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Bindungsstile und Kontrollorientierung bei deutschen und ugandischen Jugendlichen

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Academic year: 2022

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Universität Konstanz Mathematisch-Naturwissenschaftliche Sektion Fachbereich Psychologie

Bindungsstile und Kontrollorientierung bei deutschen und ugandischen Jugendlichen

Diplomarbeit

vorgelegt von:

Elisabeth Kley Matr. Nr. 01/415473

Betreuerin und Erstgutachterin:

Frau Prof. Dr. Trommsdorff

Zweitgutachter:

Herr Prof. Dr. Steck

Konstanz, Juli 2000

(2)

„Interkulturelle“ Danksagung

Ganz herzlich danken möchte ich

in Deutschland in Uganda

Frau Professor Trommsdorff für die Betreuung dieser Arbeit, für die Offenheit gegenüber der Idee eines deutsch- ugandischen Kulturvergleichs und den Vorschlag, im Hinblick auf die Planung der Datenerhebung „zweigleisig zu fahren“, ohne den diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Bedanken möchte ich mich auch für die vielen Anregungen und Ratschläge

„kulturübergreifend“ in Form von e- mails und „intrakulturell“ in Form zahlreicher Gespräche.

Herrn Professor Steck für die Zweitkorrektur und die Ratschläge in methodischer Hinsicht.

Herrn Dr. Friedlmeier für die intensive Betreuung, für die Ratschläge in Bezug auf die Datenerhebung, für die Klärung methodischer Probleme, für die Tips und Tricks in Bezug auf das SAS-Programm und für die Diskussion inhaltlicher Fragen jeglicher Art, kurz: für die geduldige Beantwortung meiner endlosen Fragen.

Herrn Dr. Nagl für die methodische Beratung und Hilfe im Hinblick auf das SAS-Programm und die Anwendung sta- tistischer Verfahren.

allen ehemaligen und derzeitig tätigen MitarbeiterInnen am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Kulturvergleich sowie bei den Mitgliedern des Forschungskolloquiums für die Überlegungen, Rückmeldungen und Vorschläge.

Herrn Professor Opolot für die Bereitschaft, daß er die Betreuung der Arbeit im Hinblick auf die Datenerhebung in Kampala übernommen hat, für die vielen Ratschläge in Bezug auf die Durchführung der Erhebung und Rekrutierung der Probanden, für die Diskussionen und Hilfestellung bei der Bearbeitung der verwendeten Verfahren und die zahlreichen praktischen Vorschläge.

Herrn Dr. Baguma für die Literaturhinweise, die Campusbesichtigung, die Vorschläge hinsichtlich der praktischen Durchführung der Datenerhebung, die Diskussionen und Erläuterungen in Bezug auf Kulturspezifika, sowie die Hilfe bei der Anpassung der verwendeten Verfahren.

Father John W. Katende, ohne dessen Hilfe, Unterstützung und Engagement die Datenerhebung für diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre:

Webale nyo Ssebo!

Ambrose und Josephine Mukiibi für ihre Gastfreundschaft und daß sie mir ermöglicht haben, den „ugandischen Alltag“ mitzuerleben, sowie für die zahlreichen „kulturvergleichenden“

Gespräche. Für ihr unermüdliches Engagement und ihre Hilfe in allen Phasen der Datenerhebung bin ich sehr dankbar.

(3)

Gabriella von Lieres für die Übersetzungen, die Literaturtips und ganz besonders für die Ermutigung im Hinblick auf die Durchführung dieser Arbeit.

Verena Wespel für die „SAS -Nachhilfe“.

Matthias Günter, dessen Hilfe mich vor

„computerbedingten

Nervenzusammenbrüchen“ bewahrt hat.

Christine Klaschik, Sandra Ohly, Anja Ruther und Barbara Stern fürs Korrekturlesen und die vielen Tips.

meinem Patenonkel Franz Waldraff, durch den ich die Faszination für Afrika entdeckt habe und der mir diese Arbeit in vielerlei Hinsicht erst ermöglicht hat.

meiner Mutter für die Unterstützung während der Zeit der Diplomarbeit, für die „Care -Pakete“ nach Kampala, die geduldige „Hotline“ in den letzten Wochen, fürs Korrekturlesen und die vielen Gespräche, die sich um „Bindung“

und „Ko ntrolle“ drehten.

Patrick Kamiza und seinen Freunden für die anregende Diskussion im Hinblick auf die Fragebögen.

den Mitgliedern des Grail-House für die herzliche Aufnahme, die Gastfreundschaft und die ugandischen Kochkünste.

den Mitarbeitern des Social Training Centres für die Hilfe in Sachen Computer, e-mails, Telefonate und Kopien.

den Rektoren und Lehrern der Schulen für ihre Einwilligung und Unterstützung in und bei der Datenerhebung.

meinen Freunden und Bekannten, die mir Mut gemacht, meine Launen ertragen, mir Gesprächspartner waren und mich in vielerlei Hinsicht unterstützt haben.

allen Jugendlichen in Deutschland und besonders in Uganda, die sich zu einer Teilnahme bereit erklärt und über sich selbst Auskunft gegeben haben.

(4)

„Das Leben ist gar nicht so- es ist ganz anders.“

(Kurt Tucholsky)

(5)

INHALTSVERZEICHNIS

Seite

1. EINLEITUNG ...1

2. THEORIE...3

2.1 Entwicklungspsychologische Perspektive...3

2.1.1 Jugendalter ...4

2.1.2 Bindung...5

2.1.2.1 Bindung in der Kindheit ...5

2.1.2.2 Bindung im Jugendalter...9

2.1.2.3 Bindung im Erwachsenenalter...12

2.1.3 Kontrolle ...14

2.1.3.1 Überblick zur Kontrollforschung...14

2.1.3.2 Primäre und sekundäre Kontrolle ...15

2.1.3.3 Primäre und sekundäre Kontrolle unter entwicklungs- psychologischer Perspektive...17

2.1.4 Zusammenhang zwischen Bindung- und Kontrolle...18

2.2 Kulturvergleichende Perspektive...19

2.2.1 Auswahl und Beschreibung der Kulturen...20

2.2.1.1 Demographische Merkmale...21

2.2.1.2 Beschreibung der Kulturen anhand der Dimension „Individualismus-Kollektivismus“ ...23

2.2.1.3 Beschreibung der Kulturen anhand der Dimension „Tradition- Moderne“ und „Transition“ ...24

2.2.2 Zusammenhang zwischen dem Kontext „Kultur“ und dem „Selbst“ als zentralem Aspekt des Individuums ...27

2.2.3 Verbindung der entwicklungspsychologischen und kulturver- gleichenden Perspektive ...29

2.2.4 Bindung unter kulturvergleichender Perspektive ...30

2.2.5 Primäre und sekundäre Kontrolle unter kulturvergleichender Perspektive...32

2.3 Hypothesen...36

2.3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Bindungsstilen bei Jugend- lichen im deutsch-ugandischen Kulturvergleich...36

2.3.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Kontroll- orientierung bei Jugendlichen im deutsch-ugandischen Kulturvergleich...37

2.3.3 Zusammenhänge zwischen Bindungsstilen und Kontrollorientierung bei Jugendlichen im deutsch-ugandischen Kulturvergleich ...38

(6)

3. METHODEN...40

3.1 Stichprobe...40

3.1.1 Deutsche Stichprobe ...40

3.1.2 Ugandische Stichprobe ...41

3.1.3 Vergleich der deutschen und ugandischen Stichprobe ...45

3.2 Forschungskontext...47

3.2.1 Bildungswesen in Uganda ...47

3.2.2 Charakterisierung der Schulen, die sich an der Datenerhebung be- teiligten ...48

3.3 Durchführung der Untersuchung ...50

3.4 Verfahren ...51

3.4.1 Verfahren zur Erfassung soziodemographischer Informationen ...51

3.4.2 Adult Attachment Scales (AAS)...52

3.4.3 Verfahren zur Erfassung der Kontrollorientierung...53

3.5 Datenanalyseverfahren ...55

4. ERGEBNISSE ...58

4.1 Skalenbildung und Auswertung der Skalen...58

4.1.1 Skalenbildung und Auswertung der Adult Attachment Scales...59

4.1.2 Skalenbildung und Auswertung der Skalen zur Kontrollorientierung...62

4.2 Zuordnung der Versuchspersonen zu den Bindungsstilen...66

4.3 Überprüfung auf Effekte in Abhängigkeit der Reihenfolge der Darbietung der Verfahren ...69

4.4 Ergebnisse zur Testung der Hypothesen...69

4.4.1 Zusammenhang zwischen der Kulturzugehörigkeit und der Ver- teilung der Bindungsstile ...69

4.4.2 Zusammenhang zwischen Kulturzugehörigkeit und Kontroll- orientierung...71

4.4.3 Zusammenhang zwischen Kulturzugehörigkeit, Bindungsstil und Kontrollorientierung ...74

(7)

5. DISKUSSION...79

5.1 Inhaltliche Diskussion ...79

5.2 Methodische Interpretation der Ergebnisse...91

5.3 Zusammenfassung der Diskussion...96

5.4 Ausblick ...97

6. ZUSAMMENFASSUNG ...99

LITERATURVERZEICHNIS... 101 ANHANG

(8)

VERZEICHNIS DER TABELLEN

Seite

Tabelle 1... 41 Altersverteilung der deutschen und ugandischen Jugendlichen

Tabelle 2... 59 Interne Konsistenzen für die Bindungsskalen (Adult Attachment Scales)

Tabelle 3... 61 Korrelationen für die Bindungsskalen (Adult Attachment Scales)

Tabelle 4... 61 Mittelwerte und Standardabweichungen für die Bindungsskalen (Adult

Attachment Scales)

Tabelle 5... 63 Interne Konsistenzen für die Skalen zur Kontrollorientierung

Tabelle 6a... 64 Korrelationen für die Skalen zur Kontrollorientierung

Tabelle 6b... 64 Korrelationen für die Skalen zur primären Kontrollorientierung und den

