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in der westlichen und japanischen Forschung ausgiebig diskutierte Pao-p'u-tzu

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(1)

von Renate Schubert, Paris

Das philosophische Hauptwerk des Ko Hung (gestorb. vermutlich

363) ist der z. Z. in der westlichen und japanischen Forschung ausgiebig

diskutierte Pao-p'u-tzu. Das Werk zerfällt in zwei Teüe, nei- und wai-

p'ien, esoterische und exoterische Kapitel; eine Zweiteüung, die schon

seit Chuang-tzu bekannt ist. Die hier vorliegende Übersetzung des ersten

Kapitels des wai-p'ien ist bereits 1964 entstanden. Da hier nicht der Ort

für eine eingehende Interpretation ist, beschränke ich mich darauf, die

längeren Anmerkungen und Hinweise beim Übersetzimgstext zu belas¬

sen — man kann mit ihrer Hilfe eigene Deutungen und Schlüsse ziehen

— und auf die formale Seite und Eigenart kurz einzugehen.

Die Überschrift deutet bereits auf die beiden Problemkreise, die hier

(imd weiterhin im wai-p'ien) einander gegenüber- und zur Diskussion

gesteUt werden : die Verpflichtung des einzelnen, dem Staate zu dienen

(und damit verbunden ,, Glanz"), zum anderen das Recht des Individu¬

ums, sich nach seinen eigenen Gesetzen zu entfalten (imd sich in die

,, Verborgenheit" zurückzuziehen.) Der Begriff chia-tun ist dem I-ching^

entnommen, aber weder Wilhelm noch Legge haben die Polarität der

Begriffe erkannt. Bereits der Kontext im I-ching zeigt, daß man die

Stelle anders deuten muß : (in Zeiten) des Glanzes und der Zurückgezo¬

genheit bringt allein eine feste Entschlossenheit Heil, tun heißt nicht

aUein, sich zurückziehen, sondern auch, verborgen sein oder in Verborgen¬

heit leben. Dabei spielt der Rückzug im rechten Augenblick eine gerin¬

gere Rolle als das Wissen um die eigenen Fähigkeiten, eine Selbsterkennt¬

nis von vornherein.

An dem Kapitel fäUt auf, daß es in Dialogform niedergeschrieben ist.

In China gab es bis dahin Gespräche, Lun-yü, wo die Frage rhetorisch

gesteUt und ex cathedra beantwortet wird. Im Chuang-tzu gibt es An¬

sätze zu Dialogen, die aber eine Fiktion bleiben und im letzten gro߬

artige Monologe eines Suchenden, weit eher als eines Lehrenden sind.

Den platonisch-ciceronischen Dialog als freien Widerstreit der Meinun¬

gen gab es nicht. Im 2. Jahrhundert n. Chr. nähern sich die Dialoge

der Form eines Zwiegespräches*, doch bleibt im aUgemeinen von vorn-

' Nr. 33; 9/5, Wilhelm p. 133, Legge p. 308 (5).

^ Einige Übersetzungen finden sich bei E. von Zach, Chinesische Antho¬

logie, Bd. II, p. 607—647; s. auch W. Eberhard, Geschichte Chinas, p. 60ff.

(2)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 279

herein erkermbar, für welches der beiden Prinzipien letzthch ent¬

schieden wird.

Ko Himg bietet mis einen wohlausgewogenen, streng durchkompo¬

nierten Dialog von fünf Einzelreden. Zuerst werden These (B) und Anti¬

these (C) jeweils in einer langen Ausführung einander gegenübergestellt.

In der zweiten, wesentlich kürzeren Erörterung (D und vor aUem E)

finden sich bereits Ansätze zur Synthese. Die Bedeutung der fünften

Bede (F) besteht nicht in erster Linie darin, daß in ihr eine Lösung ge¬

bracht wird (wird auch gar nicht), sondern daß sie einen notwendigen

Baustein zur tektonischen Symmetrie bildet, das Gegenstück zum Ein¬

gang (A), der Beschreibung des Meisters Huai Ping. Das durch die be¬

wußte Diskrepanz einer ausholenden Darstellung des Eremiten und des

abrupten Auftretens des Beamten als eines Handelnden und Redenden

heraufgeführte Spannungsverhältnis wird erst mit der letzten, d.h. der

dritten Rede des Fu Shih aufgehoben. Bereits im formalen Aufbau wird

also versucht, die Gleichberechtigung beider Partner darzulegen. Sie ist

jedoch nicht von vornherein vorhanden, sondern Fu Shih entwickelt

sich erst, erkennend, zum gleichwertigen Gegenüber. Darum gebührt

ihm die Schlußrede, um das Gleichgewicht endgültig herzustellen.

Die Verschiedenheit der beiden Dialogpartner, im formalen Bereich

bereits erkennbar, zeigt sich darüber hinaus in ihren Namen. Doch ste¬

hen die beiden Richtungen, die sie vertreten, sich als ebenbürtig gegen¬

über. Wenn Fu Shih sich am Ende vor Huai Ping beugt, so nicht, um

dessen Eremiten-Sein auf sich zu nehmen. In einer gewissen Hinsicht

sind sie während der ,, Verfertigung der Gedanken beim Reden" über

sich und ihre Stellung hinausgewachsen und zu einer allgemeinen Lösung

gekommen: ,, Erkenne Dich selbst und folge Deinen Anlagen". In diesem

Siime nimmt Fu Shih den Eremiten, der älter, erfahrener ist und den

Gredanken zuerst ausgesprochen hat, als Lehrer an.

Abkürzungen :

CTCC: Chu-tzu chi-ch'ing

CS : Chin-shu

GBD: Giles, Biographical Dictionary

HHS: Hou-Han-shu

HS : Han-shu

JM: Chung-kuo jen-ming ta tz'u-t'ien

MS: Monumenta Serica

(Entscheidung) zwischen Glanz und Verborgenheit

,,chia-tun"

Pao-p'u tzu sagte :

19»

(3)

A.

„Es gab einmal einen Meister Huai Ping'. Er verabscheute die Unbe-

ständiglieit des ruhelosen Umherwanderns^, und er beklagte, wie bitter

es sei, sogar den Bissen aus dem Mund nehmen und sein feuchtes Haar

wieder aufstecken zu müssen*. Er verzichtete auf fetten Boden in einem

Lande, so fruchtbar wie das Meer, und führte lieber eigenhändig den

Pflug in einer Salzwüste. Er hielt die sechs Pläne* geheim wie in einem

verschnürten Sack. Er bewahrte die Gemmen und kostbaren Edelsteine*

und gab sie nicht von sich. Da er gelassen und tonlos verharrte, war es,

als ob er sie nicht besäße. Selbst wenn er einmal ihren verborgenen Glanz

und ihre geheime Schönheit enthüllt hätte, dann hätte die Welt ihren

Anblick nicht ertragen können.

Er wandte der höfischen Pracht der Paläste des Adels den Rücken

und wahrte die Einsamkeit und Ruhe in der grasgedeckten Hütte. Er

mied die Wagenspuren, die zu den Palasttoren eines Chin (Jih-pei) oder

Chang (An-shih)^ (führen). Ehren und Auszeichnungen nannte er eine

Bürde, und Jadetafel und Seidenschnur bedeuteten ihm nichts mehr als

Gras und Lehm'. Er entschwebte auf einem Zauberkreis* jenseits der Wol¬

ken. Als einzelner verwarf er die Neuerungen und folgte (den Wegen)

^ Der Name ist fiktiv, wörtlich übersetzt, bedeutet er : das Eis lieben.

Ssrmbol von Lauterkeit und Reinheit.

^ Anspielung auf Konfuzius ; Lun-Mng, Forke I. p. 170.

^ Anspielimg auf Chou Kimg, Shih-chi, ch. 33, Chavannes, Mim. hist.

IV, p. 88f.

* Von Ch'en P'ing, dem Ratger des Han Kao-tsu wird berichtet, daß er

sechs geniale Pläne hatte, um seinen Herrn zur Macht zu verhelfen. Er hielt

sie auch nach gelungener Ausführung geheim (Shih-chi ch. 56, Watson I

p. 161).

^ lin-lang im Shuh-ching, Yü Kung (Legge III, p. 127) als kostbare Edel¬

steine erwähnt. Die Perle (chu) im Munde (ho) eines Toten ist das Zeichen

eines hohen Würdenträgers. Vgl. Chuang-tzu, ch. 26 (Wieger p. 442/43 D;

Legge, Taoism II, p. 134/35; u.a.). Huai Ping ist einerseits wie einer, der schon für die Welt abgestorben ist, andererseits wird hier auf die schwarze Perle Huang Ti's angespielt, die, als er sie verlor, allein der Saumselige

wiederfand. (Chuang-ztu, ch. 12, Wieoer p. 296/97 D, Wilhelm p. 86 (4).).

° Chin Jih-pei (386 v. Chr.), versklavter Hsiimg-nu-Prinz am Hofe Han

Wu Ti's, erregte dessen Aufmerksamkeit, wurde in die höchsten Ämter er¬

hoben und gewann einen riesigen Reichtum (HS ch. 68, JM 60/3). Chang

An-shih (386 v. Chr.) erweckte dureh eine hervorragende Gedächtnisleistung

des Kaisers Aufmerksamkeit und wurde in die höchsten Ämter befördert

(HS, ch. 159; JM 931/1; GBD 19).

' Jadeamulett und Seidenschnur sind Zeichen hoher Würdenträger. Das

Lager zur Zeit der Trauer um die Eltern bestand aus Gras und Lehmklum¬

pen.

' Für ling-kuei habe ich keine Belegstelle gefunden.

(4)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 281

der Alten. Er lebte zurückgezogen auf den luftigen Höhen der Berggipfel

und lehnte sich auf ein Kissen aus wunderbaren Orchisblüten. Er netzte

seine Lippen mit dem klaren Saft des „Vergehende-Wolken"-Trankes'

und nahm die flüchtige Essenz der acht MineraUen* in sich auf. Gelöst

waren seüie Gedanken, (und er sah aus,) als ob er in der Nähe des höch¬

sten Himmels schwebte. Die zehntausend Dinge konnten seinen Frieden

nicht stören, und die vier Meere reichten nicht aus, um seinen Geist zu

fassen.

B

Da gab es auch einen Edlen Fu Shih*, Als er davon erfuhr, seufzte er

aus voUem Herzen und sagte :

,, Würde eüi einem unbewohnten Tale ein edles Pferd mit einem schlan¬

ken Hals* (noch frei herumlaufen), so wäre das eine Schande für Sun

Yang*. Und wenn man in Zeiten des ,, Großen Friedens" die Talente

eines hervorragenden Zeitgenossen verkommen ließe, so wäre derjenige

dafür verantwortlich, der den wahren (Menschen) belohnen sollte. Kann

man einem hochbegabten Manne erlauben, sich als Teil nur die eigene

VervoUkommnung zu wählen' ? Oder soUte man etwa gar dem Kaiser¬

haus anraten, auf die Besten zu verzichten ?"

