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Über Bhagavadgltä II, 46.
Von F. Otto Schräder.
yävän artha udapäne sarvatah samplutodake |
tävän sarvesu vedesu brähmanasya vijänatah \\
Die in den .Melanges Kern", Leiden 1903, S. 141—143 von
Prof. Pavolini vorgeschlagene Interpretation dieser Stelle ist im
5 58. Bande dieser Zeitschrift von Dr. Ferdinande Belloni-Filippi
geprüft und abgewiesen worden. Ihm hat sich , in einer Nach¬
schrift zu dem genannten Artikel (ibid. , p. 383 fg.) , Prof. Jacobi
angeschlossen, dann Prof. Garbe in seiner Übersetzung der Bhaga¬
vadgltä und schließlich auch Prof Deussen in der seinen.
10 Die folgenden Bemerkungen sollen zeigen, daß Prof. Pavolini
im Recht ist.
Die gewöhnliche Bedeutung von udapäna ist die eines kleinen
Wasserreservoirs; nach Apte's Dictionary: ,a small pool or pond
near a well, or the well itself, wozu stimmt, daß udapäna-mandüka
15 ein bildlicher Ausdruck ist für ,one who has had no experience
of the world at large, a man of limited ideas who knows only his
own neighbourhood" (ibid.). In diesem Sinne haben wir auch küpa-
mandüka, woraus sich käpa als synonym oder annähernd synonym
mit udapäna ergibt. Die Stelle am Ende des ersten Kapitels der
20 Maiträyana-Upanisad : andhodapänastho bheka iväham asmin sam-
säre übersetzt Deussen, ohne Zweifel richtig, mit: .Denn ich fühle
mich in diesem Weltlaufe wie ein Frosch in einem blinden [wasser¬
losen] Brunnenloche".
Die besseren Kommentare trennen denn auch udapäne von
25 sarvatah samplutodake, was überdies durch die Gäsur nahegelegt
wird*). So das Pai^äca-bhäsya und das von ihm abhängige so¬
genannte Öäükara-bhäsya^) , von Änandagiri wie folgt resümiert:
yathodapäne küpädau paricchinnodake snänäcamanädir yo 'rtho
yävän utpadyate sa tävän aparicchinne sarvatah samplutodake
1) Die hier Belloni nicht beachtet, obwohl er p. 381 Pavolini die Nicht¬
beachtung der Cäsur im MBh. V, 46, 26 zum Vorwurf macht.
2) Von Belloni seltsamerweise für seine Auffassung in Anspruch ge¬
nommen, loc. cit., p. 381 unten.
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Schräder, Uber Bhagavadgltä II, 46. 337
samudre 'ntarbhavati paricchinnodakänäm aparicchinnodakäm-
datvät, wo indes das Wort samudre auf Änandagiri's Rechnung
kommt (das P. B. hat jalapüre, S. nur sarvatah samplutodake).
So Madhva: yävän arthah prayqjanam udapäne küpe bhavati
tävän sarvatah samplutodake 'ntarbhavati, wozu JayatTrtha : jüä- 5
ninah phalam mahäsamudrodakam iva makaitvät; karminäm
phalam tu küpodakam ivätyantälpam . . . tathä cälpästhirakarma-
nindayä mahänantaphalajrtänasäjdhane yogepreranarn yuktam eveti
bhävah. So Madhusüdana-Sarasvati : udapäne ksudrojaläJaye . . . |
... sarvatah samplutodake mahati jaläAaye ... käsäre und Sridhara: lo
udakarn ptyate 'sminn ity udapänarn väpl-küpatadägädi tasmin
svalpodake . . . sarvatah sarnplutodake mahährade.
Hiermit stimmt überein der Gebrauch, den die Süta-Samhitä
von unserem Verse macht (Poona ed., vol. I, p. 305). Dieser folgt
dort nämlich auf den (Amrtanäda-Upanisad 1 nachgebildeten) Vers: 15
iästräny adhitya medhävi guror ahhya^sya täny api \
palälam iva dhänyärthi tyajed grantham aJesatah \\
und wird von Mädhava wie folgt erklärt:
yävän artha iti \ sarvasmin bhümandale jalaplute sati
pipäsor udapäne küpe yathä na kimcit prayojanam, evarn tattva- 20
vidäm vedais tatpratipädita-karmabhir vä na kimcit prayqjanam
ity arthah ||
Wieviel Nutzen'; das bedeutet: wie, wenn der ganze Erd¬
kreis überschwemmt ist, für den Durstigen die , Trinkstätte', d. h.
der Brunnen, von keinerlei Nutzen ist, so sind für den Wahrheits- 25
kenner die Veden und die darin gelehrten Werke von keinerlei Nutzen.'