Skalen zur sekundären Kontrollorientierung

Tabelle 7... 66 Mittelwerte und Standardabweichungen für die Skalen zur

Kontrollorientierung

Tabelle 8... 67 Univariate Varianzanalysen: Mittelwerte und Standardabweichungen der

Cluster auf den Bindungsskalen

(9)

Tabelle 9... 70 Unterschiede zwischen deutschen und ugandischen Jugendlichen hinsichtlich

der Verteilung der Bindungsstile

Tabelle 10a... 72 Mittelwertsunterschiede in der Kontrollorientierung in Abhängigkeit von

Kultur und Geschlecht

Tabelle 10b... 73 Mittelwertsunterschiede in sekundärer Kontrollorientierung in Abhängigkeit

von Kultur und Geschlecht

Tabelle 11a... 75 Mittelwertsunterschiede in der Kontrollorientierung in Abhängigkeit von

Kultur, Bindungsstil und Geschlecht

Tabelle 11b... 76 Mittelwertsunterschiede in der sekundären Kontrollorientierung in

Abhängigkeit von Kultur, Bindungsstil und Geschlecht

Tabelle 12... 77 Mittelwerte und Standardabweichungen für den Interaktionseffekt:

Geschlecht*Bindungsstil für sekundäre prädiktive Kontrollorientierung

(10)

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

Seite Abbildung 1 ... 70 Prozentuale Verteilung der Bindungsstile

Abbildung 2 ... 77 Interaktionseffekt: Geschlecht*Bindungsstil für sekundäre prädiktive

Kontrollorientierung

(11)

1. EINLEITUNG

Diese Arbeit beschäftigt sich aus kulturvergleichender Perspektive mit den Gemeinsam- keiten und Unterschieden der beiden Konstrukte „Bindung“ und „Kontrollorientierung“ im deutsch-ugandischen Vergleich und berücksichtigt zugleich aus entwicklungspsycho- logischer Sicht die Bedeutung dieser Konstrukte für das Jugendalter.

Bindung und Kontrolle lassen sich als grundlegende menschliche Bedürfnisse konzeptualisieren, die als solche kulturübergreifend beobachtbar und im Sinne eines universellen Auftretens interpretierbar sind. Die Ausprägung und Bedeutung von Bindung und Kontrolle kann hingegen kulturabhängig verschieden sein. Die kulturvergleichende Fragestellung soll zu einem differenzierteren Verständnis der Konstrukte beitragen. Die Auswahl der ugandischen Kultur ist einerseits unter dem Aspekt bedeutsam, daß für Kulturen Schwarzafrikas kaum aktuelle Forschungsergebnisse zu diesem Thema vorliegen.

Andererseits befindet sich Uganda in einer Übergangsphase, die von traditionellen und modernen Elementen gekennzeichnet ist. Dies ist ein Aspekt, der für viele Kulturen Afrikas zutreffen mag, hinsichtlich Uganda jedoch auf dem Hintergrund spezifischer historisch- kultureller Einflüsse einen einzigartigen Charakter erhält.

Unter entwicklungpsychologischer Perspektive (s Kapitel 2.1) wird Bezug auf die Theorie des „dynamischen Interaktionismus“ (Lerner, 1986, 1987) sowie auf Konzepte des Jugendalters (s. Kapitel 2.1.1) genommen, um einen theoretischen Rahmen für die Einbettung der Konstrukte zu schaffen. Anschließend wird Bindung in der Kindheit, im Jugend- und Erwachsenenalter erläutert (s. Kapitel 2.1.2). Hinsichtlich des folgenden Überblicks zur Kontrollforschung und der Beschreibung von „primärer und sekundärer Kontrollorientierung“ (s. Seginer, Trommsdorff & Essau, 1993) unter entwicklungs- psychologischer Perspektive (s. Kapitel 2.1.3) sei erwähnt, daß Kontrolle im Rahmen dieser Arbeit als übergeordneter Begriff verstanden wird, der sich als primäres Motiv interpretieren läßt und im Zusammenhang zu zahlreichen weiteren Konstrukten steht. Kontroll- orientierungen beinhalten auf kognitiver Ebene sog. Kontrollüberzeugungen und auf Verhaltensebene Kontrollverhalten. Beide Aspekte können relevant werden, wenn das Bedürfnis nach Kontrolle aktiviert wird. „Primäre und sekundäre Kontrolle “ werden im Rahmen dieser Arbeit synonym zu „primärer und sekundärer Kontrollorientierung“

verwendet. Zur Definition von primärer und sekundärer Kontrolle bzw. Kontrollorientierung sei auf Kapitel 2.1.3.2 verwiesen.

(12)

Im Anschluß an diesen Überblick wird versucht, einen motivationstheoretischen Zusammen- hang zwischen Bindung und Kontrolle aufzuzeigen (s. Kapitel 2.1.4).

Unter kulturvergleichender Perspektive (s. Kapitel 2.2) erfolgt eine Definition von Kultur und die Beschreibung der deutschen und ugandischen Kultur anhand der Dimensionen

„Individualismus -Kollektivismus“ und „Tradition -Moderne“ bzw. „Transition“ (s. Kapitel 2.2.1). Der Zusammenhang zwischen Kultur und Selbst sowie die Verbindung der entwicklungspsychologischen mit der kulturvergleichenden Perspektive werden aufgezeigt (s. Kapitel 2.2.2).

Schließlich werden Bindung sowie primäre und sekundäre Kontrolle unter kulturver- gleichender Perspektive betrachtet (s. Kapitel 2.2.4 und Kapitel 2.2.5), um die für diese Arbeit relevanten Hypothesen in Bezug auf das Jugendalter im deutsch-ugandischen Vergleich formulieren zu können (s. Kapitel 2.3).

.

(13)

2. THEORIE

2.1 Entwicklungspsychologische Perspektive

Entwicklung läßt sich im Sinne von „Veränderung“ in Abhängigkeit der jeweils zugrundeliegenden theoretischen Position verschieden definieren. Nach Montada (1995) läßt sich eine Typologie von Entwicklungstheorien aufstellen, die vier „prototpyische Theorie - familien“ umfaßt, nämlich endogenistische Theorien, exogenistische Theorien, Selbstge- staltungstheorien und interaktionistische Theorien (S. 7). Diese unterscheiden sich in ihrer Annahme hinsichtlich des Einflusses, die die Kombination aus Person- und Umweltvariablen auf die Entwicklung hat. Die Theoriefamilien lassen sich danach differenzieren, inwieweit der Person bzw. der Umwelt eine aktive versus eine passive Rolle in der Ontogenese zu- kommen (Montada, 1995).

Die interaktionistische Perspektive schreibt sowohl der Umwelt als auch dem Individuum eine aktive Rolle zu. Beide stehen im wechselseitigen Einfluß und bewirken durch diese Interaktion Veränderungen, die sich im Sinne von Entwicklung auffassen lassen (Montada, 1995). Lerner (1986, 1987) differenziert in seiner Theorie des „dynamischen Inter - aktionismus“ diese Wechselwirkung zwischen Individuum und U mwelt. Eine wesentliche Grundlage für sein Modell des „Developmental Contextualism“ liefert der Ansatz der Lebensspannen-Entwicklungspsychologie (s. Baltes, 1990). Dieser Ansatz beinhaltet zum einen die Auffassung, daß Entwicklung über die gesamte Lebensspanne stattfindet und sich nicht nur auf die Kindheit des Individuums beschränken läßt, und zum anderen das Konzept der „Organismus -Kontext-Relation“. Dieses Konzept geht von einer reziproken interaktiven Beziehung zwischen biologischen, physikalischen, psychologischen, sozialen und historischen Prozessen aus und betrachtet das Individuum im Kontext dieser Prozesse.

Lerner (1987) unterscheidet entsprechend eine inner-biologische, eine individual- psychologische, eine soziokulturelle, eine historische und eine ökologische Ebene. Zwischen den verschiedenen Ebenen können wechselseitige Interaktionsprozesse stattfinden, deren Dynamik zu einer Veränderung des gesamten Individuum-Umwelt-Systems führt. Hierbei kann jedes Element des Systems zugleich Produkt und Produzent des jeweils anderen sein.

Die interaktionistische Sichtweise wurde als theoretischer Rahmen für diese Arbeit gewählt, da sie einerseits die Integration einer kulturvergleichenden Perspektive (Valsiner, 1989)

(14)

ermöglicht und sich andererseits auch auf Konzepte des Jugendalters beziehen läßt (vgl.

Valsiner, 2000).

2.1.1 Jugendalter

Jugendalter kann als eine Phase innerhalb des Lebenszyklus definiert werden, die durch biologische, intellektuelle und soziale Veränderungen gekennzeichnet ist (Oerter & Dreher, 1995). Der Begriff Jugendalter und Adoleszenz werden in dieser Arbeit synonym verwendet, obwohl Adoleszenz korrekterweise eine „Entwicklungsphase bezeichnet, die den Übergang ins Jugendalter kennzeichnet“ (Fröhlich, 1993, S. 41 ) und Jugendalter „den Ent - wicklungsabschnitt zwischen der Adoleszenz und dem frühen Erwachsenenalter bezeichnet“

(Fröhlich, 1993, S. 229).

