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2. THEORIE

2.3 Hypothesen

2.3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Bindungsstilen bei Jugendlichen im deutsch-ugandischen Kulturvergleich

Jugendliche unterscheiden sich interindividuell hinsichtlich ihrer Vorstellung von Be-ziehungen und wie sie diese wahrnehmen. Dies läßt sich in Zusammenhang mit dem Konzept des working models sehen, das abstrahierte bindungsrelevante Erfahrungen in Form von kognitiven Überzeugungen repräsentiert. Diese kognitiven Überzeugungen lassen sich einerseits auf das eigene Selbst und andererseits auf die Verfügbarkeit anderer beziehen und ermöglichen je nach Ausprägung und Inhalt eine Differenzierung in einen vermeidenden, sicheren und ambivalenten Bindungsstil (s. Kapitel 2.2 und Kapitel 2.1.2).

Es kann angenommen werden, daß Bezugspersonen innerhalb ihres kulturellen Kontexts in der Lage sind, in optimaler Weise auf die Bindungsbedürfnisse des Kindes einzugehen und eine sichere Bindungserfahrung zu vermitteln, die in Form des working models kognitiv repräsentiert wird. Es kann davon ausgegangen werden, daß ein sicherer Bindungsstil in vielen Kulturen als modal und entsprechendes Verhalten wünschenswert eingestuft wird.

Dementsprechend sollte der kulturelle Kontext bei optimaler Reaktion der Bezugsperson auf die Bindungsbedürfnisse gar nicht zum Tragen kommen (s. Kapitel 2.2.4).

Nicht-optimales Verhalten, das zu einer unsicheren Bindung führt, kann sich in Abhängigkeit vom kulturellen Kontext unterscheiden. Je nach Kultur werden unter-schiedliche Akzente im Sozialisationsprozeß gesetzt, die sich erst bei nicht-optimalen Reaktionen auf das Bindungsbedürfnis bemerkbar machen sollten. In einem individualistischen Kontext, wie er für Deutschland angenommen werden kann, wird die Ausbildung eines independenten Selbst gefördert, wohingegen in einer kollektivistischen Kultur wie Uganda die Ausbildung eines interdependenten oder auch autonomen-relationalen Selbst angenommen werden kann. Ein independentes Selbst kann mit einem hohen Maß an Selbständigkeit und Autonomie assoziiert werden, was durch entsprechendes Erziehungsverhalten gefördert wird. So läßt sich annehmen, daß deutsche Kinder in Bezug auf nicht-optimales Verhalten häufiger Trennungserfahrungen von ihrer Bezugsperson machen und häufiger zurückweisendes Verhalten erfahren. Ein interdependentes bzw. auch ein autonomes-relationales Selbst hingegen kann mit engen Beziehungen zwischen Mitgliedern einer in-group und der Aufrechterhaltung von Harmonie assoziiert werden, was im Rahmen von Erziehungspraktiken gefördert werden sollte. Dementsprechend läßt sich

annehmen, daß ugandische Kinder in Bezug auf nicht-optimales Verhalten weniger häufig Trennungserfahrungen machen und weniger zurückweisendes Verhalten erfahren.

Dementsprechend sollte der Anteil des vermeidenden Bindungsstils in Uganda im Vergleich zu Deutschland niedriger sein und der Anteil des ambivalenten Bindungsstils analog höher, da der Anteil des sicheren Bindungsstils über die Kulturen vergleichbar sein sollte (s.

Kapitel 2.2.4).

Um von einer kulturspezifischen Verteilung des vermeidenden und ambivalenten Bindungsstils in der Kindheit auf eine vergleichbare Verteilung im Jugendalter schließen zu können, bedarf es der Annahme, daß das working model eine gewisse Stabilität aufweist.

Diese muß zwar nicht unbedingt intraindividuell gegeben sein, sollte aber intrakulturell insofern vorliegen, als daß sich intraindividuelle Veränderungen nicht in der Verteilung der Bindungsstile über die Gruppe der deutschen bzw. ugandischen Jugendlichen hinweg bemerkbar machen sollten.

Hypothese 1

a) Bei deutschen und ugandischen Jugendlichen ist der Anteil des sicheren Bindungsstils gleich hoch.

b) Bei ugandischen Jugendlichen ist der Anteil des ambivalenten Bindungsstils höher als bei deutschen Jugendlichen.

c) Bei ugandischen Jugendlichen ist der Anteil des vermeidenden Bindungsstils niedriger als bei deutschen Jugendlichen.

2.3.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Kontrollorientierung bei Jugendlichen im deutsch-ugandischen Kulturvergleich

Im Rahmen von Entwicklungsaufgaben kann die Neudefinition der „Selbst UmweltBeziehungen“ im Jugendalter im Zusammenhang mit einer Aktivierung des Kontroll -bedürfnisses gesehen werden. Dieser Zusammenhang wird kulturübergreifend angenommen (s. Kapitel 2.1.3.3), wobei primäre und sekundäre Kontrollorientierung als unabhängige Dimensionen aufgefaßt werden.

In Anlehnung an die „Doppelte -Übergangshypothese“ kann angenommen werden, daß das Kontrollbedürfnis bei ugandischen Jugendlichen, aufgrund der entwicklungsbedingten und zusätzlichen kulturellen Transition, stärker aktiviert wird als bei deutschen Jugendlichen.

