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Titelthema

Das Brunnenviertel wählt

Alles über die Wahl der Bürgergremien Das Interview

Senatorin Junge-Reyer zur Wahl 20 Jahre Mauerfall

Die Mauer und das Brunnenviertel

sowie:

Der Mauerpark Die Kiezmütter

Der Krimi zum Kiez

Das Magazin aus dem Brunnenviertel • Ausgabe Oktober 2009

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Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie halten die erste Ausgabe von „brunnen ¼“ in den Händen, dem neuen Magazin aus dem Brunnenvier- tel. Künftig möchten wir Ihnen einmal im Quartal al- les Spannende, Schöne und Neue aus unserem Kiez berichten. Der Schwerpunkt dieser Ausgabe ist die bevorstehende Wahl der Bewohnergremien Quar- tiersrat und Vergabejury.

Berlin wird durch Kieze wie das Brunnenviertel reprä- sentiert, hier finden alle großen Themen unserer Zeit ihren Ort: Soziale Probleme und gelungene Integrati- on, Teilung und Einheit, Aufbau und Zerstörung, Ver- gangenheit und Zukunft. Dieses Berlin hat eine Ge- schichte zu erzählen und mit dieser Ausgabe wollen wir damit beginnen.

Mit jeder Ausgabe wird sich „brunnen ¼“ weiter ent- wickeln, größer und umfangreicher werden und auch Platz für Ihre Geschichte bieten. Wir freuen uns über Reaktionen, Wünsche, Kritik und Anregungen. Wenn Sie selbst eine Geschichte zu erzählen haben, finden Sie bei uns ein offenes Ohr. Ab sofort erreichen Sie die Redaktion über die Stadtteilbüros der beiden Quar- tiersmanagements im Brunnenviertel.

Ihr Redaktionsteam

Matthias Eberling (meb) Stefan Engelbrecht (sen)

Inhalt

Editorial Seite 2

Das Interview:

Senatorin Junge-Reyer zur Wahl Seite 3

20 Jahre Mauerfall Seite 4

Alter Park, neue Mauern

Der Mauerpark Seite 6

Im Einsatz für den Kiez

Die Brunnenkiezmütter Seite 7

Titelthema

Das Brunnenviertel wählt Seite 8

Die Kandidaten

Vier Seiten - alle Kandidaten Seite 10 Der Brunnenkiezkrimi Seite 14

Kiezinfos Seite 16

Impressum

Herausgeber

S.T.E.R.N. Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung mbH c/o Quartiersmanagement Brunnenviertel-Ackerstraße Jasmunder Straße 16

13355 Berlin Tel. 030/40007322 Fax 030/40007421

brunnenviertel-ackerstrasse@stern-berlin.de www.brunnenviertel-ackerstrasse.de und

L.I.S.T. GmbH

c/o Quartiersmanagement Brunnenviertel-Brunnenstraße Swinemünder Straße 64

13355 Berlin Tel. 030/46069450 Fax 030/46069451

qm-brunnenstrasse@list-gmbh.de www.brunnenviertel-brunnenstrasse.de

im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und des Bezirksamtes Mitte von Berlin

Verantwortliche Redakteure Matthias Eberling (meb) Tel. 030/46069462

qm-brunnenstrasse@list-gmbh.de Stefan Engelbrecht (sen) Tel. 030/40007322

stefan.engelbrecht@stern-berlin.de Bildnachweis:

Titelbild: pixelio.de Editorial: pixelio.de Auflage: 5000

Für unverlangt eingesandte Fotos, Texte oder Illustrationen übernehmen wir keine Haftung

Berlin, Oktober 2009

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m 8. Oktober werden die Mitglieder der Quartiersrä- te und der Vergabejury in einer Wahl neu bestimmt.

Zwei Jahre lang erhalten die Bürgergremien dadurch wesentlichen Einfluss auf die Mittelvergabe aus dem Pro- gramm Soziale Stadt. „brunnen¼“ sprach mit Berlins Stadt- entwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) über die Wahlen, die Bürgerbeteiligung und über das Brunnen- viertel an sich.

brunnen¼: Wie hat sich das Instrument Quartiersmanage- ment bewährt?

Junge-Reyer: Das Programm „Soziale Stadt“ ist eine Erfolgsge- schichte in vielen Quartieren der Stadt. Die Gebiete, die seit zehn Jahren gefördert wurden, zeigen eindrucksvoll, wie in be- nachteiligte Stadtquartiere wieder neues Leben einzieht.

Der partnerschaftliche Ansatz, mit den Bewohnerinnen und Be- wohnern vor Ort, Akteuren aus den Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Nachbarschaftseinrichtungen, Vereinen, Gewerbetreiben- den oder der Wohnungswirtschaft gemeinsam Verantwortung für den Kiez zu übernehmen, hat zu einem umfangreichen En- gagement geführt. Wichtig ist mir weiterhin, dass die Bürger ak- tiv mit gestalten können und sie als Quartiersräte Entscheidun- gen auch selbst treffen.

brunnen¼: Welche Ziele verfolgt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in den kommenden zwei Jahren im Brun- nenviertel?

Junge-Reyer: Zunächst möchte ich feststellen, dass sich das Brunnenviertel im Jahre 2008 im Vergleich zu 2006 sehr posi- tiv entwickelt hat. Aber nicht nur die Statistik ist entscheidend!

Auch das Lebensgefühl im Quartier hat sich merklich verbes- sert. Schauen Sie sich um! Es gibt vielfältige Initiativen, die Mut machen: Die Gründung der Bürgerplattform „Wir im Brunnen- viertel“ zur Schaffung von Wegen aus der Arbeitslosigkeit, die Gründung einer Bürgerstiftung und Bildung einer „Brunnenvier- tel-Genossenschaft“, Beratungsstellen für Eltern, Zusammenar- beit mit Migrantenvereinen, Aktionstage zum Mauerpark und Gleimtunnel oder auch die Kooperation mit der DEGEWO. In den letzten 4 Jahren ist es gelungen, gemeinsam mit den Men- schen vor Ort die Dinge in Angriff zu nehmen und zu langfristi- gen Veränderungen zu führen.

brunnen¼: Würden sie sich an den Wahlen zu den Bewohner- gremien beteiligen?

