Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion
Von Johannes Fbiedrich, Berlin
Von den geringen modernen Überbleibseln der einst mächtigen ara¬
mäischen Sprache ist der westliche Zweig, der Dialekt von Ma'lüla bei
Damaskus, oft und gut erforscht, dagegen das Neu-Ostaramäische (Neu¬
syrische) im persisch-irakischen Grenzgebiet um den Urmia-See herum
ausgesprochen stiefmütterlich behandelt, wie ein Blick in das ent¬
sprechende Kapitel in Rosenthals Buche ,,Die aramaistische Forschung"
(Leiden 1939) S. 255—269 zeigt. Immerhin hat das ausgehende 19. Jahr¬
hundert in zwei Werken des englischen Missionars A. J. MacLean,
„Grammar of the Dialects of Vernacular Syriac" (Cambridge 1895) und
„A Dictionary of the Dialects of Vernacular Syriac" (Oxford 1901) zwei
hervorragende abschließende Leistungen aufzuweisen. Rosenthal sagt
jedoch S. 257 ganz richtig: „Ungefähr um die Jahrhundertwende, von
ganz vereinzelten Ausnahmen abgesehen, brach die Erforschung der
neuostaramäischen Dialekte ab". Rosenthal spricht dort sogar die
schlimmsten Befürchtungen aus, ob vom Neuostaramäischen überhaupt
noch etwas für die Sprachwissenschaft zu retten sei. Denn im ersten
Weltkrieg haben die nestorianischen Christen die schwersten Ver¬
folgungen durchmachen müssen, und die meisten von ihnen sind damals
überhaupt zur Aufgabe ihrer alten Wohnsitze gezwungen worden'. Von
einer gewissen Auswanderung in die nicht weit entfernten russisch¬
kaukasischen Gebiete wußte man schon für die Zeit vor dem ersten
Weltkrieg. Nach diesem Ereignis hat sich die Auswanderung dorthin
noch verstärkt. M. Cohen gibt in der Nouvelle Edition des Sammel¬
werkes „Les langues du Monde" (Paris 1952) S. 129 die Zahl der Nesto¬
rianer in der Sowjetunion, dort mit dem armenischen Namen Aysor
,, Assyrer" bezeichnet, auf schätzungsweise 50000 an und hebt eine
Kolonie von ihnen in Leningrad besonders hervor. Von Cohen erfährt
man dort auch, daß diese Neusyrer eine neue Schriftsprache in phone¬
tischer Lateinschrift, also unter Aufgabe der bis ins 20. Jahrhundert
verwendeten altsyrischen Schrift, erhalten haben^; die Sprache werde
von den Russen ajsorskij (also auch „assyrisch") genannt. Die oben an-
' Vgl. auch dazu Rosenthal S. 257 mit Literaturangaben in Anm. 1.
2 In welcher Schrift die von Rosenthal S. 257 zitierte „assyrische" Zeit¬
schrift kohba d m^dinha (d. h. „Stern des Ostens") in Tiflis geschrieben ist, ist nicht zu ersehen.
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 51
gedeuteten Befürchtungen für ihre Sprache schienen sich also nicht ganz
erfüllt zu haben.
Weiteres über die Neusyrer oder „Assyrer" in Sowjetrußland ist an¬
scheinend nicht bekannt geworden. Auch über ihre neue Schriftsprache
ist mangels Literaturangaben bei Cohen nichts Genaueres zu entnehmen.
Ob sich etwa sowjetische Forscher mit ihr beschäftigt haben, ist mir
nicht bekannt.
Um so interessanter dürfte es deshalb für den Semitisten sein, zu er¬
fahren, daß mir ein günstiges Geschick während des zweiten Weltkrieges
solche neusyrische Texte in Lateinschrift, wie sie Cohen erwähnt, in die
Hände gegeben hat. Der junge F. Ose, den Hethitologen durch seine
nachgelassene Schrift „Supinum und Infinitiv im Hethitischen" (Leipzig
1944; = Mitteilungen der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft
47, 1) bekannt, der am 30. Dezember 1942 im Kaukasus für sein Vater¬
land fiel, hat mir wenige Wochen vor seinem Tode einige in Rußland
gekaufte Heftchen in Lateinschrift und einer ihm fremden Sprache ge¬
schickt, die ihm durch den russischen Rückentitel-Vernierk m accupuüc-
KOM H3U%e „in assyrischer Sprache" aufgefallen waren. Ich habe diese
Heftchen jahrelang liegen lassen, weil mich andere Aufgaben stärker
beschäftigten und weil ich meinte, daß ähnhche Texte vielleicht einmal
von anderer, für dieses Fachgebiet kompetenterer Seite veröfientlicht
werden würden. Da dies bisher nicht der FaU war und da sich mir in den
letzten Monaten einmal die Muße zur Beschäftigung mit diesen auch in
allgemein sprachlicher Hinsicht interessanten Texten bot, so habe ich
mich doch entschlossen, wenigstens zwei von diesen Texten demnächst
zu veröffentlichen auf die Gefahr hin, mit dieser Erstveröffentlichung
aus einem mir nicht ganz vertrauten Fachgebiet nicht allen Anforde¬
rungen genügt zu haben.
Zur allgemeinen Orientierung zunächst so viel, daß ich durch Oses
Güte fünf neusyrische Heftchen besitze :
1. Hajjarta qdmets go pilxdnd d' di§td (,, Erste Hilfe bei der Feldarbeit"),
Moskau 1933.
2. L. N. Tolstoj, Min har bal (Übersetzung von L. N. Tolstojs NoveUe
„Nach dem'ßalle"), Moskau 1936.
3. A. S. Pu§qin, T9gbirdn9 d stansa (Übersetzung von Puschkins No¬
velle ,,Der Stationsvorsteher" durch Petrosov), Moskau 1936.
4. G. A. Xo^abajev, i^eri u zmdrjdti („Gedichte und Lieder"), Moskau
1937.
5. D. Iljon, Mam-^alu u Qdmbdr (Märchen in Versen; russischer Titel
PuÖan ,,der Fischer"), Moskau 1938.
Einige Hefte neusyrischer Texte hatte Ose auch an das Sprachwissen¬
schafthche Seminar der Universität München geschickt. Ich habe davon
4«
52 Johannes Feiedbich
im Herbst 1945 ein ziemlich dickes Heft mit dem Titel Petrus-sura,
Xdjji go pith („Das Leben in seinen Wendungen"; russischer Titel
]X. HeTpocoB, C5opHUK paccmsoe), Moskau 1934 gesehen. Über den Ver¬
bleib dieser Hefte ist mir nichts Näheres bekannt.
Zur Einarbeitung in die mir aus älteren TextveröfFentlichungen nur
unvollkommen bekannte neusyrische Sprache benutzte ich verständ¬
licherweise die beiden Novellen von Tolstoj und Puschkin, die als Über¬
setzungen aus einer bekannten Sprache ein leichteres Eindringen er¬
möghchen. Puschkins ,, Stationsvorsteher" existiert auch in deutscher
Übersetzung, Tolstojs Geschichte „Nach dem Balle" anscheinend nicht,
aber selbstverständlich wird man sich methodischerweise bei beiden
Novellen an den russischen Urtext halten. Beide Geschichten gedenke
ich im neusyrischen Text und deutscher Übersetzung mit sprachüchem
Kommentar und vollständigem Wörterverzeichnis in nächster Zeit her¬
auszugeben. Eine VeröfFentlichung weiterer Texte muß der Zukunft vor¬
behalten bleiben.
Da aber auch die zunächst vorgesehene Arbeit noch nicht ab¬
geschlossen ist, soll auf den folgenden Seiten eine vorläufige Probe des
zu Erwartenden gegeben werden. Die graphischen und sprachhchen
Tatsachen der neuen Schriftsprache sollen als Sldzze kurz vorgeführt
und durch emige Textproben erläutert werden. Der grammatische StofF
wird der Übersicht halber in Paragraphen eingeteilt.
1. Zur Schrift und Aussprache
§ 1. Die neusyrische Lateinschrift bedeutet eine radikale Abkehr von
der bisherigen Schreibart mit altsyrischen Schriftzeichen, die die
amerikanischen und englischen Missionare aus etymologisch-historischen
Rücksichten begründet hatten und die auf die sprachliche Fortentwick¬
lung oft keine Rücksicht nahm. So wurde das in der Aussprache ge¬
schwundene 'Ajin in der bisherigen Schrift weiter fortgeschleppt, die
beiden in s zusammengefallenen Zischlaute s und § wurden in der Schrift
weiter getrennt geführt usw.
§ 2. Die neue Lateinschrift bricht mit dieser Tradition völhg, sie gibt
die heute gesprochene Sprache im Anschluß an die phonetische Schreib¬
weise einigermaßen lautgetreu wieder und nimmt auf Etymologie und
Sprachgeschichte kerne Rücksicht.
§ 3.a) Das Alphabet der neusyrischen Lateinschrift verwendet folgende
Zeichen :
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 53
a = a (dunkel) n = n
= b 0=0
c = ö (stimmlos) P = P
5 = g (stimmhaft) q = q (emphatisches Qöf, auch
d = d für europäisches nicht as-
e = e (in echt semitischen Wör- piriertes k)
tem meist lang und Kon- r = r
traktionsprodukt) s = s (stimmlos)
8 = ä (auch helles a) § = i
f = f (nur in Fremdwörtern) t = t (semitisches t')
g = g t = t (emphatisches Tgt)
h = h u = u
i = i V = y
j = i X = h (b)
k = k (semitisches k^) z — z (stimmhaftes s)
1=1 E = z (stimmhaftes S)
m = m b = U (im Russischen, türkisch t)
b) Beispiele ererbter aramäischer Wörter in Lateinschreibung (in
Klammer dahinter jeweils die altsyrische Form): ajna ,,Auge" ('aj,nä),
arbasar ,, vierzehn" {'arba'sar), arra ,,Erde" ('ar'ä), betd ,,Haus" {bajta), bi§9 ,,böse" (blSä), bxj ,, weinen" (bkä), divd „Bär" (dlbä), duktd „Ort"
(duktä), dbmmbta ,, Träne" {dem'tä), dhhd ,,Gott" {'alähä), dp-in ,,auch wenn" ('äp 'en), 9rx9 ,,Gast" {'ärhä), dtijqd ,,alt" {'■attlqä), 9X ,,wie"
{'a(i)k), gora „Mann" (gabrä), gxk „lachen" (ghek), hond ,, Verstand"
(haijLnä), hvj „sein, werden" (hi^ä), ijdd ,,Hand" ('tdä), i§td „sechs" ('eStä), jdh „Knabe" (jaldä), jimmd ,, Mutter" ('emmä), kdd „indem" (kad), ktdVd
,, Schriftstück" (ktäbä), kursip „Lehnstuhl" (kursjä), h „nicht" (lä),
libbd „Herz" (lebbä), marra ,, Krankheit" (mar'ä), mdijtd ,, Stadt"
(mdl(n)tä), msnd „Schüssel" (mä(')nä), mdr? „Herr" (märä), mdtd „Dorf"
(mätä „Land"), mbfra „Regen" (meträ), nd§9 „Mensch" ({'ä)näää), par-
supa „Gesicht, Person" (parsöpä), paxra „Körper" (pagrä), pdtd „Ge¬
sicht" (pa{')tä), ptx ,, öffnen" (ptah), pumd ,,Mund" (pummä), qassab ,, Schlächter" (qassäbä), qe^d „Sommer" (qaitä), qah „Stimme" (qälä), qd§d „Priester" (qaSSä), qumtä „Wuchs" (qay,mtä), qbtta „Stück" (qet'ä),
ram§a „Abend" (ramSä), ri§d „Kopf" (riSä), ru§a „Schulter" (rap§ä),
sepd „Degen" (saipä), sdVd „Greis" (sabä), simdltd ,, Treppe" (zu altsyr.
sebbeltä, vgl. u. S. 74), sitvd „Winter" (sati^), slbjva „Kreuz" (slibä), smug9 ,,rot" (smöqä), sbppata ,, Finger" (zu alts, seb'ä), §ama „sieben"
(Sa¥ä), §immd „Name" (Smä), §itd „Jahr" (Sattä < Santä), §mdjjd „Him-
1 Die Texte schreiben b. Aus typographischen Rücksichten habe ich in
meiner Wiedergabe dafür b gesetzt.