Moderne Theorien der Adoleszenz haben sich von der Sichtweise des Jugendalters als

„Sturm und Drang -Phase“, wie sie von Hall (1904) ursprüngl ich formuliert wurde distanziert und kritisieren, daß die Mehrzahl der Theorien aus dem Blickwinkel Erwachsener formuliert wurden, die kaum eine Berücksichtigung der jugendlichen Sichtweise ermöglicht (Valsiner, 2000). Im Rahmen einer interaktionistischen Perspektive schlägt Valsiner (2000) deswegen einen ko-konstruktivistischen Ansatz vor, in dem das Jugendalter als Lebensphase konzeptualisiert ist, in der Adoleszente ihr Selbst einerseits unter dem Einfluß von biologischen Reifungsprozessen und andererseits unter dem Einfluß von gesellschaftlichen bzw. kulturellen Erwartungen aushandeln (Valsiner, 2000). In Anlehnung an Eisenstadt (1956) sieht Trommsdorff (1989a) diese „[Lebensphase als kulturell definiert], die mit bestimmten Verhaltenserwartungen und Entwicklungsaufgaben verbunden ist“ (S. 246). Das Konzept der Entwicklungsaufgaben wurde von Havighurst (1982) formuliert. Oerter und Dreher (1995) fassen das Verständnis von Entwicklung, das diesem Konzept zugrunde liegt, folgendermaßen zusammen: „Entwicklun g wird als Lernprozeß aufgefaßt, [...] der im Kontext realer Anforderungen zum Erwerb von Fähigkeiten und Kompetenzen führt, die zur konstruktiven und zufriedenstellenden Bewältigung des Lebens in einer Gesellschaft notwendig sind“ (S. 326). Dieser Definition liegt die Annahme eines „aktiv Lernenden“

zugrunde, der „mit einer aktiven sozialen Umwelt interagiert“ (Havighurst, 1982, S. 6).

Entwicklungsaufgaben lassen sich als Lernaufgaben definieren und umfassen für das Jugendalter u.a. die Entwicklung einer Zukunftsperspektive, die Übernahme der männlichen bzw. weiblichen Geschlechtsrolle sowie das Ziel, eine angemessene soziale Gruppe zu finden und einen Berufseinstieg zu bewältigen (Havighurst, 1982). Als Quellen dieser Entwicklungsaufgaben können einerseits physische Reifungsprozesse angesehen werden, die

(15)

weitgehend universell sind und in allen Kulturen in geringer Variation auftreten.

Andererseits können kulturspezifische gesellschaftliche Erwartungen als Quellen von Entwicklungsaufgaben wirksam werden, die zugleich als Ursache für Unterschiede in spezifischen Entwicklungsaufgaben anzusehen sind: In jeder Kultur werden altersbezogene Normen relevant, d.h. zu welchem Zeitpunkt und auf welche Art und Weise Rollen- übergänge stattfinden und bestimmte Kulturtechniken beherrscht werden sollten (s. Oerter &

Dreher, 1995; Trommsdorff, 1989a).

Entwicklungsaufgaben, wie die Aufnahme partnerschaftlicher Beziehungen, das Erreichen einer emotionalen Unabhängigkeit von den Eltern, sowie die Übernahme eines Werte- systems (s. Havighurst 1982) sind bedeutsam für die Konstrukte Bindung und Kontrolle.

2.1.2 Bindung

2.1.2.1 Bindung in der Kindheit

Bindung läßt sich im Sinne eines primären, universellen Motivs interpretieren. „According to Kagan (1972), the goal of a primary universal motive is to seek certainity and to resolve uncertainty in order to create an order in the diffuse stream of events“ (Friedlmeier, unver- öffentlichtes Manuskript, S. 8). Der Motivbegriff, der einen angestrebten Zielzustand bein- haltet, kann im Sinne eines hypothetischen Konstrukts verstanden werden, das Aussagen darüber erlaubt, unter welchen Bedingungen ein Motiv aktualisiert wird, und welche Wirkungen dies mit sich bringt (Heckhausen, 1980).

So beschreibt Bowlby (1969, 1988) Bindung als angeborenes, grundlegendes Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit, Nähe und Schutz, das sich je nach Alters- bzw. Entwicklungsstand auf Verhaltensebene durch Schreien, Anklammern oder aktive Bewegung auf seine primäre Bezugsperson hin äußert. Dem Bindungssystem ist das Explorationssystem komplementär zugeordnet. Ungestörtes Explorationsverhalten zeigen Kinder dann, wenn sie sich sicher fühlen und die Bezugsperson erreichbar wissen (Bowlby, 1984). Das Bindungs- verhaltenssystem wird durch unerwartete Situationen oder bei drohender Unsicherheit aktiviert und ist auf die Bindungsperson, meist die Mutter, hin ausgerichtet, die dem Kind gegenüber entsprechendes Fürsorgeverhalten zeigt. Ist die Nähe zur Bindungsperson hergestellt und Schutz und Hilfe verfügbar, wird das Bindungsverhalten beendet (Bowlby, 1984). Die Funktion des Bindungsverhaltenssystems trägt aus evolutionsbiologischer Sicht zur Sicherung des Überlebens der Nachkommenschaft bei (Bowlby, 1984).

(16)

Unter ontogenetischer Perspektive lernt das Kind, sein Bindungsverhalten an spezifische Bedingungen anzupassen, die von der Bezugsperson geschaffen werden (Ainsworth, 1969).

Ainsworth (1967) konnte im Rahmen einer Beobachtungsstudie mit ugandischen Kindern im Alter bis zu 15 Monaten verschiedene Qualitäten von Bindungsverhalten beobachten und unterschied sicher-gebundene, unsicher-gebundene und nicht-gebundene Kinder. Sicher- gebundene Kinder zeigten altersangemessenes Bindungsverhalten, wie differenziertes Lächeln oder Anklammern und verhielten sich überwiegend ruhig in Anwesenheit der Mutter. Unsicher-gebundene Kinder zeigten ebenfalls altersangemessenes Bindungs- verhalten, schrien aber häufig und tolerierten kaum eine räumliche Distanz zur Mutter.

Nicht-gebundene Kinder hingegen zeigten kein altersangemessenes Bindungsverhalten.

Diese drei Qualitäten von Bindungsverhalten wurden von Ainsworth (1978) in einer Folge- studie mit amerikanischen Kleinkindern weiter in sicher, unsicher-vermeidend und unsicher- ambivalent differenziert. Zur Klassifikation der Bindungsstile wurde ein standardisiertes Verfahren, der sog. „Fremde -Situation-Test“ (Ainsworth & Wittig, 1969) entwickelt, dem die Annahme zugrunde liegt, daß durch eine Trennungsphase von der Mutter das Bindungsbedürfnis des Kindes aktiviert wird. Hierzu wird das Kind zuerst in Anwesenheit der Mutter hinsichtlich seines Explorationsverhaltens in einem ihm unbekannten Setting beobachtet. Dann verläßt die Mutter kurzzeitig den Raum, was die Aktivierung des Bindungsbedürfnisses beim Kind hervorrufen und sich im Explorationsverhalten bemerkbar machen sollte. Nach dieser Trennungsphase betritt die Mutter wieder den Raum und in der sog. Wiedervereinigungsphase wird das Bindungsverhalten des Kindes gegenüber der Mutter beobachtet.

In einer Studie von Ainsworth (1978) zeigten die als sicher klassifizierten Kinder Typ-B- Verhalten: Sie nutzten die Mutter als sichere Basis, um die ihnen unbekannte Umgebung zu explorieren. In Abwesenheit der Mutter war dieses Explorationsverhalten weniger ausge- prägt. In der Wiedervereinigungsphase suchten die Kinder zunächst Körperkontakt bei der Mutter und zeigten erneutes Explorationsverhalten, wenn das Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit wiederhergestellt war.

Die als unsicher-ambivalent klassifizierten Kinder zeigten Typ-C-Verhalten: Ihr Explorationsverhalten war weniger ausgeprägt und sie suchten häufiger die Nähe der Mutter auf. In Abwesenheit der Mutter zeigten sie kaum Explorationsverhalten und ließen sich in der Wiedervereinigungsphase schwer beruhigen bzw. drückten der Mutter gegenüber Ärger oder Ablehnung aus (Ainsworth, 1978).

(17)

Unsicher-vermeidende Kinder mit Typ-A-Verhalten explorierten in Anwesenheit der Mutter die Umgebung. Allerdings suchten sie im Vergleich zu sicher oder ambivalent gebundenen Kinder die Mutter nicht in dem Ausmaß als sichere Basis auf. In Abwesenheit der Mutter zeigten sie scheinbar weiterhin ungestörtes Explorationsverhalten, das aber durch psycho- physiologische Stressreaktionen gekennzeichnet war (vgl. Spangler & Grossmann, 1993). In der Wiedervereinigungsphase wandten sich die Kinder von der Mutter ab und zeigten vermeidendes Verhalten (Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978).

Grossmann und Grossmann (1996) untersuchten deutsche Kinder (N = 92), im Alter von 12 bis 15 Monaten. Als sicher gebunden wurden 45%, als vermeidend gebunden 41% und als ambivalent gebunden 10% der Kinder eingeschätzt.

Main und Solomon (1986) differenzieren einen weiteren Typ von Bindungsqualität, nämlich desorganisiertes bzw. desorientiertes Verhalten, das mit Grimassieren, Erstarren u.ä. einher- geht. Diese Kinder befinden sich scheinbar in einem inneren Konflikt, zu dem sie kein adäquates Verhaltensprogramm haben. Ihr Verhalten ist kennzeichnend für eine besonders unsichere Bindung und läßt sich oft im Zusammenhang mit Mißhandlung und traumatischen Erfahrungen beobachten.

Generell läßt sich die Frage stellen, durch welche Variablen die Bindungsqualität maßgeb- lich beeinflußt wird. Ainsworth (1978) nahm einen Zusammenhang zwischen der Qualität des Bindungsverhaltens und der Verfügbarkeit und Sensibilität der Mutter an. Dieser Zu- sammenhang wurde von Grossmann und Grossmann (1989) empirisch überprüft. Das von den Autoren formulierte Konzept der Responsivität ermöglicht eine differenzierte Beschreibung der Variablen, die seitens der Mutter wirksam werden. Responsivität umfaßt neben der erforderlichen Aufmerksamkeit gegenüber dem Kind eine angemessene und prompte Reaktion auf dessen Signale. Mütter sicher gebundener Kinder zeigten eine ausgeprägtere Verfügbarkeit und reagierten responsiver, d.h. angemessener und prompter auf die Bedürfnisse ihrer Kinder. Mütter vermeidender Kinder reagierten mit größerer Wahrscheinlichkeit zurückweisend und lösten so im Kind eine Reaktion aus, die als Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt interpretiert wurde: Bei drohender Unsicherheit suchten die Kinder Kontakt zur Mutter. Die Intensität des Bindungsverhaltens wurde aber durch die Zurückweisung weiter verstärkt, so daß das damit verbundene erhöhte Arousal nur durch vermeidendes Verhalten reduziert werden konnte. Mütter ambivalent gebundener Kinder zeigten kein zurückweisendes Verhalten ihren Kindern gegenüber, reagierten aber

(18)

auch nicht so responsiv wie Mütter sicher gebundener Kinder. Dieses Verhalten läßt sich deswegen am ehesten als inkonsistent beschreiben (Grossmann & Grossmann, 1989).