Junge-Reyer: Ja sicher! Das Quartiersmanagementverfahren zeigt uns, dass wir dem Expertenwissen der Menschen vor Ort vertrauen können. Das beweisen uns die vielen Aktiven aus der Bewohnerschaft der 35 Quartiersmanagementgebiete. Der Quartiersrat hat die Aufgabe zu entscheiden, ob Projekte und Ziele der Quartiersentwicklung übereinstimmen. Das tut er mit hohem Sachverstand. Das nicht alle immer einer Meinung sind, ist auch klar. Aber dann wird um eine Mehrheitsentscheidung gerungen. Das sind demokratische Spielregeln im Umgang mit- einander.

brunnen¼: Warum ist es so wichtig, dass es bei den Wahlen zu den Bewohnergremien eine hohe Beteiligung gibt?

Junge-Reyer: Es ist eine Frage der Akzeptanz gegenüber dem Gremium Quartiersrat. Auch eine Frage des Respekts demje- nigen gegenüber, der sich für diese Arbeit entscheidet. Sie ist ehrenamtlich und erfordert viel Zeit, sich mit dem Thema Pro- jektförderung zum Wohl des Quartiers zu befassen. Je mehr Bür- gerinnen und Bürger sich für ihren Quartiersrat aussprechen, desto mehr Gewicht erhalten seine Entscheidungen.

brunnen¼: Inwieweit beeinflusst der Quartiersrat die Ent- scheidungen zur Mittelvergabe aus dem Programm Soziale Stadt?

Junge-Reyer: Die gewählten Quartiersräte entscheiden über die Quartiersfonds. Das sind Gelder in verschiedener Höhe und mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Das kann sowohl ein Stadt- teilfest oder ein mehrjähriges Bildungsprojekt oder auch etwas ganz anderes sein. Die Erfahrung zeigt uns, das die Quartiersräte verantwortungsbewusst mit den Geldern umgehen und genau hinschauen, ob es sinnvoll ist, diese Mittel tatsächlich für ein Projekt auszugeben.

Vielen Dank, Frau Senatorin Junge-Reyer.

Das Interview

Foto: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

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s gibt Bilder, die gehen um die ganze Welt. Es gibt Orte, auf die für einen Augenblick der Geschichte alle Scheinwerfer gerichtet sind. Das Brunnenviertel ist so ein Ort.

Denn hier stand noch vor 20 Jahren die Berlin Mauer und trennte den Wedding vom Stadtteil Mitte. Der Fall des „Boll- werkes gegen den Imperialismus“ im Jahre 1989 wird in diesem Jahr ganz besonders gefeiert, nicht nur im Brunnen- viertel, in ganz Berlin. „brunnen ¼“ hat sich auf Spurensuche begeben und interessante Details zur Mauer ausgegraben.

Außerdem interessierte uns, welche Termine in den kommen- den Monaten geplant sind und wie das Thema der Teilung Berlins an den Schulen im Brunnenviertel verarbeitet wird.

Das Wissen über die deutsch-deutsche Teilung und deren Folgen ist aber nicht in jedem Fall besonders ausgeprägt. Im Leben der Menschen im Brunnenviertel gibt es auch andere Hindernisse und Schranken. Vor allem unter den Bewohnern mit Migrationshintergrund dominierten in der Vergangenheit ganz andere Probleme den Alltag. Um diese These entweder zu bestätigen oder zu widerlegen, gingen Schüler der Ernst- Reuter-Oberschule und deren Eltern zu Beginn des Jahres auf eine gemeinsame Suche nach den Ursprüngen der Mauer und dem Leben dahinter. Heraus kam eine Ausstellung mit teilweise erstaunlichen Einblicken in die Schicksale unserer Nachbarn.

„Bausteine der Mauern, Unsichtbare Mauern, Eine gute Mau- er“: So lautete der Untertitel der Ausstellung von Elena Ilina (Künstlerin) und Luise Felkel (Steinmetzin), die bis Ende Feb- ruar in den Räumen des Oberschule zu sehen war. Sie setzte

sich mit den Lebensläufen der Menschen im Brunnenviertel auseinander. So musste einer der Befragten aus dem Libanon fliehen, eine andere wollte sich von ihrem Mann trennen und flüchtete deshalb nach Berlin. Jetzt engagiert sie sich in ei- nem sozialen Projekt im Kiez. Bei solchen Schicksalen spielt die Mauer an der Bernauer Straße v i e l -

leicht tatsächlich eine unterge- ordnete Rolle. Derzeit findet sich das Thema Mauerfall als Schwerpunkt in den Lehrplä- nen der Schulen wieder.

Eigentlich ist die Geschich- te der Mauer so surreal wie eine Geschichte aus Tau- sendundeiner Nacht: Da wird quer durch Berlin und durch den heutigen Stadtteil Mitte eine hohe Mauer gebaut, die Tag und Nacht bewacht wird, als seien beide Hälften der Stadt im Kriegszustand. Man kann es eigentlich gar nicht glauben, wenn man heute die Bernauer Straße entlang geht.

Aber hier sah es vor zwanzig Jahren noch völlig anders aus und vor einem

knappen hal- ben Jahrhun- dert spielten sich an die-

Foto: pixelio.de

20 Jahre Mauerfall

Geschichte

9. Kasim 1989 günü tarih kitaplarına DDR deki başarıyla sonuclanan barışçıl devrim olarak gecti. Kim o sırada Berlinde Duvarin yıkılışını yaşadıysa, bunu hiç unutmayacaktır. Elinizdeki „brunnen¼“ dergisi ilerdeki yazıda bu 20 yıl önce yaşanan olayları ve sonuçlarını ele alacak. Özellikle Brunnenviertel ve Bernauer Caddesi şehirin bu tarihini anımsatıyor. Ve özellikle tam bu bölgede Strelitzer Str ve Brun- nenstraße arasınde çok dramatik sahneler yaşandı: dikenli tellerden atlayan Askerden yer altında doğudan kacmak icin kazilan tünele kadar.

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Foto: Staff Sergeant F. Lee Cockran

Foto: Stefan Engelbrecht

8. November Die Mauer: Eine Spurensuche an der Bernau- er Straße, Führung

8. November ab 14:00 Uhr : Fest ohne Grenzen - zur Wie- dervereinigung der Bezirke Steglitz-Zehlendorf (West) und Teltow (Ost).