54 Johannes Friedrich
mel" (ämaiiä), p-aja „Lampe" (Srägä), tama „dort" [tammän), tarra
„Tür" [tar'ä), ta§bjta „Geschichte" (taS'ita), talgd „Schnee" (talgä), tmunbsar „achtzehn" (tmäna'sar), tre „zwei" (trein), txr „gedenlien"
(dkr), tava „gut" (täbä), {usa „Muster" (tupsä), up „auch" ('öp), urx9
„Weg" ('urhä), xamra „Wein" (hamrä), xela „Kraft" (hailä), xdjji
„Leben" (haiie), xdm§9 „fünf" (hamSä), xjt „nähen" (hat), xora „Ka¬
merad" (habrä), x§v „denken" (hSab), xvara „weiß" (hei}ärä), zoga „Paar"
(zaugä), zuzi „Geld" (züzä), bllaja „hoch" ('eZä^ä).
§ 4. Das neusjTische Lateinalphabet dürfte in engem Zusammenhang
mit der Lateinschrift der räumlich benachbarten Aserbeidschan¬
Türken geschaffen worden sein. Beide Schriften verwenden das rus¬
sische X für h (ch in deutsch ach), das a (Schwa) der modernen Phonetik
für ä, das 6 der russischen Schrift für das i der osmanisch-türkischen
Lateinschrift (u der russischen Schrift) und das aus z graphisch differen¬
zierte z für 2, beide setzen auch c für ö und 9 für g (in der osmanisch-
türkischen Lateinschrift umgekehrt 9 für c und c für gl). Doch wirft auch
die osmanische Lateinschrift ihre Schatten auf das aserbeidschanische
und neusyrische Lateinalphabet bei ? im Werte von S (das osmanische
Zeichen offenbar nach rumänisch $)'.
§ 5. Die Beispiele von Wortschreibungen in § 3b lassen mancherlei
Besonderheiten der neusjTischen Schrift- und Lautlehre erkennen.
Über die Vokalquantitäten ist zu sagen:
a) Zwischen langen, kurzen und überkurzen Vokalen unterscheidet die
Lateinschrift im allgemeinen nicht. Vgl. für a: tana ,,Tür", tava „gut", für 9: nd§9 ,, Mensch", dtijqd „alt", awa ,,ich", für u: urxd „Weg", smuqd
,,rot" usw.
b) Nur langes i wird in offener Silbe gewöhnhch durch -ij- (-bj-) be¬
zeichnet: dtijqd „alt", ktijv-ili „es steht geschrieben", slbjva „Kreuz", plbjta „hervorragend".
§ 6. Die Gesetze, nach denen in manchen Worten dunkles a, in an¬
deren helles a (d. i. ä) für a und ebenso 6 oder i für i geschrieben wird,
smd noch zu erforschen; vgl. einerseits tarra ,,Tür" (< tar'ä), axbl „er
ißt", andererseits kdlbd ,,Hund", kdtiv ,,er schreibt".
Zur Vokalharmonie s. § 14f.
§ 7. Die Diphthonge aj, und ay, vor Konsonant sind in den meisten
Fällen zu e und 0 vereinfacht: qep „Sommer" < qaj,tä, hond ,, Verstand"
< haifnä.
§ 8. 'Ajin ist im Neusyrischen zu 'Alef geworden und bleibt ebenso
wie altes 'Alef in Lateinschrift unbezeichnet: al „auf" < 'al, arba „vier"
< 'arba', 'vd ,, machen" < 'bd, 'vr ,, eintreten" < 'br. Zusammen mit 1 Mit rumänisch} (gesprochen ta) hat neusyrisch ( ( = t) nur die graphische Form gemein.
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 55
altem 'Alef oder 'Ajin kann ein anlautender reduzierter Vokal schwinden:
mir-ri „er sagte" < 'ärnir-leh „gesagt (wurde) von ihm". In dana „Zeit"
< 'iddänä ist sogar Vollvokal mit 'Ajin geschwunden.
§ 9. Ä wird wie h, also wie deutsches ch in ach, gesprochen und nach
russischer Art durch x bezeichnet: xamra „Wein", xamp ,,fünf", drxd
„Gast", ptx ,, öffnen" usw.
§ 10. Die altaramäische intervokalische Spirantisierung von b d
g p t k iat erkennbar :
a) Bei b, das in der Schrift als v erscheint: kdtiv ,,er schreibt" < kätib, 9vid „er macht" < 'äbid, divd ,,Bär" < dihä, x§v „denken" < Mab.
ab > av vor Konsonant wird nach § 7 meist weiter zu o: gora ,,Mann"
< gabrä, tota „Gutes" < tähtä.
b) Bei k, das in der Schrift als x erscheint (also mit x = altem h zu¬
sammenfällt) : dx ,,wie" < 'a(i)A% bxj ,, weinen" < bkä, txr ,, gedenken"
< dkr.
c) Bei d und t an gelegentlichem Schwunde: xd ,,eins" < had, qdm
„vor" < qdäm,jdld „Knabe" < jalda, bar „nach" < bätar.
§ 11. Über die Artikulation der neusjnrischen Tenues geben die auf
S. 73f. behandelten Lehnwörter aus europäischen Sprachen, besonders
aus dem Russischen, eine gewisse Auskunft. Es scheinen da z. T. die¬
selben Verhältnisse zu herrschen wie zwischen den altsemitischen
Sprachen Phönizisch-Punisch und Altaramäisch einerseits und dem
Lateinischen und Griechischen andererseits. Da die alten und neuen
südeuropäischen Tenues ohne Hauch, die altsemitischen aber wie die
norddeutschen und nordgermanischen mit folgendem Hauche als p', t'
und k' gesprochen wurden, so herrschen in den alten Sprachen ziemhch
allgemein folgende Schriftregeln (für das Phönizisch-Punische vgl. Verf.,
Phönizisch-punische Grammatik, Rom 1951, § 37): Semitisches k und t =
europäischem x> und S-, th, europäisches k und t = semitischem q
und t. Nun werden auch die slawischen Tenues gleich den südeuropäi¬
schen unbehaucht gesprochen, und entsprechend setzt das Neusyrische
für russisches k meist, wenn auch nicht durchgängig, das emphatische q
und nur selten k: qonqi ,, Schlittschuhe", polqovniq ,, Oberst", traqtir
„Gastwirt" (neben kalbska „Kalesche", stakan „Glas") und wenigstens
gelegentlich auch / für russisch-europäisches t in pajtun ,, Kutsche
(Phaeton)" und Tolstoj ,, Tolstoj" (neben allerdings häufigerem t in
student ,, Student", traqtir ,, Gastwirt" usw.). Das läßt wohl auf be¬
hauchte Artikulation auch der neusyrischen Tenues schließen.
§ 12. Altes s imd altes s sind lautlich und graphisch in s zusammen¬
gefallen. Altes s in sitvd „Winter", sdVd „Greis", kursijd „Lehnstuhl", altes s in slbjva „Kreuz", sbppata „Finger", parsupa ,, Gesicht", qassab
„Schlächter".
56 JoHANiras Friedrich
§ 13. a) In Präteritalformen analog ptix-li „er öffnete" (< *ptih-leh
„geöffnet (^VIlrde) von ihm", tlbb-lb ,,er wünschte" (< *tlib-leh „ge¬
wünscht (wurde) von ihm") assimiliert sich das l der Präposition l- im an¬
gehängten Pronominalelement an ein vorhergehendes n oder r im Auslaut
des Verbalstammes : mir-n „er sagte" < *'ämir-leh ,, gesagt (wurde) von
ihm" , tuzmin-ni , ,erüberlegte' ' < *tuxmin-leh , ,überlegt (wurde) von ihm" .
b) Ebenso in den pronominalen Objektsformen -Uj (-Ibj) ,,me", -U
(-lb) „eum", -h (-la) ,,eam", -lun „eos" usw. (§ 17 IIb) beim 1. Praesens, 1. Imperfekt und Imperativ (§36): kdtv-in-ni (< -li) „ich schreibe ihn", kdtv-in-nd (< -h) ,,scribo eam", kdtv-in-nun (< -lun) ,,scribo eos" usw.
§ 14. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß die neu¬
syrische Lateinschrift eine Vokalharmonie erkennen läßt, wie sie aus
den Turksprachen, z. B. dem allgemeiner bekannten Osmanisch-Tür¬
kischen und auch dem den Neusyrern benachbarten Aserbeidscha-
nisch-Türkischen dem Sprachforscher vertraut ist. Die Neusyrer
dürften also diese lautliche Eigentümlichkeit, die in der früheren alt¬
syrischen Schreibung des Neusyrischen nicht zum Ausdruck kam, in
Anpassung an die Sprechweise ihrer Nachbarn ausgebildet haben.
Helle Vokale sind a und i, dunkle a und 6, während o und u in der
Mitte zwischen hell und dunkel stehen.
§ 15. Für die Vor- und Nachsilben gelten folgende Regeln der Vokal¬
harmonie :
1. a) Hat die Stammsilbe einen hellen Vokal, so stehen auch in den
Nach- imd Vorsilben helle Vokale: nd§-i ,, Menschen", brdjd-i ,, Hand¬
schuhe", pvib-vd ,,er antwortete", bi-xdj-ind ,,sie leben", bi-x§9v-ivin ,,ich meine", xdd-issdr ,,elf".
b) Hat die Stammsübe einen dunklen Vokal, so stehen auch in den
Nach- und Vorsilben dunkle Vokale: xbjal-b ,, Gedanken", jarbjx-b
„lange" (Plur.), xadr-bw-m ,, ich umkreiste", bb-tlab-bna „sie verlangen", bb-zduj-bvbn „ich fürchte", tman-bsar ,, achtzehn".
2. e, 0 und u werden teüs als helle, teils als dunkle Vokale behandelt:
a) Hell sind sie z. B. in eg-d „damals", qet-d ,, Sommer", sohb-dt ,, Ge¬
spräch", zog-d ,,Paar", urz-i ,, Männer", sod-dUd „heiter", od-dx-vd „wir machten", tuni-U „ev sagte", tunj-d ,, gesagt".
b) dunkel z. B. in det-a ,, Wissen", der-bn „ich kehre zurück", §ul-a
„Geschäft", ruj-bvbn-va ,,ich war trunken".
