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Traumatherapie - Wozu braucht es Stabilisierung?

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Academic year: 2022

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Fachtag der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) und des Gesundheitsamtes des Kreises Euskirchen

„Traumatherapie - Wozu braucht es Stabilisierung?“

(am Freitag, den 26. November 2021)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

in herausfordernden Zeiten (Corona-Pandemie, Flutkatastrophe) darf ich mich beim Vorstand der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft im Kreis Euskirchen herzlich dafür bedanken, dass den Auswirkungen der Flutkatastrophe in unserer Region am 15. Juli des Jahres durch die heutige Fachtagung Aufmerksamkeit gewidmet wird.

1. Auslöseereignis

Eine Flutwelle, die sich durch Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gewälzt und Spuren der Verwüstung hinterlassen hat, hätte sicher keiner für möglich gehalten. Nach derzeitigem Stand starben alleine in den beiden Regionen mehr als 180 Menschen. Mehr als 700 Menschen wurden verletzt. Zudem verursachte die Flut materielle Schäden in Milliardenhöhe. Es wurden Häuser, Bahnstrecken, Straßen, Brücken, Mobilfunkmasten zerstört, ebenso vielerorts Gas-, Strom- und Wasserversorgung. Tausende Einsatzkräfte von Polizei, Rettungs- und Hilfsdiensten, Technischem Hilfswerk (THW) sowie freiwillige Helferinnen und Helfer waren im Einsatz. Viele Menschen in der Region haben Ausnahmezustände erlebt und kämpfen mit ihren traumatischen Erlebnissen.

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Die Häufigkeit der Starkregenereignisse hat nachgewiesenermaßen in den letzten Jahren zugenommen. Einige Beispiele möchte ich erwähnen:

1997 verursachte die Oderflut in Brandenburg, Tschechien und Polen über 100 Todesfälle und materielle Schäden in Milliardenhöhe. 2002 starben beim Jahrhunderthochwasser der Elbe alleine in Sachsen 25 Menschen.

2013 kamen beim Hochwasser in Deutschland und Nachbarländern 25 Menschen ums Leben. 2016 starben in Niederbayern bei Überschwemmungen 7 Menschen. Es gilt wissenschaftlich als gesichert, dass die Wahrscheinlichkeit und die Intensität von extremen Wetterereignissen aufgrund des Klimawandels zunehmen werden.

Hinsichtlich meiner fachärztlichen Tätigkeit möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass alleine in Nordrhein-Westfalen in 120 Arztpraxen entweder gar nicht mehr oder nur eingeschränkt gearbeitet werden konnte, 40 Praxen waren völlig zerstört worden.

2. Traumafolgestörungen

Neben den materiellen Schäden haben sich bei vielen Menschen körperliche und seelische Belastungsreaktionen gezeigt. Die Todesfälle infolge des Hochwassergeschehens, sei es durch Ertrinken, körperliche Dekompensationen (z.B. Herzinfarkte, Schlaganfälle) oder eine nachgewiesenermaßen erhöhte Anzahl an Suiziden, sind traumatische Folgen des Unwetters. Forschungsergebnisse belegen, dass bei Überlebenden die Prävalenz für posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) zwischen 15 und 25 % beträgt. Psychotraumata sind verantwortlich für eine Vielzahl seelischer und körperlicher Schmerzen und Störungen. Zu den Symptomen der PTBS gehören u.a.

Schlafstörungen, Schwindel, Palpitationen, lokale oder generalisierte Schmerzen, Verdauungsstörungen, sexuelle Funktionsstörungen und diverse psychische Belastungsfolgen, etwa depressive Verstimmungen, Gefühle der Hilflosigkeit, Angst- und Paniksymptome, Anspannung und psychomotorische Unruhe, Energiemangel, inneres und äußeres Rückzugsverhalten, bisweilen auch vermehrter Gebrauch von Stimulantien, etwa Kaffee, Alkohol, Nikotin, Drogen und Medikamenten

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Markante Zeichen der Traumafolgestörungen sind:

- Intrusion: z.B. Flashbacks, Albträume, Panikattacken.

- Konstriktion, z.B. Rückzugsverhalten, Schweigen, Erstarrung.

- Kontrollbedürfnis: Misstrauen, Übererregung, Schreckhaftigkeit, Ängstlichkeit, Unruhe, aber auch depressive Passivität.

- Mögliche sog. Komorbidität: Depression, Sucht, selbstverletzendes Verhalten, Persönlichkeitsveränderung.