Daraufhin suchte er den Huai Ping auf und sagte zu ihm :

,,Nun gibt es welche, deren Flügelschlag man wahrnimmt und die man

sich auch erheben sieht, die aber doch nicht zu den höchsten Sparen'

' Magischer Trank der Taoisten.

2 Zu den acht MinaraHen gehören: Zinnober, Rubinschwefel, eine Art

Kupferlegierung, Schwefel, Aluminiumsilikat, Kristallsalz, Salpeter, Auri-

pigment (vgl. nei-p'ien, ch. IV, 14/20; 17/10; 16/21; 18/13).

* Der Name ist ebenfalls fiktiv : Macht und Autorität anstreben oder

bereitshaben, mit dem Nebensinn : Verantwortung tragen, der homo politicus.

* hsiang-ling, vgl. Shih-ching, Hsiao-ya, Chieh-nan shan. Legge FV, p. 313 (7), von Legge als ,,long-necked horses" übersetzt.

* Sun Yang war ein berühmter Wagenlenker der ausgehenden Chou-Zeit.

Er wird häuflg Po-lo genannt. Dieser Name war ursprünglich einer mytho¬

logischen Gestalt eigen und wurde auf ein Gestirn übertragen, Po-lo, der

Hüter und Lenker der Himmelspferde. Beide Gestalten sind im Laufe der

Zeit zu einer einzigen verschmolzen.

« tu-shan = tu-shan chih shen. S. Meng-tzu eh. 13 (CTCC p. 525, WUhelm p. 158 (9), DoBSON, p. 101, 3. 46): Wer sich in die Einsamkeit zurückzieht,

der kümmert sich nur um seine Selbstvervollkommnung (nur seine eigene

Person zum Gut-sein vervollkommnen), wer tätig in der Welt lebt, der

trachtet danach, auch dieser zu ihrer Vervollkommnung zu verhelfen.

' shiu-lisiao, s. Feiffel, MS VI, p. 118, n. 4. Der Himmel war in neun

Teile unterteilt, der neunte und oberste, dicht bei der Sonne, war der Raum

höchster Vollkommenheit. S. Huai-nan Tru, Wen-t'ien hsün, CTCC, ch .3

p. 36/12ff. und Yang Hsiung im T'ai-shüan ching, vgl. dazu Fung, History

II, p. 143.

(5)

aufzusteigen' imd zum Gipfel des Mysteriums sich, emporzuschwingen

oder den Beziehungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft das

rechte Maß und eine wohlgefügte Ordnung zu setzen vermögen; ihnen

steht wahrlich weder Größe noeh Macht zu*.

Doch Sie, mein Herr, halten sich an äußerste Zurückgezogenheit. Sie

haben das Signum von Glanz und Feinheit* abgelegt; in öder Gegend,

fernab von den (Wagen)spuren widmen sie sich der Freude an Büchern

und Büdern und wenden sich der natürlichen Schönheit zu, die (Sie) in

der Schar der Vögel und wilden Tier (finden). Sie breiten Ihr Drachen¬

kleid* in dunkler Nacht aus, lassen Gemmen und kostbare Edelsteine

im tiefsten Schlund verborgen*.

Sie erstarren im hohen Sommer in winterlicher Kälte und halten die

Blüte in der Frühlingszeit zurück*. Wenn Sie immer wieder hinter zu¬

gezogenen Vorhängen' in tiefe Meditation versinken und sich im subti¬

len Detail rastlos um (letzte) Feinheit bemühen, dann enthüllt sich

Ihnen das Greheimnis des ,, Obersten Firstes"*, und Sie finden den Weg

zur jjUrwurzel"*. Und wenn Ihre Worte Freude und Glück wiederspie¬

geln, (nehmen) selbst die holzgeschnitzten Figuren fröhliche Züge an

und lächeln beseligt ; wenn Ihre Rede Trauer und Kummer (wiederspie¬

gelt), dann runzeln selbst die elfenbeineren Bilder Stirn und Brauen und

vergießen Ströme von Tränen. Drücken Sie das Leichte zu Boden, dann

' Anspielung auf den Vogel Rock in Chuang-tzu ch. 1 {Wnsrnsm p. 3f.,

Wiegeb p. 210 B).

2 Vgl. Shuh-ching, Hung Fan, Legge III, p. 312/2, 23/3 und Anmerkung).

^ ping-wei (chih wen); vgl. I-ching (K&) Wn.HELM Nr. 49, p. 185 und 567.

Danach sind beide Begriffe das Zeichen für einen hohen Staatsmann. Im

Pao-p'u tzu, wai-p'ien, ch. 5 (chün-tao), p. 115/20 wird ping-wei nur für

Zivilbeamte gebraucht.

* Der Drache ist das Symbol höchster geistiger Überlegenheit, der Ver¬

wandtschaft mit dem Himmel, darum nicht zuletzt auch als Symbol des

Kaisers verwendet. Der Vergleich mit dem Drachen kann sich sowohl auf

innere als auch auf äußere Vorzüge beziehen, lung-chang übersetzt Holzman (Hi K'ang, p. 17) mit ,,raspect d'un dragon".

* S. Chuang-tzu, ch. 12, Wilhelm p. 85 (2), Wiegeb p. 294/95 B und Li-

chi, Chüan-hsüeh, Wilhelm p. 146 (2).

« Tao Ti Ching, ch. 77, Debon p. 108.

' Als Zeichen besonderer Intensität. Der konfuzianische Gelehrte Tung

Chung-shu (ca. 179—104 v. Chr.) soll drei Jahre hinter zugezogenen Vor¬

hängen den Kanon studiert haben; indem er hinter einem herabgelassenen Vorhang saß, sein Wissen an seine Schüler weitergegeben haben.

* Vgl. Geanet, Pensie, p. 281, Tr. Poekebt, p. 213: „Der Himmel be¬

steht aus einem First (es ist dies der Palast der Mitte, der Palast der höch¬

sten Einheit (T'ai-i) ...)". Tai-chi steht also metonymisch für T'ai-i.-

Dieses ist identisch mit der Urwurzel, yüan-pen. Beide Ausdrücke stehen

als Synonyma für tao und wu.

(6)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 283

sinken selbst die Flügel der wilden Schwäne im leichten Äther (des

Genienlandes). Heben Sie die Schwere auf, dann treiben selbst Jade¬

steine auf den eilenden Wellen'. Lösen Sie das Gleichartige, dami werden

selbst Galle und Leber wie Hu und Yüeh*. Vereinigen Sie das Verschie¬

denartige, dann (findet sich) selbst das zehntausendfach anders geartete

Sein in einer einzigen Harmonie. Brechen Sie die Beziehimg ab, dann

fällt der Reif im Herbst, und im Frühling bricht die Kälte herein. Reißen

Sie das Hohe nieder, dann stürzen selbst die höchsten Gipfel ein. Rich¬

ten Sie das Niedere auf, dann (erheben) sich selbst Abgründe und Seen

zu (den Höhen) der Felsgipfel. Verhüllen Sie die Klarheit, dann lassen

Sie selbst die Lichter am Nachthimmel erlöschen. Reinigen Sie von

Schlamm und Schmutz, dann wird es möglich, auch den Huang-ho zu

reguUeren.

Wenn Sie, (obwohl mit solchen Gaben beschenkt), weder der Volks¬

masse große Wohltaten erweisen, noch dem Kaiserhaus Ruhm und An¬

sehen verschaffen können, dann vergeht daher Ihr Name wie Tau vor

der Morgensonne, und Ihr Körper schwindet dahin (wie das Leben) der

Eintagsfliege. Wenn Sie auch einer hohen Stellung und ebenso dem kost¬

baren Schatz des Heiligen gegenüber gleichgültig sind, wenn Sie auch

das fließende Vergehen und Seufzen über ein hohes Alter vergessen, so

würde ich an Ihrer Stelle dennoch eine andere Wahl treffen !

Nun habe ich gehört, Himmel und Erde seien das Erhabenste, nach

diesem (aber) Fürst und Untertan. Wenn früher die Heiligen (um einen

Herrscher) trauerten, überdachten sie, wessen Weg sie folgen (könnten).

Und hatten sie nach drei Monaten keine überragende Persönlichkeit ge¬

funden, so waren sie tief beunruhigt*.

Diejenigen, denen es schmachvoll dünkte, daß die lebenden ,,heüigen"

Herrscher Yao und Shun nicht zu gleichen vermochten, und die bedau¬

erten, daß das schwarzhaarige Volk nicht Haus für Haus mit einem

Lehen bedacht werden konnte*, haben daher die (Last) des Staates auf

1 Tao Ti Ching, ch. 77, Debon, p. 108.

- Der Staat Hu lag im Norden, während Yüeh im Süden gelegen war. Als

Metapher für eine große Entfernung kommt Hu und Yüeh häufig in Texten

philosophischer Art vor, so Chuang-tzu, ch. 5, (Wilhelm, p. 38, Wiegeb,

p. 242/43 A) und Huai-nan Tzu, ch. 2 (CTCC p. 24/6ff. ; Eva Krapt in MS

XVI, 1957, p. 263): „Deshalb, betrachtet man die Dinge von ihrer Ver¬

schiedenheit aus, so sind Leber und Galle wie Hu und Yüeh, betrachtet

man sie aber von ihrer Ähnlichkeit aus, so sind die zehntausend Dinge das

eine Gehege (eins)".

* Meng-tzu, Tung Wen Kung (B), Wilhelm p. 63 (3).

* Vgl. Lun-hing, ch. 38, Fobke I, p. 375, CTCC p. 15/15: „Tradition says

that the people of Yao and Shim might have been invested with fiefs house

by house (n. 1: so excellent were they all), whereas those of Chieh Kuei

were worthy for death door by door . .. That the people of the holy emperors

(7)

ihre Schultern genommen und sich wie der Drache im Tanze bewegt', oder

sie haben auf den Hörnern (des Stieres) den Takt geschlagen* und das

Lied vom Phönix gesungen*. Sie warteten weder auf einen bequemen

Reisewagen* um dann erst zu handeln, noch harrten sie eines Königs

Wen*, um dann erst aktiv zu werden.

Wenn man sich auf den Anfang zurückzieht oder in die fünf (Richtungen)

were like this, those wicked otherwise, was merely the result of the influence of their rulers, not of the people's original nature."