3. Steht e, o oder u zwischen Stamm und Endung, so wirkt der Stamm¬
vokal über sie hinweg auf den Vokal der Endsübe :
a) hell z. B. in: hdmzum-i „sprechen", hxum-td „die schlanke", bi-vdd-
-o-vdx-vd „wir machten sie", bi-grd§-u-U ,,er zieht ihn", muj-o-vd „er
hatte sie bewegt".
b) dunkel in z. B.: malsom-b ,, Faschingstage", parmuj-u-vbn-va „ich.
verstand üin", vbjr-e-la „sie übertraf sie".
Neus3n:isches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 57 2. Zur Formenlehre
A. Pronomina
§ 16. Personalpronomina
awa „ich" (M. und F.) 9a;waw „wir" (M. und F.)
a< „du" (M. und F.) 9xtun „ihr" (M. und F.); auch
„Sie" (zu einer Person)
av „er", aj „sie" dnij, dnni, aw „sie" (M. und F.)
§ 17. Pronominalsuffixe.
I. Possessivsuffixe am Nomen.
a) Zwischen Singular und Plural des Nomens besteht kein
Unterschied der Form.
1. Sg. dql-ij „mein Fuß, ajn-bj ,, mein Auge,
meine Füße" meine Augen"
2. Sg. M. dql-ux ajn-ux
F. dql-dx ajn-ax
3. Sg. M. 9ql-u ajn-u
F. dql-o ajn-o
1. PI. 9ql-enij ajn-enbj
2. PI. dql-oxun ajn-oxun
3. PI. 9ql-e ajn-e
b) Statt der Suffixpronomina kommen auch die aus dem Relativ¬
pronomen d (alt di) abgeleiteten selbständigen Possessivpronomina
dij-ij ,,mein", dij-ux „dein" (M.), dij-dx „dein" (F.), dij-u ,,sein", dij-o
„ihr", dij-dn ,, unser", dij-oxun „euer", dij-e „ihr" neben dem unver¬
änderten Nomen vor: libb-ij oder libba dijij ,,mein Herz", brdt-ux oder
brdtd dijux ,, deine (M.) Tochter", §upr-o oder §upra dijo „ihre Schönheit".
c) Mit Präpositionen erscheinen diese Suffixe in folgender Gestalt :
1. b- „in, auf, bei, mit":
1. Sg. bij-ij, 3. Sg. M. bij-u, F. bij-o, 3. PI. bij-e.
2. go „in" (< Substantiv gaii ,, Inneres"):
3. Sg. M. gdv-u, F. gdv-o.
3. Ms ,,bei, zu" :
1. Sg. kis-lij „neben mir" (l-kis-lij „bei mir, zu mir"), 3. Sg. M. l-kis-lu ,,zu ihm", F. kis-lo „zu ihr", 3. PI. kis-le ,,zu ilinen" (1. PI. min kis-hn
„von uns weg").
4. min ,,von, aus" :
1. Sg. minn-ij, 3. Sg. M. minn-u, F. minn-o, 1. PI. minn-dn, 3. PI. minn-e.
5. al ,,auf, über" :
1. Sg. all-bj, 3. Sg. M. all-u, F. all-o, 3. PI. all-e.
6. am ,,mit":
1. Sg. amm-bj, 2. Sg. M. amm-ux, 3. Sg. M. amm-u, F. amm-o, 1. PI.
amm-an, 2. PI. amm-oxun, 3. PI. amm-e.
58 Johannes Fbiedbich
7. ,,zu" (auch für unseren Dativ und Aldiusativ) :
1. Sg. qdt-ij, 2. Sg. M. qdt-ux, 3. Sg. M. qdt-u, F. qdt-o, 2. PI. qdt-oxun,
3. PI. qdt-e.
8. l- „zu" (auch für unseren Dativ und Akkusativ) ist nur noch mit
Nomina gleichbedeutend mit qd „zu" belegt. Mit Pronominalsuffixen
kommt es nicht mehr selbständig, sondern nur als Suffix in Verbal¬
formen vor, als Objekt des 1. Praesens, 1. Imperfekts und Imperativs
und als ,, Subjekt" des Praeteritums.
II. Objektsinfixe und -suffixe am Verbum.
a) Infixe (beim 2. Praesens, 2. Imperfekt, Praeteritum, Perfekt und
Plusquamperfekt) :
1. Sg. -in- -bn- 1. PI. -9x- -ax-
3. Sg. M. -u- .%- 3. PI. -e- -e-
F. -o- (-a) -o- (-«-)
b) Suffixe mit l- ,,zu" (als Objekt beim 1. Praesens, 1. Imperfekt und
Imperativ, als „Subjekt" beim Praeteritum):
l.Sg. -lij ■hj l.Pl. -hn -lan
.2. Sg. M. -lux -lux
F. -hx -lax
3. Sg. M. -li -lb 3. PI. -lun -lun
F. -h -la
Belege bei den Verbalformen in §§36. 46.
§ 18. Demonstrativpronomina.
a) ,, dieser": Sg. aÄa (ddhd) M. und F., PI. mij, dnni, dn (ddnij, ddnni,
■ddn).
h) „jener": Sg. av, o (do) M., dj (ddj), e F., PI. dnij, dnni, dn {ddnij, ddnni, ddn).
Die Formen mit anlautendem d enthalten wohl das Relativpronomen
<ursprünghch „was dieser (ist)").
§ 19. Interrogativpronomina.
a) Substantiv: mdnij „wer?", mudij, mud, mu „was?"
b) Adjektiv: mud.ij, mud, mu „welcher?"
§ 20. Relativpronomina.
a) Das gebräuchlichste ist (i (< dl).
b) Gelegentüch auch enij, enij d.
c) Selten sind Relativsätze ohne Pronomen.
§ 21. Statt der Indefinitpronomina stehen wie in den anderen semi¬
tischen Sprachen meist andere Wörter: kul „jeder" auch „irgendein",
X9 „einer" auch ,, irgendein". Das persische hic „irgendein" steht vor
Allem in Verbindung mit Negationen.
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 59 B. Nomina
T. Substantiva
§ 22. Von den drei Status des Altaramäischen sind nur Spuren er¬
halten :
a) Normalerweise steht das Substantiv im (alten) Status emphaticus
(determinatus), der seine alte Funktion als bestimmter Artikel ein¬
gebüßt hat: Ic'dhd ,,Hund" und ,,der Hund", ajna ,,Auge" und „das
Auge".
b) Einige Wörter stehen im Status absolutus: susi ,,(das) Pferd",
qassab ,,(der) Schlächter".
c) Der Status constructus lebt in vereinzelten Genetivverbindungen
fort, die zu Komposita erstarrt sind: bet-q{v)ura (,,Haus des Begräb¬
nisses" >) „Grab", bd§ldn-pivd („Kocher des Bieres" >) „Bierbrauer", brdijdd (< brd(t) ijdd) (,, Tochter der Hand" >) „Handschuh".
§ 23. a) Die alten Genera des Maskulinums und Femininums sind
bewahrt. Für das indogermanische Neutrum tritt nach semitischem
Brauche das Femininum mit ein: spaj-la ,,sie ist gut" und ,,es ist gut".
b) Die übliche Femininendung ist -td (-ta): hmsdjd ,, Deutscher",
Idmsetd „eine Deutsche", gura „groß", gurta „eine große".
Jedoch sind zahlreiche Substantiva ohne besondere Kennzeichnung
Feminina, z. B. jimmd „Mutter", dqld ,,Fuß", dana „Zeit" usw.
§ 24. a) An Numeri existieren nur Singular und Plural. Der einzige
Rest des Duals ist tre ,,zwei" (< trein).
b) I. Der Plural zu Wörtern ohne femininisches -td (-ta) endigt auf
-i (-b) (< -in): bishd ,, Locke" biski, cdkmd ,, Stiefel" cdkmi, lal ,, Granat¬
stein" lalb, gura „groß" gurb.
II. Bisweilen auch auf -dni (-anb) : dukd ,,Ort" dukdni, ru.§a ,, Schulter"
ru§ananb.
c) I. Wörter auf femininisches -td (-ta) bilden den Plural auf -dti (-atb) :
ddrtd ,,Hof" ddrdti, {uprata ,, Fußspitze" tupratb.
II. Bisweilen auf -jdti (-jatb): di§td „Feld" di§jdti, pasulta „Schritt"
pasuljatb.
d) Bisweilen haben Wörter ohne femininisches -td (-ta) einen Plural
auf -dti (-atb) und umgekehrt solche auf -td (-ta) einen Plural auf -i (-b) :
dana ,,Zeit" danatb, umgekehrt dbmmbta ,, Träne" dbmmb.
e) I. Sonstige Unregelmäßigkeiten wie bdxtd „Frau" bdxtdti, brdtd
,, Tochter" bndti, bdbd ,, Vater" bdbdvdti, betd „Haus" bdtvdti, susi „Pferd"
susdVdti usw. können hier nicht alle erwähnt werden.
II. Wörter türkischer Herkunft hängen bisweilen die türkische Plural¬
endung -hr (-lar) und außerdem die neusyrische -i (-6) an: axa ,,Herr"
axa-lar-b.
60 Johannes Fbiedrich
§ 25. a) Der Genetiv wird immer durch das ursprünghche Relativ¬
pronomen d bezeichnet: ktdV9 d urxd „das Buch der Reise", dana d kdrbd
,,Zeit des Zornes", tjanta d mintd ,, Abstattung des Dankes", li§dnd d
Idmsdji ,,die Sprache der Deutschen".
Zu Resten der Status-constructus-Ver bindung s. § 22c.
b) Für unseren Dativ steht teils das bekannte semitische 1-: qurbd l
arbasar §inni ,,nahe den vierzehn Jahren", teils die neue Präposition qd:
h muxzi-Uj qdto humidt ,,ich zeigte ihr nicht Höflichkeit".
c) Sowohl l- wie qd können auch das direkte Objekt, also unseren
Akkusativ, ausdrücken, das sonst aus der Nachstellung im Satze er¬
kennbar ist: levin-vd bbrra§a l paxrbj ,,ich fühlte meinen Körper nicht",
bi-drdj-ili l urxd Ijdld ^ihil „er entläßt zur Reise einen jungen Burschen", xzi-li qdtij „er sah mich", qdtij le ja}tb „er kennt mich nicht".
II. Adjektiva
§ 26. a) Normalerweise wird zu maskulinischen Adjektiven (auf -a, -o)
ein femininischer Singular auf 4d (4a) und ein für Maskulina und
Feminina geltender Plural auf -i (-6) gebildet: smuqd „rot",
F. smiLqld, Plur. M. und F. smuqi, gura ,,groß", F. gurta, Plur. gurb.
b) Adjektiva auf -djd (-aja) bilden den femininischen Singular auf -etd
(-eta): qdmdjd „vorderer", F. qdmetd, almaja „weltlich", F. almeta.
c) Das Adjektiv wird unverändert auch als Adverb verwendet: ki
rdqdinvd sfaj „ich tanzte gut".