9. November: 10:30 Uhr Gedenkveranstaltung an der Bernauer Straße, Eröffnung des neuen Informtions-Pavillons Gedenkstätte Berliner Mauer, Bernauer Str. 111, 13355 Berlin 9. November: 20:30 Uhr 20 Jahre Mauerfall - Das Konzert, Berliner Dom, Am Lustgarten, 10178 Berlin

Weitere Informationen und Termine über die Mauer an der Bernauer Straße unter: www.mauerfall09.de und

http://www.berliner-mauer-dokumentationszentrum.de sem Ort dramatische Sze-

nen ab, die weltpolitische Konsequenzen haben soll- ten.

Böses Märchen mit gutem Ende

An der Bernauer Straße sprangen Menschen aus den Fenstern, um die letz- te Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. Staatsober- häupter legten in der Fol- gezeit Kränze und Blumen an diesem Ort nieder, um ihre Verbundenheit mit der geteilten Stadt zu do- kumentieren.

Als am 13. August 1961 die Grenzen zwischen den Sektoren der Westalliierten und der DDR abgeriegelt wurde, war das Brunnenviertel auf einen Schlag von seinen Nachbarbezirken im Süden und Osten abgeschnitten. Das letzte Schlupfloch des „Eisernen Vorhangs“, der kapitalistische und kommunis- tische Gesellschaften quer durch Europa und Deutschland trennte, war geschlossen, der Flüchtlingsstrom in den Wes- ten versiegte. Familien wurden getrennt, Arbeitsplätze waren plötzlich unerreichbar und Geschäfte schlossen. Bis zum Bau der Mauer arbeiteten viele Menschen aus dem Prenzlauer Berg in den Fabriken des Weddings. Sie gingen in der beleb- ten Gegend um Bad- und Brunnenstraße, damals im Volks- mund noch „Sachsendamm“ genannt einkaufen. Zahlreiche Geschäfte, aber auch Gasthäuser und Kinos profitierten von den Besuchern aus Ost-Berlin und der DDR, die hier auch mit ihrer eigenen Währung zahlen konnten. Nur zwei Jahre nach dem Mauerbau hatten bereits die Hälfte der Betriebe im Kiez geschlossen – ein wirtschaftlicher Aderlass, von dem sich das Viertel bis heute nicht erholt hat. Wer nun in den anderen Teil der Stadt wollte, musste zu den Grenzübergängen an der Bornholmer Straße oder der Chaus-

seestraße. Im Brunnenviertel selbst gab es nur die kahle Wand der „Berliner Mau- er“, wie sie in aller Welt genannt wurde, und dahinter den militärisch gesicherten

„Todesstreifen“. Zu allem Überfluss wurde das isolierte Viertel am „neuen Stadtrand“

West-Berlins in den Folgejahren Opfer städtebaulicher Experimente, in erster Linie der sogenannten „Kahlschlagsa- nierung“.

In den Jahrzehnten nach dem Mauerbau veränderte sich das Viertel und seine Men- schen. Die Isolation West-Berlins führte zum wirtschaftlichen Niedergang, viele Menschen folgten den Arbeitsplätzen und wanderten in die Bundesrepublik ab. Neue Gesichter prägten das Straßenbild: Die einfachen Malocher und Hausfrauen ver- schwanden, ebenso die Kriegsversehrten, deren zerstörte Körper an die Schrecken des Weltkriegs erinnerten, Migrantenfa- milien und junge Westdeutsche siedelten sich in Vierteln wie Kreuzberg oder dem Wedding an. Die

Migranten kamen wegen der da- mals noch vorhandenen Indust- riearbeitsplätze, die mit einer

„Berlinzulage“ subventio- niert wurden, die Jugend wollte der schwäbischen oder westfälischen Ein- öde entfliehen, wahlweise auch dem Kreiswehrer- satzamt, und das Leben in der Großstadt entde- cken. Ost-Berlin erschien den Neubürgern als bi- zarres Ausflugsziel, das geographisch zwar nicht weit entfernt lag, aber nur mühselig, nach langem Schlangestehen an den Passierscheinstellen, dem Ausfüllen eines Visuman- tragsformulars (drei Tage im Voraus), der Zahlung des „Min- destumtauschs“ von 25 D-Mark, peniblen Taschenkontrollen und strengen Befragungen durch die „Grenztruppen“ zu er- reichen war.

28 Jahre lang war die Mauer ein Abenteuerspielplatz für Kin- der und Graffiti-Künstler, ein Ort der politischen Provokation und Propaganda der konkurrierenden Systeme, Schicksalsort für Flüchtlinge, die den Todesstreifen in Tunneln und mit Fes- selballons überwinden wollten dann wurde sie durch eine einzige Pressekonferenz des SED-Regimes atomisiert. In der Nacht vom 9. auf den 10. November strömten die Menschen nach West-Berlin. In den Tagen nach der Maueröffnung wa- ren der Ku’damm und andere Straßen eine einzige Partymei- le: überall knatternde Trabbies, Sekt und Stone-washed Jeans.

Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, die Narben der Tei- lung sind für Bewohner und Besucher praktisch unsichtbar geworden. Nur an der Bernauer Straße erinnert der einzige komplett erhaltene Grenzabschnitt noch an die unglaubliche Geschichte, als quer durch Berlin eine Mauer gebaut wurde.

Rund um den 9. November wird es berlinweit unzählige Ver- anstaltungen zum Mauerfall vor 20 Jahren geben. Auch hoch- rangige Staatsgäste werden erwartet. Das genaue Programm steht aber noch nicht fest. In unserem Infokasten haben wir einige wichtige Termine zusammengefasst. Weitere Hinweise zu den Feierlichkeiten werden unter anderem auf den Inter- netseiten der Gedenkstätte Berliner Mauer und unter mauer- fall09.de veröffentlicht.

meb / sen

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Gestreift

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er Mauerpark ist eine beliebte Erholungsfläche zwi- schen Brunnenviertel und Prenzlauer Berg. Ökono- mische Interessen bedrohen diesen Freiraum, schon im nächsten Jahr könnten die Bagger anrücken, um neue Hochhäuser zu bauen.