Bindung wird jedoch nicht nur auf Verhaltensebene relevant, sondern hat im Sinne eines erweiterten Konzepts Einfluß auf die gesamte sozio-emotionale Entwicklung (s. Grossmann

& Grossmann, 1991; Sroufe & Fleeson, 1986). Die Erfahrungen, die ein Kind im Zusammenhang mit der Aktivierung und Befriedigung des Bedürfnisses nach Sicherheit macht, d.h. die Reaktion der Bezugsperson auf das gezeigte Bindungsverhalten, werden mit zunehmendem Alter in Form einer kognitiven Repräsentation verinnerlicht. Bowlby (1969) bezeichnet diese Struktur als internal working model, die Überzeugungen hinsichtlich anderer und sich selbst auf der Basis abstrahierter Bindungserfahrungen beinhaltet. Das

„model of others“ beinhaltet somit Überzeugungen in Bezug auf die Verfügbarkei t und Responsivität anderer und kann auf diese Art und Weise grundlegende Einstellungen und Erwartungen hinsichtlich Beziehungen prägen (s. Blain, Thompson & Whiffen, 1993). Das

„model of self“ beinhaltet Überzeugungen hinsichtlich des eigenen Selbstwerts. Ein positives Selbstbild hängt davon ab, ob das Kind durch eine angemessene Reaktion auf seine Signale Wertschätzung erfährt (Bowlby, 1988).

Je nach Art der bindungsrelevanten Erfahrungen können qualitative Unterschiede in der Ausdifferenzierung des working models angenommen werden, so daß sich Bindung nicht nur auf Verhaltensebene beobachten, sondern auch auf kognitiver Ebene annehmen läßt. Die Ausbildung der im working model repräsentierten Überzeugungen läßt sich als „Inter - nalisierungsprozeß“ beschreib en, der eine Ausdifferenzierung des Bindungsmotivs hinsichtlich seiner Struktur und Funktion ermöglicht (Friedlmeier, unveröffentlichtes Manuskript). Das Bindungsmotiv wird im Entwicklungsverlauf zunehmend in ein Motiv- system erweitert. Zur Konzeptualisierung des Motivsystems sei auf Kornadt (1984) verwiesen, dessen allgemeine Annahmen über das Motivsystem sich auch auf das Bindungsmotiv anwenden lassen: Neben einfachen Reiz-Reaktionsverknüpfungen, vermittelt durch konkrete Bindungserfahrungen, werden zunehmend kognitive Aspekte wirksam, die weitere Zielorientierungen und Handlungen beeinflussen können. So konnten Main, Kaplan und Cassidy (1985) in Abhängigkeit qualitativ verschieden ausgeprägter working models Unterschiede in Bezug auf bindungsrelevante Emotionen, Kognitionen, Sprach- und Ge- dächtnisprozesse nachweisen.

In der bisherigen Ausführung wurde lediglich ein unidirektionaler Zusammenhang zwischen bindungsrelevanten Erfahrungen, der Ausbildung des working models und dessen Einfluß

(19)

auf weitere Handlungen, Kognitionen und Emotionen berücksichtigt. Wird das Bindungs- motiv und dessen Ausdifferenzierung in eine interaktionistische Perspektive integriert, muß der Einfluß von sozialem Feedback auf das Motivsystem berücksichtigt werden, was von Friedlmeier (unveröffentlichtes Manuskript) in Anlehnung an Valsiner (1988) als Externa- lisierungsprozeß bezeichnet wird. Das Bindungsmotiv ist somit stark mit aktuellem Interaktionsverhalten verknüpft, und wechselseitige Austauschprozesse können in spe- zifischen Situationen Veränderungen des working models bewirken: Bindungsrelevante Erfahrungen, die im Widerspruch zu den verinnerlichten Überzeugungen stehen, können nicht ohne weiteres in die bestehende Struktur integriert werden. In diesem Zusammenhang kann es zu einer Umstrukturierung des working models kommen. Diese dynamische Konzeptualisierung von Bindung, die eine Parallele zu Piagets (1972) Konzept der Assimilation und Akkommodation aufweist, läßt sich auf theoretischer Ebene dem sog.

Trait-Konstrukt von Bindung (s. Maccoby & Masters, 1970; Sroufe & Waters, 1977) gegenüberstellen, schließt aber eine Integration empirischer Belege zur Stabilität von Bindungsstilen in verschiedenen Altersabschnitten (s. Grossmann & Grossmann, 1991) nicht aus. Soziales Feedback bzw. neue bindungsrelevante Erfahrungen können ebenfalls so strukturiert sein, daß sie das bereits bestehende working model bestätigen.

Unter entwicklungspsychologischer Perspektive ist Bindung über die gesamte Lebensspanne wirksam (Bowlby, 1979). Über das Konzept des working models lassen sich Bindungsstile auch im Jugend- und Erwachsenenalter differenzieren. Da Bindung in erster Linie in der Kindheit und im Erwachsenenalter erforscht wurde, liegen wenig empirische Belege für die Erfassung der Bindungsstile im Jugendalter vor.

2.1.2.2 Bindung im Jugendalter

Im Zusammenhang mit den bereits genannten Entwicklungsaufgaben, wie der Aufnahme partnerschaftlicher Beziehungen und dem Erreichen einer emotionalen Unabhängigkeit von den Eltern, kommt der Übertragung der Bindungsfunktionen (s. Bowlby, 1969; Hazan und Shaver, 1994) von den Eltern auf Gleichaltrige im Jugendalter eine bedeutende Rolle zu.

Ainsworth (1991) betont in diesem Zusammenhang, daß nicht jede Beziehung zu Gleichaltrigen die Merkmale einer Bindungsbeziehung aufweisen und diese v.a. innerhalb partnerschaftlicher Beziehungen zu finden sind. Die Übertragung der Bindungsfunktionen erfolgt schrittweise nach drei Komponenten (Hazan & Shaver, 1994), die bereits Bowlby (1969, 1979) im Kleinkindalter beobachtet hat: Die Bindungsfunktion, die der

(20)

Aufrechterhaltung von physischer Nähe dient, wird als erstes auf Gleichaltrige übertragen, gefolgt von der Funktion des sog. „sicheren Hafens“, der sich als das Aufsuchen von Unterstützung und Rückversicherung charakterisieren läßt. Die Funktion der „sicheren Basis“, die es ermöglicht, dem Partner Sorgen anzuvertrauen und gegenseitig Trost zu gewähren (Hazan & Shaver, 1994) wird zuletzt übertragen. Einen empirischen Hinweis auf diese schrittweise Übertragung liefert eine Studie von Shaver und Hazan (1993), in der 17- jährige Jugendliche einen Peer für die Aufrechterhaltung von Nähe und die Funktion des

„sicheren Hafens“ nennen, w ohingegen die Funktion der „sicheren Basis“ weiterhin den Eltern vorbehalten bleibt.

Lauinger (1998) gelang es, die drei Bindungsstile bei deutschen Jugendlichen (N = 202) zu identifizieren und konnte 57% der Probanden einem sicheren, 14.5% einem vermeidenden und 28.5% einem ambivalenten Bindungsstil zuordnen. Lauinger bezog sich bei der Konzeptualisierung und Erfassung der Bindungsstile auf Collins und Read (1990), die anhand der drei Dimensionen „Nähe“, „Abhängigkeit“ und Verlassenheitsangst“ erwachsene Probanden den Bindungsstilen zuordnen konnten (s. Kapitel 2.1.2.3). Die erste Dimension bezieht sich auf die Fähigkeit, Nähe zulassen zu können, wohingegen sich die zweite Dimension darauf bezieht, sich selbst und die entsprechende Bindungsperson in wechselseitiger Abhängigkeit bzw. Verfügbarkeit zu sehen. Die Dimension Verlassenheitsangst bezieht sich auf die Angst, von anderen verlassen bzw. allein gelassen zu werden. Lauinger konnte mit seiner Studie die Ergebnisse von Collins und Read (1990) weitgehend replizieren, die ihre Probanden folgendermassen charakterisierten: Sicher gebundene Probanden konnten Nähe und Abhängigkeit zulassen und zeigten eine geringe Verlassenheitsangst. Vermeidend gebundene Probanden zeigten ebenfalls eine niedrige Verlassenheitsangst, konnten aber Nähe und Abhängigkeit nicht zulassen. Ambivalent gebundene Probanden zeigten eine hohe Verlassenheitsangst, konnten Nähe und bis zu einem gewissen Grad auch Abhängigkeit zulassen. Da sich die Dimensionen im Original auf einen erwachsenen Partner beziehen, wurde die Formulierung der Items dahingehend geändert, daß sich die Dimensionen auf eine Person beziehen ließen, die der Proband sehr mag, was sowohl Eltern als auch Freunde umfassen kann. Obwohl unklar bleibt, inwieweit die Jugendlichen die Bindungsfunktionen bereits übertragen haben bzw. inwieweit diesbezüglich individuelle Unterschiede vorliegen, kann die Studie von Lauinger (1998) als empirischer Beleg dafür gesehen werden, daß sich die drei Bindungsqualitäten auch im Jugendalter identifizieren lassen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Kontinuität des in der Kindheit erworbenen working models und des Bindungsstils im

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Jugendalter. Zimmermann (1994) konnte in einer Längsschnittstudie keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Bindungsstil mit einem Jahr und der Bindungsrepräsentation mit 16 Jahren nachweisen. Eine Kontinuität zeigte sich aber vom zehnten zum 16. Lebens- jahr.