§ 27. Adjektiva fremder Herkunft können sowohl das Femininum als
den Plural unbezeichnet lassen: fms xanbm „eine hübsche ((^ins) Dame",
dostb qdlb ,, falsche (qdlb) Freunde", dj nazdar ijvd „sie war reizend", susdVdti hazbr ijvd „die Pferde waren bereit".
C. Verba
§ 28. Weit mehr als das Nomen hat sich das neusyrische Verbum vom
gemeinsemitischen Typus entfernt und sich ein ganz neues Flexions¬
system geschaffen. Die alten Stämme Qal, Pael und Hafel wirken in den
zwei Konjugationen nach, aber von den alten Flexionsformen ist nur
der Imperativ erhalten, Perfekt und Imperfekt dagegen verschwunden
und durch Neubildungen ersetzt.
§ 29. Das Verbum substantivum wird praktisch erweise vor der eigent¬
lichen Konjugation behandelt. Es entwickelt aus it „er ist vorhanden"
ein neues Flexionsschema, it existiert auch noch als selbständiges un¬
flektiertes Verbum it „ev ist vorhanden, sie sind vorhanden" (lit „er
ist nicht da"), Imperfekt it-vd „er war vorhanden" (lit-vd „er war
nicht da").
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 61
§ 30. Durch Verkürzung von it zu i- entsteht ein neuer Stamm des
Ver bums „sein" mit folgender Flexion:
Praesens betont Praesens enklitisch
l.Sg. M. ij-vin F. ij-vdn M. -ivin {-bvbn) F. -ivdn {-bvan)
2.Sg. M. ij-vit F. ij-vdt M. -ivit {-bvbt) F. -ivdt {-bvat)
3. Sg. M. ij-li F. ij-h M. -ili i-blb) F. -ih {-bia)
l.Pl. ij-vdx -{i)vdx (-{b)vax)
2. PI. ij-tun -itun (-btun)
3. PI. ij-nd -ind {-bna)
Praesens negiert
1. Sg. M. levin F. levdn 1. PI. levdx
2. Sg. M. levit F. levdt 2. PI. letun
3. Sg. M. leli F. leh 3. PI. lend
Imperfekt betont Imperfekt enklitisch
1. Sg. M. ij-vin-vd F. ij-vdn-vd M. -ivin-vd {-bvbn-va) F. -ivdn-vd
{-bvan-va)
2. Sg. M. ij-vit-vd F. ij-vdt-vd M. -ivit-vd {-bvbt-va) F. -ivdt-vd
{-bvat-va)
3. Sg. M. tmd F. ij-vd M. und F. -ivd {-bva)
1. PI. ij-vdx-vd -ivdx-vd {-bvax-va)
2. PI. ij-tun-vd -itun-vd {-btun-va)
3. PI. ij-vd -ivd {-bva)
Imperfekt negiert
1. Sg. M. levin-vd F. levdn-vd
3. Sg. M. u. F. le-vd
usw.
Anm. ijvin < *i{t) {hä)'(ie (ö)n(ä) „vorhanden seiend (bin) ich", ijli <
*it-leh ,, vorhanden (ist er) für sich", ijvinva < *l{t) {hä)ue {ä)n{ä) {h)'t4ä
„vorhanden seiend (bin) ich, (so) war es", ijva < *i{t) {h)uä „vorhanden war er" usw.
§ 31. Die Stämme des altsemitischen Verbums wirken in den zwei
neusyrischen Konjugationen nach. Die I. Konjugation entspricht dem
alten Grundstamm (Qal), die II. dem alten Intensivstamm (Pael) und
dem alten Kausativ (Hafel) : prq 1 „zu Ende gehen" (Praeteritum priq-li
,,er ging zu Ende"), prq II ,, beendigen" (Praeteritum puriq-li ,, er be¬
endigte").
§ 32. Das System der zwei altwestsemitischen Tempora ist aufgegeben
und durch ein neues, viel komplizierteres, System nach dem Vorbüd der
benachbarten iranischen Sprachen ersetzt worden. Man unterscheidet
drei Tempusgruppen :
62 Johannes Friedrich
1. Ein 1. Praesens und 1. Imperfekt (mit Futurum und Konditionalis).
2. Ein 2. Praesens und 2. Imperfekt (entsprechend englisch / am {was)
writing).
3. Ein Praeteritum (Aorist), Perfekt und Plusquamperfekt.
4. kommt dazu noch der aus dem Altsemitischen ererbte Imperativ.
§ 33. I. Konjugation
Die Grundlage für Gruppe 1 ist das alte aktivische Partizip des Prae¬
sens qätil ,, tötend", das als eigentliches Partizip wohl nicht mehr ge¬
braucht wird. Die Grundlage für Gruppe 3 ist das alte passivisch -
perfektische Partizip qHil ,, getötet", das auch noch selbständig vorkommt.
Und zwar ivird das Praeteritum aus dem Status absolutus M. qHil F.
qHilä, das Perfekt und Plusquamperfekt aus dem Status emphaticus M.
qHilä F. qHiltä gebildet. Das 2. Partizip hat dabei sowohl den passi¬
vischen Sinn ,, getötet" wie den aktivischen ,, getötet habend". Gruppe 2
mrd aus dem Infinitiv qtälä „das Töten" mit der Präposition b- ge¬
bildet. 1 beruht also auf einem Ausdruck ,,er (ist) tötend", 2 auf „er
ist beim Töten", 3 auf ,,von ihm (wurde) getötet". Die passivische
Ausdrucksweise von 3 ist eine Nachahmung paralleler iranischer
Konstruktionen'). Sie begegnet vereinzelt schon im 5. Jahrhundert
V. Chr. in aramäischen Schriftstücken iranischer Schreiber, häufiger
im Altsyrischen, im babylonischen Talmud und im Mandäischen, und im
neusyrischen Praeteritum ist sie schließlich alleinherrschend geworden.
§ 34. Paradigma des gewöhnhchen starken Verbums
ktv „schreiben", tlb „fordern"
a) 1. Praesens
1. Sg. M. kdtv-in F. kdtv-dn M. }alb-bn F. ^b-an
2. Sg. M. k3tv-it F. kdtv-9t M. talb-bt F. talb-at
3. Sg. M. kdtiv F. kdtva M. talbb F. falba
1. PI. kdtv-dx >talb-az
2. PI. kdtv-itun talb-btun
3. PI. kdtv-ij talb-bj
Anm. katvin < *kät{i)h-(ä)n{ä), kdtvan < *kät{i)bä-{ä)n{ä), katvij <
*käi{i)b-i{n).
b) 1. Imperfekt
1. Sg. M. kdtv-in-vd F. kdtv-dn-vd M. {alb-bn-va F. {alb-an-va
2. Sg. M. kdtv-it-vd F. kdtv-dt-vd M. talb-bt-va F. falb-at-va
3. Sg. M. kdtiv-v9 F. kdtv3-v9 M. talbb-va F. talba-va
1 Vgl. Verf. AfO 18 (1957) S. 124f.
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 6»
1. Pl.
2. PI.
3. PI.
lcdtV-dX-V9 kdtV'itun-vd kdtv-ij-vd
talb-ax-va talb-btun-va talb-bj-va
c) 1. Durch Vorsetzung von bit vor das 1. Praesens entsteht das Fu¬
turum, durch Vor Setzung von bit vor das L Imperfekt der Konditionahs:
bit kdtv-in ,,ich werde schreiben", bit kdtv-in-vd ,,ich würde schreiben", bit talbb ,,er wird fordern", hit tahb-va „er würde fordern".
2. Die Partikel ki vor dem 1. Praesens und 1. Imperfekt ist der Aus¬
druck eines durativen Praesens und Imperfekts: ki kdtv-in ,,ich
schreibe beständig", ki talbb-va ,,er forderte immer meder" usw.
l.Sg. M. bi ktdv-ivin 2.Sg. M. bi ktdv-ivit 3. Sg. M. bi ktdv-ili
l.Pl. bi ktdv-ivdx
2. PI. bi ■ktdv-itun
3. PI. bi -ktdv-ind
d) 2. Praesens
F. bi-ktdv-ivdn M. bb-tlab-bvbn F. bi-ktdv-ivdt M. bb-tlab-bvbt
F. bi-ktdv-ih M. bb-tlab-blb
bb-tlab-bvax bb-tlab-btun bb-tlab-bna
F. bb-tlab-bvan F. bb-tlab-bvat F. 06- tlab-bla
l.Sg.
2.Sg.
3. Sg.
1. Pl.
2. PI.
3. PI.
l.Sg.
M. bi-ktdv-ivin-vd F. bi-ktdv-ivdn-vd M. bi-ktdv-ivit-vd F. bi-ktdv-ivdt-vd M. und F. bi-ktdv-ivd
bi-ktdv-ivdx-vd bi-ktdv-itun-vd bi-ktdv-ivd
e) 2. Imperfekt
M. bb-tlab-bvbn-va F. bb-tlab-bvan-va M. bb-tlab-bvbt-va F. bb-tlab-bvat-va M. und F. bb-tlab-bva
bb-tlab-bvax-va bb-tlab-btun-va bb- tlab-bva 2. Praesens negiert
M. levin (F. levan) bi-ktdVd
2. Imperfekt negiert
M. levin-vd (F. levdn-vd) bi-ktdV9
Nach kdd „indem" und einigen anderen Konjunktionen erscheint das
2. Praesens und 2. Imperfekt in einer verkürzten Form bi-ktdVd,
bb-tlaba ohne die Suffixe der Personen und des Imperfekts. Es heißt also
kad bi-ktdvd je nach dem Kontext „indem ich schreibe (schrieb)", „indem
du schreibst (schriebst)" usw.
1. Sg. ktiv-lij
2. Sg. M. ktiv-lux 3. Sg. M. ktiv-li
f) Praeteritum
tlbb-lbj
F. ktiv-ldx M. tlbb-lux F. fhb-lax
F. ktiv-ld M. tlbb-lb F. {Ibb-la
64 Johannes Friedrich
1. Pl.
2. PI.
3. PI.
Idiv-ldn ktiv-loxun ktiv-lun
flbb-lan ßbb-loxun tlbb'lun g) Perfekt
1. Sg. M. ktijv-ivin 2. Sg. M. ktijv-ivit 3. Sg. M. ktijv-ili
1. PI. ktijv-ivdx
2. PI. ktijv-itun
3. PI. ktijv-ind
F. ktivt-ivdn F. ktivt-ivdt F. ktivt-ih
M. tlbjb-bvbn M. tlbjb-bVbt M. tlbjb-blb
tlbjb-bvax fibjb-btun flbjb-bna
F. §lbbt-bvan F. flbbt-bvat F. tlbbt-bla
l.Sg.
2.Sg.
3. Sg.
1. Pl.
2. PI.
3. PI.
h) Plusquamperfekt
M. ktijv-ivin-vd F. ktivt-ivdn-vd M. thjb-bvbn-va M. ktijv-ivit-Vd F. ktivt-ivdt-vd M. flbjb-bvbt-va
M. ktijv-ivd F. ktivt-ivd M. tlbjb-bva
F. tlbbt-bvan-va F. ßbbt-bvat-va F. tlbbt-bva ktijv-ivdx-vd
ktijv-itun-vd ktijv-iv3 Perfekt negiert
M. iiijra F. Zeraw fciiwia
tlbjb-bvax-va flbjb-btun-va flbjb-bva
Plusquamperfekt negiert
M. levin-vd ktijvd F. levm-vd ktivta
usw.
