• Keine Ergebnisse gefunden

(1)Die Bedeutung Japans und die Aufgabe der deutschen japanologischen Arbeit Von W

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "(1)Die Bedeutung Japans und die Aufgabe der deutschen japanologischen Arbeit Von W"

Copied!
19
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Bedeutung Japans

und die Aufgabe der deutschen japanologischen Arbeit

Von W. Gundert-HamburgM

Wenn es mir heute vergönnt ist, zum erstenmal von dieser

Stelle aus zu Ihnen zu reden, so erfüllt mich dabei ein starkes

Gefühl von der hohen Ehre, die mir durch den Auftrag unserer

Regierung zuteil geworden ist, an der hiesigen Hansischen

Universität den öffentlichen Lehrstuhl für Japanologie zu

vertreten. Ist doch dieser Lehrstuhl nicht nur der erste, den

irgendeine deutsche Universität für die Erforschung der japa¬

nischen Sprache und Kultur eingerichtet hat, er ist auch

heute immer noch neben dem ordentlichen Lehrstuhl am

Orientalischen Seminar der Berliner Universität die einzige

ordentliche Professur für Japanologie in Deutschland. Diese

Ehre wiegt für mich um so mehr, als sie zugleich die Nach¬

folgerschaft des Mannes bedeutet, der ohne jede Frage als

der eigentliche Begründer und Vater der deutschen Japano¬

logie gelten muß, dem Deutschland den Ruhm verdankt, auf

dem Gebiete der japanischen Forschung zwischen England

auf der einen, Frankreich auf der anderen Seite an der Spitze

der europäischen Völker zu marschieren. Soviel auch schon

in früheren Zeiten deutsche Gelehrte für die Erforschung

Japans geleistet haben mögen — und es sind Namen von

der allergrößten Bedeutung darunter — wie Philipp Franz

V. SiEBOLD und vor ihm Engelbert Käjipfer — so ist es

doch ohne Frage Karl Florenz gewesen, der ähnlich wie auf

englischer Seite Sir Ernest Satow und Basil Hall Chamber¬

lain die Japanforschung über das Gebiet allgemeiner natur-

und völkerkundlicher Betrachtung hinaus erweitert und durch

1) Antrittsvorlesung geiialten an der Hansischen Universität, Ham¬

burg, am 4. Juni 1936.

ZeitwbrUt d. D U O. Bd. »0 (Neue Folge Bd. 1») IT

(2)

248 W. GuNDBKT, Die Bedeutung Japans

gründliches Eindringen in Sprache und Schrifttum, das heißt

also in die innersten Bezirke japanischen Denkens und Wesens,

die Japanologie im strengen Sinn als philologische und Kultur¬

wissenschaft begründet hat.

Die Übernahme dieses Erbes bedeutet für mich aber

ebenso auch eine schwere Verantwortung. Um ihr gerecht zu

werden, liegt mir vor allen Dingen ob, vor mir selbst und

gleichzeitig vor meinen Volksgenossen Rechenschaft darüber

abzulegen, was die Japanologie soll und welche Aufgabe sie

im besonderen für unser eigenes Volk als deutsche Wissen¬

schaft zu erfüllen hat.

Dazu tut vor allem not, daß wir uns die Gesamtlage, in

der wir uns heute befinden, vergegenwärtigen und uns dabei

die Frage vorlegen, welche Richtlinien sich daraus für die

Arbeit auf dem besonderen Gebiete der Japanforschung er¬

geben. Wir werden dabei finden, daß, wie für die deutsche

Wissenschaft überhaupt, so auch für die Japanologie eine

neue Stunde geschlagen hat, eine Stunde, die gerade dieser

unserer Arbeit zum ersten Male eine klare sinnvolle Ausrich¬

tung bringt und damit uns, die wir an ihr stehen, eine bisher

nicht gekannte Zielsicherheit und Freudigkeit zu schenken

vermag.

Zwei Anstöße sind es, die von entgegengesetzten Seiten

herkommend sich in geschichtlich merkwürdigem Zusammen¬

treffen finden, um mit vereinter Kraft die heutige Japan¬

forschung in eine neue verheißungsvolle Richtung zu weisen.

Der eine kommt, das brauche ich an dieser Stelle wohl kaum

noch hervorzuheben, aus derselben Quelle, die unserem ge¬

samten Volke neues Leben, all seinem Tun neue einheitliche

Ziele und damit auch unserer wissenschaftlichen Arbeit neue

Gesichtspunkte und Ausblicke, aber ebenso eine ganz neue

Verantwortung gebracht hat, aus der Bewegung des National¬

sozialismus und aus der Geburt eines seiner selbst anders als

bisher vollbewußten deutschen Volkes. Hat dieses gewaltige

Geschehen längst die zunächst in Betracht kommenden Ge¬

biete der Wissenschaften von Volk und Staat, die Deutsch¬

kunde, die Geschichtswissenschaft, die Rechtswissenschaft,

(3)

W. GuNDEBT, Die Bedeutung Japans 249

die Erziehungswissenschaft, sogar die Medizin ergriffen, so

wird es vor den Bemühungen um verstehendes Eindringen

in Kultur und Wesensart fremder Völker unmöglich halt¬

machen können, wird vielmehr gerade hier wieder in beson¬

derem Sinn seine richtunggebende und umgestaltende Kraft

entfalten.

