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Claus Matecki Statement
Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
DGB-Pressekonferenz zum Thema:
Was ist uns die Bildung wert?
Dienstag, 26. August 2008, in Berlin Es gilt das gesprochene Wort!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Im Vorfeld des Bildungsgipfels steht die Bildungspolitik wieder im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung. Die Kanzlerin geht auf Bildungsreise und ruft die Bildungsrepublik Deutschland aus.
In keiner Politikerrede darf heute das Thema Bildung fehlen. Bildung gilt als wertvollster Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Bildung ist die Grundlage zukünftigen Wirtschaftswachstums.
Ein ideales politisches Klima, um sehr schnell, sehr große Fortschritte machen zu können, sollte man denken. Doch die Wirklichkeit sieht leider anders aus. In kaum einem Politikfeld klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander, wie in der Bildungspolitik.
Im internationalen Vergleich ist das deutsche Bildungswesen weiterhin nur Mittelmaß. Das heimische Bildungsniveau hat sich in den letzten 15 Jahren nicht verbessert. Nur jedes 10te Kind unter 3 Jahren bekommt einen Betreuungsplatz.
Jährlich verlässt jeder 12te die Schule ohne Abschluss.
Damit aber nicht genug. In kaum einem Industrieland wirkt das Bildungswesen so selektiv wie hierzulande. Der Bildungserfolg jedes Einzelnen hängt in Deutschland vom Geldbeutel des Elternhauses ab.
Dieser Wirklichkeit muss sich die Politik stellen. Bis heute fehlt aber sowohl der Wille zu umfassenden strukturellen Reformen als auch die Bereitschaft mehr Ressourcen in den Bildungssektor fließen zu lassen.
Frau Merkel hat Recht, wenn sie sagt, dass bessere Bildung nicht nur eine Frage des Geldes ist. Aber ohne mehr Geld geht es auch nicht. Dies macht, die Ihnen
Statement von Claus Matecki Pressekonferenz zum Thema:
„Was ist uns Bildung wert?“
Berlin, 26. August 2008
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vorliegende Studie von Roman Jaich deutlich: Für die Hans-Böckler-Stiftung hat Roman Jaich berechnet, was ein umfassender Ausbau des Bildungswesens kosten würde:
Elementarbereich (insgesamt: 8,91 Mrd. )
• Betreuungsquote für die unter 3 Jährigen von 35% 2,8 Mrd.
• 60 Prozent der Kinder bis sechs Jahren erhalten eine 0,82 Mrd.
Ganztagsbetreuung
• 66.000 zusätzliche Pädagogen und bessere Qualifizierung 2,68 Mrd.
• Keine Elternbeiträge 2,61 Mrd.
Allgemeinbildende Schulen (4,95 Mrd. )
• 50%ige Versorgung mit Ganztagsschulplätzen 3,8 Mrd.
• Weiterbildung der Beschäftigten 0,16 Mrd.
• Wegfall der privaten Finanzierung von
Unterrichtshilfen- und-materialien 0,99 Mrd.
Berufsbildung (0,67 Mrd. )
• Ausweitung beruflicher Ausbildungsplätze in
Vollzeitschulen 0,67 Mrd.
Hochschulen (6,18 Mrd. )
• Zusätzliches wissenschaftliches Personal plus
Verwaltung für 500.000 zusätzliche Studienplätze 5,68 Mrd.
• Verbesserung Bafög 0,5 Mrd.
Weiterbildung (8,72 Mrd. )
• Ausbau betrieblicher Weiterbildung 2,53 Mrd.
• Weiterbildung von Erwerbslosen 6,00 Mrd.
• Förderung der individuellen beruflichen Weiterbildung 0,1 Mrd.
• Beratungsstruktur zur Qualifizierung 0,09 Mrd.
Gesamter Investitionsbedarf
: 29,4 Mrd.Statement von Claus Matecki Pressekonferenz zum Thema:
„Was ist uns Bildung wert?“
Berlin, 26. August 2008
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Der zusätzliche jährliche Finanzierungsbedarf für ein modernisiertes Bildungswesens liegt somit bei knapp 30 Mrd. . Investitionskosten, wie der Bau neuer Schulen und Hochschulen sind dabei nicht mitgerechnet. Diese würden den Finanzierungsbedarf auf 40 Mrd. steigen lassen. Diese 40 Mrd. entsprechen 28% der aktuellen privaten und öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland.