Diese Befunde lassen sich im Rahmen der von Friedlmeier (unveröffentlichtes Manuskript) postulierten dynamischen Konzeptualisierung (s. Kapitel 2.1.2.1) einordnen: Wenn Bindung als Motivsystem konzeptualisiert wird, das sich im Lauf der Entwicklung ausdifferenziert, kann dies einerseits Veränderungen des Bindungsstils über die Entwicklung erklären. Diese können dann auftreten, wenn bindungsrelevante Erfahrungen gemacht werden, die im Gegensatz zu den im working model repräsentierten Erfahrungen stehen und eine Um- strukturierung des working models erfordern. In diesem Sinn läßt sich auch der nicht eindeutige Zusammenhang zwischen dem Bindungsstil im Alter von einem und 16 Jahren (s.

Zimmermann, 1994) erklären. Andererseits ermöglicht die motivationstheoretische Konzeptualisierung auch eine Berücksichtigung der Stabilität hinsichtlich der Bindungsstile.

Diese läßt sich dann annehmen, wenn neue bindungsrelevante Erfahrungen im Sinne der bereits im working model repräsentierten Erfahrungen gemacht werden und ohne Umstrukturierung oder Erweiterung des working models integriert werden können. Dieses Modell postuliert nicht, daß das working model bzw. der Bindungsstil im Laufe der Entwicklung ständig umstrukturiert wird. Es ermöglicht aber eine grundlegende Offenheit und Integration von Veränderungen hinsichtlich des working models bzw. der Bindungsqualitäten (s. Friedlmeier, unveröffentlichtes Manuskript).

Zudem ermöglicht die Annahme eines sich zunehmend ausdifferenzierten Motivsystems die Integration empirischer Belege für den Zusammenhang zwischen Bindung und anderen Variablen. So konnten Kobak und Sceery (1988) in Abhängigkeit des jeweiligen Bindungsstils Unterschiede hinsichtlich verschiedener Variablen wie beipielsweise sozialer Kompetenz und Durchsetzungsvermögen nachweisen. Zahlreiche Arbeiten belegen Zu- sammenhänge mit anderen Variablen (für eine Übersicht s. Rice, 1990).

Im Folgenden wird ein Überblick zur Bindungsforschung in Bezug auf das Erwachsenenalter gegeben.

(22)

2.1.2.3 Bindung im Erwachsenenalter

In der Bindungsforschung im Erwachsenenalter lassen sich zwei Traditionen unterscheiden (s. Simpson & Rholes, 1998): Zum einen wird die normative Komponente von Bindung betont und dabei versucht, allgemeine Aspekte von Bindungsverhalten und –entwicklung zu erklären, die alle Individuen gleichermaßen betreffen. Die zweite Tradition beschäftigt sich mit individuellen Unterschieden hinsichtlich Bindung, wobei sich viele Arbeiten auf die von Ainsworth (1978) vorgenommene Differenzierung stützen. Innerhalb dieser Tradition lassen sich zwei Forschungsschwerpunkte unterscheiden:

Die „nukleare Familientradition“ (s. Simpson & Rholes, 1998) beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen elterlichem Bindungsstil und dem Bindungsstil der Kinder innerhalb der Kernfamilie. Vorhersagen zu diesem Zusammenhang können mit Hilfe des von George, Main und Kaplan (1985) entwickelten „Adult Attachement Interviews“

getroffen werden.

Ein zweiter Schwerpunkt konzentiert sich auf die Erforschung von Bindung im Rahmen freundschaftlicher oder partnerschaftlicher Beziehungen (für eine Übersicht s. Simpson und Rholes, 1998). Das erste Verfahren, das eine Erfassung der Bindungsstile im Er- wachsenenalter ermöglichte, wurde von Hazan und Shaver (1987) unter der zugrunde liegenden Annahme entwickelt, daß sich hinsichtlich der Funktion von Bindung folgende Gemeinsamkeiten im Kindes- und Erwachsenenalter finden lassen: Dem Aufsuchen von Nähe und Schutz bei Bedrohung in der Kindheit bzw. die Aktivierung von Bindungs- verhalten bei Trennung von der Bezugsperson entsprechen im Erwachsenenalter die Suche und Aufrechterhaltung einer engen Beziehung zu einem Partner, dem Wunsch nach der Verfügbarkeit dieses Partners und das Erleben von Distress bei Trennung. Dementsprechend sollten sich Bindungsstile im Erwachsenenalter dahingehend unterscheiden lassen, wie partnerschaftliche Beziehungen erfahren und wahrgenommen werden. Weiss (1982) hin- gegen hebt die Unterschiede von Bindungsaspekten im Kindes- und Erwachsenenalter hervor. In der Kindheit wird das Explorationssystem wesentlich von der Aktivierung des Bindungssystems beeinflußt, im Erwachsenenalter hingegen nicht mehr zwangsläufig.

Zudem handelt es sich im Erwachsenenalter um ein komplementäres Bindungsverhältnis zu einem ebenfalls erwachsenen Peer, wohingegen in der Kindheit ein asymmetrisches Bindungsverhältnis zwischen Kind und der Bindungsperson vorliegt. Trotz dieser postulierten Unterschiede von Weiss (1982) konnten Hazan und Shaver (1987) die drei Bindungsstile im Erwachsenenalter anhand folgender Merkmale identifizieren: Ein sicherer

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Bindungsstil äußert sich durch Vertrauen, Nähe und positive Emotionen gegenüber dem Partner. Ein vermeidender Bindungsstil wird mit fehlendem Vertrauen und Angst vor Nähe assoziiert, wohingegen sich ein ambivalenter Bindungsstil durch Nähe und eine hohe Angst, verlassen zu werden, kennzeichnen läßt. Anhand einer Stichprobe (N= 108) nordameri- kanischer Erwachsener mit einem durschnittlichen Alter von 18 Jahren ließ sich eine ähnliche Verteilung der Bindungsstile finden, wie sie auch bei Kindern identifiziert werden konnte: 56% der Probanden konnten einem sicheren, 23% einem vermeidenden und 21%

einem ambivalenten Bindungsstil zugeordnet werden. Die Konzeptualisierung der Bindungs- stile erfolgte bei Hazan und Shaver (1987) kategoriell, was von Collins und Read (1990) dahingehend kritisiert wurde, daß dadurch die Bindungsstile nicht differenziert genug erfaßt werden könnten. Collins und Read (1990) postulieren daher die bereits genannten drei von- einander unabhängigen Dimensionen „Nähe“, „Abhängigkeit“ und „Verlassenheitsangst“, die einen flexibleren Zugang hinsichtlich der Erfassung der Bindungsstile ermöglichen (s.

Collins & Read, 1990).

Der Vollständigkeit halber sei auf eine weitere dimensionale Konzeptualisierung hin- gewiesen, die von Bartholomew und Horowitz (1991) vorgenommen wurde. Die Autoren unterscheiden vier Bindungsstile, die sie in Anlehnung an das Konzept des working models anhand der Dimensionen Selbst- versus Fremdbild differenzieren. Auf eine differenzierte Erläuterung wird verzichtet, da im Rahmen dieser Arbeit v.a. auf die von Collins und Read (1990) postulierten Dimensionen Bezug genommen wird.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Konzeptualisierung der Bindungsstile im Erwachsenenalter sowohl kategoriell (s. Shaver & Hazan, 1987) als auch dimensional (s.

Collins & Read, 1990; Bartholomew & Horowitz, 1991) erfolgte und sich auf einen erwachsenen Partner bezieht. Inwiefern sich ein Zusammenhang zwischen den Bindungs- stilen im Erwachsenenalter und bindungsrelevanten Aspekten in der Kindheit und im Jugendalter aufzeigen läßt, soll im Folgenden kurz beschrieben werden. Collins und Read (1990) konnten einen Zusammenhang zwischen dem Bindungsstil im Erwachsenenalter und der Erinnerung an das Verhalten ihrer Bezugspersonen in der Kindheit nachweisen: Das Erziehungsverhalten ihrer eigenen Eltern wurde von sicher gebundenen Erwachsenen als warm und feinfühlig beschrieben, von vermeidend gebundenen Erwachsenen jedoch als kalt und abweisend. Ambivalent gebundene Erwachsene beschrieben den Erziehungsstil der Eltern als inkonsistent (Collins & Read, 1990).

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Lauinger (1998) konnte diesen Zusammenhang zwischen wahrgenommenem Erziehungs- verhalten in der Kindheit und der qualitativen Ausprägung der Bindungsstile auch für Jugendliche empirisch nachweisen, wobei vermeidend gebundene Jugendliche entgegen den theoretischen Erwartungen das elterliche Erziehungsverhalten als inkonsistenter beschrieben als ambivalent gebundene Jugendliche.

Dem Zusammenhang zwischen Erziehungsstil der Eltern und der qualitativen Ausprägung der Bindungsstile könnte im Jugendalter eine besondere Bedeutung zukommen. Jugendliche befinden sich einerseits in wechselseitigem Austausch mit ihren Eltern und damit mit deren Erziehungsverhalten. Andererseits müssen Jugendliche den Übergang zwischen den für die Kindheit kennzeichnenden Bindungsmerkmalen und den für das Erwachsenenalter kenn- zeichnenden Bindungsmerkmalen bewältigen und neue Bindungsbeziehungen zu gleich- altrigen Peers aufbauen.

Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Bindung und Kontrolle sei auf Kapitel 2.1.4 verwiesen. Im folgenden Kapitel wird zunächst ein allgemeiner Überblick zur Kontroll- forschung sowie zur primären und sekundären Kontrolle unter entwicklungspsychologischer Perspektive gegeben.