Jonglierende Kleinkünstler auf dem Einrad, Feuerschlucker und Poeten mit Megaphon, Basketball, Frisbee und Boule, Flohmarkt, Karaoke und Köfte – das ist Berlin, das ist der Mauerpark. Diese Grünfläche zwischen Wedding und Prenzlauer Berg ist kein Park im eigentlichen Sinne. Am Wochenende ist der Mauerpark ein Veranstaltungsort und ein Treffpunkt für Menschen aus der gan- zen Stadt, eine asphalt- und betonfreie Oase des Lebens, eine ungebundene Fläche, auf der wir täglich sehen können, wie das vereinte Berlin zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, die auch an diesem Ort die Menschen trennte, gemeinsam lebt und Spaß hat. Dieser Freiraum ist jedoch bedroht, denn die Eigentümer des Parks haben andere Pläne als die Nutzer.

Die Stadt: Als nach der deutschen Wiedervereinigung eine gro- ße Naherholungsfläche im dichtbesiedelten Prenzlauer Berg geschaffen werden sollte, hatte Berlin nicht genug Geld, um das gesamte Gelände kaufen zu können. Mithilfe eines Versiche- rungskonzerns realisierte man zumindest auf einem Teil der Flä- che den Mauerpark. Sollte die Stadt den Park bis zum Jahr 2010 jedoch nicht erweitert haben, muss sie die Fördermittel an den Konzern zurückzahlen.

Die Bahn: Auf dem Gelände des Mauerparks lag früher der Nord- bahnhof, der längst abgerissen ist. Die Bahn möchte diese Flä- che über ihre Tochtergesellschaft Vivico Real Estate verkaufen – natürlich zum höchstmöglichen Preis. Sie möchte von der Stadt auf einem Geländestreifen an der Westseite des Parks Baurecht für eine Reihe von Hochhäusern. Dafür bekäme die Stadt den Rest des Grundbesitzes geschenkt. Vivico könnte teures Bauland verkaufen und einen schönen Gewinn erzielen und die Stadt könnte ihre Verpflichtungen zum Ausbau des Parks erfüllen.

Die Bürger: Der Mauerpark ist eine der wenigen Naherholungs- flächen in diesem Teil der Stadt, daher wird er auch von den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen so stark genutzt:

Studenten, Touristen, Schickeria und Familien. Ein Park bedeu- tet höhere Lebensqualität und Umweltqualität. Die geplante Bebauung würde eine soziale Mauer zwischen Wedding und Prenzlauer Berg schaffen, so die Bürgerinitiative „Park statt Mau- ern.“ Nach den vorliegenden Plänen bliebe vom Mauerpark nur ein schmaler Streifen übrig.

Die französische Raumplanerin Lisa Melchiorri hat für ihre Dip- lomarbeit die Nutzergruppen im Mauerpark untersucht. Da gibt es zum einen die Sportler, die zum Joggen herkommen oder die Kletterwand nutzen. Die Kinder aus der Nachbarschaft, die hier spielen. Die Hundebesitzer, deren Haustiere sich auf der Hunde- wiese austoben können, die Spaziergänger oder die Menschen, die einfach einen Ort der Ruhe in der Innenstadt suchen. Und es gibt die Künstler, die hier arbeiten und wiederum Publikum anziehen. Abends ist der Park ein Treffpunkt für junge Leute, die sich hier amüsieren. Inzwischen gibt es zahlreiche Veranstaltun- gen im Park – Musik, Theater, Kleinkunst, die viele Menschen aus der ganzen Stadt anlocken.

Der Mauerpark ist eine der lebendigsten Grünflächen Berlins, an manchen Tagen herrscht hier regelrecht Volksfeststimmung. Es wäre traurig, wenn neue Mauern gegen dieses bunte Leben ge- setzt würden. Ginge es nach den Menschen im Kiez, würde die- ser Freiraum erweitert werden. Es gibt viele kreative Ideen und Initiativen rund um die Spielwiese Mauerpark. Warum trägt man zum Beispiel den früheren Bahndamm, der immer noch den alten Westen vom alten Osten trennt, nicht einfach ab? Dann gäbe es auch den düsteren Gleimtunnel nicht mehr. Hoffentlich bleibt der Mauerpark weiterhin der „Szene-Treffpunkt“ und der

„melting pot“, wie ihn die deutschen und internationalen Reise- führer beschreiben.

Text & Foto: meb

Alter Park,

neue Mauern

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M

it dem Ende der fast neunmonatigen Schulung sind die Brunnenkiezmütter jetzt bereit für erste Famili- enbesuche.

Immer mittendrin, nie nur dabei: Die Brunnenkiezmütter waren in den vergangenen Monaten im Kiez einfach nicht zu über- sehen. Ob Sommerfest oder Fastenbrechen, im Bewohnertreff Volt-Cültüre, bei den Sprechstunden an den Schulen im Quar- tier oder auf dem Rundgang des Finanz- und Jugendstadtrates Rainer-Maria Fritsch. Die ehrenamtlichen Kiezmütter nahmen an den verschiedensten Aktionen und Veranstaltungen teil, führten Gespräche, stellten sich

vor, tauschten Kontaktdaten aus oder vereinbarten schon einmal Besuchstermine. Jetzt geht das Projekt, das im Januar startete, in die nächste Phase. Die Schu- lungen sind abgeschlossen, die Zertifikate verteilt und die Bera- tung kann beginnen.

„Wir haben bereits Termine mit den ersten Familien vereinbart“, sagt die Brunnenkiezmutter Sonja Bielenberg. Sie selbst habe drei Familien, die darauf warten, dass sie vorbei schaut, um bei den bestehenden Pro- blemen zu helfen. Wer sich lie- ber neutral mit ihr treffen wol- le, könne außerdem die offene Sprechstunde nutzen. Jeden Dienstag ab 09.00 Uhr ist sie in der Kita Sternenhimmel und steht für erste Gespräche zur Verfügung.

Mitte September mussten die ehrenamtlichen Teilnehmerin- nen des in Kooperation vom Sven Walter Institut der GFBM

und der Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH durchgeführten Pro- jektes noch eine Prüfung ablegen. „Wir haben bestanden. Das ist die Hauptsache“, sagte Bielenberg selbstbewusst. Am 30.