Wir reden also über einen richtigen finanzierungspolitischen Kraftakt, der nötig wäre, um unserer Land bildungspolitisch nach Vorne zu bringen. Zur öffentlichen Hand gibt es in diesem Zusammenhang keine Alternative. Die Erfahrung zeigt uns, dass allein der Markt zu einem solchen Kraftakt nicht in der Lage ist. Zudem verstärken Privatschulen, Privatuniversitäten, Schul- und Studiengebühren nur noch die sozialen Ungleichheiten.
Eine öffentliche Bildungsoffensive ist ökonomisch sinnvoll und sozial gerecht.
Verstärkte öffentliche Ausgaben in Bildung sind hierbei nicht nur Investitionen in das Humankapital der Menschen. Bildungsinvestitionen umfassen auch Ausgaben im gesamten Infrastrukturbereich des Bildungswesens. Eine Bildungsoffensive würde das Wachstumspotenzial unserer Volkswirtschaft stärken.
Das DIW hat kürzlich berechnet, dass allein jeder in die Frühkindeserziehung investierte Euro eine Rendite von drei Euro einspielt. Laut OECD beläuft sich die soziale Rendite des Hochschulwesens auf über 6%. Das Qualifikationsniveau von Schülern, Auszubildenden und Akademikern würde sich durch eine Bildungsoffensive deutlich verbessern. Dadurch wirken wir dem sich verschärfenden Fachkräftemangel entgegen und verhindern unnötige Wachstumsverluste.
Eine öffentliche Bildungsoffensive würde aber auch für mehr Chancengleichheit im Bildungswesen sorgen. Eine frühe und stärkere individuelle Förderung von sozial Benachteiligten kann aus Armuts- Bildungskarrieren machen. Richtig ist aber auch, dass Bildungspolitik keinesfalls Sozialpolitik ersetzen kann. Eine Umschichtung der Haushaltsmittel von Sozialtransfers hin zu Bildungsinvestitionen ist aus gewerkschaftlicher Sicht kein Königsweg. Eine individuelle vom Elternhaus unabhängige Bildungskarriere ist uns wichtig, aber kein gesellschaftliches Patentrezept. Deswegen muss die Bildungspolitik immer mit der Sozial- und Beschäftigungspolitik verzahnt werden.
Dies bedeutet, dass die von uns geforderte Bildungsoffensive die staatlichen Ausgaben erhöhen wird. Wer dies, in Anbetracht von vermeintlichen Sparzwängen für eine Illusion hält, der muss dann allerdings auch die Folgen benennen: Nämlich die zwangsläufige Fortschreibung der bestehenden Ungleichheiten und der fahrlässige Verzicht auf Wachstumspotenziale. Aus der blumenreichen Bildungsrhetorik der letzten Jahre muss endlich eine ehrliche politische Debatte werden. Wir müssen uns politisch entscheiden, was uns Bildung wert ist.
Statement von Claus Matecki Pressekonferenz zum Thema:
„Was ist uns Bildung wert?“
Berlin, 26. August 2008
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Wir als Gewerkschaften haben uns entschieden. Unser Bildungswesen muss modernisiert werden und zwar umgehend. Wir schlagen deshalb vor, die notwendigen Bildungsinvestitionen über Steuern zu finanzieren. Der DGB wird hierzu im Herbst ein steuerpolitisches Gesamtkonzept vorlegen. Im Gegensatz zu den Steuersenkungsprogrammen von CSU und FDP geht es uns darum, mit Hilfe eines höheren Steueraufkommens gesamtgesellschaftliche Ausgaben wie die Bildung zu finanzieren. Hohe Einkommen, Vermögen und Unternehmensgewinne werden dafür zukünftig einen höheren finanziellen Beitrag leisten müssen.
Zur kurzfristigen Anschubfinanzierung könnten wir aber auch einen Teil der Goldreserven der Bundesbank – etwa 90 Mrd. - heben. Das Gold würde somit nicht mehr nutzlos im Keller herumliegen, sondern in die Köpfe der jungen Generation investiert. Die im HBS-Gutachten veranschlagten rund 9 Mrd. im Elementarbereich für die Kleinsten der Kleinen wären ein guter Anfang.
In den nächsten Monaten wird sich zeigen, was uns die Bildung wirklich wert ist. Es geht jetzt darum, nicht nur über Bildung zu reden, sondern endlich zu handeln.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.