Recht auf Nicht- wissen gegenübersteht (5). Ein solches Recht kann aber nur gewahrt werden, wenn die Vor- nahme des Tests – wie inzwischen auch in der Menschenrechtskonvention zur Biomedizin vorgesehen (13) – an qualifizierte Beratung vor und nach dem Test gebunden wird (3).

Da das durch den pränatalen Test gewonne- ne Wissen den Fötus betrifft, sind zugleich des- sen Ansprüche und die daraus resultierenden Rechte zu beachten. Zu einem fundamentalen Konflikt der Ansprüche kann es kommen, wenn präventive und therapeutische Handlungsmög- lichkeiten fehlen und der Schwangerschaftsab- bruch – wie es in § 218a, 2, StGB heißt – „nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Ge- fahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körper- lichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“ (12).

Da nach der ethischen Überzeugung, die dem deutschen Recht zugrunde liegt, beide An- sprüche zu beachten sind, löst die zitierte ge- setzliche Regelung für den Schwangerschafts- abbruch den Konflikt nicht nach einer Seite auf, sondern lässt den Abbruch der Schwanger- schaft nur zu, wenn die diagnostizierte Erkran- kung des Kindes so schwerwiegend ist, dass von ihr die genannte Gefahr für das Leben oder den Gesundheitszustand der Schwangeren ausgeht und der Abbruch die einzige Möglichkeit ist, diese Gefahr auf eine für die Schwangere zu- mutbare Weise abzuwenden. Als Gründe, die den mit der pränatalen Diagnose verbundenen Schwangerschaftsabbruch zu rechtfertigen ver- mögen, werden allein die Schwere der genann- ten Gefahr und die von der Schwangeren gel- tend gemachte subjektive Unzumutbarkeit der Alternativen betrachtet, nicht aber die zu er- wartende Lebensqualität des Kindes (9). Wür- de man hinsichtlich der festgestellten geneti- schen Disposition auf das Kriterium schwerer Krankheit verzichten und etwa das Kriterium der Lebensqualität zum Maßstab nehmen, wäre einer Ausweitung der zu einem Abbruch führenden Merkmale und damit einer unge- wollten Eugenik von unten der Weg bereitet.

Würde die Schwere der diagnostizierten Krank- heit (Disposition) allein schon als rechtfertigen-

der Grund des Abbruchs betrachtet, bestünde die Gefahr, dass nicht nur bestimmte Krank- heitsbilder diskriminiert und deren Träger stig- matisiert würden, sondern auch ein ethisch wie rechtlich nicht vertretbares Urteil über Lebens- recht und Lebenswert des ungeborenen Men- schen getroffen würde.

Konsequenzen der Pränataldiagnostik

Der schmale Grat, der mit dieser vom Ge- setz getroffenen Grenzziehung markiert ist, hat für den Umgang mit pränatalen Tests der ge- nannten Art entsprechende Auswirkungen.

Objektive Kriterienkataloge würden zwar der Überdehnung der subjektiven Unzumutbarkeit wehren und dem Bestreben des Mediziners nach Objektivierung der Indikation entgegen- kommen; doch liefen sie umgekehrt Gefahr, über Lebenswert oder -unwert zu urteilen und Krankheitsbilder und ihre Träger zu diskrimi- nieren. Geht man von den dem deutschen Recht zugrunde liegenden ethischen Überzeu- gungen aus, ist deshalb Pränataldiagnostik schwerer unheilbarer Krankheit oder Behinde- rung nur innerhalb der Grenzen der Zielsetzun- gen ärztlichen Handelns zu legitimieren, näm- lich als eine auf den Einzelfall bezogene, von der Patientin nach qualifizierter Aufklärung ge- wünschte, an eine Indikation entsprechender Krankheit oder Schädigung gebundene und vom Arzt zu verantwortende Tätigkeit. Dies schließt die Bindung der Vornahme solcher Tests an das ärztliche Handeln und die Arzt-Pa- tient-Beziehung, an entsprechende Indikation und eine kompetente Beratung vor und nach dem Test ein (8).

Eine solche Beratung wird sich nicht auf die Aufklärung über den Grund und die möglichen Risiken der Diagnostik beschränken können, sondern ebenso die Sicherheit der Vorhersage, die Tragweite der Resultate, die damit mögli- cherweise verbundenen Konflikte und deren Lösungsmöglichkeiten einbeziehen müssen.

Nur auf diese Weise ist der ernsten Gefahr zu begegnen, dass der Druck zu befürchtender schwerer Krankheit über unreflektierte Auto- matismen und Routinen zu einem – wie es in ei- nem Bericht des Technikfolgen-Abschätzungs- büros des Deutschen Bundestages heißt – „sich schleichend durchsetzende[n] gesellschaftli- che[n] Konsens über die Vermeidbarkeit behin- derten Lebens“ führt (2).

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Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 9, 3. März 2000

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Erst Triple-Test, dann Amniozentese?

Damit ist der Hintergrund skizziert, vor dem in ethischer Hinsicht auch pränatale Tests wie der Triple-Test zu betrachten sind. Betrach- tet man ihn nur als Risikospezifizierung gegen- über den herkömmlichen Risikoprädiktoren wie dem mütterlichen Alter, gelten für ihn in ethi- scher Hinsicht die oben genannten Gründe – vorausgesetzt, seine Validität ist gesichert. Sieht man ihn als ersten Schritt einer möglichen Dia- gnose unheilbarer schwerer Krankheit, steht er unter den gleichen Rahmenbedingungen, wie sie für die ihm folgenden pränatalen Tests be- schrieben wurden. Dies verbietet, ihn als gene- relles Screening in Form einer Routineuntersu- chung einzusetzen beziehungsweise anzubieten.