Wie war es doch bisher mit unserer japanologischen Be¬

tätigung? Litt nicht auch sie unter der Zeitkrankheit, die den

ganzen wissenschaftlichen Betrieb erfaßt hatte? Wie die

Kunst für die Kunst da war, so die Wissenschaft eben für

die Wissenschaft. Man war Japanologe um der Japanologie

willen. Das Fach war interessant, ohne Frage, es bot eine

Fülle von ungehobenem Wissensstoff, der Sprach- und

Schrifttumsforscher, der Historiker, der Religions-, Kunst-,

Kulturgeschichtler — jeder kam auf seine Rechnung. Dazu

war das Gebiet abgelegen und schwer zugänglich, es bot dem

Ehrgeizigen einen besonderen Reiz. Japan hatte obendrein

etwas Exotisches an sich und übte damit auf alle Über¬

sättigten und Europamüden einen unwiderstehlichen Zauber

aus. Es hatte ganz eigenartige, überaus fein verästelte Lebens¬

formen ausgebildet, deren jede einzelne nach festen Kunst¬

regeln geordnet eine kleine Welt für sich darstellte, in die

man als gelehriger Schüler eintreten oder der man sich wenig¬

stens als erfolgreicher Sammler nähern konnte, um für eine

Weile den Härten des rauhen Lebens zu entrinnen. Mit

andern Worten: die Japanologie diente in ihrer schulmäßigen

Form der Anhäufung einer großen Menge von Wissensstoff,

der ohne Frage hohen Wert besaß, nur daß sie selbst nicht

danach fragte, wie und für wen er zu verwerten wäre, und

sie verlor sich darüber hinaus in Liebhabereien, die nur einem

ganz engen Kreis von Eingeweihten zugänglich, für ihn aber

um so mehr Gegenstand eines oft schwärmerischen Genießens

war. Daß an diesem Zustand irgend etwas nicht richtig, nicht

gesund sein müsse, das hat wohl mancher von uns schon

lange empfunden. Aber erst das Erlebnis, das wir der national¬

sozialistischen Bewegung verdanken, hat uns die Augen dafür

geöffnet, woran es in Wirklichkeit gefehlt hat: nämlich ganz

17*

(4)

250 W. GuKDBBT, Die Bedeutung Japans

einfach an der klaren Bezogenheit des Japanforschers auf

sein eigenes Volkstum.

Nun erst haben wir voll erkannt, daß man einem fremden

Volke überhaupt nicht als Einzelmensch, sozusagen aus dem

leeren Räume her, gegenübertreten kann, daß in der Berüh¬

rung zwischen dem einzelnen Deutschen und Japaner Volk

und Volk einander berühren, daß also Beschäftigung mit dem

fremden Volke nie etwas Privates, sondern Volkssache ist

und darum für den Einzelnen Dienst am Volk und Verant¬

wortung vor seinem Volke bedeutet.

Die erste Frage, die sich aus dieser Einstellung für den

Forscher ergibt, ist nun, ob denn der Gegenstand, dem er

sich zugewandt hat, eine Erforschung im Dienst des eigenen

Volkes auch wirklich lohne. Das bedeutet, auf die Japano¬

logie angewandt, die Frage, ob denn bei der Erforschung

Japans und seiner Kultur Werte zu gewinnen sind, die unserm

Volk zugute kommen, und worin diese Werte bestehen. Hier

begegnen wir dem zweiten Anstoß, der nun von Japan her

den vom Geiste des Nationalsozialismus ausgehenden An¬

trieben entgegenkommt, um die japanologische Forschung

erst recht in der angedeuteten Richtung vorwärtszudrängen

und damit.ihren Wert für unser Volk zu erhöhen.

Wir fragen also: welche Bedeutung hat Japan für uns in

der Gegenwart und welche Werte hat dementsprechend die

Japanforschung zum Besten unseres Volkes zu heben?

Wenn wir bei dieser Überlegung den politischen Gesichts¬

punkt voranstellen, so soll damit nicht gesagt sein, daß Völ¬

ker von geringer oder auch gar keiner politischen Gegenwarts¬

bedeutung nicht auch und vielleicht ebenso guten Anspruch

auf ernste wissenschaftliche Beachtung erheben können.

Dafür liefert Deutschland selbst ein Beispiel aus neuerer

Zeit, und zwar gerade als Gegenstand japanischen Interesses.

Japan hat sich seit seiner Europäisierung stets lebhaft um

die deutsche Wissenschaft gekümmert, hat an seinen höheren

Lehranstalten deutsche Sprache betrieben und seine Ge¬

lehrten an unsere Hochschulen geschickt. Nach dem Kriege

nun hätte man denken können, daß sich die Japaner, bei

(5)

W. GüNDEKT, Die Bedeutung Japans 251

denen doch das Politische unbedingt den Ausschlag gibt, von

der deutschen Wissenschaft abwenden würden, da das ge¬

schwächte Deutschland für Japan in politischer Hinsicht

ohne Frage nur noch eine nebensächliche Rolle spielte. Diese

Befürchtung hat sich jedoch nicht verwirklicht. Die Japaner

kannten zu genau den hohen Stand deutscher Wissenschaft

und erwogen weislich den Schaden, den ihnen der Verzicht

auf engere Fühlung mit ihr gebracht hätte. Das Studium der

deutschen Sprache und die Beschäftigung mit deutscher

Wissenschaft ging in Japan auch während der Zeit unseres

politischen Tiefstandes weiter, das Ansehen deutscher Kultur

blieb erhalten, und dies wird so bleiben, solange die Japaner,

die in dieser Hinsicht durchaus unvoreingenommen urteilen,

die Überzeugung behalten, daß wir wissenschaftlich noch

immer neben oder vor anderen Ländern an der Spitze mar¬

schieren — aber gewiß nicht länger. Auf jeden Fall zeigt

dieses Beispiel, daß bei der Bewertung eines Volkes als Gegen¬

stand wissenschaftlicher Forschung der politische Gesichts¬

punkt nicht unbedingt die erste Stelle einzunehmen braucht.

Im Falle Japans können wir nun doch nicht umhin, der

politischen Bedeutung dieses Landes unsere Aufmerksamkeit

zu allererst zuzuwenden. Denn Japans Aufstieg zur Welt¬

macht, seine heutige Stellung unter den Staaten der Erde

und die Möglichkeiten, die sich ihm in der Zukunft zu bieten

scheinen, sind von solchem Gewicht, daß jedes Volk der Erde

gut daran tut, einmal den Atem anzuhalten und sich zu

fragen: was ist es um dieses Land? woher kommt ihm diese

Kraft? und wo will es mit ihm hinaus?