Die seelischen und auch vorübergehenden körperlichen Belastungsreaktionen sind zunächst sehr menschlich angesichts der außergewöhnlichen Ereignisse. So ist z.B. das Bedürfnis nach Schweigen, Ruhe und Rückzugsverhalten zunächst durchaus verständlich und sinnvoll. Auch das Bestreben, Zeit außerhalb des Katastrophengebietes zu verbringen, in Urlaub zu fahren, für unbelastete Zeit und Distanz zu sorgen, kann entlastend sein. Nicht selten ist die erste Zeit nach der Katastrophe von enormer Aktivität und Funktionieren geprägt, nicht selten von anhaltender Selbstüberforderung. Dies ist nicht über Wochen und Monate durchzuhalten. Körperliche und seelische Belastungsreaktionen zeigen sich oft erst nach Wochen, wenn die Menschen zur Ruhe kommen. Dauern die Symptome maximal drei Monate, spricht man von einer PTBR, dauern sie länger als drei Monate, spricht man von einer PTBS, vor allem verbunden mit schweren Schlafstörungen, Panikreaktionen und Albträumen.

Epidemiologische Studien zur PTBS belegen, dass rund 90% der Erwachsenen und der Kinder in ihrem Leben bereits eine traumatische Erfahrung gemacht haben, wobei nur ein geringer Teil der betroffenen eine PTBS entwickelt (bis zu 25%). Untersuchungen belegen, dass frühe kindliche Traumatisierungen und zu Defiziten in der Verarbeitung von Belastungsereignissen führen. Nicht auszuschließen ist also, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem schädlichen Einfluss von frühen Kindheitstraumen auf Ichstärke und Persönlichkeitsentwicklung und der unzureichenden Fähigkeit, mit belastenden Ereignissen im Erwachsenenalter umzugehen.

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Christoph Smolenski, der von mir sehr geschätzte Kollege und langjährige Leiter der schwer zerstörten Dr. von Ehrenwall`schen Klinik in Ahrweiler, die zwei Weltkriege weitgehend unbeschadet überstanden hatte, äußerte sich zu den physischen und emotionalen Schäden der Flutkatastrophe:

Zitat: „Das sind jahrelange Folgen, die wir erwarten müssen. Es werden nicht alle traumatisierten Menschen eine Störung entwickeln. Aber bei 20 -25 % der Menschen, die das erlebt haben – und das ist eine ganz schöne Menge - kann man davon ausgehen, dass sie Langzeitfolgen davontragen werden.“ Zitat Ende.

Experten gehen davon aus, dass die materielle Not für viele Betroffene noch eine ganze Weile Priorität haben werde. Erst später werde die emotionale Aufarbeitung beginnen können. Wenn das öffentliche Interesse nachlässt, werde erst nach Monaten, vielleicht auch einigen Jahren wahrscheinlich die Zeit kommen, in der mehr psychotherapeutische Begleitung und Aufarbeitung gebraucht werde.

3. Therapie:

Einen Hinweis möchte ich vorweg geben. Es gibt in der Psychotherapie und Psychosomatischen Medizin kaum Bereiche, in denen sich in den letzten zwei Jahrzehnten so viel ereignet hat wie bei den Traumafolgestörungen. Inzwischen stehen evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten mit großer Effektstärke zur Verfügung. Die Kehrseite dieser Erfolge wird von Kritikern bisweilen als „Trauma-Hype“

bezeichnet. Der Hintergrund ist, dass sich außerhalb der wissenschaftlich fundierten Psychotherapie sog. „Traumatherapeuten“ mit fragwürdigen Versprechungen auf den Markt drängen. Unreflektiert eingesetzt verführt es Patienten dazu, Probleme zu externalisieren und sich in der Opferrolle einzurichten, sich also weniger mit eigenen verinnerlichten Strukturen zu befassen. Bei vielen der sog. „Traumatherapeuten“ besteht dabei die Gefahr der Überidentifikation mit ihren Patienten, verbunden mit dem Wunsch, Traumatisierungen ungeschehen machen zu können.

Nun komme ich auf die Grundsätze der Behandlung zu sprechen:

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Behandelt werden kann nicht das Trauma, sondern nur dessen Folgen.

Über den richtigen Weg dieser Behandlung wird heftig gestritten:

Stabilisierung oder Konfrontation? Forscher haben darauf aufmerksam gemacht, dass eine Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz von konfrontativen Techniken zu beobachten ist. Das ist durch die Datenlage alleine nicht zu erklären.

Warum und wozu braucht es Stabilisierung? Nun, wichtig ist, dass leidende Patienten schon zu Beginn einer Behandlung zu einer aktiven Bewältigung ihrer Probleme und Symptome ermutigt werden, vor allem um dem quälenden Erleben von Ohnmacht, Ausgeliefertsein und Hilflosigkeit zu begegnen. Ziel der Stabilisierung ist es, wieder die Kontrolle über sich und seine emotionalen Reaktionen zu gewinnen und aktive Möglichkeiten zur Selbstregulation und Selbstberuhigung zu finden.

