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213Illgner, Gerhard: Die deutsche Sprachverwirrung. Lä-cherlich und ärgerlich: Das neue Kau-derwelsch.

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Illgner, Gerhard:

Die deutsche Sprachverwirrung. Lä- cherlich und ärgerlich: Das neue Kau- derwelsch. 4. Auflage. Paderborn: IFB, 2007. – ISBN 978-3-931263-38-6. 152 Sei- ten, € 12,00

(Manuela von Papen, London / Großbritan- nien)

Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen heißt ein Märchen der Brüder Grimm. In diesem Märchen macht sich ein junger Mann auf die Suche, etwas wahrhaft Gruseliges zu finden. Vielleicht hätte er es mit der deutschen Gegen- wartssprache und dem Beispielfundus von Gerhard Illgner versuchen sollen … Was geschieht mit unserer Mutterspra- che? Welche Einflüsse verändern sie?

Warum sprechen wir heute so, wie wir sprechen? Was sagt unser Sprachge- brauch über uns aus? Wieso, weshalb, warum? Diesen und anderen Fragen versucht Gerhard Illgner in Die deutsche Sprachverwirrung auf den Grund zu ge- hen. Illustriert durch einen beindrucken- den und variierten Beispielreichtum geht der Autor (ein ehemaliger Journalist, der die ›Auswüchse‹ der deutschen Sprache am eigenen Leib erlebt hat und ihnen ausgesprochen kritisch gegenübersteht) auf verschiedene Aspekte der deutschen Gegenwartssprache ein.

Anlehnend an George Orwells Roman 1984 bezeichnet er die ›Version‹ unserer Muttersprache zu Beginn des 21. Jahr- hunderts als Neusprech und belegt und beklagt in zwanzig essayhaften Unterka- piteln, wie wir unsere Sprache ›verwir- ren‹. Die deutsche Sprache, so Illgner,

»wird bis zum Verlust der allgemeinen Verständlichkeit verändert und mit frem- dem Sprachgut vermischt. Da wirbelt vielerlei durcheinander: Modewörter und Schlagworte, halbverdaute Brocken aus Fachjargons, Wörter aus Gruppen- und Sondersprachen und vor allem viel

Angloamerikanisches oder das, was man dafür hält« (7).

Das ist nichts Neues, und, abhängig von unserem Standpunkt, Alter oder Beruf, haben wir diese Entwicklungen der letz- ten Jahre geduldig belächelt, mit offenen Armen aufgenommen und vorangetrie- ben oder an den linguistischen Pranger gestellt. Und zweifellos haben wir alle diese Tendenzen auch selbst unterstützt – vieles hat sich ja leider mittlerweile so eingebürgert, dass der Sprecher es schon oft gar nicht mehr wahrnimmt.

In erster Linie geht es, wie nicht anders zu erwarten ist, um Denglisch, und wir erfahren, dass es heutzutage etwa 6.500 Anglizismen im Deutschen gibt (Tendenz steigend!), während vor 100 Jahren ge- rade einmal knapp 400 im Gebrauch waren.

Es scheint, als habe sich der Autor seinen geballten sprachlichen Kummer von der Seele schreiben wollen. »Bastardisie- rende Wortungetüme« (31) im Stil von

›big-government-Politik‹, »sprachliche Gigantomanie« (63) (gemeint sind hyper- mega-enorm-fulminante Übertreibun- gen), Fehlübersetzungen (›Holidayma- kers‹ für Angestellte der Touristikbran- che), abstruse Neuschöpfungen (›Handy‹

für Mobiltelefon) oder »Bastardworte«

(102) wie ›headhunten‹, ›promoten‹ oder

›walken‹ sind für ihn Ausdruck für

»schauerliches Kauderwelsch in höchster Vollendung« (102) und kriegen gehörig ihr Fett weg. Und gruselig sind sie auf alle Fälle.

Die »heiligen Kühe aus angloamerikani- scher Sprachzucht« (103) sind, so Illgner, heute anscheinend unantastbar, ihm aber dennoch (oder gerade deshalb) ein Dorn im Auge. Er verweist darauf, wie die Deutschen mit ihren »sprachlichen Al- bernheiten ihrer Anglomanie […] für englischsprachige Ausländer umwer- fend komische Witzfiguren« sind (125) und rät nicht-deutschsprachigen Besu-

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chern in Deutschland (leicht bissig), sich vor der Anreise doch besser ein paar mehr englische Wörter einzupauken, da- mit sie der deutschen (?) Sprache folgen können.

