• Keine Ergebnisse gefunden

Wer bestimmt eigentlich den Bedarf?

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Wer bestimmt eigentlich den Bedarf?"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

438

Bayerisches Ärzteblatt 9/2015

Meinungsseite

Wer weiß, wie viele Vertragsärzte gebraucht werden, um den Bedarf zu decken? Wer be- stimmt eigentlich den Bedarf? Die Politik hat soeben versucht, auf die Fragen eine Antwort zu geben. Dabei ist sie möglichen Konflikten aus dem Weg gegangen und hat nur halbher- zig eine laue Lösung in ihrem Versorgungsstär- kungsgesetz geschaffen. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschloss der Deutsche Bundestag am 11. Juni das Versorgungsstär- kungsgesetz für die Gesetzliche Krankenversi- cherung. Die Fraktion Die Linke enthielt sich bei der Abstimmung, die Abgeordneten von Bünd- nis 90/Die Grünen stimmten gegen die Vorlage.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sprach in der Parlamentsdebatte von

„wichtigen Weichen, um die Gesundheitsversor- gung fit für die Zukunft zu machen“. Ziel sei es, bestehende regionale Versorgungsunterschiede abzubauen. Das Gesetz setze an vielen Stell- schrauben gleichzeitig an, um die Versorgung zu verbessern, betonte der SPD-Gesundheits- experte Professor Dr. Karl Lauterbach. Die bei- den Politiker übten sich in Koalitionsdisziplin, als handle es sich bei der Regierungsvereinbarung um die Zehn Gebote. Allen Änderungsversuchen der Betroffenen leisteten sie beharrlich Wider- stand. Auch ein sachkundiger Politiker wie Karl Lauterbach räumte im internen Gespräch mit ärztlichen Berufspolitikern die Schwächen des Gesetzes ein, beharrte aber auf der Umsetzung:

Es gehe in erster Linie darum, Druck aufzubau- en. Wohlgemerkt, auf die Ärzte.

Zu den wichtigsten Neuregelungen gehört die Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereini- gungen, Termin-Servicestellen einzurichten – ein neues bürokratisches Ungetüm. Versicher- te mit einer Überweisung zu einem Facharzt können sich an sie wenden und müssen inner- halb von vier Wochen einen Termin vermittelt bekommen. Ist dies nicht möglich, können sie ein Krankenhaus aufsuchen, auf Kosten der vertragsärztlichen Gesamtvergütung. Sie be- kommen ihren Wunschtermin nicht bei ihrem Wunscharzt, sondern irgendeinen Termin bei irgendeinem Arzt – ein klarer Bruch mit dem Prinzip der freien Arztwahl.

Wo es in überversorgten Regionen zu viele Ärzte einer Fachrichtung gibt, sollen die Kas- senärztlichen Vereinigungen frei werdende Arztsitze aufkaufen und nicht wieder besetzen, und zwar, wenn für bestimmte Arztgruppen und Planungsbereiche ein Versorgungsgrad von 140 Prozent erreicht ist (vorher 110 Pro- zent). Aber wenn 110 schon falsch war, dann ist 140 auch nicht besser. Es bleibt bei einer Ver- letzung des Eigentumsrechts der „entsorgten“

Ärzte. Von der Freiberuflichkeit wird Stück für Stück abgebrochen.

Das Gesetz wird von vielen eher als ein „Kran- kenhausstärkungsgesetz“ empfunden. Bei- spiele für die Bevorzugung der Kliniken sind die umfassenden Möglichkeiten der Ermächtigung von Hochschulambulanzen und die verpflich- tende Öffnung von Krankenhäusern. Auch um die Zusammenarbeit zwischen stationärer und ambulanter Versorgung zu verbessern, dürfen Kliniken mehr ambulante Leistungen überneh- men. Damit wird vom bewährten und effizi- enten Prinzip „ambulant vor stationär“ abge- wichen.

Planung allein sichert noch keinen Erfolg.

Ob sich auch nur ein einziger Arzt in einer lä ndlichen Region niederlä sst, wird nicht durch Planzahlen bestimmt. Dazu gehört mehr:

Wichtig sind Anreize und Fö rdermaßnahmen, wobei Geld selbstverstä ndlich eine ent- scheidende Rolle spielt, aber nicht alles ist.