Nach fod „indem, als, wenn" haben Perfekt und Plusquamperfekt die
unflektiert verkürzte Form ktijvd; es heißt also Ä;ad fciijt» je nach dem
Kontext „wenn (als) ich geschrieben habe (hatte)", „wenn du geschrieben
hast (hattest)" usw.
i) Imperativ
2. Sg. ktuv {Ivb
2. PI. ktuvun tlubun
k) Verbalnomina
1. Infinitiv ktav» tlaha
2. 2. Partizip M. ktijvd F. ifc^ivia M. <foj6a F. tlbbta
§ 35. Das Passivum wird im Neusyrischen abweichend von allen
semitischen Sprachen durch eine umschreibende Zusammensetzung des
2. Partizips mit dem Hilfsverbum ■pj§ „bleiben" gebildet'. Für ,,ich
werde gefordert" sagt man also „ich bleibe gefordert". Diese Passivum¬
schreibung ist offenbar unter dem Einfluß der benachbarten iranischen
Sprachen entstanden ; das Neupersische umschreibt das Passiv mit Sudan
„gehen", und das Kurdische scheint ähnliche Bildungen zu kennen.
^ So wie im Schwedischen bliva (im Dänischen blive) ,, bleiben" und ge¬
legentlich auch im Spanischen quedar „bleiben" zur Umschreibung des
Passivs dient.
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 65
1. Praesens
1. Sg. M. pe§-ivin ktijva (tlbjba) F. pe^-ivan ktivtd (tlbbta)
3. Sg. M. pdi§ ktijvd (tlbjba) F. pe§d ktivtd (tlbbta)
1. PI. pe§-ivdx ktijvi (thjbb)
3. PI. pe§-ij ktijvi (tlbjbb)
Praeteritum
1. Sg. M. pi§-lij ktijvd (tlbjba) F. pi§-lij ktivtd (tlbbta)
usw.
Perfekt
3. Sg. M. pij§-ili ktijvd (tlbjba) F. pi§t-ild ktivtd (tlbbta)
§ 36. Verbum mit Pronominalobjekt
Ein pronominales Objekt wird beim 1. Praesens, 1. Imperfekt und
Imperativ durch suffigiertes l- + Pronominalsuffix, bei den übrigen Tem¬
pora durch ein Pronominalinfix zwischen Stamm und Flexionsendung
bezeichnet (vgl. § 17 II).
1. Praesens
3. Sg. M. kdtiv-lij ,,er schreibt mich" F. kdtvd-lij „sie schreibt mich"
kdtiv-li ,,er schreibt ihn" kdtvd-li ,,sie schreibt ihn"
kdtiv-ld ,,er schreibt sie kdtvd-lun „sie schreibt sie
(F.)" usw. (PI.)"
1. Sg. M. kdtv-in-ni (< -li, § 13b) ,,ich schreibe ihn"
kdtv-in-nd (< -Id) ,,ich schreibe sie (F.)"
kdtv-in-nux (< -lux) ,,ich schreibe dich (M.)"
kdtv-in-nun (< -lun) ,,ich schreibe sie (PI.)"
3. PI. kdtv-ij-li „sie schreiben ihn"
usw.
1. Imperfekt
3. Sg. M. kdtiv-vd-li „er schrieb ihn"
1. Sg. M. kdtv-in-vd-li ,,ich schrieb ihn" usw.
2. Praesens
3. Sg. M. bi-ktdv-u-li ,,er schreibt ihn" (negiert leli bi-ktdv-u)
1. Sg. M. bi-ktdv-o-vin „ich schreibe sie (F.)" (negiert levin bi-ktdv-o)
3. PI. bi-ktdv-e-nd ,,sie schreiben sie (PI.)" (negiert lend bi-ktdv-e)
usw.
2. Imperfekt
1. Sg. M. bi-ktdv-u-vin-vd „ish schrieb ihn" (neg. levin-vd bi-ktdv-u)
usw.
5 ZDMG 10!)/1
66 Johannes Friedrich
Praeteritum
3. Sg. M. ktijv-u-li „er schrieb ihn" F. ktijv-u-h „sie schrieb ihn"
ktijv-in-ni „er schrieb mich" ktijv-in-nd „sie schrieb
mich"
1. Sg. ktijv-e-lij „ich schrieb sie (PI.)"
Eine 3. Sg. F. als Objekt wird hier nur selten durch das Infix -o- aus¬
gedrückt {ktijv-o-li „er schrieb sie"), sondern gewöhnlich subjektisch
durch die absolute Femininform des 2. Partizips: ktijvd-li („sie (wurde)
von ihm geschrieben" >) ,,er schrieb sie".
Perfekt
1. Sg. M. ktijv-e-vin „ich habe sie (PI.) geschrieben" (neg. levin ktijv-e)
§ 37. Lautliche Besonderheiten:
Altes -ab- > -av- wird nach § 7 weiter zu o. Daher heißt zu §vq „lassen"
{<Sbaq; Inf. §v9q9) die 1. Sg. M. des 1. Praesens §oq-in (< Sahq-in).
Entsprechend zu 'vd ,, machen" (< 'bad):
1. Praes. 1. Sg. M. od-in (mit Obj. odin-ni „ich tue es"), 2. Sg. M. od-it,
3. Sg. M. wid F. odd, 3. PI. od-ij; 2. Praes. 1. Sg. F. bi-vad-ivdn, 3. Sg. M.
bi-vdd-ili, 3. PI. mit Obj. bi-vdd-o-nd; Praet. 1. Sg. vid-lij; Imperativ
2. PI. vudun; Inf. vadd; 2. Part. M. vijdd, F. vidtd.
Und zu 'vr „eintreten" (< 'bar):
1. Praes. 1. Sg. M. or-bn, 1. PI. or-ax; 2. Praes. 3. Sg. verkürzt bb-vara;
Praet. 1. Sg. vbr-rbj, 3 Sg. F. vbr-ra (mit Obj. 3. PI. vbjr-e-la).
§ 38. Als Verbum mit schwachem 1. Radikal sei 'mr „sagen" (< 'emar)
angeführt :
2. Praes. 2. PI. bi-mdr-itun
2. Imperfekt 3. Sg. M. bi-mw-ivd, verkürzt bi-mard.
Praeteritum 1. Sg. mir-rij, 3. Sg. M. mir-ri, F. mir-ra, 3. PI. mir-run
§ 39. Verba mit schwachem mittlerem Radikal:
j)j§ „bleiben" (< päS):
1. Praes. 1. Sg. M. pe§-in (< *pajfi-in), 3. Sg. M. p3i§ F. pe§a, 3. PI. pe§-ij 2. Imperfekt 3. Sg. bi-pja§-iva
Praeteritum 1. Sg. pi§-lij, 3. Sg. F. pi§-ld
Perfekt 3. Sg. M. pij§-ili F. pi§t-ila, 3. PI. pij§-ina
Plusquamperfekt verkürzt kad pij§a „indem (er) gebUeben (war)"
djr ,, zurückkehren" :
1. Praesens 1. Sg. M. der-bn, 3. Sg. M. dabr
2. Imperfekt negiert 3. Sg. M. leva bb-djara
Praeteritum 3. Sg. M. dbr-rb, F. dbr-ra
§ 40. Die Verba mit schwachem 3. Radikal werden alle gleichmäßig
so flektiert, als wäre der 3. Radikal j (auch z. B. altes qr' „rufen", Sm'
„hören" usw.):
•
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 67
§tj „trinken" (< Stä):
1. Praes. 1. Sg. M. §dt-in, 3. Sg. M. §9ti, F. §9tjd, 1. PI. §dt-9x, 3. PI. §9t-ij.
2. Praesens verkürzt bi-§tdj9.
Praet. L Sg. ^i-lij (3. Sg. M. mit Obj. §itj-e-li), 3. PI. fti-lun xzj „sehen" (< hzä):
1. Praes. 1. Sg. M. X9z-in (mit Obj. xdzin-nd), 3. Sg. M. X3zi (mit Obj.
Xdzi-li), 1. PI. Xdz-9X, 3. PI. xdz-ij,
2. Praesens verkürzt hi-xzdjd
Praeteritum 3. Sg. M. xzi-li (mit Obj. xizp-li).
Perfekt L PI. mit Obj. xizj-u-vdx
2. Part. M. xizj3, F. xzitd.
qrj „rufen" (< qrä):
1. Praes. L Sg. M. qarb-n, 3. Sg. M. qarb, P. qarja, l. PI. qar-ax, 3. PI.
qar-bj
2. Praes. verkürzt bb-qraja (3. Sg. M. mit Obj. bb-qraj-u-lb)
Praet. 1. Sg. qrb-hj, 3. Sg. F. qrb-la
§mj „hören" (< Sma').
2. Praes. verkürzt bb-§maja (mit Obj. bb-§muj-u)
Praet. 1. Sg. §mb-lbj (mit Obj. §bmja-lbj), 1. PI. §mb-lan
2. Part. M. §bmja, F. §mbta
§ 41. Mit schwachem 1. und 3. Radikal 'tj „kommen" (< 'etä):
1. Praes. 3. Sg. M. dti, F. dtjd, 2. PI. dti-tun 1. Imperfekt 3. Sg. F. dtjd-vd
2. Praes. 3. Sg. M. bi-tdj-ili
Praet. 1. Sg. ti-lij, 3. Sg. M. ti-li, F. ti-h, 1. PI. ti-lm, 3. PI. <i-?«n Imperativ 2. Sg. <a, 2. PI. temun
2. Part. M. tijd, F. iife, PI.
§ 42. Mit schwachem 2. und 3. Radikal:
xjj „leben" « ^a):
1. Praes. 1. Sg. M. xdj-in, 3. Sg. M. xdjji, F. a;ajja, 1. PI. xdj-dx, 3. PI.
a»?-»?
