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Das Werk bedeutet einen tiefen Einschnitt in der Geschichte dieser Disziplin

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Zwei Leidener Darstellungen der israelitischen Religionsgeschichte

(A. Kuenen und B. D. Eerdmans)

Von Otto Eißfeldt.

In den Jahren 1869 und 1870 hat der Leidener Theologe

und Alttestamentler Abeaham Kuenen seine zweibändige Dar¬

stellung der Religion Israels unter dem Titel „De Godsdienst

van Israel" veröffentlicht. Das Werk bedeutet einen tiefen

Einschnitt in der Geschichte dieser Disziplin. Nicht so sehr

darum, weil hier Israels Religion als eine geschichtlich ge¬

wordene Größe aufgefaßt und dargestellt wird, also mit der

biblisch-theologischen Methode gebrochen ist. Denn darin war

Wilhelm Vatke mit seiner 1835 herausgegebenen „Religion

des Alten Testaments" Kuenen vorangegangen. Aber das

war neu an Kuenen's Arbeit, daß er seiner Darstellung der

israelitischen Religionsgeschichte erstmalig die sogenannte

Graf'sehe Hypothese zugrundelegte, d. h. die These, daß die

bisher für die älteste Pentateuchquelle gehaltene und darum

als „Grundschrift" bezeichnete Schicht, die jetzt allgemein

„Priesterkodex" genannte Quelle, in Wahrheit die allerjüngste

sei, und so einen von den bisherigen Darstellungen stark ab¬

weichenden Verlauf der israelitischen Religionsgeschichte ent¬

warf. Er hatte ja selbst Anteil an der Ausbildung jener

Hypothese, indem er Graf's Erkenntnis, daß die Gesetze der

„Grundschrift" die jüngsten Bestandteile des Pentjateuchs dar¬

stellten, dahin ergänzt hatte, daß dies Urteil auch auf ihre

Erzählungen auszudehnen sei, also von der ganzen „Grund¬

schrift" gelte').

1) Vgl. A. Kuenen: Critische bijdragen tot de geschiedenis van den Israelietischen godsdienst. V. De priesterlijke bestanddeelen van Penta-

(2)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. Israel. Keligionsgesch. 173

Jetzt, sech.s Jahrzehnte nach Kuenen's Godsdienst van

Israel, legt wieder ein Leidener Professor, B. D. Eerdmans,

Theologe und Alttestamentler, eine anscheinend auch auf zwei

Bände berechnete israelitische Religionsgeschichte vor, und

zwar unter demselben Titel „De Godsdienst van Israel" ; der

bis zu den Propheten des S.Jahrhunderts führende erste Band

ist 1930 erschienen 1).

Da liegt ein Vergleich dieser beiden Darstellungen nahe.

Man darf erwarten, dabei aufschlußreiche Einblicke in die

seit Kuenen's Buch gemachten Fortschritte unserer Kenntnisse

zu gewinnen, und hoffen, daß auch methodisch bedeutsame

Einsichten für die zukünftige Behandlung des Gegenstandes

sich ergeben. Jene Erwartung und diese Hoffnung bestätigen

sich in der Tat, und das berechtigt zu einer ausführlicheren

Würdigung der beiden Leidener Arbeiten.

In einem wichtigen Punkte berührt sich die neue Dar¬

stellung mit der alten, darin, daß auch sie die Aufgabe

entschlossen als eine geschichtliche anfaßt und durch¬

führt. Der biblischen oder alttestamentlichen Theologie ge¬

denkt Eerdmans nur als einer früheren, nun überwundenen

Darstellungsart (S. 10), und die bei uns in Deutschland ja

ziemlich eifrig unternommenen oder doch erörterten Versuche *),

die geschichtliche Darstellung wieder durch die biblisch-theo¬

logische zu ersetzen, werden nicht einmal erwähnt. Offenbar

handelt es sich, wie es auch sonst zu beobachten ist, bei jenen

Erörterungen um eine im wesentlichen auf Deutschland be¬

schränkte Debatte, die mit der Erschütterung unseres ganzen

geistigen Besitzes zusammenhängt. — Auch in Einzelheiten

hat Eerdmans mancherlei mit Kuenen gemeinsam. So hält

nicht nur Eerdmans, bei dem es mit seiner noch zu erörtern¬

den Neigung, die Nachrichten des Priesterkodex weithin für

teuch en Jozua (Theol. Tijdschrift 1870, S. 391—426. 487—526); J. Well¬

hausen in F. Bleek: Einleitung in das A. T., 4. Aufl. 1878, S. 152—169;

A. Kamphausen , Artikel „Kuenen, Abraham' in RE., Bd. XI^, 1902,

S. 162-170 (S. 167).

1) N. V. Uitgevers-Mij. ,De Wachttoren", Huis Ter Heide (U.). 214 S.

2) Vgl. ZAW 44 (1926), S. 1—12 (Eissfeldt); 47 (1929), S. 83-91 (Eichrodt) ; 49 (1931), S. 150—157 (Hempel).

(3)

174 0. EissPBLDT, Zwei Leidener Darstell. d. israel. Religionsgesch.

zuverlässig zu halten, wohl vereinbar ist, die Priesterkodex-

Angahe, daß Ur-Kasdim Abrahams und der Hebräer Heimat

sei, für geschichtlich (S. 28 u. ö.), sondern das tut auch Küenen

(I, S. 107. 228 u. ö.) , der eigentlich bei seiner sonstigen kri¬

tischen Haltung zu dieser Quelle auch dieser Angabe von ihr

mißtrauisch gegenüberstehen müßte, freilich mit dem erheb¬

lichen Unterschied, daß sie für Kxtenen ganz an der Peripherie

liegen bleibt, während Eeedmans aus ihr sehr bedeutsame

Schlüsse glaubt ziehen zu können'). Interessant ist weiter,

daß Kuenen und Eeedmans auch in der Erklärung des

Sabbat weithin übereinstimmen. Eeedmans wiederholt in

seinem Godsdienst'') die Auffassung, die er 1925 in der Marti-

Festschrift') vertreten hatte, daß nämlich der Sabbat, d. h.

der alle sieben Tage wiederkehrende Ruhetag, als ein dem

Saturn geweihter Tag bei dem Schmiedestamm der Keniter

entstanden und von diesen zu den Israeliten gekommen sei

Die Erklärung des Sabbat als Satumtag findet sich nun auch

bei Kuenen, der seinerseits R. Dozy als seinen Vorgänger

nennt (I, S. 245. 259—262). Eeedmans sagt auch in seinem

Aufsatz (S. 82. 83), daß seine Auffassung eine Wiederholung

und Weiterführung der KuENEN'schen These sei, eine Weiter¬

führung insofern, als zu Kuenen's Zeit der Einfluß der Keniter

auf Israels Religion*) und die Tatsache, daß die Keniter

Wüstenschmiede gewesen, noch nicht erkannt worden sei*).