Denn da er bei positivem Ergebnis die Durch- führung einer Amniozentese nahelegt, die mög- licherweise den Verdacht auf eine unheilba- re schwere Erkrankung bestätigt, würde sein Routineeinsatz – nicht zuletzt unter dem Ge- sichtspunkt, dass ein breites Angebot auch eine breite Nachfrage zu schaffen droht – die glei- chen bedenklichen Folgen nach sich ziehen: Der Druck auf die invasive Diagnostik würde sich er- höhen, die befürchtete Medikalisierung der Schwangerschaft sich verstärken und all die ge- nannten ethisch problematischen Folgen wie die Stigmatisierung bestimmter Krankheitsbilder, die Diskriminierung von Trägern dieser Krank- heit und die Einschränkung der Selbstbestim- mung der Eltern durch sozialen Druck nach sich ziehen. Nicht zuletzt fehlte für einen solchen Einsatz in der Breite die erforderliche Kapazität an kompetenter Beratung, die ein Verständnis der Tragweite des Tests sicherstellt. Angesichts solcher möglichen Folgen wird auch das lobens- werte Ziel einer Senkung der Zahl der Amnio- zentesen beziehungsweise der Schwangerschafts- abbrüche den Einsatz als Routinescreening nicht zu rechtfertigen vermögen.

Kompetente Beratung ist Voraussetzung

Ethisch verantwortlich dürfte deshalb auch im Fall des Triple-Tests nur der Einsatz sein, wie wir ihn bei den erwähnten pränatalen Tests kennen, nämlich als eine Maßnahme, die der Schwangeren im Einzelfall angeboten wird, und zwar verbunden mit einer kompetenten Bera- tung, die vor dem Test erfolgt und die Schwan-

gere in die Lage versetzt, sich in voller Kenntnis der Möglichkeiten und ohne vermeidbaren Druck für oder gegen den Test zu entscheiden.

Das ist kein geringer Anspruch an den behan- delnden Arzt. Doch auch hier gilt, dass eine Erweiterung des technischen Spektrums nur dann zum Wohl des Patienten ausschlägt, wenn ihr Einsatz mit einem Zuwachs an Kompetenz und Verantwortung aufseiten des anwendenden Arztes verbunden ist.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-529–531 [Heft 9]

Literatur

1. Berufsverband Medizinische Genetik e.V., Gesellschaft für Humangenetik e.V.: Richtlinien und Stellungnahmen. Med Genetik 1996; Sonderdruck: 15.

2. Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bun- destag (TAB): „Genomanalyse“. Chancen und Risiken ge- netischer Diagnostik. Deutscher Bundestag – 12. Wahlperi- ode: Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, Drucksache 12/7094, Bonn 1994; 31.

3. Bundesärztekammer: Memorandum: Genetisches Scree- ning. Erstes Beratungsergebnis des Ständigen Arbeitskrei- ses „Biomedizinische Ethik und Technologiefolgenabschät- zung“ beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekam- mer. Dt Ärztebl 1992; 89: A-2357–2364 [Heft 25/26].

4. Bundesärztekammer: Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen. Dt Ärztebl 1998; 95: A-3236–3242 [Heft 50].

5. Chadwick R, Levitt M, Shickle D (eds): The right to know and the right not to know. Aldershot, Brookfield: Ashgate Publishing Company 1997.

6. Holtzmann NA, Watson MS (eds): Promoting safe and effec- tive genetic testing in the United States. Final report of the task force on genetic testing. Baltimore, London: The John Hopkins University Press 1998.

7. Honnefelder L: Pränataldiagnostik als ethisches Problem- feld. In: Arch Gynecol Obstet 1995; 257: 493–498.

8. Honnefelder L: Humangenetik, 3. ethisch. In: Korff W, Beck L, Mikat P (eds): Lexikon der Bioethik, Band 2. Gütersloh:

Gütersloher Verlagshaus, 1998; 254–259.

9. Laufs A: Pränatale Diagnostik und Lebensschutz aus arzt- rechtlicher Sicht. In: Schriftenreihe Jur. Verein. Lebensrecht 1990; 7: 47–64.

10. Nuffield Council on Bioethics: Genetic screening. Ethical is- sues. London 1993; 48–51.

11. Schroeder-Kurth T, Hepp H, Schmidt A, Hunold GW: Prä- natalmedizin. In: Korff W, Beck L, Mikat P (eds): Lexikon der Bioethik, Band 3. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1998; 44–58.

12. Strafgesetzbuch. In: Schönfelder H (ed): Deutsche Gesetze.

Sammlung des Zivil-, Straf- und Verfahrensrechts. Mün- chen: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1999.

13. Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biolo- gie und Medizin: Menschenrechtsübereinkommen zur Bio- medizin des Europarats. In: Honnefelder L, Streffer C (eds):

Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik, Band 2. Berlin: Walter de Gruyter 1997; 285–303; Art. 12.

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Ludger Honnefelder Institut für

Wissenschaft und Ethik Niebuhrstraße 51 53113 Bonn

E-Mail: iwe@iwe.uni-bonn.de

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Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 9, 3. März 2000

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