2.1.3 Kontrolle

2.1.3.1 Überblick zur Kontrollforschung

Es herrscht weitgehend Übereinstimmung darin, daß Kontrolle als universelles Bedürfnis verstanden werden kann, das eine Reduktion von Unsicherheit bzw. eine Maximierung von Sicherheit für das Individuum beinhaltet (s. De Charms, 1968; White, 1959).

Verschiedenste empirische und korrelative Studien zeigen Zusammenhänge zwischen Kontrolle und physischem und psychischem Wohlbefinden, sowie zu einer Vielzahl von weiteren Konstrukten (s. Krampen, 1987; Skinner, 1996) auf und belegen die zentrale Bedeutung von Kontrolle für menschliches Handeln und Erleben (Krampen, 1987).

Zahlreiche Definitionen und Konzepte, die zur Heterogenität der Forschung hinsichtlich Kontrolle beitragen (Skinner, 1996), wurden in Anlehnung an Rotters (1966) Konzept des

„Locus of Control“ entwickelt. Das attributionstheoretische Konstrukt der „Gelernten Hilflosigkeit“ (s. Abramson, Seligman & Teasdale, 1973) und das der „Selbstwirksamkeit“

(s. Bandura, 1977) seien als Beispiele genannt, auf die im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht

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weiter eingegangen werden kann. Rotter (1966) beschreibt internale versus externale Kontrollüberzeugungen. Diese beziehen sich auf die Erwartung, daß eine Verstärkung entweder kontingent zum eigenen Verhalten ist oder daß diese von „mächtigen Anderen“

oder dem Schicksal abhängt. Externale Kontrollüberzeugung wurde oft mit der Unkontrollierbarkeit eines Ereignisses gleichgesetzt. Skinner und Connell (1986) kritisieren am Konzept des „Locus of Control“ die Annahme von nur einer Dimension mit den Polen

„internal“ versus „external“ und die fehlende Analyse der Funktion von Kontrolle, sowie die fehlende Integration von potentiellen Antezendenzen und Konsequenzen. Die Autoren definieren Kontrolle ganz allgemein als „ ein Set von generalisierten kausalen Modellen, die sich darauf beziehen, inwieweit erwünschte Ergebnisse erreicht und unerwünschte Ergebnisse verhindert werden können“ (Skinner & Connell, 1986, S. 35). Diese Definition ermöglicht die Integration von Skinners (1996) Konzept von Kontrolle: Sie nimmt mehrere Dimensionen an, anhand derer sich die unterschiedlichsten Auffassungen von Kontrolle systematisch einordnen lassen, so auch das von Rothbaum, Weisz und Snyder (1982) entwickelte Konzept zur primären und sekundären Kontrolle.

2.1.3.2 Primäre und sekundäre Kontrolle

Dieses Konzept entstand aus der Kritik an der Auffassung, daß die Attribution

„Unkontrollierbarkeit eines Ereignisses“ ver bunden mit Passivität und zurückgezogenem Verhalten als Zeichen von Kontrollverlust interpretiert wurde. Bei differenzierter Be- trachtungsweise dieser Attributionen und des entsprechenden Verhaltens ließ sich ein weiterer Typ von wahrgenommener Kontrolle unterscheiden, der die Formulierung eines Zwei-Prozeß-Modells ermöglichte (Rothbaum et al., 1982):

Als primäre Kontrolle bezeichnen die Autoren den Versuch des Individuums, Umwelt- bedingungen so zu beeinflussen, daß sie den Zielen und Wünschen des Individuums angepaßt werden. Sekundäre Kontrolle wird hingegen als Versuch gesehen, eigene Ziele an die Umwelt anzupassen, was mit einer Veränderung von inneren Einstellungen und Attributionen einhergeht (Rothbaum et al., 1982). Als weitere Konzeptualisierung von primärer und sekundärer Kontrolle sei auf das Vier-Stufenmodell von Flammer, Züblin und Grob (1988) verwiesen, auf das jedoch nicht im Detail eingegangen werden soll.

Brandstädter und Renner (1990) bezeichnen die Prozesse, die der primären und sekundären Kontrolle zugrunde liegen als assimilative und akkommodative Tendenzen und setzen sie zu Copingprozessen in Beziehung. Sie zeigen damit eine Parallele zum Konzept der

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Assimilation und Akkommodation von Piaget (1972) auf, der ein Modell optimaler Anpassung als Koordination der beiden Prozesse ansieht. Auch Rothbaum, Weisz und Snyder (1982) betonen, daß jedes Individuum sowohl primäre als auch sekundäre Kontrollprozesse einsetzt, um „persönliche Anstrengung und objektive Kontrollierbarkeit in Einklang zu bringen“ (Essau, 1992, S. 15) und so eine optimale Anpassung zu erreichen.

Das Auftreten von Kontrollverlust wird dadurch nicht ausgeschlossen. Es lassen sich vier Unterformen der sekundären Kontrolle unterscheiden (Rothbaum et al., 1982):

Sekundäre stellvertretende Kontrolle bezieht sich auf das Bestreben des Individuums, sich mit anderen Individuen, Gruppen oder auch Institutionen zu identifizieren und so im wörtlichen Sinn „stellvertretend“ an deren Kontrolle teilzuhaben.

Im Rahmen sekundärer illusionärer Kontrolle versucht das Individuum, Ereignisse auf das Schicksal oder Glück zu attribuieren und dieses als solches auch zu akzeptieren. Teilweise wird Glück in diesem Zusammenhang vom Individuum als persönliches Charakteristikum gesehen und als Stärke aufgefaßt.

Sekundäre prädiktive Kontrolle wird als Versuch definiert, Ereignisse vorherzusagen, um so deren Einfluß auf das Selbst zu kontrollieren und beispielsweise Unsicherheit oder zu- künftige Enttäuschungen zu vermeiden.

Sekundäre interpretative Kontrolle beinhaltet die Bedeutungszuschreibung und Erklärung von Ereignissen und kann durch die zuerst genannten drei Subtypen gefördert werden (Rothbaum et al., 1982).

Diese Konzeptualisierung von primärer und sekundärer Kontrolle wird von Skinner (1996) dahingehend kritisiert, daß es sich um potentielle Handlungen oder Reaktionen handle, die keine wirklichen Kontrollprozesse im Sinne von objektiver oder subjektiver Kontrolle beinhalten, sondern bereits als Konsequenzen von Kontrolle zu sehen seien. Diese Kritik geht aber von einer Definition von primärer und sekundärer Kontrolle auf der Verhaltens- bzw. Handlungsebene aus und berücksichtigt nicht die kognitiven und motivationalen Aspekte von Kontrolle, wie sie Weisz, Rothbaum und Blackburn (1984) definieren: „[.... ] both primary and secondary control are defined partly in terms of the aims or intent of the individual actor....“ (S. 975).

Friedlmeier und Trommsdorff (1997) unterscheiden hinsichtlich primärer und sekundärer Kontrolle neben der Ebene des Kontrollverhaltens die Ebene der Kontrollüberzeugungen.

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Letzteren kommt die Funktion zu, Unsicherheit zu reduzieren und den Eindruck zu vermitteln, daß internale Vorgänge und externale Ereignisse vorhersagbar sind, um auf diese Weise Zielsetzungen zu ermöglichen. Kann ein Ziel durch ein auftretendes Hindernis nicht erreicht werden, kommt es zur Aktivierung sozialer und persönlicher Ressourcen, was auch die Aktivierung von Kontrollüberzeugungen einschließt. Je nach Art der Kontroll- überzeugung können wiederum verschiedene Handlungsstrategien unterschieden werden, die sich in unterschiedlichem Kontrollverhalten manifestieren. Primäre Kontrollüberzeugung umfaßt eine relativ rigide Zielverfolgung, bei der auftretende Hindernisse möglichst über- wunden werden. Sekundäre Kontrollüberzeugung hingegen zeigt sich in einer flexiblen Zielanpassung, die die Neudefinition von Zielen je nach situationalen Erfordernissen beinhaltet (Friedlmeier & Trommsdorff, 1997).

In diesem Zusammenhang läßt sich die Frage stellen, wie es zur Ausbildung derartiger Kontrollüberzeugungen kommt und wie sich das Konstrukt Kontrolle unter entwicklungs- psychologischer Perspektive betrachten läßt.

2.1.3.3 Primäre und sekundäre Kontrolle unter entwicklungspsychologischer Perspektive Heckhausen (1997) entwickelte das Modell der sog. „Optimierung von primärer und sekundärer Kontrolle“ über die Lebensspanne. Eine Grundannahme ist das Primat der primären über die sekundäre Kontrolle. Dieses beinhaltet, daß primärer Kontrolle größerer adaptiver Wert beigemessen und deswegen auch vom Individuum bevorzugt wird. Der Austausch zwischen primärer und sekundärer Kontrolle erfährt über die Lebensspanne jedoch systematische Veränderungen als Folge von Einschränkungen, die mit einem höheren Lebensalter einhergehen (Heckhausen & Schulz, 1995). Dementsprechend erfährt das Potential für primäre Kontrolle in der Kindheit einen radikalen Zuwachs und eine starke Abnahme im Alter. Sekundäre Kontrolle wird in der mittleren Kindheit bis in die Adoleszenz erworben und erhält im Erwachsenenalter eine verstärkte Bedeutung aufgrund der erwähnten Abnahme der primären Kontrolle (Heckhausen, 1999). Im Folgenden wird die Bedeutung von primärer und sekundärer Kontrollorientierung im Hinblick auf das Jugendalter erläutert.

Ganz allgemein kann Kontrollorientierung als eine wesentliche Grundlage für die Neudefinition der Selbst-Umwelt-Beziehung gesehen werden, die als grundlegender Prozeß im Zusammenhang mit den erwähnten Entwicklungsaufgaben des Jugendalters stattfindet.

Als solche beinhaltet „Kontrol lorientierung die Überzeugung darüber, inwieweit man selbst

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die Umwelt beeinflussen bzw. inwieweit man eigene Ziele und Wünsche den Gegebenheiten und Anforderungen der Umwelt anpassen kann und sollte“ (Essau & Trommsdorff, 1995, S.

