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BIP pro Kopf: Grösste Einbussen in den nächsten Jahren | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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BIP pro Kopf: Grösste Einbussen in den nächsten Jahren

Bis im Jahr 2065 kumulieren sich die Einbussen des Bruttoinlandprodukts pro Kopf aufgrund der Alterung auf rund 11 Prozent. Der grösste negative Effekt ist in der nächsten Dekade zu verzeichnen.  Alexis Bill-Körber, Martin Eichler

W

ie hängen das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft und die de- mografische Entwicklung zusammen? Um adäquat auf die anstehenden Herausfor- derungen einer immer stärker alternden Be- völkerung zu reagieren, ist es essenziell, dies zu verstehen.

Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) haben wir analysiert, in welcher Art und in welchem Umfang die de- mografischen Veränderungen in den kom- menden Jahrzehnten das Schweizer Wirt- schaftswachstum pro Kopf beeinflussen werden. Darüber hinaus zeigen wir, wie ver- schiedene alternative Entwicklungen – die auch politisch angestossen werden können – die Resultate verändern. Die Analysen stüt- zen sich auf Berechnungen mit unserem ma- kroökonomischen Strukturmodell. In unserer Analyse haben wir drei Haupteinflussberei- che der demografischen Veränderung in Be- zug auf das Wachstumspotenzial einer Volks- wirtschaft berücksichtigt.

Drei Einflussbereiche

Der erste und wichtigste Einflussbereich ist die veränderte Verfügbarkeit der Arbeitskräf- te. Die Zunahme an Arbeitskräften ist tradi- tionell einer der zentralen Treiber des Wirt- schaftswachstums. Denn mehr Arbeitskräfte produzieren naturgemäss auch mehr Güter und Dienstleistungen, sodass das BIP steigt.

Wächst die Bevölkerung und damit das

Abstract    Unsere Analysen zeigen die Abschwächung des Wachstums des Brutto- inlandproduktes (BIP) pro Kopf, welches die Schweizer Volkswirtschaft durch die demografische Entwicklung in den kommenden Jahren erfährt. Die demografischen Einflüsse reduzieren das BIP-Wachstum pro Kopf in einzelnen Jahren um bis zu einen halben Prozentpunkt. Bis zum Jahr 2065 addieren sich die Wachstumseinbussen im BIP-pro-Kopf-Niveau auf rund 11 Prozent. Deutlich wird auch, dass die Effekte nicht nur in der Phase der Pensionierung der Babyboomer spielen: Gemäss den aktuellen Bevölkerungsprojektionen laufen die negativen Wachstumsimpulse erst gegen Mitte der 2060er-Jahre allmählich aus. Die untersuchten, sich in einem ambitionierten, aber realistischen Rahmen bewegenden Politik- und Demografieveränderungen können den demografisch bedingten Verlust an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit abfedern, aber bei Weitem nicht kompensieren.

Arbeitsangebot weniger stark oder beginnt sogar zu schrumpfen, fällt dieser Wachs- tumstreiber weg. Diese Entwicklung beein- flusst zunächst das absolute BIP. Eine noch grössere Herausforderung für die Volks- wirtschaft entsteht, wenn sich in dem Pro- zess auch das Verhältnis von erwerbstätiger zu nicht erwerbstätiger Bevölkerung ändert.

Dann verändert sich auch die Wachstumsdy- namik pro Kopf.

Der zweite Einflussbereich ist die Produk- tivität. Es ist naheliegend, dass mit dem Alter

das Erfahrungswissen erst zunimmt, sich die Wissensbasis ab einem gewissen Alter jedoch wieder tendenziell abwertet und auch das physische und kognitive Leistungsvermö- gen abnimmt. Grafisch zeigt sich das in einem umgekehrt u-förmigen Verlauf der individuel- len Produktivität mit dem Alter. Gemäss unse- ren Modellsimulationen, die auf empirischen Evidenzen beruhen, verorten wir den Höhe- punkt der produktiven Leistungsfähigkeit in der Alterskohorte der 35- bis 44-Jährigen.1 Al- lerdings besteht eine hohe Unsicherheit, so- wohl was die Grössenordnung der Effekte an- geht als auch hinsichtlich der Ursachen.2

Die dritte Möglichkeit, wie die demo- grafische Struktur das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft beeinflussen kann, ist eine sich verändernde Konsumneigung. Im Zentrum steht das Lebenszyklusmodell.