2. Praes. verkürzt bi-xdjd b'j „wünschen, lieben" (< b'ä):
1. Praes. 1. Sg. M. bajj-bn, 3. Sg. M. bajjb, F. bajja
Praet. 1. Sg. ftö-fcj
Perfekt 1. Sg. M. mit Obj. bbj-o-vbn
§ 43. Verba mit stärkeren Besonderheiten:
I) hvj ,,sein, geschehen" (< hy.ä):
1. Praes. 1. Sg. M. hav-in, 2. Sg. M. hdv-it, 3. Sg. M. hdvi, F. hoja (§ 7),
3. PI. hdv-ij
1. Imperfekt 1. Sg. M. hw-in-V9, 3. Sg. M. hdvi-vd, F. hojd-vd, 2. PI.
Äw-i<MW-TO, 3. PI. hdv-ij V9 6'
68 Johannes Friedrich
2. Imperfekt 1. Sg. M. vdj-ivin-vd (ohne bi-!), 3. Sg. F. hi-vdj-ivd
Praeteritum 1. Sg. vi-lij ,,ich wurde, begann", 3. Sg. M. vi-li, F. vi-h, 3. PI. vi-lun
Perfekt 1. Sg. M. vij-ivin, 3. Sg. M. vij-ili, 3. PI. vij-ind
II) 'zl ,, gehen" und slq ,, hinaufgehen" bilden wie im Altaramäischen
manche Formen ohne l. Außerdem ersetzt 'zl das 2. Praesens, das
2. Imperfekt, das Praeteritum, das Perfekt, Plusquamperfekt und den
Imperativ durch Formen v^on dem Stamme rx§ ,, gehen" (ursprünglich
„kriechen"), dessen anlautendes r, wenn vokallos, schwindet. Die For¬
men heißen also :
1. Praes. 1. Sg. M. dz-in, F. az-aw,, 3. Sg. M. dzil, F. aza, 3. PI.
az-ij
1. Imperfekt 1. Sg. M. dz-in-vd, 3. Sg. M. dzil-va
2. Praes. 3. Sg. M. b-rix§-ili, 3. PI. negiert lend b-rixp
2. Imperfekt 1. Sg. M. b-nx§-ivin-v9, 3. Sg. M. b-nx§-ivd
Praeteritum 1. Sg. xi§-lij (< *rxi§-lij, 3. Sg. M. xi§-li {siq-li „er ging hinauf")
Plusquamperfekt 1. Sg. M. xij§-ivin-vd
Imperativ 2. Sg. xu§ (< *rxu§) III) jtv „sich setzen, sitzen" {<_jiteb):
Praet. 1. Sg. tiv-lij „ich setzte mich", 3. Sg. M. tiv-li Perfekt 3. Sg. M. tijv-ili „er sitzt"
Plusquamperf. 3. Sg. M. tijv-iva, F. tivt-iva
Imperativ 2. PI. tujun
IY)jdj ,, wissen" {<jida').
1. Praes. 1. Sg. M. mit Oh], jadd-bn-nb „ich kenne ihn", F. mit Obj.
jadd-an-na ,,ich kenne sie", 2. Sg. M. mit Obj. jadd-bt-lbj ,, kennst du
mich?", 3. Sg. M. jaddb {jattb), 1. PI. mit Oh], jadd-ax-la ,,wir kennen
sie".
1. Imperfekt 1. Sg. M. mit Obj. jadd-bn-va-lb {jatt-bn-va-lb) „ich
kannte ihn", 3. Sg. M. jadd-bva, 2. PI. mit Obj. jadd-btun-va-la „ihr
kanntet sie (F.)", 3. PI jatt-bj-va.
2. Praes. 2. Sg. M. bb-daj-bvbt ,, weißt du?", 3. Sg. verkürzt bb-daja.
Praet. 1. Sg. db-lbj (mit Obj. dbj-e-lbj ,,ich erkannte sie (PI.)"), 3. Sg.
M. db-lb, F. db-la
V) msj „können" (< msä „finden");
1. Praes. 1. Sg. M. mas-bn, 3. Sg. M. masb.
1. Imperfekt 1. Sg. M. mas-bn-va, 3. Sg. F. masja-va.
2. Praes. 1. Sg. M. negiert levin msaja (ohne bb-).
2. Imperfekt 3. Sg. verkürzt kad h msaja ,, indem (ich) nicht konnte"
Praet. 1. Sg. msb-lbj, 3. Sg. M. msb-lb.
Plusquampf. 3. Sg. für PI. mbsj-bva ,,sie hatten gekonnt".
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 69
§ 44. II. Konjugation
Man geht auch in der 2. Konjugation von denselben Grundformen aus
(L aktivisches Part. Praes., 2. Infinitiv, 3. passiv. Part.) wie in der
1. Konjugation (s. § 32). Das aktivische und das passivische Partizip des
alten Pael und Hafel haben ihr anlautendes m- in der neusjTischen
Schriftsprache gewöhnhch verloren. Die Flexion ist im L Praesens und
1. Imperfekt der der 1. Konjugation parallel. Da aber Infinitiv und 2. Part,
in der 2. Konjugation anders vokalisiert werden als in der I . Konjugation,
so haben die restlichen Tempora hier ebenfalls andere Lautgestalt.
Ferner ist zu beachten, daß in den Formen des 2. Praesens und 2. Imper¬
fekts das bi- vor den Infinitivformen fehlt.
§ 45. Paradigma des gewöhnlichen starken Verbums
g§q „blicken", pit „herausziehen"
a) Praesens
1. Sg. M. gd§q-in F. g9§q-dn M. palt-bn F. palt-an
2. Sg. M. g9§q-it F. g9§q-9t M. palt-bt F. palt-at
3. Sg. M. g3§iq F. gd§qd M. palbt F. palta
1. Sg. gd§q-dz palt-ax
2. PI. gd§q-itun palt-btun
3. PI. g9?q-ij pal{-bj
b) 1. Imperfekt
1. Sg. M. gd§q-in-v9 usw. M. palt-bn-va usw.
c) 2. Praesens
1. Sg. M. gd§uq-ivin F. gd,fuq-ivdn M. palut-bvbn F. palut-bvan
2. Sg. M. gd§uq-ivit F. gd§uq-iv3t M. palut-bvbt F. palut-bvat
3. Sg. M. gd§uq-ili F. gd^vq-ih M. palut-blb F. palut-bla
1. PI. gd§uq-iv9x palut-bvax
2. PI. gd-fuq-itun palut-btun
3. PI. g9§uq-in9 palut-bna
negiert I. Sg. M. levin (F. levm) g9§uqi (palufb) usw.
d) 2. Imperfekt
1. Sg. M. gd§uq-ivin-vd F. gd§vq-ivdn-vd M. palut-bvbn-va F. palu}-
usw. bvan-va usw.
negiert levin-vd g9§uqi (palutb) usw.
verkürzt kdd gd§uqi „indem ich blicke (blickte)", „indem du blickst
(blicktest)" usw.
70 Johannes Fbiedeich
l.Sg. gti§iq-lij
2. Sg. M. gu§iq-lux
3. Sg. M. gu§iq-li
1. PI. gu§iq-hn
2. PI. gu§iq-loxun
3. PI. gu§iq-lun
l.Sg. M. gu§{i)q-ivin
2. Sg. M. gu§{i)q-ivit 3. Sg. M. gu§{i)q-ili
e) Praeteritum
F. gui^iq-hx F. gu§iq-h
f ) Perfekt gu§iqt-ivdn gu§iqt-ivdt gu§iqt-ild
pulbt-lbj
M. pulbt-lux F. pvibt-lax
M. pulbt-lb F. pulbt-la
pulbt-lan pulbt-loxun pulbt-lun
M. pulb{-bvbn M. pidbt-bVbt M. pulbt-blb
F. pulbtt-bvan F. pulbtt-bvat F. pulbtt-bla usw.
l.Sg.
usw.
negiert
M.. hvin gti§q3 (F.hvangu^iqtd) M.hvinpulta (F.hvdnpulbtta)
usw.
g) Plusquamperfekt
1. Sg. M. gti§(i)q-ivin-v3 M. pul{b)f-bvbn-va
usw. usw.
negiert
1. Sg. M. hvin-vd gu§q3 (F. hvdn-v3 gu§iqta) usw.
2. Sg. grajig
2. PI. g9§qun
h) Imperativ
palbt pal{un
i) Verbalnomina
1) Infinitiv g'9§uqi palutb
2) 2. Partizip M. gfit^ga F. gu§iqt9 M. pw/Ja
§ 46. Einige Formen mit Pronominalobjekt:
F. pulbtta
a) 1. Praesens
1. Sg. M. mit Obj. 3. PI. §dlx-in-nun (< -iww) „ich ziehe sie (PI.) aus".
3. Sg. M. mit Obj. 3. Sg. F. IM-h „er brmgt sie (F.)".
2. PI. mit Obj. 3. Sg. M. mdn,§-itun-li „ihr vergeßt ihn".
3. PI. mit Obj. 3. Sg. M. hadrbj-lb „sie bereiten ihn".
b) 2. Praesens
1. Sg. M. mit Obj. 3. PI. zdvug-e-vin „ich verbinde sie".
3. Sg. M. mit Obj. 3. Sg. F. qabul-o-li „er empfängt sie", mit Obj. 3. PI.
palut-e-lb „er holt sie (PI.) heraus".
3. PI. mit Obj. 3. PI. mdlup-e-na „sie unterrichten sie (PI.)".
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 71
c) Praeteritum
2. Sg. M. mit Obj. L Sg. M. muwpil-in-nux {< -lux) „du hast mich
fallen lassen".
3. Sg. M. mit Obj. 1. Sg. M. lubl-in-ni „er brachte mich", mit Obj. 3. PL
jmrq-e-li ,,er beendigte sie", pult-e-lb ,,er zog sie heraus".
3. Sg. F. mit Obj. 1. PI. qurhinn-dx-h ,,sie näherte uns".
d) Perfekt
1. Sg. M. mit Obj. 3. Sg. M. tulbz-o-vbn „ich habe sie (F.) verwöhnt".
3. PI. mit Obj. 3. Sg. M. {umr-u-na „sie haben ihn begraben".
e) Imperativ 2. Sg. mit Obj. 3. Sg. M. hbil-li „bringe ihn".
2. PI. mit Obj. 3. Sg. F. maskinun-h ,, verschlechtert sie (F.)!".
§ 47. Paradigma eines vierradikaligen Ver bums: hmzm ,, reden, spre¬
chen", und eines Verbums mit schwachem 3. Radikal: Inj „sagen, er¬
zählen" (< Pael tanne):
a) 1. Praesens
1. Sg. M. hdmzimm-in F. hdmzimm-dn M. tdn-in F. tdn-dn
2. Sg. M. hdmzimm-it F. hdmzimm-dt M. tm-it F. t9n-9t
3. Sg. M. h-amzim F. hdmzimmd M. tdni F. fary'a
1. PI. hdmzimm-dx tdu-dx
2. PI. hdmzimm-itun tdn-itun
3. PI. hdmzimm-ij tdn-ij
b) 1. Imperfekt
1. Sg. M. hdmzimm-in-vd usw. tdn-in-vd usw.
c) 2. Praesens
1. Sg. M. hdmzum-ivin F. hdmzum-ivdn M. tduuj-ivin F. tdnuj-ivdn
2. Sg. M. hdmzum-ivit F. hdmzum-ivdt M. tdnuj-ivit F. tmuj-imt
3. Sg. M. hdmzum-ili F. hdmzum-ih M. tdnuj-ili F. tanuj-ih
1. PI. hsmzum-ivdx tanuj-ivdx
2. PI. hdmzum-itun tdnuj-itun
3. PI. hdmzum-ina tmuj-ind
negiert
1. Sg. M. levin (F. levdn) hdmzumi 1. Sg. M. levin (F. levdn) tdnuji
d) 2. Imperfekt
1. Sg. M. hamzum-ivin-vd usw. tanuj-ivin-va usw.
72 Johannes Fbiedeich
l.Sg.
Sg.
Sg.
PI.
PI.
PI.
Sg.