1) S. unten S. 182 ff.

2) S. unten S. 181. 8) S. 79—83.

4) Eine dahin zielende Beobachtung hat als erster C. P. Tiele, also auch ein Leidener Theologe und Religionshistoriker, in seiner Vergelijkende

Geschiedenis der Egyptische en Mesopotamische Godsdiensten , Amster¬

dam 1869—1872 gemacht; in der französischen Ubersetzung (Histoire

comparöe des anciennes religions, Paris 1882) auf S. 350 ff.

5) Die Erklärung des Sabbat als Saturntag läfit sich an der Hand von R. Dozy: Die Israeliten zu Mekka von Davids Zeit bis ins 5. Jahr¬

hundert unserer Zeitrechnung, 1864, S. 34, Anm. 2 über F.K.Movers:

Die Phönizier I, 1841, S. 255; W. Vatke: Die Religion des A. T., 1835,

S. 199; P. von Bohlen: Die Genesis, 1835, S. CXXXVII bis auf F. Chr.

Baur : Der hebräische Sabbath (Tübinger Zeitschrift für Theol. u. Kirche, 1832, III, S. 125—192) zurUckverfolgen. Aber sie ist natürlich viel älter und gründet sich letztlich auf die Tatsache, ; daß in der römischen, zuerst

(4)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. 175

So läßt sich an den beiden Büchern schon die Kontinuität

der holländischen alttestamentlichen Wissenschaft beobachten,

aber viel stärker als das Gemeinsame springt dem Leser

doch das ins Auge, was sie beide voneinander trennt.

Das jüngere Werk ist, aufs ganze gesehen, geradezu das Wider¬

spiel des älteren und der von diesem angeregten Forschungsart.

An vier Punkten wird die Verschiedenheit besonders deutlich.

L Während Kuenen seine Darstellung ganz auf den Ergeb¬

nissen der pentateuchischen Quellenkritik aufgebaut hatte,

lehnt Eerdmans diese mit Entschiedenheit ab und erklärt sie

geradezu für einen bedauerlichen Irrweg der Wissenschaft.

2. Kuenen und die in seinen Bahnen wandelnden Alttesta¬

mentler sahen in vielen Gesetzen und Erzählungen, namentlich

solchen der „Grundschrift", nicht so sehr Äußerungen wirk¬

licher Rechtsbräuche und der Zeit, von der sie reden, ent¬

stammende Nachrichten, als vielmehr aus später und ganz später

Zeit herrührende rechtstheoretische Programme und Zurück-

projizierungen junger Zustände und Ereignisse in graue Vor¬

zeit. Eerdmans aber ist geneigt, diese Gesetze und Erzäh¬

lungen vielmehr weithin als Niederschlag alter Zustände und

Ereignisse zu betrachten. 3. Kuenen, der im Arabischen zu

Hause war, mit der Übersetzung ausgedehnter Stücke der

arabischen Übersetzung des samaritanischen Pentateuchs seine

wissenschaftliche Laufbahn begonnen hatte und dann später,

im letzten vorchristlichen Jahrhundert in Ägypten nachweisbaren Planeten¬

woche der 7. Tag dem Saturn heilig ist. Vgl. zur Sabbatfrage die dar¬

über zwischen K. Büdde (Journal Theol. Stud. 30 [1929], S. 1—15 = Christ¬

liche Welt, 1929, Sp. 202—208. 265—270; ZAW 48 [1930], S. 138-145)

und J. Meinhold (ZAW 48 [1930], S. 121-138) geführte Debatte. — Eine

sehr verständige Kritik an der Auffassung des Sabbat als Saturntag hat

— in Auseinandersetzung mit Dozy und Movers — schon 1864 der spätere

Leidener Alttestamentler H. Oort : De dienst der Baälim in IsraiSl, Leiden 1864, S. 15 ff. 21 ff. gegeben ; er leitet (S. 25) die siebentägige Woche und

den Sabbat aus der Vierteilung des Mondumlaufes ab. — Über die hol¬

ländischen Theologen wird man sich in Zukunft am besten an der Hand

des im Erscheinen begriffenen Biographisch Woordenboek van Prote-

stantsche Godgeleerden in Nederland orientieren; Teil 1— IV (A — Klerk) liegen bis jetzt vor (Verlag von Martiuus Nijhoff, 's-Gravenhage).

(5)

176 0. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch.

1882, in seinen Hibbert-Vorlesungen über „Volksreligion und

Weltreligion" zeigte, wie tief er auch in das Verständnis der

altarabischen und islamischen Religionsgeschichte eingedrungen

war, war geneigt, sich die Anfänge der israelitischen Religion

nach Analogie der Religion der vorislamischen Araber zu

denken und so mit Nachwirkungen nomadischer Bräuche und

Anschauungen in Israel zu rechnen, und in viel höherem

Grade trifft das von einem Mitstreiter Kuenen's wie Well¬

hausen zu, der ganz bewußt darum die „Reste arabischen

Heidentums" (1887) untersucht und dargestellt hat, weil er

den Wildling kennen lernen wollte, der in Israel durch deu

Prophetismus veredelt worden ist. Eeedmans, dessen wissen¬

schaftliche Anfänge in die Jahre fallen, da die Ausgrabungs¬

tätigkeit im vorderen Orient uns die hohe Kultur des alten

Babylonien und Assyrien kennen gelehrt und auch starke

Zusammenhänge dieser Kultur mit der israelitischen aufgedeckt

hat, bestreitet, daß die vorkanaanäischen Hebräer Nomaden

gewesen seien, hält sie vielmehr für Angehörige des babylo¬

nischen Kulturlandes und operiert so bei der Darstellung der

Anfänge von Israels Religion viel mit babylonischen Analogien.

4. Während bei Kuenen und viel mehr wieder noch bei Well¬

hausen, der ausdrücklich an den Hegelianer Vatke anknüpfte,

der Entwicklungsgedanke im Sinne der Hegel'schen Geschichts¬

philosophie eine große Rolle spielt, sieht Eeedmans in diesem

Darstellungsprinzip eine Gefahr für die Erfassung des wirk¬

lichen Hergangs.