Als im vorigen Jahrhundert die Fäden des Weltverkehrs

und der Weltpolitik, von Europa und Nordamerika aus¬

gehend, den Stillen Ozean zu überziehen und seit achtzig

Jahren auch jenes ferne Inselreich zu umspinnen begannen,

da dachte niemand, daß dieses Volk, das sich zu Anfang mit

solchem Widerstreben in das weltumspannende Geflecht

hineinbegab, in weniger als einem Jahrhundert an diesen

Fäden nicht allein selbsttätig und eifrig weiter spinnen, son¬

dern auch Miene machen würde, das Netz, an dem bisher

1 7

(6)

252 W. GüNOBBT, Die Bedeutung Japans

nur andere zu ziehen wagten, so gut es konnte auf den eigenen

Strand einzuholen. Aus einem kleinen Staat am Rande der

Welt, der zwar unabhängig geblieben war, aber auf keinen

Fall in der großen Politik der weißen Völker mitzählte, ist

eine Macht geworden, die sich selbst als Mittelpunkt betrach¬

tet und dafür die Enden der Welt an den Atlantischen Ozean

verlegt, wie jeder Blick auf eine japanische Weltkarte zeigen

kann. Eine jahrhundertelang in der Stille genährte in mythi¬

scher Vergangenheit verwurzelte Volkskraft sprengt mit

einem Male die engen Schranken, die sie sich selbst bewußt,

ja gewaltsam auferlegt hatte, greift über die Meere hinweg,

versetzt dem chinesischen Riesenreich der Mandschu-Dyna¬

stie den Todestoß, zwingt das weit mächtigere Rußland auf

die Knie, erweitert ihren Machtbereich nach Süden durch die

Einverleibung der chinesischen Insel Formosa, faßt Fuß in

der Mandschurei und sichert sich in der Halbinsel Korea die

Brücke zum asiatischen Festland. Ihr Schlag gegen den

deutschen Außenposten Tsingtau ist nicht so sehr nur auf

Deutschland gemünzt als vielmehr eine Geste, womit den

weißen Kolonialvölkern überhaupt angedeutet werden soll,

was sie nach japanischer Auffassung in Ostasien zu suchen

haben.

Wie sie nun vor der Aufgabe steht, die in diesem drei¬

fachen Vorstoß gewonnene Machtstellung zu dauerndem Be¬

sitz auszubauen und zu sichern, kommt ihr das Schicksal

wunderbar zu Hilfe, indem es die weißen Völker in den unheil¬

vollsten aller Kriege verstrickt hält, diejenigen unter ihnen,

die in Ostasien nach dem Ihrigen zu sehen hätten, in Europa

festbindet, der japanischen Industrie die Möglichkeit zu un¬

geahntem Aufschwung bietet, das bisherige Ansehen Europas

gründlich unterhöhlt und dafür dem japanischen Volk zu

emer bis dahin nicht gekannten Selbstbewußtheit und Selbst¬

sicherheit verhilft. Nahezu ungestört kann Japan nun die

Stellungen, die es sich mit Blut und Eisen erkämpft hat, mit

seinen Menschen und ihrer Arbeit erfüllen. Denn seine Volks¬

kraft ist durch natürliche Fruchtbarkeit noch dauernd im

Wachsen; aus den 33 Millionen des Jahres 1872 sind 70 Mil-

(7)

W. GuNDBBT, Die Bedeutung Japans 253

lionen Japaner geworden, — die 25 Millionen von Korea und

Formosa nicht eingerechnet — und sie nehmen vor der Hand

noch alle fünf Jahre um beinahe vier Millionen zu. Sie leben

auf dem Inselland mit seinem erstaunlich geringen Prozent¬

satz anbaufähigen Landes und seinen verhältnismäßig

schwachen natürlichen Hilfsquellen viel zu eng beisammen,

sie wären, wenn sie sich nicht so wunderbar geschmeidig

zusammendrängen könnten, in noch stärkerem Maße als wir

ein „Volk ohne Raum", sie müssen exportieren oder eine

Katastrophe gewärtigen, und sie brauchen neues Land zur

Siedlung. Diese Volkskraft drängt über die Ufer des Insel¬

reiches hinaus, sie sucht an allen gegenüberliegenden Ufern

und in deren Hinterländern Raum für Betätigung und Platz

an der Sonne.

Wir kennen die Auswirkungen dieses Drangs in den ver¬

gangenen vier Jahren: die Gründung eines neuen Reiches von

dem doppelten Umfang Deutschlands in den weiten Ebenen

der Mandschurei mit ihren ungeheuren noch zu erschließenden

Hilfsquellen, die Vorstöße im nördlichen China und in der

Mongolei, das langsame aber sichere Vordringen nach Süden,

nach den Philippinen, den Inseln der Südsee, und bis nach

Südamerika. Und jedes handeltreibende Volk Europas und

Amerikas weiß von der unwiderstehlichen Kraft der japa¬

nischen Exportoffensive zu erzählen. Diese Entwicklungen

vollziehen sich alle mit einer derartig naturgesetzlichen

Sicherheit, daß der Gedanke, sie könnten nun auf einmal

haltmachen, nur aus dem Reiche frommer Wünsche her¬

zuleiten ist. Hat es doch den Anschein, als zögen sich die¬

jenigen, die die ersten wären, der japanischen Ausdehnung

auf dem Seewege entgegenzutreten, bereits vorsichtig zurück :

Amerika überläßt die Philippinen ihrem Schicksal, England

baut Singapur zur Grenzfestung aus. Aber unter den Kanonen

Singapurs vollzieht sich der friedliche Aufmarsch der Chi¬

nesen und Japaner, gegen den nur ein anderer Volksstrom

von gleicher Naturgewalt etwas vermöchte — den aber gibt

es nicht. Nur an einer, der festländischen Grenzstrecke voll¬

zieht sich ein deutlicher Aufmarsch von beiden Seiten: näm-

(8)

254 W. GüNDJSBT, Die Bedeutung Japans

lieh da, wo die japanische Macht mit der des kommunisti¬

schen Rußland zusammentrifft, und wo sich, ob friedlich oder

nicht, Entscheidungen vorbereiten, die in anderem Sinne als

jene Wirkungen, die uns auf dem Seewege von Japan her

treffen, imser Volk über das Festland weg nahezu unmittelbar

berühren und für uns von der allergrößten Wichtigkeit sein

können. Um es kurz zusammenzufassen: Am Stillen Ozean

baut sich eine neue Welt auf von Ausmaßen und Beziehungen,

wie sie der Riesengröße dieses Weltmeers entsprechen; die

treibende Kraft aber in dieser Bewegung, der feste Kern und

Kristallisationspunkt des werdenden Gefüges, das ethisch¬

politische Rückgrat der pazifischen Welt — das ist kein

anderes als Nippon, das Reich des Tennö, des Enkels der

Sonnengöttin Amaterasu.