Aber auch Grammatik, Aussprache und sprachliches Imponiergehabe kommen nicht ungeschoren davon. Sie wissen schon, was gemeint ist: Tod des Genitivs, lächerliche Wälder von Bindestrichen, der unangemessene sprachliche Umgang mit Ausländern, lautliche Verstümme- lungen, Unwort des Jahres, Fehlformulie- rungen, die zu Missverständnissen füh- ren, Fehlentlehnungen und vieles mehr.

Eine Fundgrube für jeden, der sich für Sprache interessiert und den die Tenden- zen des deutschen Neusprech »das Fürch- ten lehren«.

Eine gewisse ›sprachliche Trauer‹ ist nicht zu übersehen, nur wird diese wahr- scheinlich nicht von denen empfunden, die das Deutsche verhunzen (was fast ausnahmslos die Medien zu sein schei- nen). Gelesen wird ein Buch wie Die deutsche Sprachverwirrung vermutlich auch eher von Menschen, die sich be- wusst sind, dass unsere Sprache vor die Hunde geht, von Menschen, die Bastian Sicks Zwiebelfischbeiträge und Bücher verschlingen, von Menschen, die krampf- haft versuchen, ihren Schülern und Stu- denten ›richtiges‹ Deutsch beizubringen.

Zumeist wird der sprachliche ›Kreuzzug‹

betont humoristisch-leicht betrieben, und ich muss zugeben, dass ich wiederholt schallend über die vielen (denkbar blö- den) Beispiele aus Fernsehen, Presse und Werbung lachen musste. Dennoch ten- diert das Buch letztlich zu einer Art Tirade – zwar lustig und ansprechend formuliert, aber doch stark zu Wiederho- lungen neigend. Vieles dessen, was Illg- ner aufzählt, war mir bereits aus anderen Quellen bekannt.

Und das ist dann auch einer der Problem- bereiche des Buches. Was will es eigent-

lich? Will es uns zur sprachlichen Sensibi- lität, zum korrekten Sprachgebrauch oder zur echten Sprachkritik und Sprach- pflege erziehen? Je nach ›Leserprofil‹

könnte man nämlich sprachlichen Kon- servatismus, linguistischen Patriotismus oder humorvoll-ironische Bestandsauf- nahme in die Abhandlung hineinlesen.

Bei meiner eigenen Lektüre habe ich selbst eine gewisse Gratwanderung er- lebt. Am Anfang schien es sich um eine Zusammenfassung der sprachlichen Missstände zu handeln, da aber ›der Weg vorwärts‹ fehlt, wurde es im Verlauf mehr und mehr zur Litanei. Da jeglicher Quellenverweis fehlt, ist auch nicht zu erkennen, ob dieses Buch als Gesamtpu- blikation gedacht ist oder ob es sich dabei um eine Sammlung bereits an anderer Stelle erschienener Texte handelt. Ohne es böse meinen zu wollen, könnte man beinahe auf ›Eigenpublikation‹ tippen – was natürlich nicht der Fall ist, denn im IFB Verlag gibt es zahlreiche renom- mierte und von der Presse positiv bewer- tete Publikationen. Illgners Buch erschien bereits im Jahr 2000; die vorliegende Auflage ist bereits die vierte.

Obwohl das Buch wirklich ausgespro- chen lesenswert und amüsant ist, bleibt es im Endeffekt eher bei Feststellungen und ohnmächtiger Kritik. Viele der auf- gezählten Punkte haben wir alle natür- lich selbst beobachtet und dabei die Hände über dem Kopf zusammenge- schlagen. Ich möchte auch keinesfalls behaupten, dass ich mich nicht auch hin und wieder schuldig gemacht habe und das, was Illgner beobachtet hat, auch selbst verwendet habe.