211).

Steber (1999) konnte empirisch nachweisen, daß Jugendliche mit zunehmendem Alter mehr primäre Kontrolle und weniger Kontrollverlust gegenüber Gleichaltrigen zeigten und daß Jungen im Vergleich zu Mädchen insgesamt mehr sekundäre Kontrollorientierung bzw. auch mehr sekundäre illusionäre und interpretative Kontrollorientierung aufwiesen. Kontroll- orientierung in Bezug auf das Jugendalter wird im Kapitel 2.2.5 nochmals unter kulturvergleichender Perspektive aufgegriffen, da zahlreiche interkulturelle empirische Studien hierzu durchgeführt wurden.

Unter Rückbezug auf die motivationstheoretische Konzeptualisierung kann nicht nur Bindung, sondern auch Kontrolle als universelles Bedürfnis interpretiert werden, das im Laufe der Entwicklung eine Ausdifferenzierung erfährt. In diesem Sinne lassen sich die Veränderungen (s. Heckhausen, 1999) in der Ausprägung von primärer und sekundärer Kontrollorientierung im Entwicklungsverlauf einordnen. Zudem läßt sich mit dieser Konzeptualisierung die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Bindung und Kontrolle wieder aufgreifen bzw. herstellen.

2.1.4 Zusammenhang zwischen Bindung- und Kontrolle

Unter einer entwicklungspsychologischen Perspektive läßt sich das Bindungsmotiv als inverse und spezifische Form des Kontrollmotivs interpretieren. Das Kontrollmotiv liegt zwischen den beiden Polen „hohe Sicherheit“ versus „hohe Unsicherheit“, wobei das Individuum bestrebt ist, Unsicherheit zu vermeiden bzw. Sicherheit zu suchen. Das Bindungsmotiv hingegen kann als bidirektionales Motiv angesehen werden, das das In- dividuum dazu veranlaßt Sicherheit zu suchen, wenn es eine hohe Unsicherheit erfährt bzw.

ihm ermöglicht, sich in Unsicherheit zu begeben, wenn das Bedürfnis nach Sicherheit hinreichend befriedigt ist. Der entscheidende Unterschied zum generellen Kontrollmotiv ist in der speziellen Orientierung auf eine Bezugsperson hin zu sehen. Dieser Aspekt betont den interaktiven Charakter des Bindungsmotivs, der nicht notwendigerweise für das Kontroll- motiv gegeben sein muß (Friedlmeier, unveröffentlichtes Manuskript).

Es läßt sich annehmen, daß das working model im Sinne einer organisationalen Ordnungsstruktur (Sroufe & Waters, 1977) die Ausdifferenzierung des Kontrollmotivs

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beeinflussen kann. Steber (1999) nimmt einen Zusammenhang zwischen sicherem Bindungsstil und primärer Kontrolle an, der folgendermaßen begründet wird: Sicher gebundene Jugendliche zeigen mehr Offenheit im Kommunikationsstil und verfügen über ein positives Selbstbild, das mit einer ausgeprägteren Selbständigkeit und grösserem Durchsetzungsvermögen verbunden ist, was als eine wichtige Grundlage für primäre Kontrollorientierung angesehen wird (s. Steber, 1999). Da bei Jugendlichen mit ver- meidendem Bindungsstil diese Grundlagen weniger gut ausgeprägt sein dürften, postuliert Steber (1999) einen Zusammenhang zwischen vermeidendem Bindungsstil und sekundärer Kontrollorientierung. Aufgrund des fordernden und zugleich aber auch ängstlichen Verhaltens, das als ein wesentliches Merkmal des ambivalenten Bindungsstils gilt, wird keine eindeutige Zuordnung zu einer Form der Kontrollorientierung vorgenommen. Implizit wird hierbei von einer Abhängigkeit der Dimensionen „primäre Kontrollorientierung“ versus

„sekudäre Kontrollorientierung“ ausgegangen, die die Annahme eines Primats der primären Kontrolle nahelegt. In einer Studie mit Jugendlichen konnte Steber (1999) die von ihm postulierten Zusammenhänge empirisch nachweisen, allerdings in Abhängigkeit vom Ge- schlecht der Versuchspersonen und dem Kontext, in dem Kontrolle gezeigt wurde: Gegen- über ihren Eltern zeigten sicher gebundene Mädchen weniger sekundäre Kontrolle als ver- meidend gebundene Mädchen oder ambivalent gebundene Jungen. Kontextunabhängig zeigten sicher gebundene Mädchen mehr primäre Kontrolle als vermeidende Mädchen. Der von Steber (1999) postulierte Zusammenhang konnte somit teilweise nachgewiesen werden.

Unter Bezugnahme auf diese Ergebnisse läßt sich die Frage stellen, inwieweit der kulturelle Kontext Einfluß auf die Ausprägung von primärer und sekundärer Kontrolle hat. Deswegen wird im Folgenden zunächst eine Definition von „Kultur“ und „kulturvergleichender Perspektive“ sowie eine Beschreibung der deutschen und ugandischen Kultur vorgenommen, bevor auf die Konstrukte im kulturellen Kontext eingegangen wird.

2.2 Kulturvergleichende Perspektive

Ähnlich wie der Entwicklungsbegriff läßt sich der Kulturbegriff in Abhängigkeit von ver- schiedenen theoretischen Ausrichtungen unterschiedlich definieren. Wird Kultur als

„Variablenkomplex [aufgefaßt], der die Entwicklung und das Handeln der Person u.a. mit beeinflußt sowie auch selbst vom Handeln der Person mit beeinflußt wird“ (Trommsdorff, 1993, S. 108), dann wird einer interaktionistischen Sichtweise Rechnung getragen. Dieser Variablenkomplex kann sich auf Sprache, Sitten und Gebräuche, Werte und Einstellungen

(30)

beziehen und stellt somit ein komplexes System von Wissens-, Handlungs-, Interpretations- und Kommunikationsstrukturen dar (Trommsdorff, 1989b).

Die Berücksichtigung der Interaktion zwischen Individuum und kulturellem Kontext erfolgt in der kulturvergleichenden Psychologie auf differenziertere Art und Weise als in der [„Mainstreampsychology“, die als „kulturgebunden“ oder gar „kulturblind“] (Lonner &

Adamopoulos, 1997, S. 53) gelten kann, auch wenn sich beide Forschungsansätze mit individuellen Differenzen im Verhalten, Denken oder Erleben und deren Erklärung beschäftigen. Durch die Anwendung von kulturvergleichenden Studien kann dem Konstrukt- bias (s. Poortinga, 1997) entgegengewirkt werden, und ethnozentrische Schlußfolgerungen lassen sich kritisch überprüfen und gegebenenfalls korrigieren (Lonner & Adamopoulos, 1997).

2.2.1 Auswahl und Beschreibung der Kulturen

Die Auswahl der deutschen und ugandischen Kultur ermöglicht einen Vergleich von zwei Kulturen, die sich auf verschiedenen Ebenen voneinander abgrenzen lassen. Im Rahmen dieser Arbeit werden Deutschland und Uganda anhand demographischer Merkmale und anhand der Ebenen „Individualismus versus Kollektivismus“ (s. Hofstede 1996; Triandis, 1988) und „Moderne versus Tradition“ (s. Inkeles & Smith, 1974; K âðitçibaþi, 1994) bzw.

„Transition“ (Felner, Faber & Primavera, 1983) verglichen, um eine möglichst differenzierte Beschreibung des kulturellen Kontexts zu ermöglichen, auf dessen Hintergrund die beiden Konstrukte verglichen werden. Die Auswahl der ugandischen Kultur ist v.a. unter dem Aspekt bedeutsam, daß für Kulturen Schwarzafrikas kaum aktuelle Forschungsergebnisse zu den Themen „Bindung“ und „Kontrollorientierung“ vorliegen.

Die Beschreibung der ugandischen Kultur anhand der genannten Dimensionen kann auf- grund fehlender aktueller Forschungsergebnisse lediglich auf einem deskriptiven Niveau erfolgen, wohingegen für Deutschland entsprechend direkt auf Literatur verwiesen werden kann, und somit eine detaillierte Beschreibung entfällt.

Zuvor werden die beiden Kulturen hinsichtlich demographischer Merkmale einander gegen- über gestellt.

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2.2.1.1 Demographische Merkmale Deutschland

Für Deutschland wird die Einwohnerzahl für das Jahr 1997 auf 82 Millionen geschätzt (Statistisches Bundesamt, 1998), wobei 71.1% der Bevölkerung in Städten lebt (Mündliche Mitteilung des Statistischen Bundesamtes, 15.5.2000). Etwa 85% der Bevölkerung gehören dem Christentum an, 3% dem Islam, 4% anderen Religionsgemeinschaften und 8% der Be- völkerung bezeichnen sich als konfessionslos (Statistisches Bundesamt, 1987). Die Schicht- verteilung1 setzt sich wie folgt zusammen: 18.4% gehören der Ober-, 76.1% der Mittel- und 5.5% der Unterschicht an (Statistisches Bundesamt, 1998, S. 3).

Uganda

Für 1997 wurde die Einwohnerzahl Ugandas auf 22.5 Millionen Menschen geschätzt, von denen ca. 11% in den Städten lebt, davon 40% in Kampala (Country Profile, 1998). Uganda weist eine der heterogensten ethnischen Strukturen Afrikas auf, die sich in über 40 Ethnien differenzieren läßt (Nohlen, 1996): Im Norden des Landes sind überwiegend Niloten ange- siedelt, eine der beiden ethnischen Hauptgruppen Ugandas, wohingegen im Süden des Landes die Bantu dominieren, von denen 2/3 der Ethnie der Baganda2 angehören (Country Profile, 1998).

Englisch ist die offizielle Amtssprache Ugandas, wobei die Mehrzahl der englischsprechen- den Bevölkerung in den Städten lebt. Neben Englisch werden überwiegend Luganda und Swahili gesprochen (Ofcansky, 1996).