Was zunächst die Verschiedenheit der Stellung

zur Pentateuchkritik bei den beiden betrifft, so geht

Kuenen in den gehaltreichen Anmei^küngen ziemlich ausführ¬

lich auf diese Dinge ein und behauptet, stark unter dem

Eindruck der drei Jahre vorher erschienenen Arbeit') von

K. H. Geae stehend, nachdrücklich die exilische und nach-

exilische Entstehung der „Grundschrift", also des Priester¬

kodex (II, S. 89—102. 201—212 u. ö.)"). Freilich will er —

und das verdient gerade in diesem Zusammenhang hervor-

1) Die geschichtlichen Bücher des A. T., 1866.

2) S. auch oben S. 172.

(6)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgescli. 177

gehoben zu werden — damit keineswegs sagen, daß der ge¬

samte im Priesterkodex enthaltene Gesetzesstoff so später

Herkunft wäre. Vielmehr stellt er I, S. 504 fest: „Die Be¬

stimmungen des priesterlichen Gesetzes sind nicht in oder

nach dem Exil gemacht und ausgedacht, sondern nur redigiert.

Schon vor dem Exil trugen die Priester mündlich vor, was

sie — mit den dann nötig gewordenen Änderungen — später

auf Schrift brachten. Es bildete sich für diese ,Unterweisungen'

allmählich eine feste Terminologie, ein bestimmter Sprach¬

gebrauch . .. Auch die schriftliche Aufzeichnung der priester¬

lichen Thora wird wohl nicht bis in die Periode des zweiten

Tempels oder gar in die Tage Esras aufgeschoben worden

sein". So stecken z. B. in den Priesterkodex-Geboten über Rein

und Unrein viel ältere Anschauungen und Bräuche, aber das

System, in das diese jetzt gebracht sind, ist jung (I, S. 502 ff.).

Andererseits kann die im Priesterkodex gegebene Beschreibung

der „Stiftshütte" und seine Anweisung über das Jobeljahr nur

als Quelle für die nachexilische Religion dienen (II, S. 163 f.

75 f. 211 f.), und das gilt ganz besonders von seinen Erzäh¬

lungen (II, S. 202 ff. 67—83).

Unter ausdrücklicher Polemik gegen Kuenen (S. 17) lehnt

Eeedmans gleich zu Anfang seines Werkes (Die Quellen,

S. 11—25) die herkömmliche Literarkritik am Pentateuch und

auch an den Prophetenbüchern ab und erklärt, sie sei dadurch

als falsch erwiesen, daß altorientalische Urkunden, namentlich

solche aus Ägypten und Babylonien, uns von der Welt, in

der Alt-Israel gelebt, ein ganz neues Bild gezeigt und dadurch

die Thesen der Literarkritik widerlegt hätten. Weiter führe

eine immanente stoffkritische Untersuchung des Alten Testa¬

ments, namentlich seiner Gesetze, ebenfalls darauf, daß hier

viel älteres Gut vorliege, als die Literarkritik gemeinhin zu¬

geben wolle. Wenn Kuenen seiner Religionsgeschichte seine

„Einleitung"') vorausgeschickt hatte, so beruft sich Eeedmans

auf seine 1908—1914 erschienenen „Alttestamentlichen Stu-

1) Historisch-kritisch onderzoek naar het ontstaan en de verzameling van de boeken des Ouden Verbonds, Leiden 1861-65; 2. Aufl. 1885-1893 (deutsch 1886-1892 als ,Hist.-krit. Einl. in d. Bücher d. A. T.").

(7)

178 0- Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch.

dien" als auf die eingehendere Begründung seines Standpunktes,

kommt aber auch in seiner Religionsgeschichte noch häufig,

fast zu häufig, auf diese Fragen zurück (S. 75. 161—164.

178—180). "Wie beim Pentateuch und übrigens auch beiden

historischen Büchern, etwa in den Erzählungen von Sauls

Anfängen 1 Sam. 7—14 (S. 83—85) die quellenkritische Ana¬

lyse stillschweigend oder ausdrücklich abgelehnt wird, so legt

Eeedmans bei den Prophetenbüchern und bei den Psalmen

eine doch auffällige Gleichgültigkeit gegen die Ergebnisse der

Kritik an den Tag, indem er etwa Micha 6. 7 ohne weiteres

als echt voraussetzt (S. 213 f.) und bei Psalm 3 und 18 eine

von David herrührende Grundlage annimmt (S. 100). Dabei

bleibt Eeedmans aber nicht im Negativen stecken. Denn daß

an die Stelle der Literarkritik etwa wieder die synagogal-

kirchliche Tradition von der Entstehung der einzelnen alt¬

testamentlichen Schriften treten solle, ist ganz und gar nicht

seine Meinung (S. 25). Die von ihm für den Überlieferungs¬

befund gegebene Erklärung ist die, daß durch Zusätze aller

Art, wie sie mit der Abschrift von Handschriften und ihrem

Gebrauch im Gottesdienst gegeben sind, die Unebenheiten

entstanden wären (S. 21—25). "Was insbesondere die Ver¬

schiedenheit der Gottesnamen im Pentateuch, Jahwe und Elohim,

angeht, so erklärt er sie teils als eine auch sonst im Alten

Testament, etwa in der Chronik, nachweisbare Erscheinung,

die nichts auf sich habe, sondern eben nur zeige, daß man

später die Namen willkürlich gebraucht habe, bald den einen,

bald den anderen, teils — und das wäre religionsgeschichtlich

wichtig — betrachtet er Elohim als wirklichen Plural und

sieht in dem Gebrauch dieses Plurals Reste der polytheisti¬

schen Religionsstufe Israels. In Gen. 1,22; 8,22; 9, 16; (11,17;)

20, 13 und an anderen Stellen ist das Elohim pluralisch

als „Götter" zu verstehen. Im übrigen leugnet Eerdmans

das Vorliegen paralleler Erzählungszüge nicht. So betrachtet

auch er 1 Sam. 13, 8-14 als Parallele zu 1 Sam. 15, und in

Gen. 4 liegen nach ihm zwei parallele Herleitungen des

Schmiedehandwerks vor, die eine, die Tubal, die andere, die

Kain als den ersten Schmied betrachtet (S. 85. 175). Aber

(8)

O. E1S8FBLDT, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. 179

quellenkritische Folgerungen zieht er aus solchen vereinzelten

Beobachtungen nichts).