Leider bleibt der Autor eher bei einer Auflistung der sprachlichen »Entdeut- schung« (19), bedauert und kritisiert diese zwar, ist aber (gezwungenerma- ßen!) nicht in der Lage, uns eine Lösung zu geben. Trotzdem würde ich das Buch jedem wärmstens empfehlen, der eine

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Reise durch das Horrorkabinett, zu dem wir die deutsche Sprache verunstaltet haben, machen möchte. Ich kann Ihnen garantieren, dass Sie das Fürchten lernen werden.

Ich denke nicht, dass wir Illgners Ansich- ten als sprachliche Deutschtümelei be- trachten sollten (das hat der Autor m. E.

auch überhaupt nicht im Sinn), obgleich er sich am Ende für eine gewisse Len- kung der Sprache ausspricht.

Der eine oder andere Leser jedenfalls wird hoffentlich das Buch mit der Frage beenden: Was tun wir unserer Sprache an? Und warum zerstümpern wir unsere Muttersprache in diesem Maße? Illgner bietet selbst einige Erklärungsversuche an. Zum einen sagt er, dass, wer »heute in Deutschland ständig auf Fremdwörter ausweicht, […] sich als muttersprachlich unbegabt, als Heuchler, Prahlhans oder Kriecher entlarven und die eigene Spra- che entwerten (kann)« (30). Das ist ein deprimierendes Armutszeugnis für das Deutsche und, mehr noch, dessen Benut- zer. Illgner fasst das treffend zusammen, indem er sagt: »Da offenbart die Macht der Sprache die Ohnmacht des Sprechen- den.« (111) Ein schlagkräftiges Fazit, denke ich.

Natürlich steht hier Meinung gegen Mei- nung. Auf der einen Seite sind die Geg- ner jeglicher Sprachkritik, die sich vehe- ment gegen jegliche sprachliche Kon- trolle stellen und Sprache als organisch sehen (›Es hat immer Einflüsse auf das Deutsche gegeben.‹). Auf der anderen Seite stehen die Sprachkritiker, denen man (oft zu Unrecht) vorwirft, sprachli- che Hinterweltler und Fortschrittsfeinde zu sein.

Doch sollte man nicht vergessen, dass Sprache nicht allein zur Kommunikation dient. Sprache ist ein Kultur- und Bil- dungsgut, deren Verstümmelung nichts Gutes verspricht. Die Deutschen, so Illg- ner, vernachlässigen ihre Landessprache

und dürfen sich deshalb auch nicht wun- dern, dass Deutschland in der Pisa- Studie weit abgeschlagen abschnitt.

Eine mögliche Lösung wäre, das Hoch- deutsche und das Englische gründlich zu erlernen, so dass die Hybridsprache, die heute verbreitet ist, in ihrer Lächerlich- keit offenbart würde. Oder, so Illgner,

»sollten wir lieber ganz zur englischen Sprache überwechseln und uns nicht mit Denglisch begnügen« (135).

Letztlich sollten wir uns fragen, warum wir unsere Sprache wirklich auf dem Altar des mega-trendigen, hyper-coolen, aber leeren, nutzlosen und für die mei- sten vollkommen unverständlichen Neu- sprechs opfern wollen und den, wie Illg- ner sich ausdrückt, »Selbstmord der Sprache so energisch vorantreiben […], wie das heute der Fall ist« (9). Sind wir wirklich bereit, unsere »kulturelle Eigen- ständigkeit« (35) aufzugeben? ›Stolz‹ auf seine Muttersprache zu empfinden, hat nichts mit Extremismus und Fahnen schwenkendem Nationalismus zu tun.

Imo, Wolfgang:

Construction Grammar und Gespro- chene-Sprache-Forschung. Konstruktio- nen mit zehn matrixsatzfähigen Verben im gesprochenen Deutsch. Tübingen:

Niemeyer, 2007 (Reihe Germanistische Linguistik 275). – ISBN 978-3-484-31275- 3. 374 Seiten, € 94,00

(Margit Breckle, Konstanz)

Bei Wolfgang Imos Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Version sei- ner Dissertation, die 2007 an der Univer- sität Münster eingereicht wurde. Die Arbeit geht der Frage nach, inwieweit sich die Construction Grammar (CG) für die Beschreibung gesprochener Sprache eignet. Hierfür werden Konstruktionen mit zehn ausgewählten matrixsatzfähi-

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