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Das erste eigene Heim

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Academic year: 2022

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Das erste eigene Heim

Es war kurz nach 5 Uhr in Dortmund-Mengede. Sa- mantha schreckte vom Rasseln ihres Weckers hoch.

Schade, sie hatte gerade noch so schön von einer großen Hochzeit mit einem wunderschönen, weißen Prinzen geträumt. Ach, wenn der Traum doch nur Wirklichkeit würde! Aber jetzt musste sie sich beeilen. Also schnell unter die Dusche, dass sie ganz wach würde und der Traum aus ihrem Kopf verschwände. Dann der mor- gendliche Blick in den Spiegel. Ihn konnte Samantha heute nicht genießen. Was sie da sah, war rundherum schwarz, nicht hellhäutig und blond mit blauen Augen.

„Warum sehe ich nicht aus wie die meisten jungen Mädchen hier in Deutschland? Warum bin ich nicht blond mit blauen Augen, sondern schwarz wie die Nacht? Mein Haar lässt sich auch wieder einmal kaum glätten, obwohl ich die schwarzen Löckchen eigentlich ganz lustig finde. Vielleicht lasse ich das Glätten sein. Es hat ja sowieso keinen Sinn.“ Samantha zerrte wieder erfolglos mit dem Kamm an ihren Haaren. Der Blick in den Spiegel, der sie in voller Größe zeigte, machte sie jedoch wieder zufrieden mit sich und sie lächelte ihrem Spiegelbild zu: „Was ich schön an mir finde, sind meine großen, schwarzen Augen; und wenn ich lache, zeige ich schönen Zähne. Meine Figur finde ich auch o.k.“ Sie drehte sich prüfend vor dem Spiegel herum: „Zum Glück bin ich sehr schlank. Aber an den richtigen Stellen sind auch Rundungen, die sich sehen lassen

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können. Mein Busen ist zwar nicht groß, aber hat eine gute Form. Auch meine langen Beine können sich sehen lassen. Ich meine, ich sehe sexy aus. Aber ich bin eben schwarz.“ Samantha seufzte tief auf. „Die Kinder im Kinderheim Regenbogenland mögen mich gerne leiden, weil ich genau wie sie ein Außenseiter bin. Aber dass mich die Kinder leiden mögen, tröstet mich auch nicht.

Ich sehne mich so sehr nach einem netten deutschen, weißen Freund. Jetzt bin ich schon 21 Jahre und noch Jungfrau. Wenn ich nicht bald einen Mann finde, werde ich noch eine alte Jungfer.“

Lustlos trödelte Samantha bei ihrer Morgentoilette herum. Aber dann hieß es: Beeilen! Es wurde inzwi- schen fast 6 Uhr. Samanthas Brüder Sam und Jonas mussten zur Schule und standen bestimmt schon vor der Tür zu dem kleinen Raum, der von der Küche abgetrennt wurde und sich „Badezimmer“ nannte. Der Vater hatte hier mit viel Mühe eine Dusche für die Familie eingebaut. Der alte Elektroboiler funktionierte jedoch nur ab und zu. Samantha hatte heute Glück; aus der Dusche kam wirklich warmes Wasser. Schade, dass sie sich jetzt sehr beeilen musste. Sie hätte gerne noch länger das warme Wasser genossen. Aber wenn sie weiter so trödelte, führe ihr der Bus um 6,50 Uhr, mit dem sie vom Zentralen Busbahnhof in Dortmund zur Arbeit nach Hamm fuhr, vor der Nase davon.

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In der Küche sagte ihr ein Blick auf den Kalender, dass heute Montag, der 15. August war. Es war noch sehr kühl in der kleinen Wohnung an diesem Morgen.

Hier lebte die Familie Maluija nach ihrer Flucht aus dem afrikanischen Darfur vor zwei Jahren. „Solange die Brüder im Bad sind, will ich ihnen noch schnell das Frühstück richten und auch das Feuer im Herd anma- chen“ dachte Samantha. „So muss Mutter nicht so früh raus.“ Sie lauschte an der Tür zum Bad. Das Wasser plätscherte. Also wuschen sich die beiden Knaben wirklich. Und dann sagte ihr ein Blick auf die Uhr: „Es wird höchste Zeit, wenn ich den Bus um 6,50 Uhr bekommen will! Um 8 Uhr fängt meine Schicht an.“

Samanthas Schicht, das war die Arbeit als Erzieherin im Kinderheim Regenbogenland in Hamm. Da tauchten Sam und Jonas endlich auf. „Beeilt euch mit dem An- ziehen. Ihr müsst los zur Schule. Und esst euer Früh- stück auf“ mahnte Samantha. „Ooch, immer die doofe Schule“ maulte der 8jährige Jonas. „Immer müssen wir zur Schule und uns wieder von den anderen Kindern ärgern lassen. Das ist überhaupt nicht lustig!“ Der 6jährige Sam nickt: „Ich möchte auch lieber hierblei- ben.“