September folgte dann die Übergabe der Zertifikate durch Be- zirksbürgermeister Dr. Christian Hanke. In den Schulungen sei es darum gegangen, Beratungsstrategien einzuüben, sagt Heike Baake von der GFBM zu der Fortbildung. „Die Brunnenkiezmüt- ter dürfen ja nicht den Eindruck machen, dass sie alles besser wissen. Sie sollen ja vor allem weiter vermitteln und die Prob- leme in den Familien beobachten und bewerten“, beschrieb sie das Ziel des Projektes.

Jetzt stehen Hausbesuche auf der Tagesordnung. Dabei infor- mieren und unterstützen die „Brun nenkiezmütter“ jeweils Fami-

lien mit bis zu zehn Besuchen. Sie sollen Probleme – etwa bei der Erziehung der Kinder – erkennen und sozusagen als Weg- weiser zu Hilfsangeboten fungieren. Außerdem werden die Teilnehmerinnen, auf gesundheitliche Probleme, falsche Ernäh- rung und mangelnde Bewegung der Familien vorbereitet. Dass diese Vorbereitungszeit nötig ist, um die Brunnenkiezmütter nicht zu überfordern, sieht auch Bielenberg so. Sie habe großen Respekt davor, zwischen die Fronten zu geraten. So könne es beispielsweise sein, dass der Mann gegen die Beratung durch die Brunnenkiezmütter sei und ausfallend werde. „Wir gehen bei den Gesprächen schon sehr ins Details“, sagt sie.

Doch im Ernstfall stehen die Experten von GFBM und Pfeffer- werk den Kiezmüttern natürlich in Zukunft zur Seite. Auch die Schulbank müssen die Brunnenkiezmütter gelegentlich drü- cken. Während der Besuchsphase, die nun Anfang Oktober be- ginnt, werden die insgesamt sechs Kiezmütter in regelmäßigen Abständen weitergeschult und in Teamsitzungen unterstützt.

Das vom Quartiersmanagement Brunnenviertel-Ackerstraße im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ finanzierte Projekt läuft zunächst bis Ende 2010.

Text & Foto: sen

Integration

Immer im Quartier unterwegs: Die Brunnenkiezmütter.

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Das Brunnenviertel wählt

Foto: pixelio.de

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A

m 8. Oktober fallen die Entscheidungen für die Be- wohnergremien. Ach, das Quartiersmanagement, ja, das ist eine gute Sache“, sagt die Verkäuferin in dem Bäckereigeschäft in der Brunnenstraße und willigt ein, die Broschüren zu den Wahlen der Bewohnergremien auf dem Tresen auszulegen. „Kann ich da auch wählen? Ich arbei- te doch nur hier“, fragt sie noch einmal nach, während vor dem Eingang zu dem großen Supermarkt eine Percussion- Gruppe brasilianisch rhythmisch für die Wahlen wirbt. Nach der Wahl ist eben vor der Wahl: Die Entscheidung für die Besetzung des neuen Bundestages ist gefallen, nun stehen im Brunnenviertel am 8. Oktober die Wahlen zu den Bürger- gremien an.

Die Verkäuferin jedenfalls darf mitbestimmen über die Zusammensetzung der Bewohnergre- mien. Denn auch wer nur im Kiez arbeitet, aber in einem anderen Stadtteil wohnt, hat ein großes Interesse daran, dass das Brunnenviertel weiter aufblüht. Wer an den Wahlen teilnehmen darf, war übrigens eine der häufigsten Fragen, die den Quartiersmanagern während ihrer Aktionen in den vergangenen Wochen gestellt wurde. Im Schnitt alle drei Tage zogen sie, begleitet von der Trommel-Gruppe um Krista Zeißig und Debora Saraiva durch den Kiez, um auf den Urnengang aufmerksam zu machen. Sie stießen dabei durch- weg auf großes Interesse und Zustimmung.

Zunächst stand aber die Kandidatensuche im Mittelpunkt. Mehr als 50 Ehrenamtliche erklärten sich schließlich bereit und sind nun am Wahl- tag – einem Donnerstag – auf dem Stimmzettel zu finden. Wer sie sind, welche Vorstellungen und Schwerpunkte sie für ihre zukünftige Arbeit setzen, haben wir auf den folgenden Seiten zu- sammengestellt. „Brunnen 1/4“ und natürlich die Teams der Quartiersmanagements hoffen auf

eine rege Wahlbeteiligung und viele abgegebene Stimmen.

Schließlich entscheiden die beiden Quartiersräte und die Verga- bejury mit über die Vergabe von enormen finanziellen Mitteln, die im Rahmen des Programms Soziale Stadt in das Quartier in- vestiert werden. In den vergangenen Jahren konnten dadurch zahlreiche wichtige Projekte in den Bereichen Bildung, Integ- ration, Nachbarschaft, Kultur und Gewerbe umgesetzt werden.

So gibt es seit zwei Jahren den Bewohnertreff Volt-Cültüre, Anfang dieses Jahres startete außerdem das wichtige Projekt Brunnenkiezmütter und in der Gustav-Falke-Grundschule sind die Ergebnisse des Kunstprojektes – große von den Kindern ge- malte Bilder – in den Fluren zu besichtigen. Eines der Gemälde hängt sogar im Roten Rathaus. Es wurde im vergangenen Jahr als Geschenk an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowe- reit (SPD) überreicht.

Am Wahltag, einem Donnerstag, werden überall im Brunnen- viertel Wahlurnen aufgestellt. Die Wahlberechtigten können dort den ganzen Tag über direkt ihre Stimme abgeben. Los

geht es bereits am frühen Morgen vor den Schulen und Kitas im Quartier. Auch vor den Supermärkten in der Brunnenstraße und anderen zentralen Punkten im Brunnenviertel können die Stimmzettel abgegeben werden. Am Abend ist dann eine kleine Wahlparty geplant, auf der die Ergebnisse der Abstimmung ver- kündet werden. Voraussichtlich gegen 22.00 Uhr wird die Ent- scheidung vorliegen. Ein langer Tag also für die Mitarbeiter der Quartiersmanagements.