Und ein noch gewichtigerer Zeuge für unsere Auffassung stellt
sich ein, nämlich Udäna ed. p. 79:
kirn kayirä udapänena, äpä ce sabbadä siyum |
tanhäya mülato chetvä kissa pariyesanaü care 'ti |{ 30
,Was kann einem der Brunnen helfen, wenn beständig Über¬
schwemmung ist? Hat man den Durst mit der Wurzel ausgerottet,
wonach soll man dann noch suchen?"
Hieraus, d. h. aus dem Vorkommen unseres Gleichnisses auch
in der Päli-Literatur , können wir , denke ich , mit Bestimmtheit ss
schließen, was Jacobi bereits durch andere Gründe wahrscheinlich
gemacht hat (loc. cit. p. 383), nämlich daß es sich um ein damals
bekanntes Sprichwort handelt, das nur angedeutet zu werden
brauchte, um dem Leser verständlich zu sein*).
Auf dieses Sprichwort, falls nicht auf den Gltä-Vers*) (nicht 40
1) Ein £linliches Wort begegnet in Viltramorvaslya 3: abhivyaktäyäm candrikäyäm Mm dipikä-paunaruktyena. Vgl. auch Jacob, 'Third Handful of Popular Maxims', p. 78: rohanäcala-läbhe ratna-sampadah eampannäh;
p. 60: pratyakfie kim anumänena; p. 50: nirämayasya kim äyurvedavidä.
2) So Hopkins, Oreat Epic, p. 235, Anm.
388 Schräder, Über Bhagavadgltä II, 46.
aber, wie Deussen annimmt, auf Kathaka-Upanisad IV, 14—15)
nimmt auch Sanatsujätlya VI, 26 Bezug:
yathodapäne mahati sarvatah samplutodake \
evam sarvesu vedesu ätmänam anujänatah ||
5 Das mahad udapänam verdankt sein Dasein also einem bloßen
Mißverständnis, möglicherweise einem bewußten, indem der Autor
die heterodoxe Härte des Gleichnisses mildern und eventuell zugleich,
den Gltä-Vers metrisch verbessern wollte. Daß der umgekehrte
Fall, nämlich Abhängigkeit des Gitä- oder gar des Udäna-Verses
10 vom Sanatsujätlya, ausgeschlossen ist, brauche ich kaum zu sagen.
Im Buddhismus nun ist das Gleichnis jedenfalls unanstößig.
Denn der Erhabene hat ausdrücklich erklärt (Majjhima-Nikäya,
Sutta 22, und sonst), daß der Dharma nur Mittel zum Zweck sei,
einem Flosse vergleichbar, das der Weise aufgibt, sobald er das
16 andere Ufer erreicht hat. »Hat man die Allflut des Nirvana er¬
reicht, so ist der leidenschaftstillende Dhanna-Brunnen nicht mehr
von nöten' : dieses der Sinn der Udäna-Stelle.
Aber auch in der Gitä ist das Gleichnis durchaus am Platz.
Die alte Gitä (s. unten) nimmt nämlich nicht allein fast ihr
20 ganzes Material, teilweise wörtlich, aus den Upanisaden (besonders den sog. mittleren : Käthaka etc.) , sondern teilt auch vollkommen den von Natur antivedischen Standpunkt derselben.
Die eigentliche Tendenz der Upanisaden ist nämlich notwendig antiklerikal, indem das darin empfohlene höchste Wissen, die ätma-
'5 vidyä, die Werke und damit die Abhängigkeit von den Veden
aufhebt. Diese Erkenntnis kommt am deutlichsten zum Ausdruck
gerade in jener Schicht von Upanisaden, mit welchen die Gitä am
meisten Berührungspunkt^ hat. Hier ist die Schriftgelehrsamkeit
bestenfalls ein Weg zum Ätman-Wissen, so in Amftanäda-Upanisad 3
30 (auf 1 nnd 2 bezüglich) *):
,Doch der Wagen ist nur dienlich.
Solang man auf dem Fahrweg ist;
Wer zu des Fahrwegs Endpunkt kommt.
Läßt den Wagen und geht zu Fuß-)."
SS Ist man des Brahman- Wissens teilhaftig, so heißt es, so soll man
die Bücher fortwerfen ,wie eine Fackel" {ulkävat), die man nicht
mehr braucht, oder ,wie ausgedroschenes Stroh" {palälam iva).