' fu-ting bedeutet zunächst : ein Opfergefäß tragen. Setzt man Gefäß

gleich Reich, wie es später geschah, so heißt es übertragen : Macht imd Ver¬

antwortung auf sich nehmen. Diese Metapher wird immer wieder im Zu¬

sammenhang mit I Yin (18. Jh. v. Chr.) verwendet. Sich wie der Drache

im Tanze bewegen, bedeutet analog dazu: Macht und Einfluß im Staate

ausüben und haben. Vgl. S. 282, A. 4.

^ Ning Ch'i (s. GBD 1568), ein weiser Kutscher aus Wei, wurde von Her¬

zog Huan von Ch'i entdeckt, als er, an seinen Wagen gelehnt, mit einer

Hand auf den Hörnern des Stieres den Takt schlagend, ein Lied sang: ,,Die

Berge des Südens sind kahl, die weißen Steine sind beschmutzt, ach, daß

ich nicht in der Zeit Yao's und Shun's geboren bin!" s. Huai-nan Tzu, Tao- yin hsün; HS ch. 20; HHS ch. 90, Shih-chi ch. 83, CS ch. 55 u.a.

* Im Lun-yü, ch. 18 (Wilhelm p. 203 (5)) und in Chuang-tzu, ch. 4, (Wil¬

helm p. 36 (8)) wird von Chieh Yü, dem Narren von Ch'u berichtet, wie er

beim Anblick des Konfuzius für diesen als Warnung das Lied vom Phönix

sang. Als Konfuzius mit ihm sprechen wollte, enteilte er ihm. Gedanklich paßt Chieh Yü nicht an diese Stelle, weil er sich in Wirklichkeit der Über¬

nahme eines Amtes entzog. Doch sind sich die Lieder Ning's und Chieh's

sehr ähnlich, so daß das Phönixlied hier übemommen werden kann.

* Das heißt : auf eine Einladung von Hofe warten. Im 50. Kapitel des

wai-p'ien (p. 204/12f.) wird von Shen Kung berichtet, daß er die Amtsrollen

(zur Beglaubigung) öffnete und eien bequemen Reisewagen bestieg. Shen

Kung oder Pei war ein Gelehrter aus Lu (3./2. Jh.)., der sieh nach seiner

Tätigkeit als Prinzenerzieher zurückzog. Als er achtzig Jahre alt war,

sandte ihm der Kaiser einen bequemen Wagen mit vier Pferden, um ihn an

den Hof zu holen. Dort beantwortete er die Frage, wie man regieren solle,

mit den Worten : „Regieren besteht nieht in vielen Reden, sondem in Han¬

deln, und zwar gemäß den Mitteln des Herrschers." Dafür wurde er zum

Staatsminister ernannt, er lehnte jedoch ab und kehrte in seine Heimat

zurück. Vgl. Lun-hing, Fobke II, p. 233; Shih-chi ch. 121, Hs ch. 88, GBD

1692.

' Zunächst eine Anspielung auf Meng-tzu ch. 7A., CTCC p. 525/16, Wil¬

helm p. 158 (10): Die Massenmenschen warten auf einen Anstoß von außen.

Konkret aber ist hier Lü Shang gemeint oder T'ai Kung, der sein Schwert

zerbrach und ins Exil ging, um den Tyrannen Chou Hsui zu fliehen. Er

wurde von König Wen, als dieser auf der Jagd war, beim Fischen gefunden,

an den Hof geholt und zum Ratgeber und Erzieher emannt, Shih-chi, ch. 32,

Chavannes. Mim. Hist. IV, p. 34ff.; Lieh-hsien-chuan, Tr. Kaltenmark, p. 71ff.; GBD 1862. Ferner behandelt das 2. Kapitel des wai-p'ien Lü Shang ausführlich.

(8)

Daa erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 285

eilt, (d.h.) wenn man zur Zeit zu- oder abnimmt', (dann) hat man beim

Vorwärtsgehen den Vorteil, (sicher) auf ein festes Ziel zuzustreben, und beim

Rückzug nicht (den Nachteil), sich eine nasse Schwanzspitze zu holen^.

Wer intelligent und weise ist, der weiß sich zu schützen*, wer ein guter

Regent ist, der (weiß), dem Volke zu helfen. Wenn er sich mm eines

leichten Windes bedient, statt eine Streitaxt zu benutzen, wenn er sich

in einer klaren Flut badet, statt den Unrat fortzuräumen, (dann) ist er

wie klares Spiegelglas, in dem sich die Sonne bespiegeln kann, ist er wie

Kompaß und Winkelmaß, in dem sich das Rund (des Himmels) tmd das

Quadrat (der Erde) ideal verwirklichen. Darum erfüUt seine Würde (den

Raum) zwischen Himmel rmd Erde, darum gereicht seine Güte der

ganzen Welt zum Segen. Der Grand dafür, daß Yao eine so bewunderns¬

werte Höhe (erreichte), Shun (von allen) so tief verehrt wurde, der Hege¬

mon des Westens die Schicksale dreier (Pamüien) mit dem seinen ver¬

knüpfen (konnte)*, daß König Wu dem regierenden Hause den Herr¬

schaftsauftrag entziehen konnte, daß (Herzog) Huan (von Ch'i)* und

(Herzog) Wen (von Chin)* (das Reich) einten imd befreiten und daß Han

Kao-(tsu) den Willen des Himmels erfüllte, (der Grund dafür) war nun

eben kein anderer, als daß (jeder dieser Herrscher) die Weisen zu den

sechs tragenden Flügeln (des Staates) gemacht und den Tapferen die

Ruder anvertraut hat. Hätten sie jedoch gebUligt, daß alle (Weisen und

Helden) sich ihre moralische Größe durch ,,Ohrenwaschen"* bewahrten ' Eine Belegstelle für den ersten Satz habe ich nicht finden können, doch läßt der sich durch Parallelismus leicht aus dem zweiten Satz, einem I-ching-

Zitat, erklären. Danach (Feng) Nr. 55, Wilhelm p. 592, Kommentar zum

Urteil) bedeutet Zu- und Abnehmen in der Zeit sieh dem Lauf des Himmels

anzupassen, der jeweils Fülle und Leere wecheln läßt, chu, der Anfang, ent¬

spricht dann der Leere, die Fünf (Richtimgen, Elemente, Tugenden etc.) als

höchste Entfaltung, entspricht der Fülle.

2 s. I-ching, Wei-chi (Nr. 64, Wilhelm p. 233, Urteil). Der Unvorsichtige derleidet kurz vor dem Ziel eine Niederlage.

* s. Shih-ching, Ta-ya, Legge IV, p. 543 (4), dazu Li-chi, Chung-yung

Wilhelm p. 16 (7).

* Herzog Wen von Chin (636—628), einer der vier Hegemonen, dem es

gelang, das Reich zu einen. Die Tatsache, daß er mit drei Famüien durch

Heirat verbunden war (einer Barbarenfamilie, einem Klan aus Ch'i und

einem aus Ch'in), kennzeichnet ihn als Fürsten einerseits, als mächtigen Herrscher andererseits, denn die Allianz verstärkte seine Macht, s. Granet, Danses et Ligendes I, p. 96—98.

s Huan von Ch'i (685—643) war ein anderer der vier Hegemonen, dem

die Einigung des Reiches gelang. Sein berühmter Ratgeber war Kuan Kung,

8. auch S. 284, A. 1.

^ Anspielung auf Hsü Yu. Im Shuh-chih, Ch'in Mi-chuan, San-kuo chih,

ch. 38, B. 2 p. 380, 14a wird berichtet, daß Hsü Yu sich die Ohren wusch,

nachdem Yao ihm den Thron angeboten hatte. Vgl. GBD 797, (s. auch

Chuang-tzu, ch. 8, Wiegbr p. 4 (2)).

(9)

oder sich ilir Teil als Landmann hinter dem Pfluge wählten', dann hätte

eine Kultur, wie sie uns aus dem Altertum überkommen ist, nicht ent¬

wickelt, eine FüUe von Talenten und Begabungen nie entfaltet, Gesänge,

die InteUigenz und Begabung (voraussetzen), nie geschrieben und das

(aUes) umschließende Netz des Himmels nie ausgespannt werden können.

Daher sollte man Männer, die ilire Talente verbergen, hochachten,

wenn sie sich wandlungsfähig zu zeigen und sich den Erfordernissen der

Zeit (im rechten Augenblick) anzupassen vermögen, darum sollte man

tapfere Männer, die in Zurückgezogenheit (leben), ehren, wenn sie kühn

aufzutreten und Unruhen (zur rechten Zeit) zu beseitigen (wissen). (So¬

lange sie ihre Gaben nicht gebrauchen), ist es als ob die Sonne von den

Wolken verdeckt und die Klarheit des Himmels verhüllt wäre, als ob

ein zornig brühender Tiger weder seine Zähne fletschte, noch seine Pran¬

ke höbe und darum (seine Eigenschaft), ihnk zuzupacken und zu beißen,

verborgen ließe ; als ob das Schwert T'ai A* seine scharfe Klinge verberge

und keinen Hieb austeilte und darum seine Kraft, zu sehneiden rmd zu

trennen, unerkannt bliebe; als ob die TausendmeUenpferde Chi und Lu*

sich niederlegten und in diesem Zustand der Ruhe die beflügelte Eüe,

mit der sie dem Winde zu folgen vermögen, nicht sichtbar würde. Wenn

Tzu Kung* schweigt wie alle anderen, dann redet er die gleiche Sprache

wie die Stummen. Wenn Li Chu* seine Augen schheßt, dann unterschei¬

det er sich nicht von den Blinden.

Sie, mein Herr, halten auf die Reinheit Ihres eigenen Selbst und ma¬

chen sich keine Gedanken über die Verwirrung, in welche Sie die großen

zwischenmenschlichen Beziehungen bringen*. Sie denken (nur an) die

' Anspielung auf Shan Chüan, den Landmann Shih Hu und Po-Ch'eng

Tzu-kao. {Chuang-tzu, ch. 12; Wilhelm p. 87 (7), Wieger p. 298/99 G und

ch. 28, Legge, Taoism II, p. 150, Wiegeb p. 452/55 A.), denen Shun seinen

Thron anbot, die es jedoch vorzogen, weiterhin ein ländliches Leben zu

führen.

2 Ein berühmtes Schwert, einst von Ou Yeh von Yüeh und Kan Chiang

von Wu für den König von Ch'u hergestellt. Vgl. Lun-hing, Forke I, p. 377.

' Zwei Tausendmeilenpferde, die beide dem König Mu (s. Sun Yang) ge¬

hörten. Zu den Namen vgl. Lun-hing, Forke I, p. 377.