Dieses besagt, dass Individuen Einkom- mensschwankungen in den unterschied- lichen Lebensphasen ausgleichen wollen, da sie einen konstanten Lebensstandard

1 Siehe Hofer und Url (2005).

2 In unserer Studie haben wir dazu Sensitivitätsanlaysen durchgeführt. Siehe Bill-Körber et al. (2019).

Abb. 1:  Jährlicher Einfluss demografischer Effekte auf das BIP pro Kopf (2021–2065)

Demografischer Mengeneffekt auf Basis des BFS-Demografie-Referenzszenarios A-00-2015.

  Produktivitätseffekt aus Alterung der Arbeitskräfte         Nachfrageeffekt der Alterung auf Konsum & Bau   Demografischer Mengeneffekt (Entwicklung des Arbeitsangebots vs. Gesamtbevölkerung)        Auswirkung demografischer Effekte auf BIP-pro-Kopf-Entwicklung insgesamt

BAK ECONOMICS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

2021 2023

2025

2027 2029 2031 2033

2035 2037

2039 2041

2043 2045

2047 2049 2051 2053

2055 2057

2059 2061

2063 2065 0,2 In Prozentpunkten

0

-0,2

-0,4

-0,6

DOSSIER

Die Volkswirtschaft  12 / 2019 35

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bevorzugen. Für das (tiefere) Rentenein- kommen liegt die Konsumneigung im Mo- dell höher als für das Erwerbseinkommen.

Zugespitzt formuliert: Während der Er- werbszeit wird gespart, um sich während der Rente den gleichen Lebensstandard leisten zu können.

Negative Wachstumseffekte bis 2065

Der Einfluss der demografischen Entwick- lung auf das reale BIP-Wachstum pro Kopf ist bis zum Jahr 2065 durchgehend nega- tiv (siehe Abbildung 1 auf S. 35, grüne Linie).3 Insgesamt resultiert daraus beim Schwei- zer BIP-pro-Kopf-Niveau bis zum Jahr 2065 eine Einbusse von rund 11 Prozent gegen- über einer Entwicklung ohne Alterung (sie- he Abbildung 2, Referenzszenario). Die Höhe und die Richtung, in welcher die drei Effek- te das BIP pro Kopf beeinflussen, schwanken im Zeitverlauf jedoch erheblich.

3 Für die demografische Entwicklung der Schweiz wird das Referenzszenario A-00-2015 des Bundesamtes für Statistik unterstellt.

Ein klar negativer Effekt auf das BIP-Wachs- tum pro Kopf ist insbesondere bis Anfang der 2030er-Jahre festzustellen. Ausschlaggebend ist der bevorstehende Austritt der Babyboo- mer-Generation aus dem Erwerbsleben. Die Erwerbsbevölkerung steigt aber trotz des Aus- tritts der Babyboomer weiterhin an. Das führt insgesamt dazu, dass zwar ein kleinerer, aber immer noch positiver Wachstumsimpuls auf die gesamtwirtschaftliche Leistung resultiert.

Für das BIP pro Kopf ist jedoch die Entwick- lung der Gesamtbevölkerung massgebend.

Und diese wächst bis Anfang der 2030er- Jahre um bis zu 0,5 Prozent dynamischer als die Er- werbsbevölkerung. Das hat entsprechend ne- gative Impulse auf das BIP-Wachstum pro Kopf. Erst ab Mitte der 2050er-Jahre läuft die- ser Effekt allmählich aus.

Deutlich geringer fallen die Nachfrage- effekte der sich verändernden Altersstruktur ins Gewicht. Bis Mitte der 2030er-Jahre kön- nen diese den negativen Arbeitsangebotsef- fekt gemäss unseren Simulationsrechnungen sogar leicht abmildern. Ausschlaggebend ist, dass die Babyboomer nach ihrer Pensionierung die Ersparnisse aufbrauchen. Dies führt zu

einer höheren Dynamik bei den privaten Kon- sumausgaben und wirkt sich temporär positiv auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum aus.

Auch der Effekt der Altersstruktur auf die Arbeitsproduktivität wirkt gemäss unseren Modellberechnungen zunächst leicht kom- pensierend. So nimmt der Anteil älterer Er- werbspersonen (50+) mit der Pensionierung der Babyboomer-Generation bis Anfang der 30er-Jahre wieder ab. Jüngere Alterskohorten gewinnen hingegen leicht an Bedeutung. Dies führt beim unterstellten Altersproduktivitäts- profil zu einer Erhöhung der durchschnittli- chen Arbeitsproduktivität. Nach Anfang der 30er- bis Anfang der 50er-Jahre wirkt sich die Entwicklung der Altersstruktur leicht negativ auf das BIP-pro-Kopf-Wachstum aus, bevor die Impulse wieder leicht positiv werden.4

4 Die Effekte sind jedoch theoretisch wie auch empirisch umstritten. In einem Extremszenario ergeben sich vielfach grössere negative Impulse von bis zu 0,3 Pro- zentpunkten pro Jahr, die auch ein anderes zeitliches Verteilungsmuster aufweisen.