Wenn — damit kommen wir zum zweiten — Kuenen

und die in seinen Bahnen gehende kritische Forschung den

Priesterkodex, dessen Hauptbestand, die gesetzlichen Partien,

aus der Zeit von Israels Aufenthalt am Sinai herrühren wilh

für nachexilisch hält, so ist damit ohne weiteres gegeben, daß

es sich hier um Zurückprojizierung späterer An¬

schauungen und Zustände in ältere Zeiten handelt.

Eekdmans setzt fürs Deuteronomium, bei dem er überhaupt

den seit de Wette herkömmlichen kritischen Standpunkt ein¬

nimmt, ein ähnliches Verfahren voraus: „Die Priester . . .

verfaßten ein Gesetzbuch, das all diese (des Manasse) Hand¬

lungen deutlich . . verurteilte, und verstanden es, dem jungen

König Josia die Überzeugung beizubringen, daß dies ein

Gesetzbuch von Mose sei, das zufällig im Tempel gefunden

war" (S. 129). Auch für die Gesetzgebung des Priester¬

kodex nimmt er nicht etwa mosaische Herkunft an. Vielmehr

gesteht er zu, daß viel nachexilisches Gut in ihr enthalten

ist (S. 131), uud ihren Grundbestand leitet er aus der Königs¬

zeit her, wie Lev. 26 mit der Anspielung auf die Exilierung

eines Teils von Israel an Hiskias Zeit als seine Entstehungszeit

denken lasse. Aber wenn er auch den literarischen Grund¬

bestand des Priesterkodex nur um zwei oder drei Jahrhunderte

früher ansetzt, als die von ihm abgelehnte Pentateuchkritik

es tut, so glaubt er doch — und das ist das Entscheidende

— den stofflichen Grundbestand als ziemlich getreues Spiegel¬

bild viel früherer Verhältnisse, nämlich der Mosezeit, in An¬

spruch nehmen zu dürfen. Mag das unter Verwendung von

viel Gold, Silber, kostbaren Stoffen und Holz gefertigte

Zeltheiligtum, wie es Exodus 25—31. 35—40 beschrieben

wird, schon deswegen so für die Mosezeit undenkbar sein, weil

1) Anders als Eerdmans erkennt der Leidener Theologe und Assyrio-

loge F. M. Th. Böhl der pentateuchischen Quellenkritik bleibende Be¬

deutung zu, wiewohl auch er die Analyse der Einzelstoffe für ertrag¬

reicher hält als die Herausschälung der .Quellen'; vgl. zuletzt .Das

Zeitalter Abrahams' (AO 29, 1), 1930, S. 36 f.

Zeitschrift d. D. U. O., Nene Folge Bd. X (Bd. 85). 18

(9)

180 t*- Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch.

damals dies Material gar nicht zu beschaffen war, so zeigt

doch der dem einen Leuchter des alten Tempels von Silo

(ISam. 3, 3) entsprechende, aber von der Beleuchtung des

Salomonischen Tempels durch zehn Leuchter (1 Kön. 7, 49)

abweichende Gebrauch nur eines Leuchters in Exod. 27, 20;

Lev. 24, 2 f., daß sich im Priesterkodex richtige Erinnerung

an ganz alte Bräuche erhalten hat (S. 57 f.). Wenn uns so¬

dann zwei Überlieferungen über das Jahwe-Zelt erhalten sind,

nämlich Exodus 33,7-11 einerseits und 25—31. 35—40 anderer¬

seits, und die Kritik diese, in entscheidenden Punkten von¬

einander abweichenden Berichte auf den Elohisten und den

Priesterkodex verteilt, wobei sie den ersten, Exodus 33, als

einigermaßen zutreffende Beschreibung eines von dem vor¬

kanaanäischen Israel heilig gehaltenen Zeltes beurteilt, den

zweiten aber als Zurückprojizierung des trag- und fahrbar

gemachten Salomonischen Tempels in die Wüstenzeit hinein,

so löst Eerdmans dies Nebeneinander der beiden Berichte viel¬

mehr in ein Nacheinander auf, das die Annahme zuläßt, auch

im zweiten Bericht sei gute historische Erinnerung an die

Mosezeit erhalten. So nämlich legt Eerdmans sich die Dinge

zurecht: Das Zelt war, wie es Exodus 33 auch beschrieben

wird, zunächst kein Kultheiligtum, sondern eine außerhalb des

Lagers befindliche Stätte der Zusammenkunft Jahwes mit

Mose. Sie wurde dann aber Aufbewahrungsort der vom Sinai

herrührenden Lade mit den beiden Gesetzestafeln, die nicht

ungeschützt im Freien stehen bleiben konnte, und erhielt so

den Charakter eines eigentlichen Heiligtums (S. 56—63). „Das

hat es mit sich gebracht, daß die eigentliche Zeltform verloren

ging und daß der Aufbewahrungsraum der Lade die Würfelform^)

bekam, die den Heiligtümern in der semitischen Steppe eigen¬

tümlich gewesen zu sein scheint ... Das Zelt, in dem die

Lade aufbewahrt wurde, wird beschrieben als eins, das gerade

Wände hat mit einer ebenen Decke. Wir finden hier Über¬

einstimmung mit der Würfelform, die das große Heiligtum

der Muhammedaner zu Mekka noch jetzt hat" (S 61). So

erklärt es sich auch, daß Ex. 33 und auch noch Num. 11. 12

1) Vgl. dazu jetit A.Schott in Zeitschr. f. Assyr. 40(1931), S.16. 27 f.

(10)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch.

sich das Zelt vorm Lager befindet, von Num. 14, 44 ab aber

im Lager. Die Lade konnte, sobald die Situation gefährlich

wurde, nicht außerhalb des Lagers gelassen werden, und etwa

mit Num. 14, 44 beginnen Israels Kämpfe mit den südlich von

Kanaan sitzenden Stämmen.

Wie hier Angaben des Priesterkodex über das heilige

Zelt für sehr alt und glaubwürdig gehalten werden, so gilt

das auch von der von ihm erhobenen Forderung des Vieh¬

zehnten. Die über Nordisrael hereingebrochene Katastrophe hat

in Juda am Ende des achten Jahrhunderts eine „Renaissance

der Orthodoxie" heraufgeführt und religiöse Bräuche, die längst

abgestorben waren, wieder ins Leben gerufen. Dazu gehört

nicht nur das Opfer der menschlichen Erstgeburt, das unter

Ahas wieder auflebte (S. 125), sondern auch der Viehzehnte.