Vergegenwärtigen wir uns alle diese Zusammenhänge, er¬

schauen wir die Gestalt dieses aufsteigenden Volkes, erkennen

wir seine ungeheure Bedeutung für Gegenwart und Zukunft

des Menschengeschlechts und ermessen wir, welch gewaltige

Wirkungen es durch seinen Daseinskampf auf dem Land- wie

auf dem Seewege zu uns herüberschicken kann, und werfen

wir nun einen Blick auf den Stand der deutschen Japan¬

kunde, so werden wir nicht umhin können, uns über zwei

Dinge zu wundern. Erstens darüber, daß die Japanologie

noch heute an unsern deutschen Universitäten so überaus

schwach vertreten ist, und zweitens darüber, daß ihre Aus¬

richtung der ungeheuren Gegenwartsbedeutung Japans in

verhältnismäßig so geringem Maße Rechnung trägt.

Was den ersten Punkt betrifft, so liegt es mür, um ein

ostasiatisches Bild zu gebrauchen, völlig fern, die allgemeine

akademische Berieselungsanlage zu stören und Bächlein, die

anderswohin fließen sollten, nach dem japanologischen Reis¬

feld abzuleiten. Es ist aber meine Überzeugung, daß die

Japanforschung auch ohne Beeinträchtigung anderer Fach¬

gebiete gefördert werden kann und muß. Das bedeutet zu¬

nächst die Einrichtung weiterer Lehrstühle, mindestens die

Hebung und bessere Ausrüstung der schon vorhandenen

durch Berufung von Assistenten und japanischen Lektoren,

(9)

W. Gundert, Die Bedeutung Japans 255

wofür erfreulicherweise die Hamburgische Landesunterrichts¬

behörde viel Verständnis an den Tag gelegt hat, indem sie

die Berufung eines japanischen Lektors für das nächste Se¬

mester an die Hansische Universität genehmigte. Es handelt

sich ferner um die Flüssigmachung von Mitteln, um die

Büchereien unserer japanologischen Seminare und Institute

besser auszustatten und auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Auch in dieser Hinsicht sind wir der Landesunterrichts¬

behörde für eine ausgiebige Sonderbewilligung zu besonderem

Danke verpflichtet. Es ist aber mit der Vermehrung der Lehr¬

kräfte und Lehrmittel allein noch lange nicht getan. Wich¬

tiger als alles dies ist, daß mehr Studierende als bisher den

Mut finden, sich der Japankunde zuzuwenden und bei diesem

schweren mühsamen Stoff solange auszuharren, bis sie fähig

sind, wenigstens auf einem Gebiete der Japankunde selb¬

ständig weiterzuforschen. Auch hier handelt es sich nicht um

Massen. Was wir brauchen, ist eine Auslese, eine Vorposten¬

truppe, die für einen höchst eigenartigen Beobachtungsdienst

in vorgeschobenem Gelände besonders vorbereitet und ge¬

schult ist. Sie muß sich von vornherein durch geistige Be¬

weglichkeit auszeichnen, aber ebenso durch Ausdauer und

Wagemut. Denn die Schulung ist mühselig; es dauert gar

lange Zeit, bis einer die japanische Sprache so weit beherrscht,

daß er mit ihrer Hilfe dem eigentlichen Gegenstand der For¬

schung, auf den Leib rücken kann. Und so wie die Dinge bis

heute stehen, sind japanologische Kenntnisse zwar in man¬

chen, aber keineswegs in allen Fällen ein Ausweis auf eine

wirtschaftlich gesicherte Zukunft. Hier ist der Punkt, wo die

Stellen, die irgend Verbindung mit Japan haben und auf

deren Erhaltung Wert legen, dem Streben der Jugend ent¬

gegenkommen sollten. Denn die Jugend hat gewiß Sinn für

die Bedeutung des Japanstudiums; gewiß würde sich ihm

mancher mit Freuden widmen. Aber wenn er nun gar zu

wenig Aussichten vor sich hat, wenn ihm gar zu selten eine

Stellung winkt, in der ihm die japanischen Kenntnisse einmal

von Wert sein können, dann entsinkt manchem der Mut. Es

ist hoch erfreulich, daß in unserem diplomatischen Dienst

17«

(10)

256 W. GuNDBBT, Die Bedeutung Japans

der Bedeutung und Wichtigkeit japanischer Kenntnisse weit¬

gehendes Verständnis entgegengebracht wird. In der Tat

braucht man heutzutage im Osten, und gar nicht nur in

Japan allein, mehr Diplomaten mit japanischen Kenntnissen

als je zuvor. Aber ebenso wäre zu wünschen, daß auch die

Presse, die ja ihren ostasiatischen Dienst immer besser aus¬

baut, die Wichtigkeit japanologischer Vorbildung für ihre

Vertreter im Osten anerkennte und danach ihre Wahl träfe.

Namentlich aber möchte ich im Blick auf die engen Be¬

ziehungen, die unsere Hansische Universität mit den Kauf¬

mannschaften Hamburgs und Bremens verbinden, mir ge¬

statten die Frage aufzuwerfen, ob es nicht für jede unserer

Firmen in Japan von bedeutendem Vorteil wäre, wenigstens

einen oder einige japanologisch tüchtig vorgebildete Vertreter

draußen stehen zu haben. Wenn wir heute endlich das innere

Wesen Japans, seine bei aller Anpassungs- und Nachahmungs¬

lust unausrottbare nationale Selbständigkeit und die Selbst¬

herrlichkeit seiner Willensrichtung erkennen, wenn wir seine

leidenschaftliche Auflehnung gegen jede leiseste Spur einer

Gleichstellung mit Kolonialvölkern erfahren haben, dann

sind wir wohl berechtigt, uns mindestens die Frage vor¬

zulegen, ob vielleicht unser bisheriges Geschäftsgebaren

nicht doch etwas von dem sonst in Asien üblichen Kolonial¬

stil an sich hatte, und ob das uns nicht zum Nachteil gewesen

ist? Gewiß, die Japaner sind klug und beweglich genug, um

sich Ausländern gegenüber des Englischen als Geschäfts¬

sprache zu bedieneUj sie werden dabei auch in Zukunft sicher

bleiben. Aber mit englischem Briefwechsel und Buchführung

ist es ja nicht getan, auch nicht immer nur mit der Güte und

Billigkeit der Ware. Ein Land wie Japan ist ein gar feiner

Organismus, dessen mannigfaltige Bedürfnisse und Möglich¬

keiten nur durch eine genaue Kenntnis des Volkes und seiner

Lebens- und Denkart zu überschauen sind. Firmen, die den

Weitblick hätten und den Mut fänden, ihren Japananwärtern

zwei bis drei Jahre der Vorschulung in japanischer Sprache

und wirtschaftlicher Kultur zu ermöglichen, würden dies

später gewiß nicht zu bereuen haben, ganz abgesehen davon.

