Henrik Lüthge, Rechtsanwalt / Fachanwalt für Arbeitsrecht Laura L. Schmidt, Rechtsanwältin
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Gastvortrag
im Rahmen der Lehrveranstaltung „Arbeitsrecht“ von Frau Prof. Dr. Otte-Gräbener, Hochschule Düsseldorf, 29.6.2021
Gliederung der Veranstaltung
Seite
I. Einführung: ordentliche vs. außerordentliche Kündigung
II. Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung
1. Überblick
2. Kündigungsgrund
3. Kündigungserklärungsfrist
4. Form der Kündigungserklärung
III. Sonderfälle (Druck- und Verdachtskündigung)
IV. Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung in ordentliche Kündigung
V. Best Practice
VI. Backup: Rechtsprechungsfälle
ordentliche vs. außerordentliche Kündigung
Ordentliche Kündigung
Außer-
ordentliche Kündigung
Was ist eine ordentliche Kündigung?
Arten der ordentlichen Kündigung?
Worin bestehen die Unterschiede zur außerordentlichen Kündigung?
vs.
Fragen:
ordentliche vs. außerordentliche Kündigung – cont‘d
Außerordentliche Kündigung
Warum / wofür?
ordentliche vs. außerordentliche Kündigung – cont‘d
Hauptanwendungsfall in der Praxis:
Bei Ausschluss
der ordentlichen Kündigung
Tarifvertrag
Arbeitsvertrag
gesetzlicher Sonder-Kü-Schu
z.B. § 15 KSchG
z.B.
1. Überblick
Unter welchen Voraussetzungen ist eine außerordentliche Kündigung wirksam?
Kündigungsgrund, § 626 Abs. 1 BGB
Kündigungserklärungsfrist, § 626 Abs. 2 BGB
§ 626 Abs. 1 BGB:
Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (…) nicht zugemutet werden kann.
§ 626 Abs. 2 BGB:
Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
1. Überblick – cont‘d
Kündigungserklärung, § 623 BGB
Anhörung des Betriebsrates, § 102 BetrVG
§ 623 BGB:
Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.
§ 102 Abs. 1 und 2 BetrVG:
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung
Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner
Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.
2. Kündigungsgrund
Fiktion der Rechtswirksamkeit der Kündigung, wenn die 3-Wochenfrist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage versäumt ist, §§ 7, 13 Abs. 1 S. 2, 4 KSchG; sonst:
Zweistufige Wirksamkeitsprüfung:
Tatsachen, die „an sich“ geeignet sind, einen wichtigen Grund zu bilden
Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und Abwägung der beiderseitigen Interessen
Kündigung wirksam, wenn Interesse des Arbeitgebers an einer möglichst schnellen Beendigung des Arbeitsverhältnisses höher zu bewerten ist als das des Arbeitnehmers, zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist beschäftigt zu bleiben
Auch hier gelten der Ultima-Ratio-Grundsatz (z.B. Abmahnung, Versetzung,
ordentliche Kündigung) sowie das Prognoseprinzip (Arbeitsverhältnis wird auch
künftig erheblich beeinträchtigt sein)
2. Kündigungsgrund – cont‘d
1. Stufe: Kündigungsgrund „an sich“
BAG, Urteil vom 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 27-jährige „Buffetkraft“ im Warenhaus 60-jährige Supermarktkassiererin
(ca. 1,5 Jahre im Unternehmen) mit Namen Barbara Emme (kurz: „Emmely”) (fast 39 Jahre im Unternehmen)
2. Stufe: Interessenabwägung
Bsp. 1: Bsp. 2:
2. Kündigungsgrund – cont‘d
Kündigungsgrund (+/-): Was meinen Sie?
Fall 1:
Schlag ins Gesicht des Matrosen Harms
Seemann
Alter: unbekannt
BZ: 3 Monate „an Bord“
Fall 2:
Alkoholiker mit „Fahne“ im Dienst
Betreuer in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung
Alter: 40+
BZ: 16 Jahre
Fall 3:
Beschimpfen und Beschütten eines Kollegen mit Kaffee
Maschineneinsteller
Alter: 52 Jahre
BZ: 13 Jahre
3. Kündigungserklärungsfrist
Wie lange ist die Kündigungserklärungsfrist bei einer außerordentlichen Kündigung?
Kündigung muss innerhalb von 2 Wochen erfolgen, nachdem der Kündigende von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat.
Auf wessen Kenntnis kommt es an? Was bedeutet dies für die Praxis?
Keine Fristverkürzung oder -verlängerung möglich
Eventuell erforderliche Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG ist ebenfalls innerhalb dieser Ausschlussfrist durchzuführen (daher BR-Anhörung spätestens an Tag 10 nach Kenntnis einleiten)
Aber ggf. Hemmung der Zweiwochenfrist? / Gestaltungsspielräume für die Praxis?