* T. von Tuan-mu Tzu. Er war einer der vier Freunde des Konfuzius,

von schneller Auffassungsgabe, ein Meister der Beredtsamkeit. Er besaß die

Fähigkeit, Dinge vorauszusagen. Shih-chi, ch. 67 und 129, HS. ch. 91, GBD

2083.

^ Li Chu (bei Meng-tzu Li Lu) war berühmt für seinen Scharfblick. Er

wurde vergebens ausgesandt, für Huang Ti die schwarze Perle zu suchen,

(s. Chuang-tzu, ch. 12, Legge, Taoism I, p. 311 (4), Wieger p. 268/69 A und 272/73 D; Lieh-tzu, ch. 5, Wieger ,p. 132/33 C; Meng-tzu, ch. 4 A, Wilhelm p. 73, GBD 1116.

« S. Lun-yü, Hui-tzu (ch. 18) Wilhelm p. 205 (7), Waley p. 221 (7).

(10)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 287

Erfüllung Ihrer Wünsche und vergessen, daß Sie dem Herrseher ver¬

pflichtet sind. Solange Sie leben, (tragen Sie) die Last der täghchen Un¬

annehmlichkeiten (des kleinen Mannes), und werm Sie gestorben süid,

so vdrd man (von Ihnen) weder den Ton von Glocken noch von Klang¬

steinen vernommen haben'.

Das würde schon einen ganz gewöhnlichen Menschen kränken. Wie

soUten Sie ein hochgebüdeter* Mann, gefühllos dafür sein % Nun, wenn

man eine Schnur straff spannt*, dann steht auch der Baum gerade. Wenn

die aufrechten Menschen die Oberhand gewannen, verschwinden die

Bösen. Als Shun (den Thron) bestieg, da vrarden die vier Laster* ver¬

nichtet. Als K'ung-tzu sein Amt antrat, da vrarde Shao Mao* enthauptet.

(Sie waren beide) wie der Donner: wenn er (groUt), dann verstummt das

laute Trommeln; wie die Sonne: wenn sie morgens aufgeht, dann wer¬

den die Kerzen gelöscht*.

(Doch) dem, der (noch) nicht (einmal) von einer tödlichen Krankheit

heilen kann, (steht es) nicht zu, Wunderpraktiken, die das Begriffsver¬

mögen anderer übersteigen, ausführen (zu woUen). Dem, der die Welt

(noch) nicht (einmal) in ihren aUtäglichen Schwierigkeiten helfen

kann, (steht es) nicht an, weitreichende Überlegungen außergewöhnlicher

Art anzustellen. Auf erhabener Höhe (die Hände vor der Brust) zu falten

und zuzusehen, wie (jemand) ertrinkt, das ist nicht die Menschhchkeit, (die man unter dem Worte:) ,, nicht in den Spuren anderer wandeln"'

(versteht). Das Tao in sich zu tragen* und den Staat in die Irre gehen

' Meng-tzu, Wan-chang (Wilhelm, p. 113/14). Dort wird Konfuzius mit

einer Symphonie verglichen, die mit dem Ton einer Glocke beginnt und

dem eines Klangsteines endet. Die Durchführung einer solchen Komposi¬

tion ist Zeichen von Heiligkeit und Weisheit.

- ta-ya ist eine Anspielung auf einen mit diesem Titel überschriebenen

Abschnitt des Shih-ching; Legge (IV, p. 427 und 246) weist nach, daß ya —

cheng, d.h. aufrecht oder korrektes Verhalten bei Hofe ist. Von dieser Be¬

deutung her kann man hier den Sinn auf „hochgebildet" weiten.

* s. Li-chi, Cliüan-hsüeh, Wilhelm, p. 142 (1 und 3) und Lun-yü ch. 12

Wilhelm, p. 131 (22).

* Zu ihnen gehören: Chaos, Verneinung, Sinnlosigkeit und Unersättlich¬

keit. Vgl. Tso-chuan, Wen, 18. Jahr (Legge, V, p. 280 und 285), dazu Gea¬

net, Danses et Lögendes I, p. 238ff.

° Shao Mao oder Shao Cheng-mao, ein Gelehrter in Lu, Zeitgenosse des

Konfuzius, wie dieser geachtet, doch von Konfuzius als Lügner angesehen

und wegen Hochverrats hingerichtet, s. Shih-chi, ch. 47, Chavannes, M6m.

hisi. V, p. 326, n. 7; Lun-Mng, Fobke I, p. 362.

« s. Chuang-tzu ch. 1; Wilhelm p. 4 (2), Wiegeb p. 210/11 D.

' Es bedeutet: sieh nicht einmischen in die Angelegenlieiten anderer, s.

Lun-yü, ch. 7, CTCC p. 249/3, Wilhelm p. 114 (19).

* s. Lun-yü, ch. 17 Wilhelm p. 190 (1).

(11)

zu lassen, darin liegt nicht die Aufgabe eines Mannes, (der an seiner Vervollkonunnung) arbeitet.

Erst wenn mitten auf dem Pfad die Gräser für das Sonnenorakel

wachsen', vom Osthang die Stimme des wunderbaren Phönix erschallt,

das scheue Einhorn sich auf den Feldern vor der Stadt aufhält, in der

Öde ein Wald von ineinander verschlungenen Bäumen* entsteht, die ent¬

rollten Banner eingezogen und nicht wieder gehißt werden, Kriegsgerät

und Waffen niedergelegt imd nicht wieder aufgenommen werden, erst

dann wird ein Shao Pao* erklären, daß die Arbeit gatan sei und er sich

zurückziehen (könne). Wer vermöchte, einen anderen, der sich lebendig

begräbt*, herauszuholen? Ich wünsche von ganzem Herzen, daß Sie,

mein Herr, nicht noch weiter in die Irre gehen!"

C

Meister Huai Ping blickte daraufhin ernst versonnen in die Ferne imd

ließ seinen Bhck hinauf zu den dahingleitenden Wolken und zur Milch¬

straße schweifen. Seine Seele weilte in der Ferne, als ob nichts um ihn

herum vorhanden sei. Dann verneigte er sich und erwiderte*: ,,Ach, was

sind das für Reden! Der vohkommene Mensch (lebt) im vm-ioei. Er läßt

seinen Geist in Leere und Verlassenheit wohnen. Da er seinen Willen

keinem (ehrgeizigen) Streben nach Ämtern und Profit unterwirft, kann

ihm weder Schaden noch Schmach zugefügt werden. Da er seinen Fuß

nicht auf schmale Gipfelpfade setzt, kann ihn das Unglück von Absturz

' Eine Belegstelle für diese Art von Gras habe ich nicht finden können.

Doch kann man mit Sicherheit annehmen, daß es zu den Glück verheißen¬

den Omina gehört wie die im Po-Hu-T'ung aufgezählten Gräser (Tjan

Tjoe Som, p. 241 (1) c, e, k, 1, m, r, p, s ...).

^ Ibid., p. 335, n. 330: Zwei Stämme, deren Äste ineinander gewachsen sind, gelten als Zeichen der Macht des Herrschers, der Völker aller Himmels¬

richtungen unter einem Zepter vereint.

ä T. von Fan Li. Er lebe in der Ch'un Ch'iu-Zeit. Nachdem er dem König

von Yüeh den Reichtum des Landes vermehrt hatte, zog er sich zurück,

um für sich und seine Familie zu sorgen, s. Shih-chi, ch. 129, Watson,

Records II, p. 479—81; Gbanet, Danses et Legendes II, p. 539, n. 4; Kal¬

tenmark, Le Lie-sien Tachouan, ch. 25, p. 102ff. ; GBD 540.

* s. Chuang-tzu, ch. 25, Legge, Taoism II, p. 121 (5); Wieger p. 432/33

E. Ich schließe mich bei der Übersetzung der Stelle Wieger an, weil sie

sinngemäß mit dem häufig wiederkehrenden Bild dos Leichnams zusammen¬

stimmt. Waley's (Tr. Meister-Weidner p. 69): ,,... die über trockenes

Land gehen, als ob sie auf dem Gmnde eines Teiches sich befänden", dürfte hier kaum zutreffen.

^ Eine ähnliche Beschreibung findet sich bei Chuang-tzu, ch. 2 (Wilhelm p. 11 (1); Wiegbr, p. 214/15 A.).

(12)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 289

und Untergang nicht ereilen. Auch wenn ihm das (Gericht) aus wUden

Bohnen nicht vorgesetzt wird, (weilt er) dennoch mit den Gedanken voll

Muße auf dem Fan-chang'. Wenn er die Ordnung im Volke wahrnimmt,

(freut er) sich im Herzen über die, die (sie dm-ch) ihr Amt (bewirken).

Doch wenn er eine Hütte wie I-liao- bewohnt, das Tor verschheßt wie

Kan Mu*, wenn er von gleicher Gesinnung ist wie Chuang-tzu und (Lao)

Lai-tzu, wenn er seine Wohnung gleich (einem der Häuser) in den enaen

Gassen der Armen einrichtet, wenn er fest ist wie ein Felsgipfel und un¬

erschütterlich, wie könnte er sich danach sehnen, sich (den Wechsel¬

fällen) anzugleichen ?

Da allzu heftiges Begehren nach Größe die Harmonie stört, Buhlen

um die höchste Machtposition tiefen Kummer einbringt, kehrt er Macht

und Einfluß den Rücken und (empfindet) weiter kein (Verlangen mehr

danach). Er bezweifelt, daß die Ehre, der Reichtum, der mit Besitz ver¬

bunden ist, wirklich Reichtum ist. Da er sich auf seinem Höhenflug den

großen Rock zum Gefährten erwählt, läßt er sich inmitten von Käfern

und Ungeziefer nieder. Da er durch zahlreiche Kriege ernsthch gewarnt

ist, bereut er seine Freude über den bescheidenen Reistopf und die Kale¬

basse nicht. Nun, Himmel und Erde sind weit von einander entfernt,

imd das menschliche Leben ist im Nu vergangen. Die Geschwindigkeit,

mit der Irrtum und Streit (entstehen), der Umschwung (von Reichtum)

zu höchster Armut, sie vollziehen sich schneller als das plötzliche

Aufleuchten einer Sternschnuppe, schneller als das Blitzen eines

davonschwirrenden Pfeiles. Wenn man umherschweift, um sich selbst

zu finden, wie könnte man da seinen Körper mit äußerlichen Dingen

quälen ?

Nun, der Vogel Luan läßt sich nicht in einem Netz fangen, und das

Tausendmeilenpferd Lin stolpert nicht in eine Fallgrube. Auch die ande¬

ren Vögel und wilden Tiere wissen sehr wohl, was Leiden verursacht*.