„Ach was, ihr seid doch Männer. Und die lassen sich nicht ärgern. Trinkt nur eure Milch, dann werdet ihr stark. Wenn die anderen Kindern euch dann ärgern, könnt ihr euch wenigstens wehren.“ Jetzt kam auch Mama Maluija aus dem Schlafzimmer. Sie sah die Jun- gen mit strengem Blick an: „Hoffentlich seid ihr bald

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fertig und auf dem Weg zur Schule“ sagte sie und scheuchte die Brüder Sam und Jonas vom Tisch auf.

Samantha machte sich schnell auf den Weg zum Bus.

Höchste Eile, sagte ihr der erneute Blick zur Uhr. Die Arbeit im Kinderheim hatte sie bekommen, weil sie trotz anfänglicher Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache sehr gute Zeugnisse nach Hause gebracht hatte und weil sie stets pünktlich und gut gelaunt an ihrem Arbeitsplatz erschien. Außerdem liebte sie Kinder und konnte gut auch mit schwierigen Kindern umgehen.

Samantha wie auch die Eltern und die Brüder Sam und Jonas stammten als eine muslimische Minderheit aus der sudanesischen Provinz Darfur. Die Familie war wäh- rend der Unruhen, die 2003 begannen und immer noch andauern, und bei denen die Afrikaner von den arabi- schen Reitermilizen gejagt und getötet werden, geflüch- tet. Sie liefen, nur mit dem Nötigsten an Nahrung und Kleidung versehen, hunderte von Kilometern bis in ein Flüchtlingslager an der Grenze zum Tschad, wobei Vater und Mutter Maluija neben den wichtigsten Habse- ligkeiten die noch sehr kleinen Söhne trugen, während Samantha, die größere Tochter, das übrige Gepäck schleppen musste. Aber auch dort kamen sie nicht zur Ruhe, bis sie mit einem Luftrettungstransport der deutschen Luftwaffe nach Deutschland ausgeflogen wurden. Nun wohnten sie in Dortmund-Mengede, einem Teilort am Stadtrand von Dortmund in einer alten Fabrik, die als Übergangswohnheim für Flüchtlin-

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ge aus verschiedenen Ländern umgebaut wurde. Diese Unterkunft bekamen sie von der Dortmunder Auslän- derbehörde, die auch Familie Maluija eine Aufenthalts- berechtigung und damit die Anerkennung als Asylbe- rechtigte erteilte. Das war für die Familie ein Glücksfall.

Mit dieser Genehmigung durften die Maluijas arbeiten, nachdem sie einen deutschen Sprachkurs in der Dort- munder Berlitz-Sprachschule absolviert hatten. Auch die beiden Söhne Sam und Jonas durften nach dem Sprach- kurs die deutsche Schule besuchen. Leider war jedoch die Wohnung in der alten Fabrik mehr als schlicht. Es war sehr laut, weil die Wände nur ganz dünn waren.

Man hörte fast jedes Wort aus der nächsten Wohnung.

Außerdem war es auch nicht so sauber, wie die Maluijas es von ihrem afrikanischen Zuhause her gewohnt waren.

Für Sauberkeit auf den Fluren fühlte sich niemand zuständig. Abends und nachts war lautes Geschrei und betrunkenes Gegröle aus vielen Zimmern zu hören. An den Wochenenden war es noch viel ärger. Da erschien oft die Polizei im Haus.

Die ganze Wohnung der Maluijas bestand aus zwei Räumen. Den einen benutzten sie als Wohnzimmer und Küche. Die Wärme in diesem nicht sehr großen Raum kam nur von dem großen, weißen Küchenherd, der mit Holz oder Kohlen beheizt wurde. Dann gab es noch das zweite Zimmer, in dem die ganze Familie bis auf Sa- mantha in einfachen Klappbetten schlief. Ein eigenes Zimmer, wie es ihre weißen Kolleginnen vom Kinder-

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heim bewohnen, hatte Samantha natürlich nicht. Sie schlief auf dem Sofa in der Küche. Darum hatte sie sich auch bemüht, eine Wohnung im Kinderheim Regenbo- genland zu bekommen. Leider waren die Appartements, die für die Mitarbeiter zur Verfügung standen, heiß begehrt. Aber heute wurde sie plötzlich zur Heimleite- rin, Frau Becker, gerufen. Samantha eilte aus dem Gruppenhaus ins Büro. Was hatte das nur zu bedeuten?