4. Form der Kündigung
Was ist bei der Kündigungserklärung zu beachten?
Schriftform, § 623 BGB
Was bedeutet Schriftform? Praxisbeispiele!
§ 174 S. 1 BGB!
Achtung: „Allzweckwaffe“ der Arbeitnehmeranwälte – Was bedeutet das?
Exkurs: Kennen Sie schon weitere „Allzweckwaffen“?
Es muss deutlich werden, dass es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt
Zugang!
Praxisprobleme?
1. Druckkündigung
Was ist eine Druckkündigung und wann ist sie möglich?
Mitarbeiter verlangen, dass einer ihrer Kollegen entlassen wird
Es liegt ein Fehlverhalten des betreffenden Mitarbeiters vor: Grund für die Kündigung liegt maßgeblich in seinem Verhalten gegenüber den Kollegen prüfen, ob das Fehlverhalten eine Kündigung
rechtfertigt
Es liegt kein kündigungsrelevantes Fehlverhalten vor (beispielsweise stimmt nur die Chemie nicht mehr und ein Arbeiten miteinander erscheint nicht mehr möglich): Kündigung möglich, aber: hohe
Anforderungen an die Zulässigkeit:
Arbeitgeber hat sich schützend vor Arbeitnehmer zu stellen
Bei Verwirklichung der Drohung sind schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber zu befürchten
Kündigung ist das einzige Mittel, um den Schaden abzuwenden
2. Verdachtskündigung
Was ist eine Verdachtskündigung?
Der bloße Verdacht gegen einen Arbeitnehmer, eine Straftat oder eine
schwerwiegende arbeitsrechtliche Pflichtverletzung begangen zu haben, kann Grund für eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung sein.
Voraussetzungen:
Verdacht einer Straftat / schwerwiegenden Pflichtverletzung
Dieser Verdacht muss durch Tatsachen objektivierbar sein
= Indizien, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer begangenen Straftat
oder anderen schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers auszugehen ist.
2. Verdachtskündigung – cont‘d
Der Arbeitgeber seinerseits muss alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen und dabei die Argumente des Arbeitnehmers berücksichtigen
Insbesondere: Erfordernis einer vorherigen Anhörung des verdächtigen Arbeitnehmers
Arbeitnehmer ist im Rahmen der Anhörung mit dem konkreten Verdacht zu konfrontieren und es sind ihm so viele Einzelheiten mitzuteilen, dass er sich substantiiert auf die entsprechenden Vorwürfe einlassen kann.
Ausn.: Anhörung kann entbehrlich sein, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, es liege eine erwiesene schwere Pflichtverletzung vor (BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15)
Verdacht muss auf Tatsachen gründen, die zu einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führen und damit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar machen.
Zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gilt auch bei Verdachtskündigung!
Auswirkungen auf die Praxis?
IV. Umdeutung einer unwirksamen außerordentl. Kündigung
(P) Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung
Kann nicht als ordentliche Kündigung ausgelegt werden, §§ 133, 157 BGB analog
Möglichkeit der Umdeutung (§ 140 BGB) einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in eine ordentliche Kündigung zum nächstzulässigen Termin
Voraussetzungen:
Ausspruch der ordentlichen Kündigung entspricht dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden (Kenntnis des Erklärenden von der Unwirksamkeit seiner Kündigung fingiert)
dieser Wille war dem Erklärungsempfänger erkennbar
Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung liegen vor
V. Best Practice
Wie aus Arbeitgebersicht richtig kündigen – mit welchem Ziel?
Prozess gewinnen vs. Arbeitsverhältnis beenden?
Alles auf eine Karte der außerordentlichen Kündigung?
Wenn nein, wie dann?
V. Best Practice – cont‘d
Oft der sicherste Weg:
Kombination der außerordentlichen mit einer hilfsweise ordentlichen Kündigung
Gestützt auf den feststehenden Tatvorwurf, hilfsweise Verdacht (nach Anhörung)
Damit: „Doppelt hilfsweise hält besser.“
Ggf. aber zwei Kündigungsschreiben, um Fristen in den Griff zu bekommen!
Taktik bei Versetzungsfällen: Außerordentliche Änderungskündigung, hilfsweise ordentliche Änderungskündigung
1. Der auf der Toilette gefangene Kollege
ArbG Siegburg v. 11.02.2021, 5 Ca 1397/20 – Sachverhalt
Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.09.2019 als Lagerist beschäftigt.
Kläger und ein Kollege im Lager hatten häufiger Streitereien und mussten daher bereits mehrmals zu ihrem Vorgesetzten.