So kommt es, daß dem Samnyäsin dje Veden im engeren Sinne
geradezu verboten werden, z. B. in Äruneya-Upanisad II, Ende
40 (. . . amantravad äcared . . . vede^v äranyakam ävartayed upani-
sadam ävartayet), Kanthaäruti-Upanisad III, 2 (. . . yajfvopavitarn
vedärnä ca sarvam tad varjayed yatih), Paramahamsr-Upanisad IV,
Anfang {na mantram na dhyänam).
1) Vgl. das oben erwähnte Floß-Gleichnis Buddha's.
2) Deussen's Übersetzung.
Schroder, Über Bhagavadgltä II, 46. 339
Es ist nun genau diese Gesinnung — Hochschätzung der
Upanisad-Weisheit, Geringschätzung der Veden —, die wir in der
Gitä, d. h. dem uns hier interessierenden Teile derselben, wieder¬
finden. Der Unterschied besteht allein darin , daß die Gitä den
Begriff des Samnyäsa umprägt, indem sie an die Stelle der Aufgabe 5
des Handelns das selbstlose Handeln (karma-yoga) setzt. Ihre
Haltung zu den Veden läßt sich, obwohl sie die Upanisaden als
solche nicht nennt, treffend ausdrücken mit Muijdaka-Upanisad
II, 2, 3-—5: dhanur gfhitvaupanisadam mahäsiram . . . anyä väco
vimuncathal An die Mundaka-Upanisad (I, 2, 7 fg.) schließt sich lO
auch direkt die unserem Verse vorhergehende Stelle von den
Veden und ihren Verehrern (Bhag.-Gitä II, 42—45): die Veden
lehren nur das niedere Werk {avaram karma) ; ihre Anhänger sind
„schwankend", „unstet", „betört", „blind"; nur wer, von der
Priesterweisheit sich abwendend, ein Einsiedler oder Bettelmönch i5
(in der Gitä: ein selbstlos Handelnder) wird, kann auf Erlösung
hoffen.
Die Auffassung Pavolini's, die übrigens die der meisten Kommen¬
tare und auch sonst nicht so erschreckend neu ist*), steht also zu
dem Geiste der Gitä keineswegs im Widerspruch. Sie ist auch 20
gar nicht einmal so heterodox, wie es auf den ersten Blick scheinen
mag. Denn daß, wer zur Brahman-Erkenntnis erwacht ist, keinerlei
Belehrung mehr braucht, wird doch von jedem Vedäntin zugegeben.
Es heißt ja nicht, daß die Veden überhaupt von keinerlei Nutzen
seien, sondern nur, daß man sie nach der Erlangung des höchsten 25
Wissens nicht mehr braucht. Auch wird nicht , wie Belloni
einwendet, bei unserer Auffassung die „ungeheure Masse" der
Veden als ein „kleiner Brunnen" dem „großen Brunnen" des Atman- Wissens gegenübergestellt, sondern erstens ist unter Veden natürlich
nur der Karmakända zu verstehen (der Jnänakända ist die Basis so
der Gitä !), und zweitens wird das Wissen des erleuchteten Brah-
manen überhaupt nicht mit einem Brunnen oder dgl. verglichen,
sondern mit der unübersehbaren Wassermenge, die bei einer all¬
gemeinen Überschwemmung alle Brunnen und sonstigen Wasser¬
reservoire in sich faßt. Mit Recht wird daher udapäne von 35
Madhusüdana SarasvatI für einen pluralvertretenden Singular erklärt
(Jäiäv elcavacanam). Die vielen Brunnen usw. , die die Über¬
schwemmung verschlingt, sind die Karmamärgas der zahllosen
vedischen Schulen.
Es bleibt mir schließlich noch zu sagen übrig , in welchem 10
Sinne ich von einer „alten" Gitä spreche. Ich bin durchaus mit
Garbe der Ansicht, daß die Bhagavadgltä nicht das von jeher
1) In einer von Mrs. Besant in Gemeinsciiaft mit verschiedenen (im Vor¬
wort genannten) Hindus angefertigten Übersetzung (London 1895). lesen wir:
„All the Vedas are as useful to an enlightened BrShmana, as is a tank in a place covered all over with water". Wie ich höre, war es vermutlich die Güdhärtha-DlpikS, durch die man sich zu dieser Auffassung bestimmen ließ.
