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Virchow, die Charité und Berlin

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98 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Mai 2017 | www.diepta.de

V

on Bakterien hielt er nicht viel. „Die Menschen sterben an Tuberkulose und nicht an so kleinen Din- gern“, sagte er sinngemäß, wo- mit die Rivalität zu seinem Kol- legen Robert Koch klar abge- steckt war. Virchow, der auch ein begeisterter Anthropologe war, schätzte zudem das Früh- menschen-Skelett, das im Ne- andertal gefunden wurde, falsch ein. Er meinte, es sei vom Homo sapiens. Auch der Lehre von Charles Darwin „Über die Ent- stehung der Arten“ konnte er nicht viel abgewinnen.

Altruistische Motive Die oben aufgeführten Fakten ver- stellen ein wenig den Blick auf Rudolf Virchow, der 1821 im pommerschen Schivelbein ge- boren wurde; sie lassen ihn als Kleingeist und, in Bezug auf Koch, als Neidhammel erschei- nen. Doch dies war nur eine ganz kleine Facette seines We- sens. Virchow stellte als Typ einen der letzten Universalge- lehrten dar; er interessierte sich nicht nur für die Medizin und hier insbesondere die Patholo- gie; er war auch Anthropologe und – Politiker. Er handelte aus altruistischen Motiven und sah

Virchow , die Charité und Berlin

© u.osu.edu

Er steht in einer Reihe mit den berühmten Wissenschaftlern seiner Zeit:

Rudolf Virchow gab der Leukämie ihren Namen und ein Teil der Charité, an der er 46 Jahre lang wirkte, wurde nach ihm benannt.

PRAXIS WELCH EIN NAME

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den Arztberuf auf einer ideel- len, ethischen Grundlage. Er wollte sein Können stets in den Dienst der Gemeinschaft stel- len: „Ein Arzt sollte stets natür- licher Anwalt der Armen sein.“

Der Sozialpolitiker Der Sohn eines einfachen Kaufmanns fällt früh durch seine Begabung auf.

An der Militärärztlichen Aka- demie in Berlin absolviert er sein Medizinstudium, promo- viert „Über den Rheumatismus, insbesondere die Hornhaut“, arbeitet als Militärarzt, legt den Grundstein für die Pathologie über langjährige Arbeit im Lei- chenschauhaus.

Doch der aus einfachen Ver- hältnissen stammende Virchow ist kein elitärer Mensch. Er ist vielmehr ein Schwärmer und Rebell, hält mit seinen politi- schen Ansichten nicht hinterm Berg; er beschimpft die „feudale Aristokratie“, fordert demokra- tische Verhältnisse. Auslöser ist eine Typhusepidemie in Ober- schlesien, zu der Virchow als behördlich bestellter Arzt ge- schickt wird. Er sieht Hunger und Elend und eine große, aus Kraftlosigkeit gespeiste Lethar- gie der Bevölkerung. Der Staat, die vielgerühmte preußische Verwaltung, hat sie im Stich ge- lassen; die Krankheit kann sich unter den Armen ungehindert ausbreiten. Zeitlebens wird dies Virchows sozialpolitische An- sichten prägen: Typhus, Skor- but und Tuberkulose nennt der 27-Jährige „künstliche Krank- heiten“, er fordert den „sozialen Wandel“, geht für seine politi- schen Überzeugungen buch- stäblich auf die Barrikaden des deutschen Vormärz. 1848 miss- fällt dies den Behörden so sehr, dass er seine Stellung und die dazugehörige Dienstwohnung an der Charité verliert.

Die Chance lässt die Universität Würzburg sich nicht entgehen.

Sofort hat Virchow ein neues

Betätigungsfeld: das des Pro- fessors an der Pathologischen Anatomie. Er beschäftigt sich mit der später weltberühmten

„Zellularpathologie“, heiratet und zeugt mit seiner Frau Rose Mayer vier seiner sechs Kinder.

Sechs Jahre später holt ihn die Charité zurück, er bekommt sein eigenes Institut.

Kläranlage und Fleischbe- schau Doch Virchow hat nicht vergessen, was ihn prägte. Er ist nicht nur ein überragender Wissenschaftler und Arzt, son- dern auch ein Sozialreformer.