Engagement für einen lebendigen Kiez

Die beiden zukünftigen Gremien Quartiersrat und Vergabejury setzen sich wie in den vergangenen zwei Jahren aus Instituti-

onsvertretern und Akteuren im Kiez sowie aus Bewohnern zu- sammen, die sich für einen lebendigen Kiez engagieren wollen.

Die Themen, die im Quartiersrat behandelt werden, reichen von Bildung, Integration und Zusammenleben bis zur Unterstüt- zung des lokalen Gewerbes. Neben der gemeinsamen Arbeit an der Gebietsentwicklung befindet der Quartiersrat über Projek- te ab 1.000 € mit. Die Vergabejury hingegen entscheidet über kleinteilige Projekte bis 1.000 €, die der Nachbarschaft und dem Zusammenleben zu Gute kommen.

Alle, die im Brunnenviertel wohnen und/oder tätig sind, können sich als Kandidaten zur Wahl stellen. Die Mitarbeit in den Bürger- gremien ist ehrenamtlich. Die Quartiersmanager/Innen der bei- den Gebiete stehen für Fragen, Infos und die Kandidatenanmel- dungen zur Verfügung. Weitere Informationen zum Quartiersrat und zur Vergabejury gibt es auch auf den Internetseiten unter www.brunnenviertel-ackerstrasse.de und www.brunnenviertel- brunnenstrasse.de.

sen

Brunnenviertel Bölgesi seçiyor: 8. Ekimde Bölge kurulu ve Dağıtım jurisi gelecek 2 sene için seçilecek. „brunnen¼ „ Dergisi size seçimle ilgili bilgi verecek. 10 Sayfasından 13 sayfasına kadar bütün üye adaylarını görebilirsiniz. Dergide Adaylarin neler hedeflediğini ve çalişma alanlarının neler olacağı yazıyor. Böylece seçimi kolaylaştırıp daha cok seçmenin katılmasını umuyoruz. Seçime katılmak cok önemli, çünkü adaylar “Soziale Stadt Programmından” gelen parayla ilgili kararlar veriyor ve bu para bölgenin gelişmesi için kullanılacak.

Trommeln für die Bürgergremien: In den vergangenen Wochen waren die Mitarbeiterinnen der QMs immer wieder im Kiez unter- wegs. Eine Percussion-Gruppe sorgte für die nötige Aufmerksamkeit. Foto: QM-Ackerstrasse

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QUARTIERSRAT QM BRUNNENVIERTEL-BRUNNENSTRASSE

Die Kandidaten

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QUARTIERSRAT QM BRUNNENVIERTEL-BRUNNENSTRASSE

VERGABEJURY QM BRUNNENVIERTEL-BRUNNENSTRASSE

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Die Kandidaten

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Der Brunnenkiez-Krimi

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rivatdetektiv Jan Mardo lebt und arbeitet im Brunnen- viertel. Er bekommt den Auftrag, einen Hund zu fin- den. Anfangs ist er enttäuscht aber bald findet er sich in einem spannenden Kriminalfall wieder.

Neulich lag das Dankesschreiben des World Wildlife Fund im Briefkasten, in dem sich die Organisation für Mardos Spenden- zahlung über fünftausend Euro bedankte. Sie hatten seinen Namen sogar auf die Liste der besonders großzügigen Spender gesetzt, die auf ihrer Homepage veröffentlicht wurde. Obwohl Mardo sicherlich der bescheidenste Mensch auf der ganzen Welt war, konnte er diese Ehre nicht ablehnen. Aber wie kam ein ein- facher Privatdetektiv eigentlich zu einer solchen Summe? Alles fing mit einem Shar-Pei an, einem chinesischen Faltenhund. Ge- nauer gesagt fing alles wieder einmal mit einem Telefonanruf an.

Mardo hatte die Bambus-Rollos an seinem Bürofenster herunter gelassen und dachte gerade im Halbdunkeln über sein Leben nach, als das Telefon klingelte. Finke hieß der Mann, in einer hal- ben Stunde sollte Mardo in sein Büro kommen. Welchen Auftrag würde der Privatdetektiv heute bekommen? Ging Finkes Frau fremd? Oder war es etwas Geschäftliches? Finke war ein bekann- ter Möbelhändler, vielleicht war eine Ladung Einbauschränke aus der Ukraine irgendwo verschwunden?

Mardo zog seinen anthrazitfarbenen Wintermantel an und stülp- te eine Wollmütze über die kurzen schwarzen Haare. Er ging die Ramlerstraße hinunter in Richtung Brunnenstraße. Auf der an- deren Straßenseite lief ein älterer Herr mit seinem Schäferhund, der auf den schönen Namen Karl-Heinz hörte. Mardo kannte nur den Namen des Hundes, der alte Mann rief ihn regelmäßig mit krächzender Stimme, mal drohend, mal bittend. Er ging über die Brücke, unter ihm die Gleisanlage des Bahnhofs Gesundbrun- nen. Vor ihm gingen ein paar Jugendliche, aus deren Ohren Ka- bel hingen. Eine Frau mit Kopftuch und Einkaufstasche kam ihm entgegen, auf der Brunnenstraße schlich der 247er vorüber.

Auf der Badstraße wurde die Menschenmenge dichter, hier reih-

te sich Geschäft an Geschäft. Mardo bog in die Pankstraße ein.

Hier lag das Möbelhaus Finke, gegenüber der trutzigen Fassade des Amtsgerichts Weddings, eines typischen Beispiels wilhelmi- nischer Einschüchterungsarchitektur. Dahinter floß die Panke, an der Mardo im Sommer gerne spazieren ging.

Kurz darauf saß er in einem mäßig bequemen Bürostuhl, vor sich einen mächtigen weißlackierten Schreibtisch, dahinter der auf- gequollene kahle Schädel des Geschäftsführers.