Im Januar 2020 befand sich der Kollege auf der Toilette im Lager. Der Kläger schob währenddessen unter der Toilettentür ein Blatt Papier hindurch und stieß mit einem Gegenstand den Toilettenschlüssel aus dem Schloss, sodass dieser auf das Blatt fiel und vom Kläger weggezogen werden konnte. Der Kläger ließ den Kollegen so lange auf der Toilette eingeschlossen, bis dieser sich veranlasst sah, die Toilettentür aufzutreten.
Nachdem der Beklagten im Juni auffiel, dass die Toilettentür im Lager beschädigt war, klärte sich in Einzelgesprächen mit dem Kläger und dem Kollegen der Sachverhalt auf.
Die Beklagte kündigte dem Kläger deshalb außerordentlich fristlos.
Daraufhin erhob er eine Kündigungsschutzklage.
1. Der auf der Toilette gefangene Kollege – cont‘d
Wie würden Sie entscheiden
1. Der auf der Toilette gefangene Kollege – cont‘d
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts
Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage ab.
Die Berufung wurde nicht gesondert zugelassen = Kündigung wirksam!
Gründe:
„Der wichtige Kündigungsgrund liegt darin, dass der Kläger Herrn … auf der Toilette einschloss, indem er ihm durch einen alten Trick den Schlüssel zum Öffnen der Toilettentür wegnahm. Hierdurch beraubte der Kläger Herrn … zumindest zeitweise seiner Freiheit und der ungehinderten Möglichkeit des Verlassens der Toilette.
Inwieweit es sich um eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB handelt, ist nicht entscheidungserheblich […] entscheidend ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.
Darüber hinaus besteht ein weiterer wichtiger Grund darin, dass der Kläger durch das Einschließen von Herrn … die Beschädigung der Toilettentür der Beklagten verursachte. Dadurch, dass er Herrn M. so lange den Schlüssel vorenthielt, bis dieser die Toilettentür eintrat, um sich zu befreien, verantwortete er deren Beschädigung. […]
Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung scheitert nicht aufgrund einer fehlenden Abmahnung, da sie bei dem vorliegenden Sachverhalt wegen der besonderen Schwere des vorgeworfenen Verstoßes
entbehrlich ist.“
2. Bezeichnung der Vorgesetzten als „Ming-Vase“
ArbG Berlin v. 5.5.2021, 55 BV 2053/21 – Sachverhalt
Verfahrensgegenstand ist die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung
Die zu kündigende Arbeitnehmerin war Verkäuferin und Betriebsratsmitglied.
Sie äußerte sich gegenüber einer Kollegin: „Heute muss ich darauf achten, dass ich die ausgesuchten Artikel richtig abhake, sonst gibt es wieder Ärger mit der Ming-Vase.“
Auf Nachfrage eines anwesenden Vorgesetzten, was damit gemeint sei, erklärte sie: „Na Sie wissen schon, die Ming-Vase". Dabei zog sie die Augen mit den Fingern nach hinten, um eine asiatische Augenform zu imitieren.
In der arbeitgeberseitigen Anhörung zu dem Vorfall gab die Arbeitnehmerin an, eine Ming- Vase stehe für sie für einen schönen und wertvollen Gegenstand. Das Imitieren der
asiatischen Augenform sei erfolgt, um nicht „Schlitzauge“ zu sagen; bei „schwarzen Menschen/Kunden“ verwende sie den Begriff „Herr Boateng“, weil sie diesen toll finde.
Der Arbeitgeber sprach daraufhin die außerordentliche Kündigung aus.
2. Bezeichnung der Vorgesetzten als „Ming-Vase“– cont‘d
Wie würden Sie entscheiden
2. Bezeichnung der Vorgesetzten als „Ming-Vase“ – cont‘d
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts
Das Arbeitsgericht ersetzte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung = Kündigung wirksam!
Gründe:
„Die Bezeichnung der mit den Worten „Ming Vase“ gemeinten Frau D. und die zur Verstärkung der Worte verwendeten Gesten der Mitarbeiterin sind zur Ausgrenzung von Mitmenschen anderer Herkunft, deren Beleidigung und zu deren Herabsetzung geeignet und zugleich Ausdruck eines Alltagsrassismus, der im
„Kleinen“, also im täglichen Alltag auftritt und gerade deswegen umso nachhaltiger wirkt. […]
Von Bedeutung ist auch, dass die Mitarbeiterin in einem Kaufhaus von großem internationalen Ruf mit einem vielfältigen internationalen Publikum tätig ist. […] Die Klägerin [ist] als Verkäuferin ein Aushängeschild dieses Kaufhauses und täglich mit internationalem Publikum in Kontakt, welches sie unter Umständen mangels
passender und angemessener Ausdrucksmöglichkeiten wahlweise als Ming Vase oder Herr B. oder mit sonstigen abwertenden Formulierungen bezeichnen könnte.“
3. Das bei Facebook gepostete Ziegenbild
LAG Sachsen v. 27.2.2018, 1 Sa 515/17 – Sachverhalt
Kläger war bei einem 100%-igen Tochterunternehmen einer Stadt als Straßenbahnfahrer und später als Gleisbauarbeiter beschäftigt.