Denn die Stellen Gen. 14, 20; 28, 22, die von Abraham und

von Jakob erzählen, daß sie „alles" verzehntet hätten, zeigen,

daß bei den vorkanaanäischen Hebräern der Viehzehnte üblich

war. Dem in Kanaan ansässig gewordenen Israel ist dieser

Brauch verloren gegangen, aber in der Notzeit des achten

Jahrhunderts erinnerte man sich seiner wieder und forderte

diese Zehntabgabe aufs neue. Lev. 27, 32 erklärt sich also

als eine in diese Zeit fallende Erneuerung des alten Brauches.

Ganz ähnlich liegt es bei der uralten, in Kanaan zunächst ein-

geschlafenen, aber dann ebenfalls wieder lebendig gewordenen

Jobeljahr-Sitte (S. 126 f.).

Auch die Erzählungen des Priesterkodex enthalten

viele zuverlässige Erinnerungen an Zustände und Ereignisse

aus Israels vorkanaanäischer Zeit. Das gilt gleich von der

ersten, der Schöpfungserzählung: „So wie diese Geschichte

vor uns liegt, setzt sie .. ein Volk voraus, das den Sabbat

kennt. Die Israeliten haben diesen Tag von dem Beginn ihrer

nationalen Religion her gekannt. Sie übernahmen ihn von

den Kenitern, die an diesem Tage keine Handwerksarbeit tun

konnten, weil sie an ihm kein Feuer anmachen durften und

daher nicht schmieden konnten. Die Babylonier und die

Ägypter kannten keinen Sabbat, der alle sieben Tage eintrat.

Die Schöpfungserzählung kann also nicht von daher entlehnt

18*

1 9

(11)

182 0. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell. d. israel. Religionsgesch.

und muß Bestandteil der alten kenitischen oder israelitischen

Überlieferung sein. Für das letztere spricht, daß durch sie

für das Volk erklärt werden soll, warum sie, ebenso wie die

Keniter, am siebenten Tag keine schwere Arbeit verrichten

durften. Dafür spricht auch, daß in der Erzählung Begriffe

vorkommen, die auf babylonische Vorstellungen zurückgehen.

Ob die Keniter in Hamath^) diese Begriffe kannten, wissen

wir nicht, aber den Hebräern, die früher in Babylonien wohnten,

waren sie sicher nicht fremd" (S. 168).

Überhaupt steht Eeedmans den alttestamentlichen Er¬

zählungen mit einem ganz erstaunlich großen Zuvertrauen in

ihre Glaubwürdigkeit gegenüber. Das zeigt seine Wertung

der Patriarchengeschichte: „In der Genesis wird uns erzählt,

daß die Stämme, die sich am Sinai zu einer Religionsgemein¬

schaft vereinigten, die Nachkommen waren von Hebräern, die

ursprünglich an den Mündungen von Euphrat und Tigris, im

Lande Sinear wohnten. Einige von ihnen zogen den Euphrat

entlang nach Norden zur Stadt Harran und ihrer Umgebung.

Von da zog Abraham über den Euphrat und ließ sich für

kürzere oder längere Zeit in Teilen Palästinas nieder. Eine

Hungersnot zwang ihn, in den fruchtbaren Strichen des Nil¬

delta eine Zuflucht zu suchen. Später kehrte er nach Palästina

zurück. Er und sein Sohn Isaak und dessen Sohn Jakob

blieben in diesem Lande wohnen, als Ackerbauer und Viehhalter,

jedesmal ihren Aufenthaltsort wechselnd, wenn die Suche nach

Lebensunterhalt dazu zwang. Dann zwang eine neue Hungers¬

not sie, Korn in Ägypten zu kaufen. Kurz vor dem Anbruch

dieser Not war Jakobs Sohn Joseph ... hier zu großem Ansehen

gekommen. Durch Aufspeichern von Korn in den Jahren des

Überflusses hatte er es verstanden, dem Mangel in den darauf

folgenden Jahren der Hungersnot zuvorzukommen. Er ge¬

brauchte seine mächtige Stellung dazu, seinen Verwandten in

Ägypten Wohnsitze anzuweisen. Nach seinem Tode wurden die

Hebräer zu schweren Frondiensten gezwungen. Sie mußten für

die großen Bauwerke der Pharaonen Ziegelsteine liefern. Schließ-

1) Daß Hamath die Heimat der Keniter sei, möchte Eerdmans {_S. 85) aus 1 Chron. 2, 6ä folgern.

1 9

(12)

O. EissPBLDT, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. 133

lieh führte Mose sie mit Jahns Hilfe aus diesem , Sklavenhause'

heraus. Die großen Linien dieser Erzählungen, die uns in

Form einer Familiengeschichte überliefert sind, stehen völlig

in Übereinstimmung mit dem, was sich uns aus außeralttesta-

mentlichen Angaben ergibt" (S. 28 f.). Weiter fällt auf, wie

ohne jede kritischen Bedenken die Erzählung von Samuels

Tätigkeit als Priesterknabe in Silo (S. 81), die Erwähnung

von Gads Rat an David, „seinen Aufenthalt lieber im Walde

zu nehmen« ») (S. 94), die Mitteilung über Davids Testament

in 1 Kön. 2,1-12*) (S. 96 f.) als historisch hingenommen werden.

Nur selten wird historische Kritik laut, so, wenn S. 116f. die

Erzählung über Jerobeams Kultmaßnahmen in 1 Kön. 12. 13

als von einseitig judäischem Standpunkt aus geschrieben hin¬

gestellt oder S. 145 der Bericht über Josias Reform in 2 Kön. 23

insofern für unglaubwürdig erklärt wird, als die dort erzählte

Ausdehnung der Reform über das eigentliche Juda hinaus

unwahrscheinlich sei').

Der dritte Differenzpunkt, die Verschiedenheit der

Vorstellungen über die wirtschaftlichen Verhält¬

nisse der vorkanaanäischen Hebräer, läßt sich am

besten an der Hand eines Passus aus dem EERDMANs'schen

Buch klar machen. „Für die aus Ägypten ausgezogenen

Hebräer gab es nur eine Möglichkeit, ihre Existenz zu sichern.