„Schön, dass Sie so schnell kommen konnten. Es geht um Bodo, er ist entführt worden.“

Mardos Herz setzte einen Schlag aus. Entführung war nicht ganz seine Liga, bei Schwerverbrechen hatte man es im Regel- fall mit Schwerverbrechern zu tun. Und solche Leute waren gut bewaffnet und selten allein. Mardo hatte nur Pfefferspray in der Manteltasche. „Ich nehme an, es handelt sich um Ihren Sohn. Die Polizei ist hoffentlich schon informiert. Obwohl die Erpresser ja stets davor warnen, empfehle ich Ihnen ...“

„Nein, nein.“ Finke lächelte. „Es geht um meinen Hund.“

„Ich soll also ihren Hund finden?“ Mardo stutzte. Einen Hund suchen? In dieser Stadt? An diesem nasskalten Januartag durch Parks und Hinterhöfe laufen, während ein Stück Hundekuchen in seiner Manteltasche zerbröselte? Sein Vater hatte ihm immer geraten, einen anständigen Beruf zu erlernen. Joao Mardo war in den siebizger Jahren aus Porto nach Berlin gekommen und hatte bei der AEG gearbeitet, bis die Firma Anfang der achtziger Jahre pleite gegangen war. Den Vornamen verdankte Jan Mardo seiner tschechischen Mutter.

„Nein, den habe ich bereits wieder. Sie sollen die Entführer fin- den. Niemand stiehlt Rüdiger Finke tausend Euro!“

„Was ist passiert?“

Finkes Stirn legte sich in Falten, seine Stimme wurde dunk- ler und drohender. „Diese Entführer haben sich an meine Frau gewandt, sie hat anstandslos bezahlt. In der darauffolgenden Nacht wurde uns der Hund zurück gebracht, er war vor Haus unserem Haus in Wilmersdorf angebunden. Meine Frau hat mir erst Tage später davon erzählt. Sie können sich vorstellen, wie wütend ich war. Unser Hund wurde täglich von einer Hundesit- ter-Firma ausgeführt, am Vinetaplatz ging er angeblich verloren.

Vielleicht schauen Sie sich die Typen von dieser Firma ja mal an.“

Mardo ließ sich die Adresse der Hundesitter-Firma und die Te- lefonnummer von Finkes Frau geben. Er tippte die Nummer in sein Handy, als er zum U-Bahnhof Nauener Straße ging, vorbei am Amtsgericht, über die Panke. In diesem Kiez hatten am 1. Mai 1929 die Barrikaden gebrannt. Heute war der Wedding winter- grau, nicht rot.

„Finke-Bärlauch“, meldete sich eine hell singende Stimme.

„Mein Name ist Jan Mardo. Ihr Mann hat mich wegen der Hun- deentführung engagiert.“

„Ach, Rüdiger ist immer so aufbrausend. Aber gerade ist eine Freundin von mir hier, deren Hund ist auch verschwunden. Viel- leicht kommen Sie einfach mal vorbei, dann können wir reden.

Da könnte es doch einen Zusammenhang geben, oder?“

Mardo gab ihr Recht und drückte die Aus-Taste.

Mit der U 9 fuhr er tief ins Herz des gutbürgerlichen Berlins und stieg am Walther-Schreiber-Platz aus. Überall restaurierte Alt- baufassaden, keine Graffiti. So hätte das Brunnenviertel auch aussehen können, aber wirtschaftlicher Niedergang und städ- tebauliche Experimente hatten sein Gesicht hässlich gemacht.

Finkes bewohnten eine riesige Maisonettewohnung in der Odenwaldstraße. Frau Finke-Bärlauch begrüßte ihn an der Tür, artig ließ Mardo seinen Mantel und seine Mütze an der Gar- derobe. Er folgte der Gastgeberin durch eine völlig überheizte

Foto: pixelio.de

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Wohnung. Auf einem niedrigen Glastischchen standen geblüm- te Kaffeetassen und Teller. Auf dem Sofa saß eine Frau mittleren Alters, die Mardo erwartungsfroh anlächelte.

„Guten Tag. Meine Name ist Silvia Lotze. Ich hätte mir einen De- tektiv aber größer und kräftiger vorgestellt.“

Mardo lächelte verlegen, während er sich in einem Sessel sin- ken ließ. Er war tatsächlich nur ein Meter siebzig groß und von schmächtiger Statur. „Heutzutage werden die Fälle nicht mehr durch Muskelkraft gelöst, sondern mit Ausdauer und Kombina- tionsgabe.“ Es hörte sich besser an, als er sich fühlte. Schließlich arbeitete er gerade einmal ein halbes Jahr in diesem Beruf.

Dann erzählte Frau Lotze ihre Geschichte. Alles hörte sich ge- nauso an wie im Büro von Herrn Finke. Auch der Name der Hun- desitter-Firma war der gleiche: Dogsitter GmbH. Mardo hatte eine Idee. Womöglich konnte er sich die Mühe sparen, sämtliche Tierheime abzuklappern oder ziellos durch die Parks zu streifen.

Mardo hatte einen alten Reisigbesen in der Hand und fegte ein wenig in seinem Büro. Das Fegen diente in erster Linie seiner Entspannung, weniger der Bodenpflege oder der optischen Aufwertung seiner Rumpelkammer. Ein Mann und sein Besen.

Er erinnerte sich, wie er den Besen bei einem Trödler in Moabit erstanden hatte, dann klingelte endlich das Telefon.

„Hier Max Lotze. Werde das Geld jetzt deponieren.“

„Verstanden.“ Mardo legte auf.

Wenig später kauerte er hinter der Hecke eines grauen Wohn- würfels im Innenhof zwischen Swinemünder und Graunstrasse.

Zunächst hastete Max Lotze in einem dunkelblauen Mantel vo- rüber, er legte ein Päckchen in die Mülltonne an die Rückseite der St. Afra-Kirche und verschwand wieder. Fünfzehn Minuten später trat ein fremder Mann in den Hof und blickte sich um.

Mardo duckte sich, so tief er konnte, und hielt die Luft an. Dann spähte er hervor. Er sah den Mann gerade noch im hinteren Teil des Hofes verschwinden. Er trug eine tiefhängende Jeans im

„Heavy-used-Look mit hippen Crincle-Effekten“ (Quelle-Katalog, S. 509), dazu eine rote Daunenjacke. Mardo verließ die Deckung und folgte dem Erpresser. Doch als er die Graunstrasse erreicht hatte, war der Mann verschwunden. Mardo rannte in Richtung Gleimtunnel, aber es war zu spät. Er hatte es bei der Geldüber- gabe einfach vermasselt.