Neben der individuellen Analyse von Erinnerungsauslösern und Strategien sowie Flash-Back-Erinnerungen zu beenden, sind Techniken zur Distanzierung von belastenden Erinnerungsinhalten hilfreich, z.B.

Imaginationsübungen. Ziel dabei ist es, sich nicht mehr ausgeliefert fühlen zu müssen und inneren Trost zu finden. Diese Erfahrungen stärken das Vertrauen in die Möglichkeiten zur aktiven Bewältigung der Traumafolgen.

Zentrale Herausforderung für die ärztliche, vor allem hausärztliche Hilfe, ist das rechtzeitige Erkennen der Traumatisierung und die längerfristige Begleitung mit dem Ziel, Selbstwirksamkeitserfahrungen, Selbstgefühl und das Wiedererlangen der Kontrolle über das eigene Erleben zu stärken. Hausärztinnen und Hausärzte haben nach meiner Erfahrung eine bedeutende und oft unterschätzte Rolle in der Versorgung traumatisierter Menschen.

Die größten Schwierigkeiten bereiten oft Fälle chronisch körperlichen und seelischen Krankseins, die sich mit dem Begriff der komplexen Traumafolgestörung beschreiben lassen. Gerade in Fällen schwer beherrschbarer chronischer Stoffwechsel- und Organerkrankungen (Diabetes mellitus, Asthma bronchiale, Adipositas permagna, Autoimmunerkrankungen u.a.) finden sich oft extreme biografische Belastungen, die nicht selten erst nach vielen Jahren der Zusammenarbeit preisgegeben werden. In den Fällen schwerer und wiederholter traumatischer Belastungen sind Indikationen zur

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fachpsychotherapeutischen Behandlung gegeben. Dann besteht eine wesentliche Aufgabe der hausärztlichen Versorgung in der Motivation zu geeigneter psychotherapeutischer Behandlung. Grundsätzlich gilt, dass eine alleinige medikamentöse Behandlung von Traumafolgestörungen weder sinnvoll noch effektiv ist. Gerade in komplexen Fällen ist eine langfristige Behandlungsdauer wichtig. Oft werden Teilziele erreicht. Nicht selten sind fraktionierte therapeutische Begleitungen hilfreich, um längerfristige Stabilisierung zu erreichen. Wichtige Aufgaben sind das Erkennen und Verstehen der PTBS sowie die Mitwirkung an der psychischen Stabilisierung, dem Erlangen von Sicherheit, Stressreduktion, Selbstwirksamkeitsstärkung und Förderung sozialer Bindung.

Was bedeutet also Stabilisierung? Ich fasse zusammen:

- Hilfe beim Wiedererlangen selbstregulativer Funktionen.

- Lernen von Strategien zur Selbstberuhigung.

- Hilfe bei der Differenzierung und Regulierung von Affekten (Gefühlen).

- Aufbauen und Aktivieren von Selbstfürsorge.

- Wiederfinden einer Lebensperspektive.

- Aktivierung von kreativen Fähigkeiten und Interessen.

- Aufbau psychosozialer Ressourcen.

- Herstellen sicherer Lebensumstände.

- Aufbau und Aktivierung sozialer Kontakte.

- Klärung und Regelung finanzieller und beruflicher Probleme.

Ein traumatherapeutischer Gesamtbehandlungsplan orientiert sich nach Expertenmeinung am 3-Phasenmodell der Traumatherapie:

- Stabilisierung

- Traumabearbeitung

- Psychosoziale Reintegration

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Das in der psychotherapeutischen Arbeit in der Regel wichtige Konzept der Übertragung und Gegenübertragung ist im Umgang mit traumatisierten Menschen weniger wichtig als eine aktive und zugewandte Grundhaltung. Wichtige Bausteine der Traumatherapie sind:

- Vertrauensvolles Arbeitsbündnis und Vertrauensaufbau - Herstellen äußerer und innerer Sicherheit

- Förderung von Autonomie und Selbstkontrolle - Unterstützung eines psychosozialen Helfersystems - Vermeidung von Stressfaktoren

- Ressourcenorientierung

- Erlernen von Selbstberuhigungstechniken

- Traumabearbeitung nur nach ausreichender Stabilisierung - Psychosoziale und berufliche Förderung der Reintegration.

Bei früh einsetzender Behandlung sind die Erfolgsaussichten auch nach Extrembelastungen gut. Das Erlernen von schützenden und selbstfürsorglichen Verhaltensmustern kann bei vielen Patienten schon als Erfolg bewertet werden.

Kontraindikationen für traumabearbeitende Verfahren sind u.a.

mangelnde Affekttoleranz, unkontrolliertes autoaggressives Verhalten, psychotisches Erleben, akute Suizidalität.

Friedrich Neitscher, im November 2021

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