Sg.
humzim-lij M. humzim-lux M. humzim-li
humzim-hn humzim-loxun humzim-lun
M. humzim-ivin M. humzim-ili
e) Praeteritum
F. humzim-ldx F. humzim-h
f) Perfekt F. hmnzimt-ivdn F. humzimt-ih
tuni-lij M. tuni-lux M. tuni-U
tuni-hn tuni-loxun tuni-lun
M. tunj-ivin M. tunj-ili
F. tuni-hx F. tuni-h
F. tunit-imn F. tunit-ih negiert
1. Sg. M. Zefiji humzimmd (F. Zevaw humzimtd) usw.
Verkürzt fcad humzimmd „wenn ich gesprochen habe (hatte)", „wenn du
gesprochen hast (hattest)" usw., iiaci ZMwja ,,wenn ich gesagt habe (hatte)"
usw.
g) Plusquamperfekt
1. Sg. M. humzim-ivin-vd usw. tunj-ivin-vd usw.
h) Imperativ
2. Sg. hdmzim tdni
2. PI. hdmzimun tdnimun
i) Verbalnomina
1. Infinitiv hdmzumi tdnuji
2. 2. Partizip M. humzimmd F. humzimtd M. F. iztwiia
§ 48. Unregelmäßige Flexion:
I. wi'j „bringen" (< m'i!j, Kausativ zu Hj ,, kommen"):
1. Praesens 1. Sg. M. mit Obj. maj-in-nd „ich bringe sie (F.)".
1. Imperfekt 3. Sg. verkürzt kdd mdvd.
Praet. 3. Sg. F. mit Obj. muj-d-h ,,sie brachte sie (F.)", 3. PI. muj-ilun (mit Obj. muj-in-nun „sie brachten mich").
Plusquampf. 3. Sg. F. mit Obj. muj-o-vd ,,sie hatte sie (F.) gebracht".
Imperativ 2. PI. memun.
II. i«'(0 „geben" (< i'hab (+ l-)).
1. Praes. 1. Sg. M. mit Ohj. jdv-in-nd „ich gebe sie (F.)", 3. Sg. M. jdvil.
1. Imperfekt 3. Sg. M. mit Oh], jdvil-vd-hn „er gab uns".
2. Praes. 1. Sg. M. hi-jdv-ivin.
2. Imperfekt 3. Sg. verkürzt kdd h-jdVd „indem ich gab (er gab)" usw.
Praet. 1. Sg. jivil-lij, 3. Sg. M. juvil-li (mit Obj. juv-d-li „er gab sie"), 3. Sg. F.juvil-ld (mit Oh].juv-d-ld „sie gab sie (F.)".
Imperativ 2. Sg. hdl, 2. PI. mit Obj. hdl-lun-ld „gebt sie (F.)".
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 7»
3. Zum Lexikon
Das neusyrische Lexikon spiegelt deutlich die vielen fremden Ein¬
flüsse wider, denen das kleine Volk der Nestorianer im Wechsel seiner
Geschichte ausgesetzt gewesen ist. Zahlreiche Wörter aus der Sprache
der benachbarten Türken, namentlich der Aserbeidschaner, aus den
iraiüschen Sprachen Kurdisch und Neupersisch und aus dem Arabischen
(die letzteren wohl meist auf dem Wege über Türkisch oder Iranisch)
sind in der Sprache heimisch geworden. Selbst alltägliche Wörter sind
entlehnt, spaj ,,gut" ist kurdisch, rastb „rechts" persisch, otax ,, Zimmer"
und ojma ,, Kleid" türkisch, das neupersische be ,,ohne" wird zu einer
Vorsübe auch vor aramäischen Wörtern wie be-hond ,, unverständig",
be-libdj-uta „Mutlosigkeit" (aram. hond ,, Verstand", libbd ,,Herz").
Fremdes Sprachgut ist selbst unter den Präpositionen und Konjunk¬
tionen zu finden, vgl. kurd. but „wegen", ind ,,aber", jdn ,,oder", per¬
sisch hic ,, irgendein", arabisch hdlbdttd ,, sicher", janb ,,das heißt, näm¬
lich".
Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang das Wort hmsdjd
,, deutsch". Es entstammt dem türkischen Nem^e (Nemse) ,, Deutschland,
Österreich"! und zeigt den Wechsel zwischen n und l, wie er in ver¬
schiedenen alten und neuen Sprachen Vorderasiens belegt und vom Verf.
in AfO 11 (1936) S. 77f. kurz gestreift worden ist. Speziell hier hat
wohl noch das benachbarte m dissimUierend gewirkt, wie es für das
Akkadische Landsberger, Fauna S. 118 und 131 beobachtet hat.
Zu diesen längst bekannten fremden Einflüssen tritt nun seit der An¬
siedlung der Nestorianer in der Sowjetunion der schon vorher leicht
spürbare russische und damit der allgemein europäische, der hier noch
etwas besprochen werden soll. Da sind speziell russische Wörter zu er¬
wähnen wie cijnd ,,Rang" (huh), knjez „Fürst" (Kmsb), kalbska „Kale¬
sche" (KOMCKa), gostinisa „Gasthaus" (socmuHUifa), manat „Rubel"
{MOHema ,, Münze", auch in georgisch manetH ,, Rubel"), pivd ,,Bier"
(nueo), pome§iq ,, Gutsbesitzer" (noMev^un), polq ,, Regiment" (noAK),
polqovniq „Oberst" (noAKoemiK), qabaq „Kneipe" (%a6aK), qonqi ,, Schlitt¬
schuhe" (KOHbKU, wörtlich ,, Pferdchen"), samavar „Samovar" (caMoeap), stakan „Glas" (cmanaH), §inel „Mantel" [muHejib), §ldpd ,,Hut" (lUÄma).
Mit den russischen sind auch einige allgemein europäische Wörter auf¬
genommen worden wie bal „Ball" (Tanz) (6aA), briliant „BrUlant"
(6puAbmm), general „General" (seuepaji), moda „Mode" (Moda), muziqa
,, Musik" (MyauKa), ofiser „Offizier" {o0uv^ep), qarta ,, Karte" (xapma),
qdbinet ,, Kabinett" (KaÖuuem), student „Student" {cmydemi), §al „Schal
' Älteres Wort für die Deutschsprechenden, aus slawisch NSmec. Heute
gebrauchen die Türken für die Deutschen das französische Alrrtan.
74 Johannes Friedrich
(Shawl)" (majib), manche in speziell russischer Lautgestalt wie gusar
„Husar" [sy cap), traqtir „Speise wirt, Traiteur" (mpa%mup) oder die aus dem Deutschen stammenden /eWjegrer ,, Feldjäger" {^CAbÖMiepb) , orden ,, Orden"
[Ofden), rotmistir ,, Rittmeister" (pomMUcmp), unterofiser ,, Unteroffizier"
{yHmep-0(ßui{ep) und das im 18. Jahrhundert ins Russische übernommene
pariqmaxer „Friseur" (ursprünglich ,, Perückenmacher") (napuKMaxep).
Auch pajtun ,, Kutsche" ist hier zu erwähnen, das ein europäisches
phaeton wiedergibt', wohl ebenfalls über die russische Zwischenstufe.
Trotz dieser vielen fremden Eindringlinge enthält aber der neu¬
syrische Wortschatz noch recht viel altaramäisches Sprachgut. Das er¬
gibt sich aus den Beispielen o. S. 53 f. und aus den unten mitgeteilten
Textproben und braucht hier nicht nochmals ausführlich belegt zu
werden. Nur ein paar Einzelheiten seien erwähnt: Nicht nur kursijd
„Lehnstuhl" erscheint in speziell aramäischer Lautgestalt, sondern auch
die Wörter sitvd „Winter" und qetd „Sommer" stimmen noch genau zu
stw' ,, Winter" und kjs' ,, Sommer" in der alten Bauinschrift des Bar-
Rak(k)ib^ von Sencirli (etwa 700 v. Chr.), und das alte, auch etymolo¬
gisch umstrittene, märe ,,Herr" lebt in einer ganzen Reihe noch zu er¬
örternder Verbindungen weiter. In het-q(v)ura ,,Grab" und bd§hn-pivd
„Bierbrauer" liegen noch gute altsemitische Status-constructus-Ver¬
bindungen „Haus des Begräbnisses" und ,, Kocher des Bieres" vor.
■mdnqdjd ,, unumgänglich", ijtd ,,und dann", parsupa ,, Gesicht", qdijld
„Schlüssel" (altsyr. qlidä) und zog? „Paar" sind altsyrische Lehnwörter
aus griech. avayxaiO!;, slxoL, TrpoacoTTOv, xXei? und ^eSyo?. Ja, sogar alt-
akkadisches Sprachgut hat sich über seine Entlehnung ins Altsyrische
bis in die moderne Sprache gerettet in simdltd „Treppe" (akk. sim-
miltu), zuzi „Geld" (akk. züzu „Halbsekel") und mafo „Kirchdorf" (akk.
mätu „Land" > altsyr. mätä ,,Land, Stadt").
Die neue Sprache weiß auch noch mit dem alten Sprachgut schöpfe¬
risch glücklich umzugehen. Nur wenige Beispiele: Für das „Grübchen"
(auf der Wange) sagt man gdxukdUd „Lacher", für ,, Kragen" barqddld,
wörtlich „Sohn des Halses", und für „Handschuh" brdijdd, wörtlich
brd{t)-ijdd „Tochter der Hand", für den „Sträfling" axlana d tdnbd
„Esser der Strafe". Und mit mdrd „Herr" bildet man eine ganze Reihe
neuer Genetivverbindungen wie man gndhd („Herr der Schuld" >)
„Schuldner", man cijni (,,Herr von Rang" >) ,, Beamter" und das an¬
schauliche mdri d Idxmd-milxd, wörtlich ,,Herr von Brot (und) Salz", im
1 Franz. phaeton, englisch phaeton, deutsch Phaet(h)on, italienisch und
spanisch faeton, russisch ^aamoH. Der Name Phaethon des Sohnes des Helios,
der mit dem Sonnenwagen seines Vaters verunglückte, ist zur Bezeichnung
eines leichten Zweispänners (und auch eines leichten Autos) geworden.
2 Zur Vokalisation s. Verf. Orientalia NS 26 (1957) S. 346f.
Nexisyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 75
Sinne von „gastfreundlich", mdri wird geradezu zu einer Art Präposition
im Sinne unseres „mit", man sagt parsupa mdri gdxukdni ,,ein Gesicht
mit Grübchen", zala mdri balqun ,,ein Saal mit Balkon", §ildpd mdri tia
qbrnbjatb „ein Hut mit drei Ecken (Hörnern)", oder wir übersetzen die
Verbindung mit man durch ein Adjektiv wie mari bqbal ,, glücklich",
mdri manaja ,, bedeutungsvoll" und mari kep ,, betrunken" (bqbal ,, Glück",
manaja ,, Bedeutung", kep ,, Befinden, Wohlbefinden; Vergnügen;
Kneiperei").
4. Textproben mit Erläuterungen
a) Aus L. N. Tolstoj, Nach dem Balle
B-e dana dUd ijvinvd student d universitet mahaleta. Levin bbdaja dhd
spajla jdn qolajla, ind egd go universitet dijdn litvd hic xudrb, hic teoriji,
ki xdjdxvd, dx d ijld go adat djdli ^ihil, ki qaraxva u oddxvd kep. dnd ijvinvd
Xd jdld raba sodand u Xdjd, hala up dovhtmdnd. dnd itvdlij xd susi jorxa bdd,
ki marxbtaxva allu al rumta am bndti {egd hala qonqi levd go moda), am
xoravathj kep ki oddxvd {egd dxndn §vuq min §ampansqij hic mindij le
fdtdxvd; in zuzi lit, hic mindij le §dtdxvd; mdx ddijd le §dtdxvd arag). Min
kvlle zodd ki mdxibinvd ram§anb u bah. Ki raqdinvd spaj u djbdqdr zi levinvd.