Mö glichkeiten der Vereinbarkeit von Fami- lie und Beruf, die Jobsituation des Partners, Entwicklungsmö glichkeiten fü r Kinder, eine effiziente Bereitschaftsdienstorganisation und nicht zuletzt die (kommunale) Unterstü tzung vor Ort spielen eine große Rolle. Ob das aus- reicht, junge Kollegen fü r die Tä tigkeit in lä ndlichen Gebieten zu gewinnen, bleibt ab- zuwarten. In Baden-Württemberg veranstaltet die Techniker Krankenkasse sogar Hausarzt- Touren durchs Ländle, um den Medizinstu- denten die Schönheit ihrer Heimat näher zu bringen. Dem Vernehmen nach hat das schon einige zur Niederlassung auf dem Lande be- wogen. Bayern versucht es mit großzügigen finanziellen Fördermaßnahmen.

Die Mängel der Statistik in der Bedarfsplanung zeigt das Beispiel Berlin: Obwohl der Versor- gungsgrad für Hausärzte hier mit 116,6 Prozent ausgewiesen ist, kann von Überversorgung kei- ne Rede sein. In der Statistik ist nicht erfasst, dass ein großer Teil dieser Ärztinnen und Ärzte gar nicht hausärztlich tätig ist. Würde man diese Sitze aus der Bedarfsanalyse herausrech- nen, käme man auf einen Versorgungsgrad von unter 100 Prozent. Ähnliches hat auch die Kas- senärztliche Vereinigung Bayerns für den Frei- staat offengelegt.

Das zeigt, dass nachweisbar viele ausgewie- sene Hausarztsitze nicht in der hausärztlichen Versorgung arbeiten, die Bedarfszahlen also falsch sind, und dass andererseits die Umset- zung der Intention des Gesetzgebers den schon bestehenden Mangel verschärfen würde. Die gleichen Probleme gibt es im fachärztlichen Bereich. Trotz rechnerischer Überversorgung beklagen viele Patienten die teils langen War- tezeiten und zu vollen Praxen bei den Spezia- listen. Fit für die Zukunft ist die Gesundheits- versorgung mit diesem Gesetz jedenfalls nicht.

Autor

Klaus Schmidt, freier Journalist, 82152 Planegg

Wer bestimmt eigentlich den Bedarf?

Anmerkung der Redaktion: Gastkommentare geben die Meinung des Autors und nicht grundsätzlich die Meinung der Redaktion oder der Bayerischen Landesärztekammer wieder.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Unterstützt wird das Projekt weiterhin durch zahlreiche Unternehmen aus der kommunalen und privaten Abfallwirtschaft, die insbesondere Zwischenlager und Abgabestellen für gesammelte

Das Projekt Wünschewagen erfüllt sterbenskranken Menschen jeden Alters ihre letzten Lebens- wünsche und fährt sie an einen Ort ihrer Wahl.. Essen, lernte während einer Urlaubs-

Bei den Vittel-Flaschen von Nestlé kommt noch hinzu, dass das Mineralwasser aus Frankreich über besonders weite Strecken nach Deutschland transportiert wird, obwohl es

Denn viele Frauen wünschen sich für ihre Töchter eine gute Schul­ und Ausbildung für ein unabhängigeres Leben.. Das Projekt wurde von der Nepal­Konsulin Ann­Katrin

Hier setzt das im März 2013 ein- gerichtete, bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ an: Unter der Rufnummer 08000 116 016 und online auf www.hilfetelefon.de können

leiterin im Modellprojekt Wir vor Ort gegen sexuelle Gewalt und engagiert sich seit mehr als 20 Jahren gegen sexualisierte Gewalt und für die Unterstützung betroffener

Und so ist das Projekt „Herzenssache Lebenszeit“ so aktuell wie nie – auch für die Projektleiterin und für Boehringer Ingelheim: „Auf­. klärung ist ein Teil

Die Mobile Aktion Ernährung und Bewegung soll Kindern spielerisch Wissen über gesunde Ernährung vermitteln.. Gefördert wird das Projekt von der ALDI Nord