(11)

W. GüNDERT, Die Bedeutung Japans 257

daß sie damit der deutschen Sache überhaupt einen wert¬

vollen Dienst leisten würden. Denn es ist schon bisher so

gewesen, daß die wenigen unserer Kaufleute, und darunter

sind auch solche aus Hamburg, die tiefer in die japanische

Sprache und Gedankenwelt eingedrungen sind, davon nicht

nur geschäftliche Vorteile hatten, sondern darüber hinaus

durch ihren weiten Überblick, durch ihre Fähigkeit, über

japanische Fragen wirklich zuverlässige, abgewogene Urteile

abzugeben, und durch die Hochschätzung, die sie infolge¬

dessen bei den Japanern genießen, ganz allgemein zur Stär¬

kung des deutschen Ansehens und zur Sicherung der deutsch¬

japanischen Beziehungen beigetragen haben.

Wenn denn so die deutsche Japanologie im Blick auf die

Bedeutung Japans und im Bewußtsein ihrer nationalen Ver¬

antwortung nach einer jugendlichen Schar Ausschau hält, die

sie für den Dienst auf vorgeschobenem Posten ausbilden und

schulen möchte, so versteht es sich, daß sie auch die Aus¬

bildung, die sie bietet, nach diesem Zweck und Ziel wird ab¬

stellen müssen. Daraus ergibt sich als erste Forderung, daß

sie bei ihrer wissenschaftlichen Betrachtung mit klarem Tat¬

sachensinn von der Gegenwartsbedeutung Japans ausgeht.

Denn gesetzt den Fall, daß Japan heute nicht wäre, daß es

nur der Vergangenheit angehörte, so würde das zwar dem

Reichtum, der Schönheit, dem eigenartigen Reiz der alt¬

japanischen Kultur keinen Abbruch tun, sie würde auch so

ohne jede Frage auf allgemein menschliches Interesse An¬

spruch erheben können. Aber ihre Bedeutung für das deutsche

Volk wäre in diesem Falle doch verschwindend gering, und

die Japankunde könnte dann kaum mehr öffentliche Teil¬

nahme und Förderung beanspruchen als etwa die gewiß

hochinteressante Forschung auf dem Gebiete der aztekischen

oder der Inka-Kultur. Japan hat uns nun einmal in früheren

Jahrhunderten nichts angegangen, es geht uns aber heute an

und wir wissen nicht, ob es uns in Zukunft nicht noch viel

mehr angehen wird.

Wenn wir daher fordern müssen, daß die deutsche Japan¬

forschung unbedingt das heutige Japan zu ihrem Ausgangs-

(12)

258 W. Gundert, Die Bedeutung Japans

punkt nehme, so wäre es doch ein schwerer Fehler, wollte sie

sich in unruhigem Jagen nach Augenblickswirkungen aus¬

schließlich auf die japanische Gegenwart und auf die Fragen

des Tages werfen und darüber die gründliche Erforschung

der japanischen Vergangenheit vernachlässigen. Sie würde

sich damit ihrer Würde als Wissenschaft begeben, würde die

besondere Aufgabe versäumen, die ihr im Unterschied vom

Zeitungs- und Tagesschrifttum gestellt ist, und würde oben¬

drein gerade den wichtigsten Grundsatz in den Wind schlagen,

der sich für sie aus ihrer nationalsozialistischen Ausrichtung

ergibt. Denn wenn wir davon ausgegangen sind, daß es sich

in der japanologischen Arbeit nicht um etwas Privates, son¬

dern um eine Berührung von Volk mit Volk handelt, wenn

wir daraus zunächst gefolgert haben, daß unsere ganze Arbeit

auf das eigene Volk als Dienst an ihm bezogen sein muß, so

ist ebenso selbstverständlich, daß der Gegenstand unserer

Forschung nicht dieses oder jenes Ereignis, nicht irgendeine

japanische Sitte oder Kunstübung oder sonst eine Besonder¬

heit sein kann, sondern immer und in allem nur das japa¬

nische Volk. Es gibt für die Japanologie keinen frucht¬

bareren, keinen ihrem Gegenstand gemäßeren und darum

keinen glücklicheren Mittelpunkt als diesen Gedanken des

Volkes, den wir dem Kampf um nationalsozialistische Aus¬

richtung der Wissenschaft verdanken. Denn kaum irgendwo

in der Welt findet sich eine menschliche Gemeinschaft, die

in so vollendetem Sinn als Volk zu bezeichnen ist, wie in

Japan. Die abgeschlossene Insellage des Landes, seine Aus¬

maße — weder zu klein noch zu groß, die Gunst des Klimas —

alles hat dazu beigetragen, daß sich hier ein Volk sozusagen

in Reinkultur entwickeln konnte, ein Volk, das in Form ist

wie schwerlich ein anderes auf Erden.

Darin liegt aber bereits, daß man Japan unmöglich ver¬

stehen kann ohne seine Vergangenheit. Denn Volk ist nicht

etwas von heute auf morgen, und gerade in Japan kann man

mit Händen greifen, wie die vergangenen Jahrhunderte, wenn

nicht Jahrtausende, mitten in der Gegenwart lebendig wirk¬

sam sind. Wie sehr uns an Japan vor allem seine Gegenwart

(13)

W. GuNDBBT, Die Bedeutung Japans 259

wichtig ist, so wenig dürfen wir darum gerade um dieser

Gegenwart willen seine Vergangenheit aus dem Auge lassen.