1 Einer der drei Berge, auf dem sich die Genien niedergelassen haben,

(die beiden anderen sind: P'eng-lai und Jen-chou). Er ist mitten im Meer

gelegen, s. Shih-chi, ch. 28; Li Ch'iao-p'ing : The Chemical Arts of Old Chirm.

p. 19.

2 Shih-nan I-liao ist einer der beispielhaften unberührbaren und imbe¬

stechlichen taoistischen Heiligen. Er wird bei Chuang-tzu mehrmals erwähnt.

Hier wird auf ch. 2S (Wiegeb, p. 432/33 E; Waley, Tr. MEiSTEE-WEroNEB

p. 69) angespielt, wo er aus Furcht vor des Konfuzius Beredtsamkeit plötz¬

lich sein Haus verließ.

* Tuan-kan Mu lebte zur Chan-kuo-Zeit in Wei. Er weigerte dem Fürsten

Wen von Wei die Audienz; als dieser davorstand, verschloß er sein Tor und

kletterte sel;st über die Mauer, um ihm nicht zu begegnen, s. HS. ch. 88,

Kao-shih chuan, chung; Shih-chi, ch. 44, Chavannes, Mhn. hist. V, p. 141

und 146; JM 665/4; Lun-Mng, Fobke I, p. 435ff.

* S. Chuang-tzu, ch. 7; Wilhelm, p. 58; Wieger p. 264/65 E.

(13)

Die, die Wind und Staub nachfolgen, sind noch nie bedauert worden.

Wenn Yao Li' eine ganze FamUie auslöschte, um seine Tat zu vollenden,

wenn Chi Hsin* sich selbst zum Opfer brachte, um Ch'u zu täuschen,

Ch'en Chia* sich selbst die Kehle durchschnitt, um für den jüngeren

Bruder Zeugnis abzulegen, Chung Yü* sein eigenes Leben dahingab und

zerhackt und gepökelt wurde, Ying Men^ sich in sein Schwert stürzte,

um seine Gesinnung zu zeigen, Nich Chen* von der Wohltat gerührt war

und sich selbst verstümmelte, Ching Ch'ing' sich (das Bein bis zum) Krue

' Ch'un Ch'iu-Zeit; er stammte aus Wu und hatte sich bereits zurück¬

gezogen, als man ihn als Mörder an Ch'ing Chi von Wei bestimmte. Er ließ

in Wu seine Familie lunbringen, um einen Vorwand zur Flucht nach Wei

zu haben. Dort tötete er dann Ch'in Chi. Bei seiner Rückkehr nach Wu be¬

ging er Selbstmord. Lü-lan, Chun-Uen; JM 717/2.

^ Chi Hsin, einer der Feldherrn Liu Pang's (des späteren Han-Kaisers),

begab sich, um seinen Fürsten aus höchster Not zu erretten, zu dessen

Gegner und Rivalen Hsiang Chi (von Ch'u) und täuschte ihm vor, Liu Pang

zu sein, der mit der Absicht gekommen sei, sieh ihm zu unterwerfen. Wäh¬

renddessen entfloh sein Fürst, und als der Betrug entdeckt wurde, ließ Hsiang

Chi den Chi Hsin lebendigen Leibes verbrennen. Vgl. Shih-chi, ch. 8; JM

678/2; GBD 290.

* Unter diesem Namen nicht zu identifizieren, Ch'en Chia bei Meng-tzu

ch. 23, Wilhelm p. 43 (9) scheidet aus.

* Chung Yü, bekannter unter dem Namen Tzu-lu, war einer der Lieblings¬

jünger des Konfuzius (543—480). Er nahm einen Beamtenposten in Wei

an, wurde in eine Verschwörung verwickelt und zum Tode verurteilt. Shih-

chi, ch. 67; JM 221/3; GBD 522. Daß er zerhackt und gepökelt wurde,

wird im Lun-hing, Forke II, p. 248) erwähnt und als literarische Tradition angesehen (ohne Quellenangabe).

^ Nicht zu identifizieren.

* Nieh Cheng {-\- 397 v. Chr.) war Hundeschlächter in Han. Er sorgte

vorbildlich für seine alte Mutter. Aus Pietät für sie lehnte er einen fürst¬

lichen Auftrag, der ihm reichlich Geld eingebracht hätte, ab. Nach dem

Tode seiner Mutter besann er sich der Güte Yen Sui's, der ihm 100 Gold¬

stücke übersandt hatte, imd er führte dessen Auftrag, Han Kuei zu töten,

aus. Danach schnitt er sich die Gesichtshaut ab, stach sich die Augen aus,

schlitzte seinen Bauch auf und starb. Shih-chi, ch. 86; JM 1722/2; GBD 1565;

s. auch Bauer-Franke, Die Goldene Truhe (Hanser 1959, p. llff.), femer

Lun-hing, Forke II, p. 59.

' Ching Ch'ing, meist unter dem Namen Ching K'o bekannt, (4- 227 v.

Chr.) wurde zum Prinzen Tan von Yen beauftragt, den Herrscher von Ch'in,

den späteren Ch'in Shih Huang Ti, zu ermorden. Unter dem Vorwand,

Ch'in um eine Allianz zu bitten, überbrachte er, in eine Karte eingewickelt,

den Kopf des Fan Kung (s. näcliste A.), und wartete bei der Audienz auf

eine Gelegenheit, den Herrscher zu töten. Sein Versuch mißlang, der Herr¬

scher schlug ihm das linke Bein bis zum Knie ab, und Ching wurde von der

herbeieilenden Leibgarde getötet. — Shih-chi, ch. 86, dazu Lun-hing, Forke

I, p. 503; n. 2; JM 842/3; GBD 399; s. auch Bauer-Franke, ibid.: Prinz

Dan von Yän.

(14)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 291

abhauen heß, um Yen zu rächen, Fan Kung' tiefes (Mit)leid hatte und

seinen Kopf anbot, so waren sie alle durch ihre Torheit grausam irrege¬

leitet. Wie sollten sie (auf diese Weise) Spuren höchster Weisheit (zeigen

können) ?

(Da er erkannt hatte,) daß die Verantwortung dessen, der hohe Ein¬

künfte hat, groß ist und die Seele dessen, der an Rang und Ehren ge¬

bunden ist, müde* wird, warf (Chuang-tzu) in Ch'i-yüan* seine Angel

aus und bekümmerte sich nicht um die ehrenvolle Ernennung zum

Minister, pflügte Po-ch'eng* (den Acker) und verachtete den hohen Stand

eines Lehnsfürsten, blieb der Schlächter Yüeh* zufrieden in seiner Metz¬

gerei und geizte Yang Chu* mit einem einzigen seiner Haare. Wer sich

solcherart bemüht, wird blind für das, was (anderen) begehrenswert

(erscheint) : Er wählt nicht unter den Bäumen, wenn er sich niederlassen

•wiU', er achtet nicht auf die Zeitgenossen, faUs er ein Amt annimmt.

Wer aber begierig vorwärtsdrängt, der fürchtet nicht das Verhängnis,

(das man heraufbeschwört), wenn man eine Last auf dem Rücken trägt

' Fan Kung oder Fan Yü-ch'i war General der Ch'in, entfloh, um einer

Strafe zu entgehen, nach Yen. Da Ching Ch'ing als Gesandter (s. vor Anm.)

nach Ch'in ging, forderte er als Gabe den Kopf des Fan Kimg, mn Ch'in

zunächst in Sicherheit zu wiegen. Fan Yu-chi hatte Mitleid mit dem Prinzen

von Yen, der sich für eine zugefügte Beleidigimg an Shih Huang Ti rächen

wollte, imd schnitt sich selbst die Kehle durch. Shih-chi, ch. 86; JM 1505/3;

ferner Baueb-Fbanke, ibid.

» s. Chuang-tzu, ch. 15, Wn:,HELM p. 116, Debon-Speisee p. 76.

* Chuang-tzu angelte in der Nähe von Ch'i-yüan, Lackbaumgarten, am

Flusse P'u, als der König von Ch'u ihm durch Boten die Ernennung zum

Minister überbringen ließ. Chuang-tzu lehnte das Amt mit der berühmten

Parabel von der göttlichen Schildkröte ab. S. Chuang-tzu, ch. 17, Legge I,

390 (11); Wilhelm p. 134 (10).

* s. S. 286, A. 1.

s Yüeh war Metzger des Königs Chao von Ch'u. Er verzichtete auf Be¬

lohnung und Beförderung in den höchsten Stand, weil er beides weder für

berechtigt, noch seinen Talenten für angemessen hielt, und andererseits

nur eine Belastung in diesen Ehren sah. S. Chuang-tzu, ch. 28, Legge II,

p. 156 (5), Wiegeb p. 458/9 E.

* Yang Chu lebte im 4. Jh. v. Chr. Seine Werke sind verloren gegangen, ihr philosophischer Gehalt ist teils bei Chuang-tzu, teils bei Meng-tzu wieder¬

gegeben. Bei Meng-tzu wird Yang Chu's Doktrin wie folgt beschrieben:

,,The principle of Yang Chu is „Fach one for himself". Though he might

have benefited the whole world by plucking out a single hair, he would not

have done it." FmsrG, History, p. 133.

7 Anspielung auf Tso-chuan, Ai, 11. Jahr, Legge, V, p. 823 und 826: Als

Konfuzius von K'ung Wen-tzu beleidigt wurde, nahm er Abschied mit den

Worten: „The bird chooses the tree, tho tree does not choose the bird."

(In unserem Text heißt das: er sucht keinen Staat oder Fürsten auf, dem er

dienen will).

(15)

und trotzdem einen Wagen besteigt'. Wer in ein öffentliches Amt er¬

hoben wird, bedenkt nicht die Niederlage, die er durch unerträgliche

(Schwierigkeiten) erleiden kann.

Wenn man über Ruhm und Ehre redet, dann verhalte man sich wie

(I) Yin und Chou (Kung), um sich vor dem Untergehen zur retten. Wenn

man über Reue und Hochmut spricht*, vermeide man, das Fürstenmahl

zu verschütten* und rede nicht davon. Warten, bis der Flußdrache einge¬

schlafen ist*, und (ihm) dann die glänzende Perle nehmen, übergroße

Gunst genießen und auf immerwährendes Glück hoffen, sich an das

Gleichmaß einer Wasseruhr klammern und vor der höchsten Gefahr die

Augen schließen, ohne des (— ^flüchtigen) Glanzes des Eintagspilzes (zu

gedenken), (nur) auf das lange Leben des Ta-ch'un-Baumes zu blicken,

das ist, als ob gesprungenes dünnes Eis der Sommersonne harrte, ein

aufgereckter dürrer Ast auf einen kräftigen Windstoß wartete, als ob

sich die Fische der Tiefe durch köstlichen Köder anlocken ließen, die

Fasane der Sümpfe giftige Körner schluckten, als ob man faules Fleisch

kaute, um den Hunger zu stillen, sich mit vergifteten Wein betränke,

um den Durst zu löschen. Vor alters, als Chi Tzu* die elfenbeinernen

^ fu-ch'eng; vgl. I-ching, Chiai (40), Wilhelm p. 154, 0/3. Kommentar:

K'ung-tzu sagt darüber: ,,Eine Last auf dem Rücken zu tragen, ist das Ge¬

schäft des gemeinen Mannes. Ein Wagen ist das Gerät eines vornehmen

Mannes. Wenn ein Gemeiner das Gerät des vornehmen Mannes benutzt, so

denken die Räuber darauf, es ihm wegzunehmen. Wenn einer frech nach

oben und hart nach unten ist, so denken die Räuber daran, ihn anzugreifen."

^k'ang-hui; vgl. I-ching, Ch'ien (1) 9/1 (Wilhelm p. 30 und 350): Der

hochmütige Drache wird zu bereuen haben, d.h. wer sich zu Höhen erhebt,

denen die Voraussetzungen fehlen, sei es in Form von Bildung, Erkenntnis

oder materiellen Gütern, der wird sein Handeln zu bereuen haben. Nur der

wahre Heilige versteht es, hervorzutreten und sich zurückzuziehen, wie es

die Zeit gebietet, weil er Einsicht hat, und Weisheit und Bescheidenheit besitzt.

* fu-su; vgl. I-ching, Ting, (50), Wilhelm p. 188, 9/4: Der Tiegel bricht

die Beine, das Mahl des Fürsten wird verschüttet. Kommentar: ,,K'img-

tzu sagt: Schwacher Charakter bei egehrter Stellung, geringes Wissen und

große Pläne, kleine Kraft und schwere Verantwortung, werden selten dem

Unheil entgehen." Wie die voraufgehenden Begriffspaare, deutet auch dieses an, daß Divergenzen Unheil bringen.

* Vgl. Chuang-tzu, d.ch. 32, Wiegeb p. 496/67 H; Wilhelm p. 213 (18):

Am Ufer eines Flusses lebte eine arme Familie. Eines Tages fand einer der

Söhne beim Tauchen eine kostbare Perle. Da diese Art von Perlen sich nur

in der tiefsten Tiefe unter der Obhut des schwarzen Drachen befinden, ver¬

mutete der Vater, der Drache sei eingeschlafen, werde aber beim Erwachen die Perle suchen und den verderben, der sie hat.

° Er war der Onkel des Tyrannen Chou der Shang-Dynastie und verwei¬

gerte diesem den Gehorsam. Da Jadebecher und Elfenbeinstäbchen als

Zeichen luxuriöser Extravaganz galten, jammerte und weinte er über die

darin zum Ausdruck kommende falsche Gesinnung des Neffen. Shih-chi,

ch. 20.

(16)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 293

Eßstäbchen erblickte, weinte er bitterlich, als K'ung-tzu von dem un¬

erwarteten (Verfall) des Grabes (seiner Eltern) erfuhr', klagte er unauf¬

hörlich. Dann man erklärt das Unbekannte durch das, was man kennt,

man schließt auf den Anfang durch das, was man sieht. Und erst recht

sind die Wandlungen, deren Spuren sich im Dunkel verlieren, nicht er¬

kennbar.

Warum ist das Vorherwissen so höchst schwierig, rmd warum wird der

Gewinnsucht eine so fieberhafte Aufmerksamkeit gewidmet? Ch'eng

von Chou war ein Heiliger und mußte dennoch nach Ch'u im Süden sich

begeben. Er vertraute dem Gedicht ,,Die Eule"* seine Klage an imd

barg in der Truhe mit den Metallstreifen seinen dargebrachten Verzicht.

Und mit welch größerem Recht (nennt man) einen Herrscher außerge-

wöhlich und einmahg, der zur rechten Erkenntnis gelangt? Und um

wieviel schneller ist dann eine Verleumdung, die aus Unzufiedenheit

entstand, auszulöschen ?

Die Tugend besteht nicht darin, einen heftigen Sturm zu entfachen,

um umgefallenen Weizen wieder aufzurichten, Aktivität besteht nicht

darin, die runde Jadetafel zu tragen, um als Talent genannt zu werden.

(Zu dem, der das nicht einsieht), paßt dann, über das, was er nicht er¬

reicht, zu jammern und zu weinen!

Nun, setzt man eine (Verbindung, die fest ist wie) Lack und Leim,

lange Zeit einer wachsenden Feuchtigkeit aus, so löst sie sich auf; legt

man Dinge, (die so fest zusammengehören wie) Fleisch und Knochen,

allzu lange unter Wasser, so fallen sie auseinander. Ein Berg von Staub

und Federn (kann) schließhch auch ein Schilf sinken oder eine Wagen¬

achse brechen machen. Die Aussage von höchstens drei (Männern) ließ

1 S. Li-chi, T'an-Kung, Wilhelm p. 271 (6): Konfuzius häufte einen

Hügel über dem Grab seiner Eltern auf, das widersprach der Sitte der Alten.

Ein Regenguß zerstörte diesen Hügel. Daran erkannte er, daß seine Weise

falsch gewesen war.

2 Chou Kung bewahrte das Reich vor einer Rebellion. In König Ch'eng

erwachte Mißtrauen, da er Chou Kung's Verhalten nieht durchschauen

konnte. Als Klage und Rechtfertigung verfaßte er das erwähnte Gedicht

und überreichte es dem Herrscher (s. Shih-ching, Pin-feng, Legge IV, p. 232).

Die Truhe mit den Metallstreifen spielt auf eine andere Episode in Chou

Kung's Leben an: Da der König Wu erkrankte, bot sich Chou Kung als

stellvertretendes Opfer ziu- Beseitigung des Übels den rächenden Gottheiten an. Die Tafel, auf die er sein Gebet und seine Opferbereitschaft aufgezeich¬

net hatte, verschloß er in der beschriebenen Truhe. Als Chou Kung, von

seinen Gegnern als Mörder an Wu verleumdet, ins Exil nach Ch'u gehen

mußte, fand Ch'eng die Truhe, las das Gebet, erkannte seinen Irrtum und

rief Chou Kung zurück, s. Shih-ching. Legge V, p. 351, und Granet, Danses

et Legendes II, p. 411 f.

20 ZDMG 119/2

(17)

tatsächlich einen Tiger auf dem Markt entstehen'. Daher wurde Chiang

Chung* als Verbrecher verworfen und fand keine Gnade bei Yüan Chu.

Darum wurde die Stiefmutter falscher Beziehungen beschuldigt und

fand kein Vertrauen bei Po Ch'i*. Unter dem falschen Vorwand, ein

Dorngestrüpp ausrotten (zu müssen), wurde die Liebe zwischen Vater

rmd Sohn zerstört, mit der Lüge, eine Hornisse im Ärmel zu tragen,

wurde die Liebe im natürlichen Verhältnis (von Fürst und Untertan)

zerstört.

Und nun erst all die anderen Beziehimgen, wie sollten sie da nicht

zerstört werden ! Weh über Wu Yün*, denn er hielt die Treue hoch, und

sein Leichnam wurde dennoch (in den Fluß) geworfen. Weh über Po

Ch'i*, denn er bewahrte sich die Rechtschaffenheit und mußte sich denn-

noch die Kehle durchschneiden !

' Im Glian-kuo, Wei-ts'e, wird berichtet, daß nacheinander drei Männer

vor dem König erschienen und ihm von einem Tiger auf dem Markt berich¬

ten. Den ersten beiden glaubt der König nicht, doch durch die Bestätigung des dritten fühlt er sich überzeugt.

2 Er war oin treuer Beamter und Ratgeber des Han Wu Ti. Sein großes

Verdienst bestand vor allem im dreimaligen Niederwerfen eines Räuber¬

aufstandes. Da er aufgmnd seiner Verdienste hohe Autorität erlangte,

zürnte ihm der Kronprinz und klagte ihn an, nach seines Vaters Tode,

diesen durch Magie und Hexenkunst ermordet zu haben. Chiang Chung

wurde enthauptet. (90 v. Chr.). s. HS. ch. 45.

* Der Satz ist aufgrund der historischen Tatsachen falsch und erweist

sich auch im Kontext als unrichtig (Zerstören der Liebe zwischen Vater und

Sohn). Tatsächlich müßte er umgekehrt werden: ,,Po-Ch'i wurde falscher

Beziehungen beschuldigt und fand keine Liebe bei seiner Stiefmutter". Po Ch'i war der Sohn des Wang Kuo aus erster Ehe. Die zweite Gattin wünschte,

ihren eigenen Sohn auf den Thron zu bringen, und verleumdete Po Ch'i beim

Vater, so daß dieser ihn verbannte und als Thronerben verstieß, s. HS.

ch. 78.

Ein Mann aus Ch'u, der im 6./5. Jh. v. Chr. lebte. Nach jahrelangen treuen Diensten wird er, als der Herrscher gestorben ist, von Favoriten des

jungen Herrschers demmziert. Daraufhin wird er zum Selbstmord gezwun¬

gen. Sein Körper wurde in einen Ledersack genäht und in den Fluß gewor¬

fen. Später wurde an den Ufern dieses Flusses ein Gedäehtnissclirein für ihn errichtet.

* Po Ch'i (-f 258 V. Chr.), ein berühmter General der Ch'in, der bei einer

Kampagne gegen Wei mid Han an 40000 feindliche Soldaten tötete, im

Jahre 260 nach seinem Siege über Chao 40 000 Gefangene lebendig begraben

ließ. Als er seine Teilnahme an einer erneuten Kampagne gegen Chao ver¬

weigerte, legte man ihm den Selbstmord nahe. Nach Lun-ldng, Forke I,

p. 166, soll er selbst die Frage gestellt haben, womit er dieses verdient habe.

Den Grund sah er in der Hinrichtung der 40000. Seinem Herrscher war er

treu. Wenn auch das Treuemotiv und die Pflichterfüllung bei den hier ge¬

nannten Männern im Vordergrand steht und Po Ch'i in diesem Sinne durch¬

aus zu ihnen zählt, so nimmt es doch Wunder, daß Ko Hung ihn unter den

Musterbeispielen erwähnt.

(18)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 295

Wenn ein Mensch sähe, was er getan hat, dann würde ihm das Blut

erstarren, und selbst ein tüchtiger Mensch würde darüber in große Ver¬

wirnmg geraten.

Nun, wer die mangelhaften Talente antreibt, um sie den Donnerschlä¬

gen anzugleichen, wer (nur) einem einzigen positiven (Zug) vertraut,

um alles Unrecht (damit abzuwenden,) der erkennt wahrlich nicht, daß

das Metall zwar über das Holz siegt, (in Gestalt einer Ahle jedoch) keinen

Teng-Wald' zu fällen vermag, daß das Wasser zwar das Feuer über¬

windet, aber als ein winziger Spritzer nicht ausreicht, einen flammenden

Berg zu löschen, daß eine Handvoll Schlamm die Fluten des Huang-ho

nicht eindämmen kann, daß ein Tropfen Wasser das Feuer der Insel

Hsieh-ch'iu* nicht löschen kann. Darum gibt es (Männer), die sich Kör¬

per und Namen bewahrt haben, nur wenige, Männer, die zuerst lachen

und dann weinen, sehr viele. Wer sich davor fürchtet, (eines Tages) be¬

reuen (zu müssen), und dennoch das gierige Verlangen nach Ruhm nicht

abtötet, (der verhält sich dann wie einer), der die Nässe haßt und denn-

noch tief in den Strudel untertaucht*, wie einer, der den Schatten ver¬

abscheut und sich dennoch vom Dunkel umfangen läßt*, wie einer, der

ein Schiff auflaufen läßt und dennoch verhindern (möchte), daß es leck

wird, wie einer, der eine Flamme lodern läßt und dennoch vermeiden

möchte, daß das Wasser siedet.

Nun, die Länge eines Körpers von 2,50 m ist eine natürliche Gabe

und darum angeboren, man kann diesen Leib weder strecken noch ein¬

schrumpfen. Ein Herz hat nun einmal die Größe von 2,5 cm** und

schlägt im Individuum, man kann es aus seiner absoluten Einsamkeit

(im Körper) nicht befreien.

Den Acker zu pflügen, um sich ernähren zu können, einen Brunnen

zu graben, um den Durst stillen zu können, kurzgeschorene Wolle (zu

tragen), um die Blöße zu decken, eine Grashütte (zu bauen), um ein

Obdach zu haben, zur Laute zu singen, um sich zu erfreuen, ein- und

auszuatmen, um sein Leben zu verlängern, in Muße umherzuschweifen

und mit Bambusstäbchen auf weiße Seide zu schreiben, sein Herz dem

Pinsel anzuvertrauen, fest am Alltäglichen hängen und (sein) Ende ab¬

zuwarten, dies ist doch wahrlich genug !

1 Der Teng-Wald soll nach Huai-nan Tzu, (Cliui-hsing) aus der weggewor¬

fenen Peitsche des Sonnenjägers K'ua Fu entstanden sein. Der Wald gilt als

riesig imd besonders dicht.

2 Nach dem Pen-ts'ao, Yang-huo yin-liuo, gibt es im Südmeer eine Insel,

auf der sich ein Feuer im Frühjahr erhebt und im Herbst verlöscht, d.h. daß das

Element des Sommers hier als schlechthin unlöschbares Feuer gemeint ist.

* s. Meng-tzu, ch. 2 A, Wilhelm p. 42 (4).

* pu ist eindeutig eine Verschreibung für hsia.

5 Der Chinese stellte sich vor, daß das Herz genau diese Größe habe.

20*

(19)

Überdies nun: Wo das Tao vorhanden ist, (da kann man) von Adel

(sprechen) wo das Te, die wirkende Kraft, (alles) überragt, (da kann

man) von Ehre (sprechen). Die Perle von Sui' zu besitzen und auf Sper¬

linge zu schießen*, so benimmt sich kein Wissender. Warum sollte es

notwendig sein, durch Macht bekarmt, durch hohes Gehalt satt zu wer¬

den ? Wer mit seiner Armut zufrieden ist, der fühlt sich reich, eben weil

er kein Vermögen besitzt; wer in seinem niedern Stande in Ruhe und

Harmonie lebt, der fühlt sich würdig, eben weil er keine Amtsstellung

hat. Darum segelte Wu An* über das Meer und behielt eine reine Seele,

darum war Hu-tzu* so zufriedenen Gemütes, als er, sich zu einem Pflug

zurückzog. Das Verbrechen von (Kuan Lung-)feng imd Pi (Kan)* bestand

darin, daß sie zu tugendhaft waren, Hsin und Pu* wurden wegen ihrer

großen Verdienste bestraft. Dem Vogel Luan genügt ein einziger Zweig,

wenn er seine Flügel falten (und sich niederlassen will)'. Warum soUte er

besorgt nach einem dichten Wald Ausschau halten ? (Dem Winde) reicht

eine kleine Pfütze, wenn er (das Wasser) nach Art der Drachenschuppen

kräuseln will. Warum sollte er sich mit dem weiten Ozean befassen ?

Wildes Gemüse und Bohnen sind köstlicher als die acht Leckerbissen*,

das kalte Quellwasser ist erfrischender als der köstlichste Wein, ausge¬

tretene Latschen sind schöner als rote Pantoffeln, ein härenes Hemd ist

prächtiger als ein kaiserliches Gewand; sich an den T'ung-Baum zu

halten ist friedlicher, als eine Streitaxt zu tragen; das Gezwitscher der

Vögel ist ergötzUcher als (die Musik) von Saiteninstrumenten imd Wind¬

harfen, eine Hütte aus Stroh ist schöner als die roten Säulen (eines

Palais), ungehobelte Balken sind kostbarer als mit Schnitzerei verzierte

Sparren. Besteigt man den Gipfel des Sung-(yo), so hat man eine luftige

Aussichtsterrasse, verbirgt man sich in einer Grotte, so fühlt man sich

wie im Blütenpalast*, sammelt man Schriften und Bücher in (einer

' Der Marquis von Sui erhielt diese Perle von einer Schlange, die er ge¬

heilt hatte, als Dank. s. Huai-nan Tzu, Lan-ming.

2 s. Chuang-tzu ch. 28, Wiegeb p. 456/57 C.

* T. von Kuan Ning (158—241), er wird überall als ein leuchtendes Vor¬

bild beschrieben, als einer, der Tsao P'ei den Dienst verweigerte. Von einer Reise über das Meer wird nichts berichtet. San-kuo shih, ch. 11, Kao-shih chuan, hsia; GBD 100.

* Unter diesem Namen nicht zu identifizieren.

5 Beide hatten sich den Tyrannen, Chieh Kuei und Chou Hsin, widersetzt, um dem Volke zu helfen. Ihre hohe Sittlichkeit wurde ihnen zum Verderben, sie wurden hingerichtet. Chuang-tzu, ch. 4, Wilhelm, p. 27, auch p. 200 (1).

' Unter diesem Namen beide nicht zu identifizieren.

' Vgl. Chuang-tzu, ch. 1, Wilhelm p. 5 (2); Wiegeb p. 210/11 D.

« Li-chi, T& Ue, Wilhelm p. 356 (7).

° Bezeichnung für den Kaiserpalast allgemein, besonders aber für den

prächtigen Palast von Ch'u.

(20)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 297

Scheune), hält man sie für eine Bibliothek. Man setzt das Gespräch über

das Dunkle und Geheimnisvolle (einem Schatz) von Gold und Edel¬

steinen gleich. Man verwirft die oberflächhchen Begierden eines kleinen

Geistes und sagt sich von dem Verlangen nach durchschnitthchen Bin¬

dungen los. Man schweift in verborgener Ferne umher, um die Freude

auszukosten. Man windet sieh wie die Raupe, man bedient sich der Weis¬

heit und Klugheit, um sich vom Vulgären zu lösen. Man verdunkelt den

Glanz und hält sich an das Schlichte. Man gibt sich töricht und zeigt

sich ungeschickt in der Rede, man weiß sich zu bescheiden' und ist stets

zufrieden. Man saugt die wundertätige Iris aus, eilt wie der Wind, läßt

sich wie die Wolken treiben und (kommt) wie die Morgendämmerung

im Osten herauf*, man breitet die Flügel aus und schwebt hoch oben

dahin. Blickt man, (einen Ruheplatz suchend,) in die Höhe, so läßt man

sich auf dem Wu-t'ung-Baum* nieder, blickt man in die Tiefe, so ruht

man auf der Insel des Geheimnisses* aus. Wer läßt sich da Zügel anlegen

und mit der Peitsche* bändigen und wie der Opferbulle sich in eine ge¬

stickte Decke hüllen* ?"

D

Der Edle Fu Shih sagte :

,,Nun, man sagt von denen, die sich zurückziehen und nicht wieder¬

kehren, daß sie der Gnade (des Tao) verfallen seien xmd darum die

Rückkehr vergäßen ; und man sagt von denen, die vorwärtsstürmen imd

nicht umkehren, daß sie mit höchster Hingabe dienen. Die (zu dieser

Erkenntnis) gelangt sind, glauben daher, daß der Körper kein eigener

Besitz sei. Sie überlassen sich dem, was ihnen als Pflicht erscheint: sie

verbergen oder zeigen sich, sie schweigen oder reden. Es gibt für sie

nichts, woran sie sich unbedingt halten (müßten). Wenn die Zeit ge¬

kommen ist, stille zu halten, dann halten sie stille, wenn die Zeit gekom¬

men ist, voranzugehen, dann gehen sie voran'. Wenn die gebündelten

SeidenroUen aufgehäuft, die Fackeln (zur Nacht) in der HaUe entzündet

werden, dann nimmt das Tao des Edlen zu, wird im Himmel der Gewiim

sichtbar. Zu einer Zeit aber, da Aufstände ausbrechen, yang aUein

1 Chuang-tzu, ch. 2, Wilhelm p. 18 (7); Wiegek p. 222/23 E.

^ chiu-yang, wird von Murakami (Chügoku no sennin: Höbokushi no shiso,

Kyoto: Heuakujishoten 1956) als Bergname aufgefaßt. Es bedeutet aber

auch einfach : Ort, an dem die Sonne aufgeht.

3 Es ist der einzige Baum, auf dem sich der Phönix niederläßt.

* Name einer Insel im Nordmeer, das Paradies der Genien.

» s. Chuang-tzu, ch. 9, Wilhelm p. 67, Wieger p. 272/73—75.

« s. Chuang-tzu, ch. 32, Wibger p. 496/97 I.

' I-ching, K6n (52), Wilhelm p. 193, Kommentar zum Urteil.

(21)

herrsclit', da bleiben sie zu Hause und verschließen (ihre Talente) wie

Schätze in einem Sack. Ob ein Drache sich erhebt oder ein Phönix sich

niederläßt, alles Ding hat seine Zeit. Die Alten mm, wichen daher gefahr¬

vollem Aufruhr aus und weigerten sich, ein Amt anzutreten. Sobald sie

das erste Zeichen (einer bösen Absicht) gewahrten, (verweüten) sie

keinen Tag länger*. Ahnten sie, daß der Wu-shan^ Feuer finge, fürchteten

sie, daß auch Pilze und Kräuter in Flammen aufgingen.

Jetzt haben wir einen heiligen Herrscher, der das Schicksal der Welt

lenkt, die Welt hat Frieden, und das Tao herrscht, die Menschlichkeit

wendet sich allen Lebewesen zu. Gunst und Gnade breiten sich aus. Mit

Strenge (unterwirft er das Land der Ktoei-fang, und er erweist den neun

Grenzvölkern Wohltaten*. Er ist der Kraft der Erde vergleichbar : weit

und offen und die Dinge mit Hingebung tragend. Er gleicht dem Him¬

mel: hoch und erhaben und alles beschirmend. Dmch seine geistigen

Wandlungen läßt er Wolken aufziehen und Regen fallen. Durch seine

Barmherzigkeit imd sein Mitleid läßt er die schöpferischen Urkräfte in

reichem Maße sich entfalten. Daß er die vier Tore weit öffnen läßt und

alle ihm Ehrfurcht entgegenbringen*, daß ein Herrscher über die Fähig¬

sten nachdenkt, um sie mitregieren zu lassen, dies ist wirklich etwas,

was sich in tausend Jahren selten ereignet, und das ist dann der Augen¬

blick, in dem man sich entscheiden muß.

Und Sie, mein Herr, wollen sich einseitig (nur) der Verborgenheit er¬

freuen, und Sie bemerken nicht, wie schlecht und elend es Ch'üan und

Hua* ergangen ist. Sie widmen sich vne Shan Pao' nur der Pflege des

1 Wenn yang allein herrscht ohne Beimischung von yin, dann sind die

Verhältnisse nicht in Ordnung, ergeben sich falsche Beziehungen, diese aber führen zu Aufruhr.

" s. Lun.-Mng, Fobke II, p. 129f. und Lun-yü 10, Waley, p. 151 (X 18) n. 6 imd 7.

3 Berg in Shantung im NW von Pa-ch'eng, Berg der Regenwolkengöttin.

* Kuei-fang gilt einmal als Land wilder Horden, darimi von Wilhelm

im I-ching als Teufelsland übersetzt, (p. 231). Der Begriff steht ferner all¬

gemein für ein weit entferntes Gebiet; seit der Han-Zeit wird ein Stamm

der Hsiung-nu so bezeichnet. — Neun Grenzvölker = alle Grenzvölker,

denn neun ist die Zahl der Gesamtheit.

* s. Shu-ching, Shun-tien, Legge III, p. 31—32, d.h. seine Macht reicht bis in die entferntesten Gegenden.

" Zwei Eremiten, die unter dem Namen K'uang Yü und Hua Shih be¬

kannt sind. Sie lebten zur Zeit des Herzogs von Chou, verweigerten aber

jede Amtsübernahme und zogen sich in die entferntesten Winkel des Reiches

zurück. Ko Hung beschäftigt sich ausführlich im 2. Kapitel des wai-p'ien

mit diesen beiden Eremiten.

' s. Chuang-tzu, ch. 19, Wilhelm p. 141, Wiegeb p. 360/61 E. Er hatte

sich der Pflege seines Selbst zugewandt und bereits ein hohes Alter bei

frischem Aussehen erreicht. Da kam ein Tiger und fraß ihn.

(22)

Das erste Kapitel des Pao-p'u tzu wai-p'ien 299

„Inneren" und sehen nicht, daß der wilde Tiger (Sie) angreift. Das ist,

als erführe man, daß einer versunken ist, als er den Strom überquerte,

und behauptete dann, daß alle, die ein Schiff besteigen, untergehen

müssen; als erführe man von einem üblen Mißgeschick, das einem Kauf¬

mann widerfuhr, und riete dann den Erben, nicht den gleichen Beruf

(auszuüben)."

E

Meister Huai Ping sagte :

,,Die Großartigkeit der Veränderung durch einen Heihgen ist so wahr,

wie Sie gemeint haben. (Doch) hat jeder für die Zukimft seine eigenen

Wünsche. (Da) Herrscher wie Yao und Shun (sehr wohl darum wußten),

gab es in Chi und Ying einen Gast namens Ch'ao Hsi', gab es zur Zeit

des Hsia-Kaisers (Yü) Weise, die den Boden in öden Marschlanden

pflügten. Haben jene (vielleicht) Angst vor der Gefahr gehabt ? Da sich

nämlich ein jeder an das hält, was (ihm) Zufriedenheit bereitet, stellten

auch sie ihr persönliches Streben über aUes tmd dienten weder Fürsten

noch Adel. Das in Bildern und Strichen verborgene stimmt mit dem

Greifbaren und Sichtbaren überein*. Da (der Heihge) erlaubt, daß man

seine Reinheit wie (Chi Cha) in Yen-(ling) und Chou-(lai) bewahrt^,

(darf auch ich einsam auf Hügeln und Fluren umherschweifen und meine

Schritte in die Öde lenken. Gebe ich mir ehrlich ((Rechenschaft) über

meine Talente, (muß ich mir eingestehen), daß sie für die Pohtik nicht

taugen und keineswegs dazu angetan sind, ein Volk zu regieren. Doch

haben sich viele Meister (mit einer ähnlichen Nicht-Begabung) wie ich

zu den Wolken erhoben. (Wir haben so viele) hervorragende Männer, die,

dicht wie die Schuppen am Fischleibe, (einen Kreis um den Herrscher

bilden). Von zivilen und militärischen Talenten wimmelt es am Kaiser¬

hofe. Daher wiU ich keine Fackel anzünden und sie neben Sonne \md

Mond leuchten lassen. Wenn man an einen irdenen Topf und daneben

an eine große Glocke schlägt, einen leichten Fächer tmd daneben ein

Stück festes Eises zur Kühlung anbietet, Pelzwerk und Ofen in heißen

1 Ein Eremit, der sich im Alter ein Nest auf einem Maulbeerbaum baute,

daher stammt sein Hao. Er pflügte auf dem Chung-yo unterhalb des Berges

Chi im Norden des Flusses Ying. In späterer Zeit wm'de die Wohnstätte

eines Eremiten oft Chi-ying genannt. Han-fei-Tzu, ch. 49, Tr. Liao II, p. 275.

Er lehnte den Thron, den Yao ihm anbot, ab.

2 s. I-ching, Kommentar Wilhelm p. 303, § 8; es bedeutet, daß das im

Innern Verborgene sich in Taten zeigt.

3 Chi Cha, 6. Jh. v. Chr. war der Lieblingssohn seines Vaters und sollte

statt dos älteren Bruders das Reich übernehmen. Um aber einem derartigen

schuldhaften Verhalten zu entgehen, zog er sich nach Yen-ling und Chou-lai

(in Kiangsu) zurück. Shih-chi, ch. 31; GBD 28.

(23)

Sommermonaten verkauft, so kann man darin (nur) einen Beitrag an

die Nutzlosigkeit sehen imd sich beeilen, über ein so unzeitgemäßes Ver¬

halten lauthals zu lachen. Wenn man sich an die Überlieferung der Klas¬

siker hält, mag man wohl die wahre (Natur des Menschen) vervollkomm¬

nen und sich einen Namen erwerben und durch seine Unwandelbarkeit

eine Hilfe sein. Wenn man erzwingen will, wofür man nicht geschaffen

ist, dann wird man straucheln, Unglück (erleiden) und bereuen wie ein

junger Fuchs'. Daher richte man sein Interesse darauf, sich zu vervoll¬

kommnen, indem man den Mängeln abzuhelfen (versucht). Auch ohne

das Verdienst, eine Dynastie gegründet zu haben, auch ohne den Schlach¬

tenruhm eines Helden kann man sich selbst für die Nachwelt (als Edel¬

stein) schleifen und polieren, die Wahrheit verherrlichen und die Ge¬

rechtigkeit pflegen. Auf verschiedenen Wegen zum gleichen Ziel zu

gelangen, bringt man dem Volke keinen Schaden. Wenn gemeine Leute

schon ihre geringen Fähigkeiten vervollkommnen, wie ist es dann erst

bei Hsü Yu* ? Der heihge Herrscher hatte Verständnis und verzieh ihm.

Mit Yao zusammenzuarbeiten und sich von ihm fern zu halten, das war

doch beides möglich!"

F

Meister Fu Shih wurde plötzhch von Bewunderung ergriffen, nahm

eine ehrfurchtsvolle Haltung ein und sagte :

„Sie, mein Herr, stehen Ihre Theorien auf und verbreiten Ihre Lehre;

in Ihren Schriften verurteilen Sie Illegalität und Ungehorsam. (Die

einen) ziehen sich voll Abwehr vom Kampf zurück, um den alltäglichen

Streitereien und Gewalttätigkeiten zu entgehen, (die anderen) begünsti¬

gen die Lehre der Literaten (den Konfuzianismus), um vor Gesprächen

über metaphysische Fragen bewahrt zu bleiben.

Wenn es keinen gäbe, der ein Amt übernimmt, wer würde die sozialen

Beziehungen regeln ? Wenn es keinen gäbe, der sich zurückzieht, wer

würde die Unvrässenden unterweisen ? Da es unter dem Himmel, überall

auf der Erde nichts anderes als Untertanen gibt, wieso soUte man (nur)

die mit den herabhängenden Hutbändern und Jadetafehi^ loben, aber

jene, die über der Freude (am Tao) den Hxmger (vergessen) und in der

bescheidenen Hütte leben, tadeln ?

Nun, das Volk, das in (die Sümpfe von) Yün-meng* geht, bedarf wirk¬

lich eines Führers, um den Weg zu finden, ebenso (müssen) sich die

* s. S. 284, A. 1.

" Er lehnte das Reich, das Yao ihm anbot, ab. s. S. 285, A. 6.

' Die hohen Staatsbeamten rmd Würdenträger.

* Im Altertum der Name für einen Sumpf, unfruchtbare, öde Gegend,

meistens im N. von Chiang-nan lokalisiert. Shu-ching, Yü Kung, shang;

Legge III, p. 115.

(24)

Das erste Kapitel des Pao-p'u izu wai-p'ien 301

Schiffer auf hoher See nach dem Polarstern richten, um wieder heimzu¬

kehren. Jetzt habe ich guten Rat gehört, ich sehe meine Dummheit ein,

und ich bitte, (Ihr) Gewand und (Ihre) Kopfbedeckung tragen zu dür¬

fen. Wenn man einen alten abgeklapperten Gaul zur Eile antreibt und

von ihm abgeworfen wird', so ist dies die (einzig) richtige Behandlung, (die einem zuteil werden kann)."

' Ich halte ai für eine Verschreibung von shou als Passivzeichen. Auf

andere Weise sehe ich keinen Sinn in dem Satz.

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