„Spaj, Id mdskinunld gdnoxun", qbtjala hdmzdmtu xd min oddni d
sohbdt, „Id dxndn xizjuvdx o §ikloxun dtijqd ? Ld dxcij letunvd djbd^dr, ind
9xtun qbtta d §uprbtunva" .
,,Qbt{a d §upra xu§ hojd qbtta d §upra, ind §ula leli go ddhd. ^ula ijli go
ddj, qdd b dana d dhd bjutbj bu§ xehntd kislo, dnd bjumd qdmdjd d malsomb
xij§invinvd al bal kis vdkkil d dvorjanb, xd sdvikkd mdkijxd, dovhtmdnd,
mdri d hxmd-milxd. Qdbulivd drxi bdxtu, up dj hdr dx goro mdkixtd, alio
ojma d mdxmdr, bri§o ta^bjta xurditd b §i§iltd d briliant u ru§anano am
sadro punpixxi, xvarb, sdvi, dx ddn §ikli d Jelizdvetd Petrovna. Bal ijvd
mag^bbana: zeda cim §dpirtd mdri balqun, muzbqantb §imme phjta, d xd
pome§iq, xaram§a ri§etd u jama d §ampansqij. Ld gd§dqtd Iddj, d dnd xo§ij
ki dtjdVd min §ampansqij, h §tilij, sdbdb d h xamra rujbvbnva min mdxdbtd,
ind riqdd birqddinvd svatbj ; rqidlij up qddril up valsb up mazurqa, hdlbdttd,
kmd d ijvd mumkin, kulle dnni am Varenqa. 9j lvi§tivd ojma xvarta mdri
tdsmd d rang vdrdi u brdijdi xvarb jarbjxb xdccd pe§d bbmtajbva l qur-
suljato bagbjrb Xdrupi, u soh xvarb d qandara. Mazurqa minno rqidli
inziner Anisimov. dnd hdl ddijd dhd levin msaja paxhnna biju, av cijddli
dj b dana d varto, dnd zi xij§ivinvd Ikis pariqmaxer bar brdijdi, ijtd urqillij.
Hddxd vild, qdd mazurqa dnd h rqijddlij am ddj, ind am xd hmsetd, enij d
qdmetd awa xdCCd ki xadrbnva ammo. Ind bbzdajbvbn, d dnd o ram§a h mu-
xzilij qdto hurmdt, levinvd hdmzumi ammo, levinvd gd§uqi alio, dxcij bixzd-
jivinvd Cd§nij ramta hxumtd go ojma xvarta mdri tdsmd d rang d vdrdi,
parsupa mdri gdxukdni smijqd Zofawa u ajno §b{ranb, xbljb.
76 Johannes Fbiedrich
„Zu dieser Zeit^ war ich^ Student einer provinziellen* Universität. Ich
weiß nicht*, (ob) das gut^ ist oder schlecht* ist, aber' damals* gab es* an
unserer!" Universität keine Verbindungen", keine Theorien, wir lebten'^,
wie'* es in der Gewohnheit'* junger'^ Burschen'^ ist", wir studierten'^
und machten'* Kneiperei^. Ich war ein^' sehr^^ heiterer^* und lebendiger
Bursche, dazu^* auch^^ reich^*. Ich besaß" em flottes^* Paßgängerpferd^»,
wir ritten*" auf ihm auf der Höhe mit den Mädchen*^ (damals waren
Schlittschiihe*^ noch nicht in der Mode), mit meinen Kameraden**
machten wir Kneiperei (damals tranken wir nichts** außer*^ Cham¬
pagner; wenn kein G!eld*^ da (war), tranken wir nichts; Schnaps*' wie*^
jetzt** tranken wir nicht). Mehr*" als alles liebte*' ich die Abende*^ und
Bälle. Ich tanzte** giat und war nicht häßlich**".
,,Gut, verschlechtern*^ Sie Ihre Person*^ nicht", unterbrach*' eine von
den Teilnehmern** des Gespräches** seüie Rede^", „haben wir nicht jenes
Ihr altes^' BUd'^^ gesehen^* ? Sie waren nicht nur^* nicht häßlich, sondern
Sie waren ein Stückes Schönheit^«".
,,Ein Stück Schönheit mag^' ein Stück Schönheit sem, aber die Sachets
besteht nicht darin. Die Sache besteht darin, daß zur Zeit dieser meiner
stärksten^* Liebe*" zu ihr^' ich am ersten*^ Tage des Faschings** auf
einen Ball beim Präsidenten** des Gouvernements*^ gegangen war**,
einem freundlichen*', reichen, gastfreien** Alten**. Die Gäste'" empfing'^
seine Frau'^, auch sie ganz'* wie ihr Mann'* freundlich , in eineni Kleide'^
von Samt'*, auf ihrem Kopfe ein Diadem", umgeben'* von einem Bril¬
lantreifen'*, und ihre Schultern*" samt ihrer Brust*' geschwellt*^,
weiß**, alt**, wie jene Bilder der Elisabeth Petrovna. Der Ball war be¬
wundernswert*^: ein sehr schöner** Saal mit*' Balkon, Musikanten von
hervorragendem** Namen**, von einem Grundbesitzer*", erstklassiges'^
Abendessen*^ und ein Meer von Champagner. Ungeachtet dessen**, daß
mein Sinn** nach Champagner stand*^, trank ich nicht, weil** ich ohne
Wem*' trunken war** von Liebe, aber (am) Tanz** tanzte'"" ich mich
satt'"', ich tanzte sowohl Quadrille wie die Walzer und Masurka, selbst-
verständhchi"2, soweit'"* es möglich'"* war, diese alle mit Varenka. Sie trugi"5 ein weißes Kleid mit emem Gürtel'"* von Rosenfarbe'"', und die weißen, langen'"* Handschuhe'"* reichten"" fast'" bis zu ihren mageren"^, spitzen"* Ellenbogen"*, und weiße Atlasschuhe"^. Die Masurka tanzte
mit ihr der Ingenieur Anisimov. Ich kann"* ihm das bis"' jetzt nicht
verzeihen"*, er forderte"* sie (gleich) zur Zeit ihres Eintritts'^" auf, ich
war auch zum Friseur'^i nach'22 Handschuhen gegangen und'^* ver¬
spätete mich'ä*. So'äs geschah '2* es, daß ich die Masurka nicht mit ihr,
sondern mit emer Deutschen tanzte, um die ich mich zuerst'^' em wenig
herumgemacht'^* hatte. Aber ich fürchte'", daß ich ihr an dem Abende
keine Hofhchkeifi*" erwies'*', nicht mit ihr sprach'*^, nicht auf sie
Neusyrisches in Lateinschrift aus der Sowjetunion 77
blickte'**. Ich sah nur die hohe, schlanke'** Gestalt'*^ in dem weißen
Kleide mit dem rosenfarbenen Gürtel, das rote^**, strahlende'*' Gesicht'**
mit Grübchen'** imd ihre schönen'*", lieben'*' Augen".
b) Aus A. S. Puschkin, Der Stationsvorsteher
Juma ximmanivd. fia versb ld mtaja al stansa ... §urbla tantusi, u bar
X9 daqijqa mbtra qdzqizantd mutrijinnd hdl §hlij xaraja. Hdr go mtetbj go
stansa, xdmmij qdmetd ijvd, d ^dldi ^ullij §dxlipinnun, trajaneta talbbnnbj
caj. „Ej, Dunja", muqvixli tdgbirdud, „samavar mdttijh, up zi xu§ bar
qru^td". B ddnni himizmdni min bar pdrdd plbtla bratd qurbd l arbasar §inni
u rxbtla l kuxtd. Supra dijo qdtij mu^gbblb. „dhd brdtd dijux ijld ?", bu-
qbrrbj dnd min pdkrdud. ,,Brdtijld" , ^uvibli av b ranga razbj d rdeta gdUd,
„ijtd uxcd hondntild, uxcd zirdg ijld ". Ldxxd av §urblb go ktdvu
biktdvu ktdVd d urxij, ind dnd bliglij b pokdrtd d §ikli, d sdqulovd kuluxtu
§litd tuqniqtd. dnij maddujbva ta§bjta d brund asuta. Go §ikld qdmdjd xd
SdVd tava, bri§u kusijtd glultd u xdlldt d leli, bidrdjili l urxd Ijdld ^ihil, enij d
b mdljdztd qdbuloli baraxta u torba d zuzi. Go do zind bru§mb sbpjb pij§ind
muxziji duharb §lijxi d jdld qihil : av tijvili bar miz, xurdijd b dostb qdlb u
bdxtdti benxiptd. L-o gibd xind dhd i^vdnqd, kdd pij§d ruto, allu sudra, bri§u
§ldpd mdri tia qbrnbjatb, marrujblb xzuri u §drrukili b xordge; go parsupu
pij§ind muxziji xd§§d u pa§amta dmuqi. B xarta d xareta pi^tild muxzitd
djartu Ikis bdbu: bdbd brbjxa hdr go ddhd kusijtd glultd u xdlldt rxbjta-
plbjtblb l qdmu; brund asuta kiljili al birkdku, xdCCd rixqd minne qassab
bbqtalblb §drxd trbjsa, u dxund gura baqurblb min rigdvdti but hd^Qdt d dhd
xddutd. Xut kul §ikld dUd qrblbj §eri Idxumi b li§dnd hmsdji. Kulle dnni
hdl ddijd pij§ind l bdlij, hdr hddd zi dn gddu§jdti am bdlzdmin, up qaravat
mdri pdrdd Ibqtana, up mindijdni xini, d qdtij b dj dana xurdijivd. Bixzd-
jivin hdr dx ddijd gdnu mdrd d betd b sind rf xdm§ij §inni, xd nd§d soddUd u
go xelu, up guddu gintd jarbxta mdri tia medalb tilji b babtb range xvbjra.
Hdqd d pajtuncij dtijqd ld jdvu, Dunja dbrra-tild am samavar. dhd brdtd
surtd b gd§dqtd rf tre dbla but kar, d vidtovd allbj. dj mutrbxxela ajno gdrusi
mijli, dnd §urblbj ammo hdmzumi, dj Qdvvubivd did hic zdeta, dx brdtd d
hojd xzitd nd§i. dnd qd bdbo muqrbvlbj xd stakan pun§. Qdm Dunja muttilij
Xd stakan caj u dxndn tulluntan §urblan bivddd sohbdt, dx tdnit dostb d immd
§innivdx.
,,Der Tag war warm'. Drei^ Werst vor der Ankunft* auf der Station N.
begann es* zu tröpfeln^, und nach einer Minute* durchnäßte' mich ein
prasselnder* Regen* bis zu meinem letzten^" Faden". Gleich bei meiner
Ankunft auf der Station war meine erste Sorge'^, daß ich rasch'* meine
Kleider'* wechselte'^, die zweite'*, (daß) ich für mich Tee" verlangte'*.