Das war die Festsetzung in dem Kulturlande, in dem ihre

Vorväter schon verweilt hatten. Dies müßte anders gewesen

sein, wenn sie von Haus aus reine Wanderhirtenstämme ge¬

wesen wären. Dann hätten die Steppen der Sinai-Halbinsel

und die weiten Flächen Arabiens vor ihnen offen gestanden

und ihnen ermöglicht, ihre alte Lebensweise wieder aufzu¬

nehmen. Man hat wohl öfters angenommen, daß sie einst

umherschweifende Hirten waren und sie als Stämme betrachtet,

1) Gemeint ist 1 Sam. 22, s; 23, it-io Vgl. dazu Eissfeldt: Die

Komposition der SamuelisbUcher, 1931, S 16t.

2) Vgl. Eissfeldt a. a. O., S. 48 f.

3) In Wahrheit scheint hier die Kritik gerade unangebracht zu

sein, da die damaligen politischen Verhältnisse dem Josia ein Übergreifen auf das Gebiet des früheren Nordreichs ermöglicht haben. Vgl. 0. Procksch:

König Josia (Zahn-Festgabe, 1928, S. 19-53), S. 35f., 45f

(13)

184 0- Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch.

die ursprünglich ihre Heimat in der Steppe hatten. Doch das

widerspricht den Angaben des A. T. Die Vorväter des späteren

Israel werden uns gezeichnet als Ackerbauer, die auch Vieh

halten, aber solange als möglich bleiben, wo günstige Umstände

dies möglich machen. Auch ihre Verwandten in Mesopotamien

waren Städtebewohner und wohnten in Häusern, im Gegen¬

satz zu den umherschweifenden Hirten, die immer in Zelten

wohnen . .. Das Ziel des Auszuges ist denn auch von Anfang

an auf Palästina gerichtet" (S. 38). So sind denn auch die

auf den zwei Tafeln stehenden Gesetze, nach Eeedmans Exo¬

dus 21-23, 13a (S. 44 f.), sehr wohl Mose und seiner Zeit zu¬

zutrauen: „Solange man von der falschen Voraussetzung aus¬

ging, daß die Vorfahren des Volkes Israel Beduinen gewesen

und daß das Volk selbst erst nach der Eroberung von Kanaan

allmählich zu einem Ackerbauvolk geworden wäre, konnte

man eine Gesetzgebung, in der wiederholt der Besitz von

Äckern vorausgesetzt wird, nicht mit der Zeit Moses in Über¬

einstimmung bringen. Doch seit es klar geworden, daß diese

Voraussetzung falsch ist und der Kulturboden von Babylonien,

Mesopotamien und Palästina die ackerbauenden Hebräer vor

ihrem Einzug in Ägypten ernährt hat, ist dieser Widerspruch

zwischen der Gesetzgebung und dem wirtschaftlichen Zustand

der Israeliten verschwunden" (S. 51).

So wird denn beim Nasiräatsgesetz das Verbot des Ge¬

nusses nicht nur von Wein, sondern auch aller Produkte des

Weinstocks, auch der nicht-alkoholischen, die doch naheliegende

Erklärung, daß hier Auswirkungen eines auf Erinnerungen

an die nomadische Vergangenheit gegründeten nomadischen

Ideals zu erkennen seien, abgelehnt, und ihr vielmehr die

Auffassung vorgezogen, daß der Wein darum dem Nasiräer

verboten sei, weil der in ihm enthaltene Alkohol eine Kraft

darstelle, die der in den Nasiräer eingegangenen göttlichen

Kraft gefährlich werden könnte, und daß dies Verbot dann

von selbst den Ausschluß von „allem, was von der Traube,

aus der der Wein entsteht, kommt", nach sich gezogen habe

(S. 92 f.). Mit dieser Ablehnung der Vorstellung von einer,

in dem kanaanäischen Israel noch nachwirkenden nomadischen

(14)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. 185

Vergangenheit, die den Forscher berechtigen würde, Erschei¬

nungen aus dem altarabischen Heidentum wie seine Opfer¬

bräuche und Opferanschauungen als Analogien zu Israels

Religion heranzuziehen, hängt es auch zusammen, wenn Eeed¬

mans das Vorhandensein des Kommunion-Gedankens in Alt¬

israels Opferwesen rundweg bestreitet und nur den Gedanken

der Gabe gelten läßt (S. 113).

Mit derselben Entschiedenheit, mit der Israels noma¬

dische Vergangenheit bestritten wird, werden seine Zusammen¬

hänge mit Babyloniens wirtschaftlicher und geistiger Kultur

betont 1). Die in der Geschichte vom Turmbau zu Babel

enthaltene Erinnerung an die merkwürdige Terrassenform der

Babylonischen Tempeltürme, die Übereinstimmung zwischen

den biblischen Angaben über die Urväter und die Flut und

den entsprechenden babylonischen Mythen und die auf den

Namen des babylonischen Ghaoswesens Tiämat und den der

babylonischen Göttin Bau zurückgehenden Termini der Schöp¬

fungserzählung tohü wäbohü erklären sich nur aus der Zeit

da die Hebräer in Babylonien gewohnt haben (S. 29. 168).

Auch in den gesetzlichen Partien des Pentateuchs finden sich

ebenso zu erklärende Übereinstimmungen zwischen israeli¬

tischem und babylonischem Gut. „Das Recht, das hier (im

Bundesbuch) festgelegt wird, bestätigt die Überlieferung von

dem babylonischen Vaterland der Hebräer. Die Gesetzgebung

Hammurabis hat verschiedene Bestimmungen, die einen ver¬

wandten Charakter tragen, aber doch so redigiert sind, daß

der Gedanke an eine direkte Nachahmung der babylonischen

Bestimmungen durch das Bundesbuch ausgeschlossen ist" (S. 49).

Für Eeedmans' Widerspruch gegen den Entwick¬

lungsgedanken schließlich sind die folgenden Sätze aus

1) Der Satz auf S. 30 .Auffallend ist, daß die israelitischen Sagen keine Züge der Genneinschaft mit ägyptischer Mythologie haben' verdient angesichts des Versuches von A. S. Yahdda (Die Sprache des Pentateuch

in ihren Beziehungen zum Ägyptischen I, 1929), das Gegenteil zu er¬

weisen, und gegenüber der Feststellung Ed. Meyer's (Gesch. d. Alt. II, 2, 2. Aufl. 1931, S. 178-186), daß in der phönikischen und der älteren is¬

raelitischen Rosmogonie viel ägyptisches, aber ganz wenig babylonisches Gut enthalten sei, hervorgehoben zu werden.