Eine mögliche Schlußfolgerung hieraus wäre die Annahme einer höheren primären und sekundären Kontrollorientierung für Jugendliche im Kontext kultureller Transition (s.

Seginer et al., 1993 bzw. Kapitel 2.2.5).

Eine weitere Schlußfolgerung, die die inkonsistenten Ergebnisse zur primären Kontrolle (s.

Seginer et al., 1993; Essau, 1992) berücksichtigen würde, wäre die Annahme, daß primäre Kontrollorientierung aufgrund der mit dem Jugendalter einhergehenden Veränderungen über verschiedene kulturelle Kontexte hinweg vergleichbar bleibt und sich bei ugandischen Jugendlichen das verstärkte Bedürfnis nach Kontrolle lediglich auf der Ebene der sekundären Kontrolle bemerkbar macht. Gerade weil die kulturelle Transition in Uganda nicht nur von modernen, sondern auch von ausgeprägten traditionellen Orientierungen gekennzeichnet ist, die eine Bevorzugung von sekundären Kontrollstrategien nahe legt (s.

Kapitel 2.2.5), können ugandische Jugendliche auf sekundäre Kontrollorientierung, im Sinne von ihnen vertrauten Überzeugungen und Handlungsstrategien, zurückgreifen.

Hypothese 2

a) Ugandische Jugendliche unterscheiden sich von deutschen Jugendlichen nicht hinsichtlich primärer Kontrollorientierung.

b) Ugandische Jugendliche zeigen eine höhere sekundäre Kontrollorientierung im Vergleich zu deutschen Jugendlichen.

2.3.3 Zusammenhänge zwischen Bindungsstilen und Kontrollorientierung bei Jugendlichen im deutsch-ugandischen Kulturvergleich

Bindung und Kontrolle lassen sich als Elemente innerhalb eines Motivsystems interpretieren, wobei das Bindungsmotiv als eine inverse und bidirektionale Form des Kontrollmotivs gesehen werden kann (s. Kapitel 2.1.4).

Ontogenetisch gesehen differenzieren sich die Bindungsqualitäten früher in der Entwicklung aus als primäre und sekundäre Kontrollorientierung. Es läßt sich annehmen, daß das Bindungsmotiv im Sinne eines organisationalen Konstrukts, vermittelt über das working model, Einfluß auf die Ausdifferenzierung der Kontrollorientierung nimmt. Dieser Einfluß sollte kulturübergreifend auftreten, da es sich um primäre Motive handelt.

Je nach Bindungsqualität wird angenommen, daß primäre Kontrollorientierung unter-schiedlich ausgeprägt ist, da die working models qualitativ unterunter-schiedliche Erfahrungen

repräsentieren, die einen Einfluß haben, inwieweit sich das Individuum zutraut, Umweltbedingungen an seine Ziele anzupassen und nicht befürchten muß, dadurch eine Zurückweisung zu erfahren (s. Kapitel 2.1.2 und Kapitel 2.1.4). Ein sicherer Bindungsstil läßt sich mit einer grundlegenden Offenheit im Kommunikationsverhalten und Vertrauen in eigene Fähigkeiten assoziieren, was mit einer hohen primären Kontrollorientierung einhergehen sollte. Ein ambivalenter Bindungsstil läßt einerseits eine grundlegende Offenheit annehmen, aber andererseits auch wenig Vertrauen in die Verfügbarkeit anderer.

Dies sollte zu einer höheren primären Kontrollorientierung führen als ein vermeidender Bindungsstil, der sich durch Angst vor Zurückweisung kennzeichnen läßt.

Da primäre und sekundäre Kontrollorientierung als zwei voneinander unabhängige Dimensionen aufgefaßt werden, ergibt sich nicht zwangsläufig für eine niedrige primäre Kontrollorientierung eine hohe sekundäre Kontrollorientierung und umgekehrt. Da sich sekundäre Kontrollorientierung nicht ohne weiteres mit Eigenschaften der Bindungs-qualitäten in Zusammenhang bringen läßt, wie Offenheit, Selbstvertrauen und Angst vor Zurückweisung, läßt sich annehmen, daß sekundäre Kontrollorientierung unabhängig von der qualitativen Ausprägung der Bindungsstile zu sehen ist.

Hypothese 3

Bindungsstile und primäre Kontrollorientierung

a) Jugendliche mit sicherem Bindungsstil zeigen eine höhere primäre Kontrollorientierung im Vergleich zu Jugendlichen mit ambivalentem oder vermeidendem Bindungsstil. Dies gilt sowohl für deutsche als auch für ugandische Jugendliche.

b) Jugendliche mit ambivalentem Bindungsstil zeigen eine höhere primäre Kontrollorientierung im Vergleich zu Jugendlichen mit vermeidendem Bindungs-stil. Dies gilt sowohl für deutsche als auch für ugandische Jugendliche.

Bindungsstile und sekundäre Kontrollorientierung

Jugendliche mit sicherem, ambivalentem oder vermeidendem Bindungsstil unterscheiden sich nicht hinsichtlich sekundärer Kontrollorientierung. Dies gilt sowohl für deutsche als auch für ugandische Jugendliche.