Hat die Japanforschung zu ihrem Gegenstande Japan als

Volk, 80 bedeutet dies Japan als ein Ganzes, das von den

frühesten Anfängen an bis heute eine in sich geschlossene

Einheit darstellt. Nur so werden wir diese eigentümliche

Volkspersönlichkeit, die nun auf der Bühne der Welt als

gewichtiger Mitspieler aufgetreten ist, einigermaßen verstehen

und richtig beurteilen lernen.

Für den Betrieb der Japanologie ergibt sich hieraus, daß

an der fachlichen Grundlage unserer Arbeit nichts zu ändern

sein wird. Denn die muß nach wie vor das Studium der

japanischen Sprache sein, und zwar in allen ihren Entwick¬

lungsstufen. Dies zu betonen ist an einer Stätte ernster

wissenschaftlicher Arbeit wie dieser völlig überflüssig. Es

darf jedoch nicht verschwiegen werden, daß auf dem Gebiete

der Japanforschung überhaupt in dieser Hinsicht noch immer

Zustände herrschen, wie sie bei der Beschäftigung mit andern

fremden Ländern und Kulturgebieten nicht denkbar wären.

Noch immer entstammen die meisten Bücher, die über Japan

geschrieben werden, der Feder von Verfassern, die von der

japanischen Sprache nur wenig oder nichts verstehen, ge¬

schweige denn, daß sie imstande wären, zu dem Gegenstand,

den sie behandeln, das japanische Schrifttum selbst zu Rate

zu ziehen. Der Grund hierfür ist leicht ersichtlich; er liegt

einfach in der großen Schwierigkeit der japanischen Sprache

und noch mehr der Schrift; und darum ist auch aus diesem

Zustand niemandem ein persönlicher Vorwurf zu machen.

Aber so kommt es, daß die meisten, die über Japan schreiben,

auf die wenigen Werke von wirklichen Forschern oder aber

auf das angewiesen sind, was ihnen von Japanern in einer

europäischen Sprache vorgesetzt wird, und daß wir deshalb

in solchen Werken neben einer Fülle interessanter und rich¬

tiger Beobachtungen so leicht Entstellungen und Mißver¬

ständnisse antreffen. Das ist ein ungesunder Zustand, der

angesichts der heutigen Bedeutung Japans je früher je besser

überwunden werden sollte. Die Japanologie selbst wird hierzu

(14)

260 W. GüNDERT, Die Bedeutung Japans

am besten beitragen, wenn sie sich in dem schon ausgeführten

Sinne bemüht, bei ihrer Arbeit von der Gegenwartsbedeutung

Japans auszugehen, anstatt sich in einseitig philologischer

Facharbeit zu verlieren. Sie wird dann aber auch erwarten

dürfen, daß diejenigen, die tiefer in japanische Fragen ein¬

dringen wollen, die Mühe nicht scheuen, sich eine ausreichende

sprachliche Grundlage zu erwerben. Ein verheißungsvoller

Anfang ist hierzu bereits gemacht, und zwar durch die Ein¬

richtung eines Studentenaustausches zwischen Deutschland

und Japan. Denn nichts kann für gründliche japanologische

Arbeit besser vorbereiten als ein zweijähriger Studienaufent¬

halt im Lande selbst, dem freilich, wenn er sich lohnen soll,

eine entsprechende Vorbildung in Deutschland vorangehen

muß. Auf diesem Wege wird sich, so dürfen wir hoffen, die

ungute Kluft zwischen allgemeiner Japanschriftstellerei und

philologisch unterbauter wissenschaftlicher Arbeit mit der

Zeit überbrücken lassen.

Ist also Philologie nach wie vor der Anfang aller ernsten

Japanforschung, so ist und darf sie doch nicht das Ende sein.

Sie soll uns vielmehr nur das Rüstzeug an die Hand geben,

mit dem wir an unsern eigentlichen Gegenstand herantreten

und ihn meistern können. Der aber ist und bleibt das japa¬

nische Volk als Ganzes. Wir werden seine rassischen Bestand¬

teile und ihre Verbindung untereinander, wir werden die

natürlichen Bedingungen, die es in Boden und Klima seines

Landes vorfindet, sowie die Art seiner Verwachsenheit damit,

d. h. seine Lebens- und Wirtschaftsformen, zu untersuchen

haben. Wir werden nach seinem Mythus fragen, nach seiner

Religion, Dichtung, Kunst und daraus die gewöhnlichen

Triebe wie die höheren Ideale erkennen, von denen sein Tun

und Lassen bestimmt ist. Wir werden dabei besonders auf

die Kräfte achten, die es zum Volk geformt und dieser

völkischen Form ihren festen Halt gegeben haben. Dabei

wird uns Wesen und Bedeutung des Tennötums, des von

Japan nicht wegzudenkenden Herrscherhauses, als die eigent¬

liche Grund- und Kernfrage der Japankunde, als der Schlüssel

zum Geheimnis dieses Volkes vor allem andern beschäftigen.

(15)

W. GuNDBBT, Die Bedeutung Japans 261

Wir werden die in ihrem Wesen so verschiedenen Zeiträume

der japanischen Geschichte verfolgen und fragen, welche Wir¬

kungen jeder dieser Zeiträume in der Gegenwart hinterlassen

hat. Dabei werden wir der Frage besondere Beachtung schen¬

ken, wie sich Japan zu dem fremden Kulturgut verhält, das

es in früheren Jahrhunderten von China, in neuester Zeit von

Europa und Amerika übernommen hat, nach welcher Regel

es ausliest und aneignet, und wie es Eigenes und Fremdes

zusammenfügt. Endlich werden wir mit besonderer Spannung

die Frage weiterverfolgen, in deren Erforschung der Be¬

gründer der geopolitischen Schule, Karl Haushofer, bahn¬

brechend vorangegangen ist, wie dieses abgeschlossene Insel¬

volk zur Weltmacht werden konnte, wo die Triebkräfte zu

dieser Entwicklung liegen, welche Probleme, auch welche

Gefahren sie in sich birgt, und in welche Richtung sie für

die nächste Zukunft weist. Wir werden durch alle dies ver¬

suchen, ein treues Bild von der äußeren und inneren Gestalt

dieses Volkes zu gewinnen, den Grund seiner Kraft wie seine

Schwächen zu erkennen und so für das praktische Verhalten

unseres eigenen Volkes zu ihm die unerläßliche Grundlage

sicherer Kenntnis und unbestochenen Urteils bereitzustellen.