Er setzt durch, das die grotten- schlechte Kanalisation von Ber- lin modernisiert wird; fortan dienen der Riesenstadt außer- halb gelegene Rieselfelder als Kläranlage. Virchow ist als Mit- glied des Reichstages auch ver- antwortlich für die nach jeder Schlachtung vorzunehmende behördliche Fleischbeschau; der Befall der Bevölkerung mit Pa- rasiten wird somit ausgeschlos- sen. Schließlich sei die Medizin doch, so stellte Virchow fest, immer auch eine „sociale Wis- senschaft“.

Durch sein großes Herz und der Hingabe an die Belange der

„kleinen Leute“ erwirbt sich Virchow große Verehrung in der Bevölkerung. Er plädiert für die Errichtung von öffent- lichen Krankenhäusern und den Ausbau der staatlichen Gesundheitsfürsorge. Er entwi- ckelt dabei eine solche Verve, dass dies dem konservativen

Reichstagsabgeordneten Otto von Bismarck missfällt. Der fordert ihn nach einer erregten Budget-Debatte zum Duell.

Glücklicherweise greifen hier besonnene Menschen ein und verhindern das – sonst hätte die Medizingeschichte einen anderen Verlauf genommen.

Medizinischer Bestseller Frustriert vom zähen Verlauf seiner politischen Mühen zieht sich Virchow immer öfter ins Labor zurück. Er entdeckt Be- deutendes auf dem Gebiet der Bluterkrankungen – die Leu- kämie – und zeichnet präzise die bis heute beständigen Ur- sachen und Entstehungen von Thrombosen nach. Er schreibt

„Die „Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physio- logische und pathologische Ge- webelehre“ – ein medizinischer Bestseller, denn bisher war man der Ansicht, Zellen ent- stünden aus einem unförmigen Urschleim. Doch „Zellen ent- stehen aus Zellen“ serviert Vir- chow seinen Studenten den leicht zu merkenden Kernsatz.

Deshalb lehnt er auch den Quatsch vom einstigen Schüler Robert Koch ab: Bakterien?

Gibt es nicht. Deshalb braucht man sich auch die Hände nicht zu waschen, wie es der Kollege Ignaz Semmelweis fordert. Die Hartnäckigkeit Rudolf Vir- chows galt leider auch seinen Irrtümern.

Auch als alter Mann stürzt sich der Wissenschaftler immer

noch auf die verschiedensten Bereiche: Heinz Schliemann, der Entdecker Trojas, ist sein Freund. Er begleitet ihn bei den Grabungen und redet so lange auf ihn ein, dass der seine troja- nische Sammlung schließlich der Stadt Berlin überlässt. Er gründet eine Anthropologische Gesellschaft und eine Zeitschrift für Ethnologie. Er veranlasst eine Untersuchung der deut- schen Schulkinder auf Haut-, Haar- und Augenfarbe; die Er- gebnisse lassen Virchow trium- phieren: Es gibt gar keine „rei- nen“ Rassen in Deutschland (dies wird später seinem Sohn erhebliche Schwierigkeiten mit den Nationalsozialisten berei- ten). Daneben gründet Virchow auch noch das Märkische und das Völkerkundemuseum in Berlin.

Arbeit als Wohltat Der mit Ehrungen, Preisen und Medail- len überhäufte Wissenschaftler gönnt sich nie einen Tag Pause.

Sein Lebenselixier ist die Ar- beit und das (selbst gewählte) Thema seines Abituraufsatzes scheint Programm: „Ein Le- ben voller Arbeit und Mühe ist keine Last, sondern eine Wohl- tat“. Rudolf Virchow ist auf dem Weg zu einem Vortrag, als er in der Eile aus einer noch fahrenden Straßenbahn springt.

Der 81-Jährige bleibt mit dem Fuß hängen und erleidet ei- nen Oberschenkelhalsbruch.

Monatelang laboriert er daran und erholt sich nicht mehr:

Am 5. September 1902 stirbt der Wissenschaftler, Anthro- pologe und Sozialreformer an den Folgen des Unfalls. ■

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion RUDOLF VIRCHOW

… wird am 13. Oktober 1821 in Schivelbein in der preu- ßischen Provinz Pommern geboren. Virchow hat sich nicht nur als langjähriger Leiter der Pathologie an der Berliner Charité einen Namen gemacht, sondern auch als Sozialreformer und Politiker: So plädiert er zum Beispiel für den Ausbau des öffentlichen Gesund- heitswesens. Er stirbt am 5. September 1902 an den Folgen eines Unfalls.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Mai 2017 | www.diepta.de

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