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, schätzungsweise 80%, gehört dem Christen- tum an, 10% dem Islam und 10% dem Hinduismus bzw. traditionellen Religionen (Country Profile, 1998).

1 Da für die Bundesrepublik Deutschland keine Zahlen zur Schichtzugehörigkeit in Abhängigkeit vom Einkommen vorliegen, wurde für das Jahr 1997 von allen Erwerbs- und Nichterwerbspersonen aus deren Haushaltsnettoeinkommen willkürlich folgender Schichtindex gebildet: Personen mit einem monatlichen Einkommen bis 1 800 DM wurden der Unterschicht, Personen mit einem Einkommen zwischen 1 800 und 7 500 DM der Mittel- und Personen ab 7 500 DM der Oberschicht zugeordnet (s. statistisches Bundesamt, 1998, S. 3).

2 Begriffsklärung: „Baganda“ bezieht sich auf die Ethnie, „Buganda“ au f die Monarchie und „Ganda“

bezeichnet das zugehörige Adjektiv.

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Nach Schätzungen gehören 23.4% der ugandischen Bevölkerung der Oberschicht, 24.2% der Mittel-, 25.3% der unteren Mittelschicht und 27.1% der Unterschicht an. Diese Zuordnung wurde über alle Distrikte Ugandas gemittelt, wobei zu berücksichtigen ist, daß sich die Verteilung je nach Distrikt deutlich unterscheiden kann, was im Zusammenhang zum Stadt- Land-Gefälle und den damit verbundenen unterschiedlichen Einkommensverhältnissen zu sehen ist. Für Kampala wird folgende Verteilung geschätzt: 62.7% der Bevölkerung dieses Distriktes lassen sich der Oberschicht, 22.4% der Mittel-, 11.5% der unteren Mittel- und 3.4% der Unterschicht zuordnen (The World Bank, 1996). Der Schichtindex, der üblicherweise zur Charakterisierung der ugandischen Gesellschaft verwendet wird, soll kurz erläutert werden. Die Einteilung umfaßt in formaler Hinsicht die in westlichen Ländern übliche Zuordnung zur Ober-, Mittel- und Unterschicht, beinhaltet aber eine weitere Kategorie, die sog. „Semi -Middle-Class“, die als „untere Mittelschicht “ bezeichnet wird.

Diese läßt sich zwischen der Mittel- und Unterschicht einordnen. Kriterium für die Zuordnung sind die Pro-Kopf-Ausgaben (The World Bank, 1996, S. 154). Die durchschnittlichen Einkommensgrenzen werden für die Oberschicht auf 500 000 und mehr Ugandische Schilling (Ush)3 für die Mittelschicht zwischen 100 000 und 500 000 Ush, für die untere Mittelschicht zwischen 50 000 und 100 000 Ush und für die Unterschicht auf unter 50 000 Ush geschätzt (Baguma, 1998; Opolot, 1991). Inhaltlich sind die Stufen zur jeweiligen Schichtzugehörigkeit in Deutschland und Uganda nicht äquivalent interpretierbar und werden anhand subjektiver Beobachtungen kurz charakterisiert: Die ugandische Unter- schicht ist in den Städten überwiegend in Slumgebieten anzutreffen. In ländlichen Gebieten ist die Unterschicht prozentual am häufigsten vertreten (s. The World Bank, 1996). Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land haben diese Menschen kaum die Chance auf ein geregeltes Einkommen, ausreichende Gesundheitsversorgung oder Bildungsmöglichkeiten.

Die Mittel- und Oberschicht lebt größtenteils in den Städten und verfügt in der Regel über ein gesichertes Einkommen. Angehörige der unteren Mittel- und Mittelschicht sind häufig gezwungen, neben einer hauptberuflichen Tätigkeit Nebenjobs anzunehmen, um ihre Familien ausreichend versorgen zu können und den Kindern einen Schulbesuch zu ermöglichen. Ein Teil der ugandischen Oberschicht hat einen Zugang zu Gesundheits- versorgung, Bildungsmöglichkeiten und beruflichen Positionen, der als vergleichbar zur deutschen Mittelschicht gesehen werden kann. Eine Minderheit der ugandischen Oberschicht mag in dieser Hinsicht vergleichbar zur deutschen Oberschicht sein.

3 Im Januar 1999 entsprachen 100 USh ca. 0.123 DM.

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2.2.1.2 Beschreibung der Kulturen anhand der Dimension „Individualismus- Kollektivismus“

Kulturen lassen sich nach Hofstede (1996) u.a. anhand der Dimension Individualismus- Kollektivismus beschreiben. Kulturen, die sich als „i ndividualistisch“ einordnen lassen, sind dadurch gekennzeichnet, daß die Verbindung zwischen den Individuen als locker angesehen werden kann und die Mitglieder dieser Gesellschaft primär ihre eigenen Interessen und Ziele in den Vordergrund stellen. Kulturen, die sich am anderen Ende des Kontinuums im Sinne von „kollektivistisch“ einordnen lassen, sind durch sehr enge Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern der sog. in-group (s. Markus & Kitayama, 1994) gekennzeichnet. Es werden primär die Interessen dieser Gruppe verfolgt und eigene Ziele als zweitrangig an- gesehen. Der Ausprägungsgrad des Individualismus steht in statistischem Zusammenhang zum Vermögen eines Landes, was in einer Länderstudie (Hofstede, 1996) durch den Vergleich des Bruttosozialprodukts erfaßt wurde. Vermögende Länder sind im Vergleich zu Ländern mit niedrigem Bruttosozialprodukt tendenziell eher individualistisch ausgerichtet.

Dieser Zusammenhang gilt jedoch nicht zwangsläufig und muß im Einzelfall überprüft werden (Hofstede, 1996). Das Konzept von Hofstede hat den Vorteil, daß es eine Be- schreibung und Abgrenzung von verschiedenen Kulturen ermöglicht, die sich theoretisch begründen läßt. Für Deutschland kann aufgrund der von Hofstede vorgenommenen Analysen von einer hohen individualistischen Ausprägung ausgegangen werden (Hofstede, 1996). Für Uganda liegen hierzu keine Analysen vor, so daß sich hier eine hohe kollektivistische Ausprägung lediglich annehmen läßt. Dies kann einerseits durch Ergebnisse für andere ostafrikanische Länder, wie beispielsweise Kenya, (s. Hofstede, 1996) und andererseits bei der Berücksichtigung von Indikatoren zur wirtschaftlichen Entwicklung gestützt werden: Im Vergleich zu Deutschland mit einem Bruttoinlandsprodukt von 2 179.8 Millionen US-Dollar erwirtschaftete Uganda 1997 ein Bruttoinlandsprodukt von ca. 6.6 Millionen US-Dollar (The World Bank Group, 2000).

K âðitçibaþi (1994) betont, daß die Ausprägung auf K ulturebene hinsichtlich Individualismus-Kollektivismus weniger in direktem Zusammenhang zu wirtschaftlichen Indikatoren, wie dem von Hofstede (1970) vorgeschlagenen Bruttosozialprodukt steht. So ist Individualismus als Konsequenz von einer hohen Anzahl von in-groups, Wohlstand und hoher sozialer und geographischer Mobilität zu sehen. Aber auch diese Kriterien ermöglichen, zumindest auf einer deskriptiven Ebene, die Kennzeichnung der deutschen Kultur als individualistisch und der ugandischen Kultur als kollektivistisch.

(34)

2.2.1.3 Beschreibung der Kulturen anhand der Dimension „Tradition-Moderne“ und

„Transition“

Nach Inkeles und Smith (1974) kann sich Modernisierung bzw. Moderne4 auf verschiedene Ebenen beziehen und wird nicht als isolierte Eigenschaft verstanden, sondern als komplexes Syndrom. Diese Ebenen beinhalten die Bereiche Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, aber auch Individuen.

Im Folgenden wird eine Beschreibung der ugandischen Kultur auf historischer, politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene vorgenommen, wobei der Aspekt der Moderni- sierung im Sinne einer Anpassung an die Urbanisierung (s. K âðitçibaþi, 1994) berücksichtigt wird. Diese individuelle Anpassung ist nach Felner, Farber und Primavera (1983) allgemein notwendig angesichts sich ändernder psychosozialer Umweltbedingungen. Die Autoren defi- nieren Transition in diesem Zusammenhang als einen Prozeß, der von adaptiven An- strengungen des Individuums gekennzeichnet ist.

Transitionsphasen beinhalten somit Unsicherheit und geringe Vorhersagemöglichkeiten und können deswegen potentiell das Bedürfnis nach Kontrolle aktivieren (Seginer, Trommsdorff

& Essau, 1993). Übergänge finden nicht nur auf individueller Ebene im Sinne von kritischen Lebensereignissen statt (s. Felner et al., 1983), sondern auch auf kultureller Ebene (Seginer et al., 1993), wie am Beispiel Ugandas, das sich nicht in allen Bereichen als modern charakterisieren läßt, sondern sich im Übergang zwischen den Polen „Tradition“ und

„Moderne“ bewegt, was im Folgenden näher erläutert wird.

Politisches System und wirtschaftliche Entwicklung unter dem Aspekt der Modernisierung bzw. Transition

Im Zuge der allgemeinen Demokratisierungsbewegung der 90er Jahre und den Struktur- anpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds bzw. der Weltbank, die mit Privatisierung und der Einführung eines freien Markts einhergingen (Mazrui, 1991), kann Uganda in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht zumindest formal eine westliche Orientierung zugesprochen werden, die sich auch im Sinne von „Modernisierung“ inter - pretieren läßt (s. Inkeles & Smith, 1974).

4 Der Begriff „Modernisierung“ betont in diesem Zusammenhang einen Prozeß; der Begriff „Moderne“

hingegen kann als Eigenschaft aufgefaßt werden. Für eine Übersicht zur „Modernisierung“ bzw.

„Modernisierungstheorien“ s. Mazrui (1968).

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