1 9 *

(15)

186 0. EissPELBT, Zwei Leidener Darstell. d. israel. Religionsgesch.

seinem Buch überaus charakteristisch: „Die Propheten sind

öfters als Gegner der Priester gezeichnet. Man sprach gerne von

der prophetischen Religion, als ob das eine religiöse Strömung

gewesen wäre, die anders war als die Frömmigkeit, die sich

in den Opfern und dem Kultus äußerte und die im besonderen

an den Priestern Gefallen gehabt hätte. Diese Auffassung

steht in Zusammenhang mit der Idee der Entwicklung, der

Evolution, von der man im A.T. Spuren zu finden meinte.

Die Überzeugung, daß Gottes Willen sittlichen Inhalt hat,

soll in der ältesten Zeit nicht bestanden haben. Man soll

sich damals nur in den Bahnen eines primitiven animistischen

Denkens bewegt haben. Die Verehrung von Bäumen, Quellen

und Steinen hatte keine sittliche Seite. Diese sollen die Pro¬

pheten entdeckt haben. Dem Kultus hätten sie daher ab¬

weisend gegenüber gestanden. Die nachexilische Zeit soll die

Periode des Triumphes des toten Kultuswesens über die Lebens¬

kräfte des Prophetismus gewesen sein. Die Periode der Ge¬

setzlichkeit (Nomismus) soll dann den Triumph des Priesters,

des trockenen, theoretisierenden, Mücken seigenden Beamten

über das freie fromme Leben gewesen sein. Auf dieser Grund¬

lage zeichnete man einen Geschichtsverlauf, der in weiten

Kreisen verbreitet ist und gar wohl als die wissenschaftliche

Betrachtung der israelitischen Religion gilt. Wir beobachteten

schon, daß dieser Verlauf durch die vertiefte Erkenntnis des

semitischen Altertums nicht bestätigt wird" (S. 187 f.). In

diesen Worten ist nicht nur dem von Kuenen mit angebahnten

Geschichtsbild eine deutliche Absage gegeben, sondern ebenso

deutlich wird auch gesagt, daß es letztlich außeralttestament-

liche Faktoren sind, die zu dieser Umgestaltung der Auffassung

den.AjPstoß gegeben haben. Das wird auch sonst wiederholt

deutlich, z. B. S. 14.

Nach alledem besteht ein sehr erheblicher Unterschied

zwischen der von Kuenen und seinen Gefolgsleuten gegebenen

Darstellung der Religionsgeschichte Israels einerseits und der

von Eeedmans vorgelegten andererseits, und es erhebt sich

die Frage,, wie dieser Unterschied zu beurteilen ist.

Bei ihrer Beantwortung, kann die Verschiedenheit der literar-

1 9 *

(16)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. Jgy

kritischen Grundlage hier nur gestreift werden, und es muß

da die Bemerkung genügen, daß Eeedmans gewiß auf manche

schwache Stellen der pentateuchischen Quellenkritik und der

Kritik an den übrigen Büchern des A. T. den Finger gelegt

hat, daß aber, aufs ganze gesehen, seine Theorien den Über¬

lieferungsbefund viel, viel weniger einleuchtend und erschöp¬

fend zu erklären vermögen als die von Kuenen vorgetragenen

und von der in seinen Bahnen wandelnden Literarkritik weiter

ausgebildeten Hypothesen und Methoden.

Was dann das Alter der in den Gesetzen, nament¬

lich in denen des Priesterkodex, enthaltenen Stoffe an¬

geht, so ist heute die Neigung, manches davon trotz später

literarischer Bezeugung doch für alt zu halten, mit Recht

größer, als sie zu Kuenen's») und Wellhausen's Zeiten war,

und Eeedmans kann das Verdienst für sich in Anspruch

nehmen, zu diesem Wandel der Auffassungen mit beigetragen

zu haben. In der Tat enthalten auch die Priesterkodex-

Gesetze manche alten und sehr alten Bräuche und Vorstellungen.

So kann — denn auch das hat man gelegentlich bestritten —

im Ernst daran kein Zweifel mehr aufkommen, daß die Hebräer

in ihrer vorkanaanäischen Zeit ein heiliges Zelt gehabt haben.

Aber sehr zweifelhaft ist, ob man der im Priesterkodex

stehenden Beschreibung des Zeltes so viel für die Mosezeit

geltende Angaben entnehmen darf, wie Eeedmans das tut.

Das Fundament von Exod. 27, .so; Lev. 24, 2. 3 ist viel zu schmal

und viel zu schwach, als daß es das von Eeedmans darauf

errichtete Gebäude von Kombinationen tragen könnte. Eben¬

sowenig läßt sich mit Gen. 14, 20; 28, 22 beweisen, daß die

Lev. 27,32 erhobene Forderung des Zehnten vom Vieh Wieder¬

aufnahme eines vorkanaanäischen Brauches ist. Denn in jenen

beiden Stellen ist von exzeptionellen Leistungen die Rede,

nicht von einer regelmäßig wiederkehrenden Zehntabgabe*),

ganz abgesehen davon, daß hier das Vieh gar nicht ausdrück-

1) Immerhin sind die oben S. 177 f. zitierten Worte Kdenen's zu be¬

achten.

2) Vgl. Eissfeldt: Artikel .Opfer im A.T.« (RGG, IV», 19.30,

Sp. 711—717), Sp. 716.

(17)

188 0- Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgescb.

lieh genannt wird. In Anbetracht dessen, daß fürs Vieh

sonst die Ablieferung der Erstgeburten als die übliche Ab¬

gabe erwähnt wird, bleibt es also wahrscheinlich, daß die

Forderung des Viehzehnten eine spätere Erweiterung der sieh

zunächst nur auf Vegetabilien erstreckenden regelmäßigen

Zehntabgabe darstellt, wie denn auch sonst spätere Erweite¬

rungen dieser Sitte nachweisbar sind»). Eher mögen in der

Jobeljahrgesetzgebung des Priesterkodex alte Anschauungen

und Sitten weiter leben. Was von Eerdmans Urteil über

die Gesetze gilt, trifft auch für die Wertung zu, die er den

Erzählungen des Priesterkodex und anderen angedeihen läßt.

