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Bericht und Meinung DER KOMMENTAR
Die Freien Demokraten haben auf ihrem Hamburger Parteitag das Kunststück fertiggebracht, über ihr Kirchenpapier acht Stunden lang mit Intensität zu diskutieren. Die Meinungsverschiedenheiten über Grundfragen der Wirtschaftspolitik wurden in gut einstündiger Aus- sprache sichtbar gemacht, ehe es gelang, die kontroversen Papiere mit taktischem Kunstgriff dem Vorstand zu überweisen. Über die Ge- sundheitspolitik schwieg man sich aus, obwohl hier brisante Anträge auf dem Tisch lagen, die nun in den Schubladen des Vorstandes verschwinden dürften, was aber den erstarkten linken Flügel der Partei kaum daran hindern wird, mit sei- nen Ideen Politik zu machen.
Politischen Sprengstoff enthielt vor allem der Antrag Nr. 32. Als „Be- treff" wird genannt: Ambulante Versorgung durch Krankenhäuser.
Antragsteller war der Landesver- band Hamburg, unbestritten Links- außen der Partei. Der Bundespar- teitag möge beschließen, so heißt es dann, und wörtlich weiter:
„Durch Änderung der Reichsversi- cherungsordnung ist sicherzustel- len, daß geeignete Einrichtungen des Gesundheitswesens, insbeson- dere Krankenhäuser, an der ambu- lanten kassenärztlichen Versor- gung nach folgenden Grundsätzen teilnehmen können: 1. Die zu- ständigen Landesbehörden bestim- men, welche Einrichtungen als ge- eignet anzusehen sind. 2. Die Trä- ger der geeigneten Einrichtungen schließen unmittelbar Verträge mit der zuständigen Ortskrankenkasse.
3. Die Verträge gelten für alle ge- setzlichen Krankenkassen und Er- satzkassen."
Soweit der Antrag, an dem mehre- re Punkte bemerkenswert sind. So wird nicht einmal versucht, die For- derung nach Einbeziehung der
Krankenhäuser in die ambulante Versorgung mit einer ärztlichen Unterversorgung zu begründen.
Sodann wird von „geeigneten Ein- richtungen des Gesundheitswe- sens" gesprochen. Das können heute die Krankenhäuser, morgen aber auch schon die Gesundheits- ämter sein. Den Landesbehörden wird die alleinige Entscheidung übertragen; im Zeitalter der Mitbe- stimmung sollen sie allein bestim- men. Nicht einmal die Konsultation mit den ärztlichen Verbänden wird für notwendig gehalten. An den Arzt selbst, ob er nun in der freien Praxis oder am Krankenhaus arbei- tet, wird überhaupt nicht gedacht.
Natürlich sollen die „geeigneten Einrichtungen" Verträge abschlie- ßen, aber nicht mit den Kassenärztli- chen Vereinigungen, sondern mit den „zuständigen" Ortskranken- kassen. Selbst die Ersatzkassen haben sich nach diesen Verträgen zu richten. Kurzum: das gesamte Kassenarztrecht wird revolutioniert und die gegliederte Krankenversi- cherung gleichgeschaltet. So ein- fach ist das mit dem Fortschritt im Gesundheitswesen. Das ist so di- lettantisch gemacht, daß man zur Tagesordnung übergehen könnte.
Aber immerhin wird dieses Pro- gramm nicht von einem einsamen Juso, sondern von einem Landes- verband der F.D.P. verfochten. Das kann am Ende die Widerstands- kraft jener F.D.P.-Politiker schwächen, die bislang sozialisti- schen Experimenten — auch auf anderen Gebieten — den Weg ver- sperrt haben.
Auch der Antrag Nr. 31 des Lan- desverbandes Schleswig-Holstein zur Reform des Krankenhauswe- sens verdient es, von den Ärzten vermerkt zu werden. Da wird zum Teil Selbstverständliches gefordert, so die optimale Versorgung der
Kranken. Widersprüchlich wirkt es, wenn einerseits für die ländlichen Bezirke ein Verbundsystem der kleineren Krankenhäuser und zu- gleich die „Zentralisation des Krankenhauswesens" verlangt wird. Das gilt auch, wenn einer- seits gesagt wird, daß die Kran- kenhausversorgung „ausschließlich unter medizinischen und gesund- heitlichen Gesichtspunkten" zu er- folgen habe, und gleich danach ein wirtschaftlicher und rationeller Ein- satz der Mittel verlangt wird. Was hat nun Priorität, die Medizin oder die Wirtschaftlichkeit? Die Patien- ten sollen nach dem Willen der schleswig-holsteinischen Freide- mokraten keine Rechnung des be- handelnden Arztes erhalten, wohl aber soll das Krankenhaus für Son- derleistungen kassieren dürfen.
Wörtlich heißt es: „Damit entfallen künftig Privatliquidationen für lei- tende Krankenhausärzte; noch be- stehende Verträge sollen auslau- fen. Eine angemessen hohe Bezah- lung für Krankenhausärzte ist hier- für Voraussetzung."
Solche Initiativen auf Parteitagen, die man für sich allein gesehen nicht überbewerten sollte, signali- sieren aber doch, daß der Kurs der Freien Demokraten in der Gesund- heitspolitik nicht mehr zuverlässig abzuschätzen ist. In der Bundes- tagsfraktion sind die Freidemokra- ten linken Zuschnitts deutlich in der Minderheit; hier dominiert das Element der politischen Mitte. In der Partei selbst sind die Gewichte anders verteilt. Die Vorstandswah- len haben deutlich werden lassen, daß sich zwei etwa gleich starke Gruppierungen gegenüberstehen.
Ein so bewährter Sozialpolitiker, wie der stellvertretende Vorsitzen- de der F.D.P.-Bundestagsfraktion, Spitzmüller, hat sich zudem aus dem Parteivorstand zurückgezo- gen. An seine Stelle ist vom linken Parteiflügel der Bundestagsabge- ordnete Hölscher gerückt. Gen- scher wird viel Integrationskraft beweisen müssen, wenn er die Par- tei geschlossen in der politischen Mitte — auch in der gesundheits- und sozialpolitischen Mitte! — hal- ten will. wst
FDP—Kurs der Mitte in Gefahr
Hamburger Parteitag machte deutlich: Der linke Flügel liebäugelt auch mit Experimenten in der Sozial- und Gesundheitspolitik
2992 Heft 42 vom 17. Oktober 1974 DEUTSCHES ARZTEBLATF