Eine Stunde später saß Mardo saß am Küchentisch und schnitt eine Salatgurke in hauchdünne Scheiben, während Mary am Herd stand, in einem Topf herum rührte und gleichzeitig kon- zentriert in ein Kochbuch blickte. Er sah ihr gerne zu. Ihr Anblick hatte etwas Beruhigendes, so als blickte man in eine Lavalampe.

Und Ruhe brauchte er in diesem Augenblick. Er lebte seit zwei Jahren mit seiner Freundin zusammen. Mary hieß mit vollem Namen Maritima Eternity Wurstwasser, aber sie mochte ihren Namen nicht. Vielleicht würde eines Tages einfach ‚Mary Mar- do‘ in ihrem Personalausweis stehen, mehr nicht, das würde reichen. Sie arbeitete als Verkäuferin im Gesundbrunnencenter und studierte Englisch und Deutsch auf Lehramt an der Hum- boldt-Universität. Mardo schaute sie immer noch an. Erst als die kalte Messerklinge knapp an seinen Fingerkuppen entlang schnitt, widmete er seine Aufmerksamkeit wieder der Gurke.

Nach dem Essen würde er ihr alles in Ruhe erklären. Auf dem Fensterbrett stand immer noch der Blumentopf, in den er einen Orangenkern gepflanzt hat. Inzwischen lugte ein zarter Keim- ling aus der dunklen Erde hervor.

In der Nacht bekam er seine zweite Chance. Lotzes wohnten in Schlachtensee, in der Terrassenstraße, einer noblen und zu dieser Uhrzeit unbelebten Wohngegend. Sie saßen etwa fünf- zig Meter von Lotzes Villa entfernt in Marys altem Toyota. Mary

hatte nichts gegen einen kleinen konspirativen Einsatz, schließ- lich mussten Verbrechen aufgedeckt und Rechnungen bezahlt werden. Sie hatte nach dem Abendessen einen starken Kaffee gekocht, dann waren sie losgefahren. Nun saßen sie zusammen im dunklen Wagen und warteten schweigend. Gegen zwei Uhr nachts hielt ein silberfarbener Kombi vor dem Haus der Lotzes, ein Rauhaardackel wurde auf die Straße gehoben und an einem Baum angeleint.

Der Kombi rollte am S-Bahn-Damm entlang zur Argentinischen Allee und bog dann links ab. Mary und Mardo folgten ihm in einigem Abstand. Sie waren verblüfft, welchen Weg der Kom- bi nahm, denn er führte sie direkt zurück zum Brunnenviertel.

Clayallee, Hohenzollerndamm, die Strecke waren sie gerade erst selbst gefahren. Der Kombi hielt an der Brunnenstraße, eine Frau stieg aus. Mary fuhr weiter bis zur Rügener Straße, bog nach links ein und fuhr dann wieder links. Hier stiegen sie aus.

Mardo wollte direkt zur Ramlerstraße laufen, Mary sollte zur Swi- nemünder Straße weitergehen und die Augen aufhalten.

Als Mardo von der Putbusser Straße in die Ramlerstraße einbog, sah er die Frau. Von dem silbernen Kombi keine Spur. Er folgte ihr, als sie in die Swindemünder Straße einbog. Sie kamen am Eingang zur Diesterweg-Oberschule vorbei, ein orangefarbener Bunker, der bei seinem Bau in den siebziger Jahren offenbar Zu- kunft und Moderne symbolisieren sollte, aber heute mit seinen schießschartenförmigen Fenstern nur verstörend und fremd wirkte. Kahles Gebüsch und knubbelige bunte Altglascontainer, zur Linken fleischfarbene Hochhäuser, die gar nicht zum fahlen Nachtlicht der winterlichen Straße passten. Er sah Mary, die ihm entgegen kam. Nur kein Risiko. Er rannte auf die fremde Frau zu und packte sie am Oberarm. Jetzt musste er den Überraschungs- moment nutzen, das hatte er in einem Ratgeber gelesen.

„Wo sind die tausend Euro?“

„Lassen Sie mich in Ruhe oder ich schreie um Hilfe.“

„Wir haben Sie in der Terrassenstraße beobachtet und alles foto- grafiert“, schwindelte Mardo mutig.

Mary stand inzwischen bei ihnen, die Erpresserin wusste, dass sie verloren hatte.

Wenig später saßen sie zu dritt im Wohnzimmer von Frau Ol- schowski. Das zerschlissene Sofa war voller Brandflecken, leere Jägermeister-Fläschchen lagen über den Tisch verstreut. Sie hat- te Mary und Mardo alles gestanden. In Geldschwierigkeiten war sie bereits seit langem, die Schulden waren ihr einfach über den Kopf gewachsen. Als sie bei Dogsitter anfing, war sie auf die Idee gekommen, die reichen Hundebesitzer zu erpressen. Es war die siebte Entführung gewesen, insgesamt hatte sie bereits sieben tausend Euro erpresst. Mardo ließ sich das Geld zeigen. Es war in eine Plastiktüte gewickelt und tatsächlich noch komplett vor- handen. Offenbar wollte Frau Olschowski alle Schulden auf ein- mal begleichen – oder eine lange Reise machen. Er blickte Mary lange in die Augen, sie nickte.

„Frau Olschowski, wenn Sie mir versprechen, so etwas in Zukunft nicht mehr zu machen und mir das Geld geben, verzichte ich auf eine Anzeige. Das Geld gebe ich natürlich zurück.“ Nervös fuhr sie sich durch das strähnige kastanienbraune Haar, das ein brei- ter hellgrauer Scheitel zierte. Dann nickte sie auch.

Und so war es dann auch gekommen. Finke und Lotze beka- men ihr Geld wieder, Mardo erhielt von beiden ein großzügiges Honorar und der WWF durfte sich über eine milde Spende der wohlhabenden Berliner Bürgerschaft freuen. Zugleich hatte der Detektiv aus dem Brunnenviertel einen wertvollen Beitrag zur Entlastung von Polizei und Justiz geleistet.

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Der Brunnenkiez-Krimi

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Gefördert aus Mitteln der Europäischen Union (EFRE), der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin im Rahmen des Programms Soziale Stadt

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