Es haben darum im Rahmen dieser Japankunde alle jene

Forschungsgebiete Raum, die irgendwie das japanische Volk

betreffen: Sprachwissenschaft, politische Geschichte, Ge¬

schichte der Wirtschaft, der Religion, der sozialen Sittlich¬

keit, der Sitte und der Erziehung, des Schrifttums und der

Kunst. Es wird sich jeder aus dieser Fülle wohl oder übel ein

Sonderfach zur Bearbeitung heraussuchen müssen, aber der

Nachdruck sollte nicht mehr wie zur Zeit der übertriebenen

Arbeitsteilung, aus der wir herkommen, auf dem Sonder¬

gebiet als solchem liegen, sondem auf der Fruchtbarmachung

jedes einzelnen Gebietes für diese Kernfragen, die das Wesen

des japanischen Volkes selbst betreffen.

Mit dieser Straffung der Arbeitsweise ist nicht nur unse¬

rem sachlichen Zwecke gedient, sondern zugleich auch dem

persönlichen Bedürfnis des Wissenschaftlers, der an seiner

Arbeit Freude haben möchte. Denn die Zeiten, wo einer auf

(16)

262 W. Gundert, Die Bedeutung Japans

einem japanologischen Fachgebiet durch selbständiges Vor¬

stoßen verhältnismäßig leicht Entdeckungen machen und

Lorbeeren ernten konnte, sind — gestehen wir es uns nur —

unwiederbringlich dahin. Die japanische Wissenschaft hat

sich in den letzten dreißig Jahren unsere eigenen Forschungs¬

grundsätze so gut angeeignet und besitzt dabei zu der un¬

geheuren Fülle ihres Stoffes einen so unvergleichlich be¬

quemen Zugang, daß sie auf japanologischem Gebiete stets

einen Vorsprung voraus haben wird, den einzuholen dem

nicht japanischen Fachmann nur in ganz seltenen Ausnahme¬

fällen möglich sein dürfte. Auf keinen Fall hätte es einen

Sinn, sich ohne umfassende Prüfung aller japanischen Vor¬

arbeiten auf japanologische Entdeckungsfahrten zu begeben.

Die Zusammenfassung dagegen des japanologischen Stoffes

zu dem Bild eines Volkes, die Deutung dieses Bildes für das

Verständnis des deutschen Volkes, seine Beurteilung von

unserem Gesichtswinkel her : das ist eine Arbeit, die eben nur

wir leisten können, und die gewiß nicht nur uns selbst zugute

kommt, sondern auch in Japan Beachtung fmden wird.

Dazu kommt als letztes, daß diese Arbeit uns ganz gewiß

auch reichen inneren Gewinn bringen wird. Wir sind von der

politischen Bedeutung Japans ausgegangen und haben das

Daseinsrecht der Japankunde zunächst ausschließlich auf sie

gegründet. Ohne Frage liegt die Größe Japans durchaus in

seiner politischen Geschlossenheit, während es in rein gei¬

stiger Beziehung kaum etwas aufzuweisen hat, was sich den

Schöpfungen der ganz Großen anderer Länder völlig gleich¬

wertig an die Seite stellen könnte, von der Malerei vielleicht

abgesehen. Japan hat keinen Kungfutse oder Laotse, keinen

Buddha, keinen Homer oder Dante, keinen Shakespeare,

Schiller oder Goethe, keinen Bach oder Beethoven hervor¬

gebracht, und mancher Japanforscher hat darüber bei seinem

Fachstudium — auch dies sei offen eingestanden — im stillen

schon geseufzt.

Aber in dem Augenblick, wo wir das Politische in den

Mittelpunkt der Betrachtung stellen, gewinnen mit einem Male

auch die geistigen und sittlichen Werte Japans neue Bedeu-

(17)

W. GuNDEBT, Die Bedeutung Japans 263

tung, eben weil sie letztlich ganz auf das Politische bezogen

sind. Denn wir haben in den Japanern ein Volk vor uns, das

im Bewußtsein dessen, was ihm mangelt, mit beispielhafter

Treue alle Kraft daransetzt, mit seinem Pfunde zu wirt¬

schaften, und das mit einem bewundernswerten Eifer das

Fehlende durch emsiges und verständiges Lernen von andern

ergänzt. Diese Treue, dieser Eifer, diese Zusammenraffung

und Zusammenfassung aller Kräfte auf das eine Ziel Japan —

das ist auch etwas Großes, ist etwas Einzigartiges, und kann

sich in der Weltgeschichte unter Umständen ebenso bewähren

wie die reichere Begabung anderer Völker, zumal wenn diese

es versäumen, ihre Kräfte zuchtvoll beisammenzuhalten.

Wir haben als Deutsche und als wissenschaftliche Forscher

gewiß nicht den mindesten Anlaß, unsern Gegenstand zu

idealisieren, wir werden vielmehr solchen Versuchen, mögen

sie von Japanern kommen oder von unreifen Schwärmern

aus dem eigenen Volk, sachlich und bestimmt entgegentreten

müssen. Aber die trockene Objektivität alten Schlags ist

ebensowenig unsere Sache. Nur wenn wir die positiven Werte,

die nun einmal tatsächlich, wenngleich oft auf merkwürdige

Weise, in das Gesamtgewebe japanischen Volkstums mitein-

geflochten sind, geflissentlich aufsuchen und ans Licht fördern,

werden wir unserem eigenen Volk ein zugleich wahrheits¬

getreues und sittlich wertvolles Bild des japanischen Volkes

bieten können. An seinen Heldengestalten, in seiner Dich¬

tung, in den einfachsten Erscheinungen des Volkslebens —

immer werden wir wieder dieselben Züge zu betrachten haben :

die Bezogenheit des gesamten Lebens auf das Ganze, auf

Japan, auf das Kaiserhaus; daraus fließend die Energie, mit

der das Private, das Persönliche zurückgedrängt wird, den

hochentwickelten Ehrsinn, die Unbeugsamkeit im Kampfe,

die Selbstzucht und Selbstbeherrschung, die Verschwiegen¬

heit, die Zügelung der Kritik, die Haltung in der Rede, die

Würde der Umgangsformen, das Bemühen um friedlichen

Ausgleich, die Bescheidung in der Lebensführung, die An¬

spruchslosigkeit, die natürliche Dankbarkeit, die Frömmig¬

keit, die Bereitschaft zum Verzicht,, zum Opfer, auch zum

Zeitscbrift d. DMG. Bd. 90 (N'eue Folge Bd. 15) 18

(18)

