Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 51–52|
27. Dezember 2010 A 2531B
undesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat gerade die Eckpunkte für ein Bundes- kinderschutzgesetz vorgestellt. Für die junge Ministe- rin ist der Schutz der Kinder vor Vernachlässigung und Missbrauch „das wichtigste Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode“. Keine Frage: Allein 2009 wurden knapp 4 000 Fälle von Kindesmisshandlung der Polizei bekannt, die Dunkelziffer dürfte ungleich höher sein.Von den medienträchtigen Todesfällen ganz zu schwei- gen. Es ist der zweite Versuch, ein – dringend notwen- diges – Bundeskinderschutzgesetz zu schaffen. Bereits 2008 hatte die Große Koalition einen Entwurf vorge- stellt, der zunächst bei Experten auf massive Kritik gestoßen war und dann im Bundestagswahlkampf 2009 unter gegangen ist. Ganz ausgereift scheint die Vorlage für das neue Gesetz noch nicht – viele Punkte sind unklar, andere nicht wirklich neu.
Zentraler Baustein in Schröders Entwurf ist der Ein- satz von Familienhebammen. Sie sollen in bestimmten Fällen junge Familien nach der Geburt eines Kindes medizinisch und sozial betreuen, mit bis zu 15 Stunden gezielter Hilfe im Jahr. 30 Millionen Euro jährlich, über vier Jahre, stellt die Regierung dafür zur Verfügung.
Verschiedene Modellprojekte haben die vorbeugende Wirkung von Familienhebammen in belasteten Famili- en gezeigt – insofern ist dieser „Baustein“ zu begrüßen.
Auch die finanzielle Ausstattung ist neu und gut. Un- klar ist indes, wie und mit welchem Geld Hebammen für die neuen Aufgaben fortgebildet werden sollen – ei- ne Hebamme ist schließlich keine Sozialarbeiterin. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) kritisiert zudem, dass der Einsatz von Familienhebam- men nicht im Rahmen des öffentlichen Gesundheits- dienstes (ÖGD) vorgesehen ist – mehr noch, der ÖGD werde in der Gesetzesvorlage nicht einmal erwähnt. Fa- milienhebammen sollten beim ÖGD angestellt sein und nicht ohne Kontrolle arbeiten dürfen, meint Dr. med.
Wolfram Hartmann, Präsident des BVKJ.
Ein weiterer wichtiger Punkt der Gesetzesvorlage ist die beschränkte Aufhebung der Schweigepflicht für Ärzte und Psychologen. Mit einer sogenannten Befug-
nisnorm für Berufsgeheimnisträger will die Familien- ministerin Klarheit bei der Weitergabe von Informatio- nen an das Jugendamt schaffen, wenn ein begründeter Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorliegt. Ärzte brauchen hier dringend Rechtssicherheit, insofern ist eine bundeseinheitliche Lösung zu begrüßen. Grund- sätzlich stellt § 203 Strafgesetzbuch (StGB) die unbe- fugte Informationsweitergabe an Dritte unter Strafe, weshalb in vielen Bundesländern eine spezielle Befug- nis zur Weitergabe konstruiert wird, in anderen wieder nicht. Eine Durchbrechung der Schweigepflicht ist allerdings auch heute schon in Fällen eines rechtferti- genden Notstands (§ 34 StGB) möglich.
Doch diese bisherigen strafrechtlichen Ausnahme- konstrukte sind nicht praxistauglich. Der Kinderarzt muss auch schon bei Verdacht auf Kindesmissbrauch straffrei handeln können und bei Kollegen oder auch bei Erziehern und Hebammen Informationen einholen können, die dazu geeignet sind, einen Verdacht zu er- härten oder auch zu zerstreuen. Dieser Austausch – oh- ne Einwilligung der betroffenen Eltern – ist zwar sinn- voll, heute aber genauso wenig erlaubt. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, Rechtssicherheit zu schaffen. In der Kinder- und Jugendhilfe geht Elternrecht häufig vor Kindeswohl – der Arzt sollte sich straffrei zum Anwalt der Kinder machen dürfen.
BUNDESKINDERSCHUTZGESETZ
Nicht ganz ausgereift
Petra Bühring
Petra Bühring Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin