Henri Maspero
(15. Dezember 1883 bis 17. März 1945)
Von Eeich Haenisch, Herrenchiemsee
Mit Henei Maspero hat die Sinologie einen ihrer größten Gelehrten
verloren. Sohn des berühmten Ägjrptologen Gaston Maspero, wählte
er sich das Studium der Sinologie und genoß den Unterricht von Edouard
Chavannes, danach die große Chance der französischen Forscher der
Weiterbildung in Ostasien an der iScole Frangaise de l'Extreme Orient
in Hanoi. So hat er mehr als ein Jahrzehnt sich in Ostasien den Studien
widmen können, bis er im Jahre 1920 auf den verwaisten Stuhl seines
Lehrers berufen wmde. Daß der Siebenunddreißigjährige mit der Nach¬
folge des großen Meisters betraut wmde, erregte damals Aufsehen. Doch
zeigte sich bald, daß man gut gewählt hatte. Jetzt kamen die Arbeiten,
dm-ch die sein Name rasch bekannt wurde und unvergessen bleiben wird.
Der Aufenthalt in Indo-China brachte es mit sich, daß die ersten Stu¬
dien dem Lande Annam galten, seiner Sprache, Religion und Geschichte.
Bald aber, und nach seiner Heimkehr ausschließlich, wandte er sich,
seinem Auftrage getreu, der reinen Sinologie zu, die er auf drei Feldern
bearbeitete: sprachlich, historisch und religionswissenschaftlich. Die
sprachlichen Arbeiten waren der Semantik und der Phonetik gewidmet.
In einem Aufsatz im Befeo 1914 hatte er die von ihm aus dem chinesi¬
schen buddhistischen Kanon herausgesuchten, bis ins 9. Jhdt. zurück¬
reichenden, in Volkssprache geschriebenen Textstücke auf ihre sprach¬
liche Eigenart hin behandelt und damit eine Spur gewiesen, die es weiter
zu verfolgen gilt. Die Arbeit 'Le dialecte de Tch'ang-an' befaßt sich mit
den Mundarten der Tang-Zeit und zeigt einen Weg zur Wiederherstellung
auch der alten Laute. Das vom Fach erhoffte zusammenfassende Werk
zu diesem Thema ist leider nicht mehr erschienen.
Auf geschichtlichem Gebiet liegt das Hauptgewicht seiner Arbeit, und
hier ist wieder sein Hauptwerk der Band 'La Chine Antiqu^ 1927, der
das abgeschlossene Zeitalter des Feudalreiches bis zum Jahre 221 v. Chr.
umfaßt, in fünf Abschnitten: Urzeit, Soziales und religiöses Leben, Die
Hegemonien, Die Kampfzeit der Staaten, Altes Schrifttum und Philo¬
sophie. Man erkennt in dem Werk das Bestreben, die Legende zurück¬
zuweisen, romanhafte Einschiebungen auszumerzen, die von späterer
konfuzianischer Orthodoxie verhüllte Bedeutung der Häretiker heraus-
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2 Erich Haenisch, Henri Maspero
zustellen und i. a. das Wirken des sozialen Lebens und der Religion, das
in der amtlichen Geschichtschreibung nicht recht in Erscheinung tritt,
zum Ausdruck und mit der Geschichte in Einklang zu bringen. Daß auch
die Archäologie und Epigraphik zu dem weiten Arbeitsfelde des For¬
schers gehörte, wird uns durch die posthumen Veröffentlichungen be¬
sonders zum Bewußtsein gebracht. Daß ihn, der die Geschichte im Zu¬
sammenhang mit dem Leben des Volkes verstand, Soziologie und Re¬
ligion beschäftigte, kann nicht Wunder nehmen, und zwar in erster Linie
die mystischen Lehren eines Lao-tze und Chuang-tze, die ja tief im Ge¬
müt des Volkes verwurzelt sind. Maspero sucht aus den späteren Kom¬
mentaren zu den Klassikern nachzuweisen, daß sie auch im geistigen
Leben, selbst in der Orthodoxen Lehre, weiter wirkten.
Schon der kurze Überblick bietet uns das Bild eines Gelehrten, der
auf drei weiten Gebieten des chinesischen Schrifttums — die Literatm
im engeren Sinne lag ihm fern — Großes und Dauerndes geschaffen hat :
Auf fester philologischer Grundlage stehend, tief grabend, unermüdlich
schichtend, betrachtend und vergleichend, um.dann seine Schlüsse zu
ziehen und uns ein wohlgefügtes Werk auf dem weiten sinologischen
Bauplatz hinzustellen, immer bestrebt, nicht nur die Steine zu behauen,
sondern auch den Bau zu vollenden. Viel ist ihm gelungen und viel ge¬
dachte er noch zu schaffen. Davon zeugen die posthum erschienenen
Bände 'Les ReUgions Chinoises, Le Taoisme, ßtudes historiques' und nicht
zuletzt die bei der Asia Major begonnene Veröffentlichung seiner For¬
schungen an den Turfan-Handschriften, die an sich auf Jahre lange Arbeit deuten.
Und dieses Forscherleben sollte vorzeitig erlöschen als Opfer einer un¬
seligen Zeit der Verwirrung, in Not und Drang der Geiselhaft von
Buchenwald ! Es ist begreiflich, daß die Kunde von der Gefahr in deut¬
schen Fachkreisen damals Bestürzung auslöste, und selbstverständhch,
daß Bemühungen einsetzten, zu helfen und zu retten. Es soll auch aner¬
kannt werden, daß die Amtsstellen, die dabei um Vermittlung anzu¬
gehen waren, Verständnis und Entgegenkommen zeigten. Das Verhäng¬
nis wollte es, daß die Aktion schleppend verlief und schließlich im Strudel
der allgemeinen Auflösung erstickte. Wir mögen uns sagen, daß wir im
eigenen Volke Tausende von Landsleuten, worunter auch manche
Freunde und Kollegen, zu betrauern haben, denen gleiches Schicksal
widerfuhr. Aber hier ist uns zu unserer Trauer noch eine Last aufgelegt, die
wir schwer empfinden. So beugen wh uns unter zwiefachem Druck vor dem
And enken des großen Fachgelehrten, mit dem Dankgefühl für seine Lebens¬
arbeit und in aufrichtigem Schmerz um seinen beklagenswerten Tod.
Henri Manperos
Max Freiherr von Oppenheim (1860—1946)
Von Weener Caskel, Köln
Wer das Werk Max FREfflERR von Oppenheims würdigen will, der
muß ihm nahegestanden haben. Denn dieses Werk ist nicht, wie es schei¬
nen könnte, von ungefähr, durch Geld und Glück, durch eigene und
fremde Begabung zustande gekommen, sondern einer ursprünglich auf
ganz andere Ziele gerichteten Natm und einem launischen Schicksal ab¬
gezwungen worden.
Der am 15. Juli 1860 in Köln geborene Bankierssohn teilte mit seiner
Generation das Streben nach Macht und Genuß, den Drang nach der
Eroberung der Ferne. Etwas hatte er ihr voraus: die Freude am Seltenen,
die er von seinem Vater, einem verständnisvollen Kunstsammler, geerbt
haben mag. — An der Verwaltungslaufbahn, zu der er bestimmt war,
fand er wenig Gefallen, es sei denn an dem damit verbundenen gesell¬
schaftlichen Glanz. Frühzeitig trachtete er danach, ihr zu entrinnen.
1886 ging er nach Marokko. In unveröffentlichten Aufzeichnungen hat er
diese Fahrt als romantisches Abenteuer dargestellt. Diese Reise hat sei¬
nen Blick für immer auf die Länder des Islam fixiert. Damals entstand
jenes tiefe Verständnis für die Orientalen, das ihm bis in seine letzten Jahre zu eigen blieb. 1891, als Regierungsassessor, entwarf er den ersten
Plan zu einem großen Unternehmen. In Begleitung des bekannten
Afrika-Forschers Gerhard Rohlfs wollte er von Tripolis durch die
Sahara nach Kamerun vordringen. Dieser Plan scheiterte, zunächst an
innerafrikanischen Verwicklungen, die durch den sudanesischen Söldner¬
führer Räbeh hervorgerufen worden waren, später an der berechtigten
Vorsicht des Auswärtigen Amtes. Trotzdem hat er an diesem Projekt
bis 1895 festgehalten. Als späte Frucht seiner Studien für die Reise er¬
schien 1902 das anspruchslose Buch „Babeh und das Tschadseegebiet",
mit einem Anhang über die Geschichte der innerafrikanischen Länder.
Inzwischen hatte er den Winter 1892/93 im Eingeborenenviertel von
Kairo zugebracht, um sich in dieser Umgebung auf die Afrika-Expedition
vorzubereiten. — Dieser Aufenthalt hat sich seinem Gemüt unauslösch¬
lich eingeprägt. Noch einmal so zu leben, schwebte ihm zeitlebens als
Wunschtraum vor. Daher sein merkwürdiges Interesse für Lady Hester
Stanhope, Lady lane Ehenborough und Isabeha Eberhard, die jenen