340 Schroder, Über Bhagavadgltä II, 46.
einheitliche und widerspruchslose Ganze ist, als welches sie seit
unbestimmter (und wohl unbestimmbarer) Zeit in Indien allgemein
angesehen wird , sondern daß sie zustande gekommen ist durch
Erweiterang und eventuell Umarbeitung eines ursprünglich kleineren
B Werkes. Garbe hat zu zeigen versucht, daß die Gitä ein später
vedäntisiertes Textbuch der noch zu Saükara's Zeit für nicht ganz
vedatreu gehaltenen Sekte der Bhagavatas ist. Dieser Versuch ist
ihm meines Erachtens gelungen. Nur meine ich, wir müssen noch
etwas weiter gehen. Schon vor dem Erscheinen von Hopkins'
10 , Great Epic" hatte sich mir die Überzeugung aufgedrängt, daß
die Bhagavadgltä, wie in der Anzahl ihrer Bücher, so in ihrer
Geschichte ein Mahabharata en miniature ist; daß auch hier der
späteren, visijuitischen eine frühere, unsektarische („puränische")
Fassung vorherging. Der Anfang der Gitä hebt sich inhaltlich
15 und, wie mir scheint, auch sprachlich von allem Folgenden deutlich ab. Von Kfsna-Visnu-Väsudeva, wie überhaupt von einer theistischen
Weltanschauung, ist hier nichts zu spüren (vgl. z. B. ätmavän
gegen matparah, II, 45 und 61), sondern wir haben hier den ätma-
väda der Upanisaden, aber pluralistisch, also eine Art Niriävara-
20 Sämkhya. Ich nehme deshalb an, daß die älteste Gitä als Teil
des vorvisnuitischen Mahäbhärata schon mit II, 38 (. . . naivam
päpam aväpsyasi) zu Ende war , aber möglichei-weise noch um
eine Anzahl im gleichen Tone gehaltener Sloka's vermehrt wurde,
bevor die Bhagavatas auf dieses kleine Fundament die eigentliche
25 „Bhagavadgltä" setzten, die dann zuguterletzt, als Teil des Mahä¬
bhärata anerkannt, mit diesem noch durch die Hände des vedantischen Revisors ging.
2 7 *
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Zur Bedeutung der Namen Mahäyäna und HInayäna.
Von F. Otto Schräder.
Beide Bestandteile des Zwillingsterminus Mahäyäna-Hinayäna
sind in so verschiedener Weise übersetzt worden — yäna als
.Überfahrt', .Weg«, .Fahrzeug', .Schiff', .Wagen', .Methode',
.Karriere'; htna und mahä durch .klein — groß' (.small —
big'; .little — great'), .nieder — höher', .eng — breit' — daß 5
die Frage nach der ursprünglichen Bedeutung desselben einiges
Interesse beanspruchen kann.
Ich beginne mit yäna. Daß dieses Wort in unserem Kompo¬
situm ursprünglich die Bedeutung .Schiff hatte, scheint mir
aus dem Folgenden hervorzugehen. 10
In der ganzen buddhistischen Literatur gibt es kaum einen
beliebteren Vergleich als den des Samsära mit einem großen Wasser
(Fluß, See, auch Morast), das man passieren muß. Der Gedanke
geht zurück auf den uralten, auch heute noch bei vielen primitiven
Völkern sich findenden Glauben an ein von dem Toten auf seinem 15
Weg zum Himmel zu durchkreuzendes Wasser (oder finsteres Ge¬
biet). Sobald mit dem Erscheinen der Seelenwanderungstheorie*)
das höchste Ziel vom Himmel zum Nirvana sich verschoben hatte,
verwandelte sich die optimistische Lebensansicht in die pessimistische,
und das Leben selbst wurde das große Wasser, die große Finster- 20
nis, die man passieren muß, um zum Heil zu gelangen.
Ein paar Beispiele, die sich mittels Mrs. Rhys Davids' wert¬
vollem .Index» (JPTS. 1906—08) leicht vermehren lassen, sind
Suttanipäta 638 = Dhammapada 414, Suttanipäta 219, 545, 945,
Sa^iyutta-Nikäya I, 1, 9, II, 1, 6, Itivuttaka II, 10. 25
Galt so das Ringen nach Erlösung allgemein als ein Über¬
setzen , Durchqueren , so konnte nicht ausbleiben , daß der Dharma
mit einem nach dem Nirvana fahrenden Schiff verglichen wurde. Das
Bild ist wohl nur deshalb weniger häufig als das des Übersetzens,
weil es für viele in dem letzteren schon mitenthalten war. Die so
typischsten Beispiele seines Vorkommens dürften die folgenden sein :
1) Der Prozeß begann wahrscheinlich schon etwas früher.