264 W. Gundert, Die Bedeutung Japans

Opfer des Lebens. Damit zusammenhängend den tief ein¬

gewurzelten Familiensinn, die Aufopferung der Familien¬

glieder für einander, die Ehrung der Alten, die Verbundenheit

mit den Toten, die Liebe zum Kinde, die ganz besonderen

weithin vorbildlichen Tugenden der japanischen Frau und

Mutter; die Anhänglichkeit an Sitte und Herkommen und

daneben die grenzenlose Bereitschaft zum Erlernen alles

Neuen, den Bildungshunger auch des einfachsten Dienst¬

mädchens, die Beteiligung des breiten Volkes an Theater,

Musik, Ausstellungen der Kimst und Wissenschaft, den Sinn

für Form vmd Farbe, die naive Freude am Leben der Natur.

Alle diese Eigenschaften des japanischen Volkes hat die

Japanforschung nachzuweisen und herauszustellen in dem

Bewußtsein, daß darin auch für unser eigenes Volksleben

wertvolle Antriebe liegen können. Es handelt sich dabei

keineswegs um eine würdelose Anbetung und Nachahmung

fremder Art. Es handelt sich aber um die Frage: was haben

wir diesem Volk des Ostens an gesunden sittlichen Kräften,

an volkbildenden und volkerhaltenden Tugenden entgegen¬

zustellen, wo gilt es bei uns faule oder allzu üppige Triebe

abzuhauen, wo haben wir mit neuen Bemühungen anzusetzen,

wenn wir nicht ziirückbleiben wollen?

Damit sind denn der deutschen Japanforschung hohe

Ziele gesteckt, die es wohl wert erscheinen lassen, sich ihr

mit Ernst und Eifer zu widmen. Sie umfassen ein Feld, das

weit genug ist für die mannigfachste Betätigung, aber auch

hart, steinig und mühsam zu bearbeiten. Einzelne sind zu

wenig, um in einem kurzen Leben eine volle Ernte- davon

einzubringen. Mögen diese Ausführungen mit dazu beitragen,

daß eine wenn auch kleine Schar von jugendlichen Volks¬

genossen den Entschluß finde, das Werk anzugreifen und in

gemeinsamem Bemühen Wesen und Art eines uns zwar sehr

fremden, aber in vielem doch geistesverwandten und für die

Weltgeschichte bedeutenden Volkes dem eigenen Volke näher¬

zubringen.

(19)

Eine Schenkungsurlcunde auf Kupferplatten des ^ilä-

hära-Herrschers Chittaräja aus dem Jahre 1034 n. Chr.

Von Ernst Waldschmidt-Göttingen

Vor einiger Zeit erwarb das Berliner Museum für Völker¬

kunde ein Dokument auf Kupferplatten {tämrapatta) im¬

bekannter Herkunft, das ich als eine Schenkungsurkimde

(säsana) des Königs Chittaräja aus dem Geschlecht der

Silähäras bestimmen konnte.

Derartige Dokumente gehören wegen der darin gegebenen

Genealogien und sonstigen historischen Tatsachen zu den

wichtigsten Quellen unserer Kenntnis der indischen Ge¬

schichte. Das unsrige ist, wie die Zusammenstellung unten

S. 268 zeigt, das 2. aus der Regierungszeit des Königs Chitta¬

räja und das 8. seiner Art aus der über 400 Jahre währenden

Zeit der Herrschaft der Silähäras im Küstenbereich des

heutigen Bombay, einer Zeit, die nach den Feststellungen von

S. M. Edwardes in „The Population of the City of Bombay"^)

für die Kolonisation der Gegend von Bombay von der größten

Bedeutung gewesen ist.

Die Urkunde besteht aus drei Platten in der Größe

21 X 15,2 cm, die durch einen Kupferring zusammengehalten

werden. Mit einer Inschrift versehen sind die Innenseiten der

ersten und dritten Platte und beide Seiten der mittleren

Platte (s. Tafel 1—4). Die Außenseiten der ersten und dritten

Platte dienen als Deckel und sind unbeschrieben. Der Ring

ist mit einer Scheibe von 4,5 cm Durchmesser geschmückt,

auf der in Reliefarbeit der menschlich gestaltete, jedoch mit

1) Indian Antiquary Bd. 55 (1926) S. 209ff. u. S. 235 ff., spez.

S. 213f.

X8*

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

M 09 Arbeiten ohne Perspektive? – Generation Praktikum Arbeitsbedingungen M 10 Viel Arbeit, wenig Geld – Arbeiten für Dumpinglöhne Arbeitsbedingungen M 11 Alles mini oder

Einleitend geht die Stellungnahme des Deutschen Vereins zu dem Gesetzent- wurf der Bundesregierung für ein Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Be- schäftigung auf das

Die AG „Sozialer Arbeitsmarkt“ wird im Jahr 2019 eine weitere Empfehlung in die Gremien des Deutschen Vereins ein- bringen, die als Handreichung für die Praxis die Umsetzung

In den Empfehlungen wurde aufgezeigt, dass die Jobcenter und Agenturen für Arbeit ihr Bestes tun, damit auch junge Menschen in schwierigen Lebenslagen einen Schulabschluss und

Auch wenn das Pflegegeld der Pflegeversicherung nicht ausreicht, um die Kosten der durch den Pflegebedürftigen als Arbeitgeber selbst beschäftigten Pflegekräfte zu decken, soll

Nach einem Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwal- tung und Finanzen in Stuttgart, das er 1974 als Diplom-Verwaltungswirt (FH) abschloss, arbeitete Roland Klinger für

„Im Hin- blick auf die mehrfach vom Deut- schen Ärztetag erhobene Forde- rung nach einer Neuordnung der Besoldung der Ärzte im öffentli- chen Gesundheitsdienst ist es

Ausschüsse für Berufsbildung Bekanntlich gibt es künftig nach den Vorschriften des Berufsbil- dungsgesetzes sowohl auf der Ebene des Bundes, der Länder als auch der einzelnen