Er betrieb unter seinem Namen einen Facebook-Account, in dem er seinen Beruf als Straßenbahnfahrer, die Beklagte als seine Arbeitgeberin sowie ein Bild von sich in Dienstkleidung veröffentlichte.
Im Jahre 2016 veröffentlichte der Kläger auf einer rechtsextremistischen Facebook-Seite unter seinem Namen und seinem Bild in der Dienstkleidung als Straßenbahnfahrer das Bild einer meckernden Ziege mit einer Sprechblase mit den Worten „Achmed, ich bin
schwanger“.
Die Beklagte kündigte dem Kläger deshalb außerordentlich fristlos.
Daraufhin erhob er eine Kündigungsschutzklage.
3. Das bei Facebook gepostete Ziegenbild – cont‘d
Wie würden Sie entscheiden
3. Das bei Facebook gepostete Ziegenbild – cont‘d
Die Entscheidung der Gerichte
Die Vorinstanz wies die Kündigungsschutzklage ab (ArbG Zwickau).
Die Berufung des Klägers beim LAG Sachsen hatte keinen Erfolg = Kündigung wirksam!
Gründe:
„Das vom Kläger im Internet gepostete Foto stellt eine menschenverachtende Schmähung und Geringschätzung einer ganzen ausländischen Bevölkerungsgruppe, nämlich der türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger dar.
Mit Achmed, einem ursprünglich arabischen und heute vielfach in der Türkei benutzten Namen, wird
insbesondere der türkische Mann angesprochen als ein Mensch, der Sodomie betreibt, d.h. Geschlechtsverkehr mit Tieren, hier einer Ziege, vollzieht. Die Ziege steht platzhalterisch für die türkische Frau, die für tierischen Nachwuchs sorgt. Damit werden die türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger verächtlich gemacht, auf eine tierische Ebene reduziert und eine zu achtende Menschqualität infrage gestellt. […]
Der Bezug zum Arbeitsverhältnis liegt darin, dass der Kläger sich auf der Internetplattform öffentlich neben dem Ziegenbild in seiner Uniform als Straßenbahnschaffner und unter seinem Namen abbilden ließ.“
4. Mit Musterpfandflasche erstellter Pfandbon
BAG v. 22.09.2016, 2 AZR 848/15
Klägerin war bei dem Beklagten, einem Supermarktbetreiber, als Kassiererin tätig.
Der Beklagte hatte in Abstimmung mit dem Betriebsrat eine verdeckte Videoüberwachung
durchgeführt, nachdem es im Kassenbereich zu erheblichen Diebstählen gekommen war, die wohl nur durch Mitarbeiter verübt werden konnten.
Während dieser Videoüberwachung wurde die Klägerin, die nicht zum Kreis der Verdächtigen gehörte, dabei gefilmt, wie sie eine sogenannte "Musterpfandflasche" einscannte und sich den Pfandbon im Gegenwert von EUR 3,25 selbst auszahlte.
Die Beklagte kündigte die Klägerin daraufhin außerordentlich fristlos wegen Betrugs.
Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage.
4. Mit Musterpfandflasche erstellter Pfandbon – cont‘d
Wie würden Sie entscheiden
4. Mit Musterpfandflasche erstellter Pfandbon – cont‘d
Entscheidung der Gerichte
ArbG Duisburg hatte der Klage stattgegeben, LAG Düsseldorf hatte die Klage abgewiesen.
Die von der Klägerin eingelegte Revision beim BAG hatte keinen Erfolg = Kündigung wirksam!
Gründe:
Nach Überzeugung des LAGs stand fest, „dass die Klägerin entgegen ihrer Behauptung keinen dem aus der Kasse entnommenen Geldbetrag entsprechenden Gegenwert in Form von Pfandflaschen oder -dosen in die Leergutbox eingeworfen hatte. Die Revision (= das BAG) erhebt insoweit keine Rügen,“ die gegen das Vorliegen eines wichtigen Grundes sprechen.
„Die Beklagte hat durch die Veranlassung der Videoaufzeichnungen, aus denen das Verhalten der Klägerin […]
ersichtlich wurde, nicht unrechtmäßig in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen.
Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung sind dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht
unverhältnismäßig ist.“
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Dozenten
Henrik Lüthge
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