Nach der Pensionierung wird weniger gespart und mehr konsumiert – doch auch das vermag die Wachstumseinbussen nicht auszugleichen.

KEYSTONE

DEMOGRAFIE UND KONJUNKTUR

36 Die Volkswirtschaft  12 / 2019

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Höheres Rentenalter hat grösste Wirkung

Inwieweit können die negativen Eff ekte der demografi schen Entwicklung abgemildert werden? Die schlechte Nachricht vorab: Der insgesamt negative Eff ekt der demografi - schen Entwicklung auf das BIP-pro-Kopf- Niveau im Zeitraum von 2012 bis 2065 kann in keinem Szenario aufgehoben werden (sie- he Abbildung 2 ). Aber: Politische Massnah- men können die Wachstumsschwäche ent- lasten. Die stärkste Entlastung bietet die Er- höhung des Rentenalters für Frauen und Männer um zwei Jahre. Sie kann den Dyna- mikverlust teilweise abfedern, sodass im End- eff ekt die demografi sch bedingte Reduktion des BIP-pro-Kopf-Niveaus 2065 um rund ein Fünft el kleiner ausfällt. Am Ende des Simula- tionszeitraums im Jahr 2065 macht es hier- bei für das BIP-pro-Kopf-Niveau keinen nen-

Literatur

Bill-Körber, Alexis, Martin Eichler und Felix Küppers (2019).Makroökonomische Eff ekte des demografi - schen Wandels: Modellgestützte Projektionen für das langfristige Wachstum der Schweiz. Grundlagen für die Wirtschaft spolitik Nr. 2. Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern.

Hofer und Url (2005). Growth Eff ects and Age-related Productivity Diff erentials in an Ageing Society: A Simulation for Austria.

Alexis Bill-Körber

Leiter Macro Research, BAK Economics, Basel

Martin Eichler

Chefökonom, BAK Economics, Basel nenswerten Unterschied, ob die Reform im

Jahr 2030 oder 2040 erfolgt. Allerdings ent- fallen bei einer späteren Implementierung die Wohlstandsgewinne der Vorjahre. Ähnlich zur Erhöhung des Rentenalters fällt die Bilanz einer allgemein höheren Erwerbsbeteiligung im Alter aus. Geringer, aber ebenfalls positiv ist der Eff ekt einer verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die höhere Zuwanderung zeitigt für sich allein genommen vor allem bis Anfang der 2040er-Jahre einen positiven Eff ekt auf das BIP pro Kopf. Die höhere Einwanderung in den Arbeitsmarkt schwächt das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Erwerbs- und Ge- samtbevölkerung spürbar ab. Allerdings dau- ert es gemäss unserem makroökonomischen Modell eine gewisse Zeit, bis sich die positi- ven Eff ekte vollständig auf die gesamtwirt- schaft liche Entwicklung übertragen. Bis im Jahr 2065 wäre der negative Eff ekt der Alte-

rung dadurch ähnlich stark abgeschwächt wie bei einer besseren Vereinbarkeit von Be- ruf und Familie.

Wie unsere Analyse zeigt, wird der demo- grafi sche Wandel das BIP-pro-Kopf-Niveau in den kommenden Jahren spürbar reduzieren.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den ne- gativen Eff ekt der demografi schen Alterung abzuschwächen. Die stärkste Wirkung haben dabei die Erhöhung des Rentenalters und der Erwerbsbeteiligung im Alter.

Die Linien zeigen, wie sich das BIP-pro-Kopf-Niveau gegenüber dem Jahr 2020 allein aufgrund demografi scher Einfl üsse verändert. Die rote Linie dient als Referenzszenario ohne kompensierende Massnahmen.

  Hohe Zuwanderung          Stärkere Erwerbsbeteiligung          Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie          Erhöhung des Rentenalters im Jahr 2030          Erhöhung des Rentenalters im Jahr 2040          Referenzszenario

Abb. 2: Kumulierte Wachstumseinbussen verschiedener Demografi e- und Politikszenarien in Bezug auf das BIP pro Kopf (2021–2065)

BAK ECONOMICS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

100 BIP-pro-Kopf-Niveau (Index: 2020=100) 97,5

95 92,5 90 87,5

2021 2023

2025 2027

2029 2033 2035

2037 2039

2041 2043

2045 2049 2051 2053

2055 2057

2059 2061 2063

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