War man mit ihrer Arbeit nicht zufrieden? Ängstlich betrat sie Frau Beckers Büro. „Sind sie nicht mit mir zufrieden?“ fragte sie leise. „Aber warum sollte ich nicht zufrieden sein. Die Kinder im Gruppenhaus lieben sie sehr und auch ihre Kollegin, mit der sie zusammen arbeiten, lobt sie. Ich habe sie hergebeten, weil plötzlich ein Appartement frei geworden ist. Und weil ich sie gerne recht lange als Mitarbeiterin haben möchte, habe ich gedacht, sie würden vielleicht gerne hier einziehen.

Wie gefällt ihnen das?“ Samantha brachte vor lauter Überraschung zuerst einmal keinen Ton heraus. Aber ihre Augen sprachen eine deutliche Sprache. „Das wäre wirklich wunderschön. Eine eigene Wohnung, so ganz für mich alleine! Ich freue mich wahnsinnig. Ganz herzlichen Dank für ihr Angebot. Ich nehme es sehr gerne an.“

Eine eigene kleine Wohnung! Samantha tanzte nach ihrem Einzug jubelnd durch die hellen, für ihre Verhält- nisse großen Räume. Die Wohnung bestand aus einem Schlafraum, einem Wohnraum, einer kleinen Küche und

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einer Dusche. Durch die Tür im Wohnraum konnte sie eine große Terrasse betreten, die von vielen verschiede- nen Sträuchern umsäumt war. Herrlich! Hier könnte sie im Sommer mit ihren Freunden und Kollegen sicher auch einmal eine kleine Party feiern. Das musste sie erst einmal ihrer Mutter erzählen. Sie besuchte an ihrem nächsten freien Tag ihre Familie. Der Vater war nicht sehr begeistert über den Auszug Samanthas. „Ich hoffe nur, dass du so lebst, wie es unsere Religion vorschreibt.

Denk an deine Gebete und lass die Finger von Män- nern, Alkohol und Schweinefleisch. Auch die Fastenzeit solltest du im Kinderheim einhalten.“ Dann fuhr der Vater fort: „Neulich habe ich hier in der Nachbarschaft einen netten jungen Mann aus dem Kongo kennenge- lernt. Dieser Mann, der 29 Jahre alt ist und Joshua Nkunda heißt, wäre ein guter Mann für dich. Er ist fleißig und außerdem auch Muslim. Er würde sicher gut für dich sorgen.“ Die Mutter nahm das Mädchen zärt- lich in die Arme und freute sich mit ihr, dass Samantha jetzt endlich nicht mehr jeden Morgen bei Wind und Wetter die Fahrt von Dortmund nach Hamm auf sich nehmen musste. Außerdem war dann mehr Platz in der Wohnung für die Eltern und die beiden Jungen. Die Idee des Vaters, sie mit diesem Joshua zu verheiraten, war nicht ihre Idee. Aber sie hielt sich mit ihrer Mei- nung zurück. Samantha würde sicher selbst einen netten Mann kennen lernen, wenn sie dazu bereit wäre. Bis jetzt hatte Samantha noch nicht davon gesprochen, dass sie sich einen Bräutigam wünscht. Sicher würde sie auch

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in ihrer eigenen Wohnung auf sich achten und so sitt- sam leben, wie die Eltern es von ihr verlangten. Die Brüder aber schauten ziemlich neidisch auf das Glück.

Wie gerne hätten sie auch ihre eigenen Zimmer gehabt!

Aber nachdem sie zusammen mit den Eltern und Sa- mantha in dem Intensivkurs schnell Deutsch gelernt hatten, gingen sie mit mehr oder weniger Begeisterung zur Schule und warteten sehnsüchtig darauf, erwachsen zu sein und ein selbstständiges Leben zu führen. „Dür- fen wir dich denn wenigstens manchmal besuchen und bei dir übernachten“ baten Jonas und Sam. „Natürlich dürft ihr das. Da kann wohl niemand etwas dagegen haben“, versprach Samantha ihnen.

Nun fehlte zu Samanthas Glück nur noch ein netter Mann. Auch wenn die Eltern es nicht vermuteten, war es so, dass Samantha sich durchaus einen Mann an ihrer Seite vorstellen konnte. Weiß sollte er möglichst sein.

Dass ihr Vater einen schwarzen Mann für sie ausgesucht hatte, passte ihr überhaupt nicht. Zwar schauten ihr viele Männer, schwarze und auch weiße, hinterher. Eine Liebe für eine Nacht hätte sie schon leicht haben kön- nen. Aber eine Liebe, die nur Sex bedeutet? Dafür war sie sich zu schade. Sie wollte einen Mann, den sie lieben könnte und der sich auch ihrer schwarzen Hautfarbe nicht schämt; mit dem sie leben und Kinder haben würde. Ach, wenn es doch so käme. Sie war trotz ihrer 21 Jahre noch immer Jungfrau und ohne Partner.

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