Die vorhin angeführten Beispiele zeigen das zur Genüge*).

Eerdmans' Abneigung gegen den Brauch, sich Israel in

seiner vorkanaanäischen Zeit als einen Verband von No¬

madenstämmen zu denken und unsere lückenhaften Nach¬

richten über die althebräische Religion durch Analogie-Schlüsse

aus der Religion der vormuhammedanischen Araber zu er¬

gänzen,, und sein an die Stelle dieser Gewohnheit tretende

Vorliebe für die Annahme engster Verwandtschaft der

Hebräer mit dem Kulturvolk der Babylonier hat ihn,

wie mir scheint, zu offenbarer Verkennung des Tatbestandes

verleitet. Daß seine Erklärung der Nasiräatsgesetzgebung

gekünstelt ist, wurde schon angedeutet'), und das wird voll¬

ends klar, wenn man den Nasiräern die in vieler Hinsicht

ihnen verwandten Rekabiter an die Seite stellt ; deren Ordens¬

regel, daß sie keinen Wein trinken, keine Häuser bauen, nicht

Acker noch Weinberg bestellen und besitzen dürfen, son¬

dern das ganze Leben lang in Zelten wohnen sollen*), ist

ja ganz offensichtlich aus verklärter Erinnerung an die vor

der Niederlassung in Kanaan von Israel geführte Lebensweise

hervorgegangen. In dieselbe Richtung weist nicht nur Hoseas

Diagnose, daß Israels Verderbtheit eine Folge seines Über¬

ganges zur Ackerbaukultur sei und daher auch nur durch

das Radikalmittel seiner Zurückführung in die Wüste geheilt

werden könne, sondern auch der charakteristische Unter-

1) Vgl. Eissfeldt: Erstlinge und Zehnten im A. T., 1917, S. 162f.

2) Siehe oben S. 181 ff. 3) Siehe oben S. 184. 4) Jer. 35, sf.

(18)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch.

schied zwischen der Völkertafel des Jahwisten und der des

Priesterkodex. Während nämlich die letztere, die in der Zeit

des neubabylonischen oder erst des persischen Weltreiches

entstanden ist, die östlichen Kulturvölker, darunter Assur und

Babylon, zu Israels nächsten Verwandten zählt, stellt die

ältere Tafel des Jahwisten Assur und Babylon zu Ham und

betrachtet außer den Aramäern nur die Stämme der .syrisch¬

arabischen Wüste als Israels nächste Blutsverwandte i). Solche

Beobachtungen lassen Nachrichten wie die von Abrahams

Auswanderung aus Ur-Kasdim nicht gerade als sehr glaub¬

würdig erscheinen, legen vielmehr den Verdacht nahe, daß

erst das exilische oder nachexilische Judentum auf die Her¬

kunft ihrer Vorfahren aus der alten Kulturmetropole Wert

gelegt und dementsprechende Angaben erdichtet hat. Übrigens

widerspricht sich Eeedmans insofern selbst, als er (S. 35ff.)

eine sehr starke Beeinflussung Israels durch die doch noma¬

dischen Keniter annimmt. Denn es ist doch schwer vorstellbar,

daß ein sonst ganz auf der Stufe der Ackerbaukultur lebendes

Volk so entscheidende Anregungen von einem Stamm mit

nomadischer Lebensweise sollte empfangen haben. Die Be¬

deutung, die die Keniter für Israel gewonnen haben, erklärt

sich viel leichter, wenn Israel zur Zeit seiner Berührung mit

ihnen noch auf der Stufe des nomadischen Lebens stand.

Die nicht bestreitbare und auch von niemandem bestrittene

Tatsache aber, daß alttestamentliche Gesetze, vor allem das

Bundesbuch, mit dem Gesetze Hammurabis und mit anderen

altorientalischen Gesetzen ganz nahe verwandt sind, erfordert

keineswegs die Annahme, daß die Hebräer im Bereich dieser

altorientalischen Gesetze, also in Babylonien, ihre Heimat

gehabt hätten. Vielmehr läßt der Tatbestand mindestens

ebenso gut die Auffassung zu, daß die Hebräer in die mit

babylonischen Elementen stark durchsetzte kanaanäische Kultur

eingetreten sind und hier in Kanaan auch jene aus Babylonien

stammenden Rechtssätze übernommen haben. Die Tatsache

des babylonischen Einflusses auf das Kanaan des zweiten vor¬

christlichen Jahrtausends ist ja durch die Grabungsergebnisse

1) Vgl. R. Smend: Die Erzählung des Hcxateuch, 1912, S. 23.

(19)

190 0. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell. d. israel. Religionsgesch.

der letzten dreißig Jahre sichergestelltund ebenso zeigen

archäologische Zeugnisse, wie die Israeliten mancherlei Kultur-

und Kultuseinrichtungen von den Kanaanäern übernommen

haben. Man möchte sogar wünschen, daß Eeedmans hier aus¬

führlicher spräche und etwa in einem besonderen Kapitel von

Religion und Kultus des vorisraelitischen Kanaan gehandelt

hätte. Denn seit Kuenen hat sich unser Wissen von diesen

Dingen in der Tat ganz außerordentlich vertieft. Daß Eekd¬

mans auf die Zusammenhänge der israelitischen Religion mit

der Babyloniens und des alten vorderen Orients überhaupt

hinweist, ist also bei dem jetzigen Stand der Wissenschaft

unbedingt erforderlich, aber keine Gefolgschaft verdienen die

Schlüsse, die er aus diesen zweifellos vorhandenen Zusammen¬

hängen zieht.

Eekdmans Widerspruch gegen den Entwicklungs¬

gedanken und seine Anwendung auf die israelitische Reli¬

gionsgeschichte ist ebenfalls insofern zweifellos berechtigt, als

in der durch Kuenen angebahnten Geschichtsauffassung in

der Tat das Entwicklungsschema gelegentlich sehr mechanisch

gehandhabt worden ist und zur Zeichnung eines ganz gerad¬

linigen, von einfachen zu komplizierten, von massiven zu

sublimierten Erscheinungen aufsteigenden Werdeganges der

israelitischen Religion geführt hat, der mehr konstruiert als

den Quellen abgelauscht ist. Rückschläge, wie das sich im

„Moloch"-Kultus abspielende Wiederaufleben des längst über¬

wundenen Menschenopfers, kommen in der Tat vor, und so

wäre gegen Eerdmans' Auffassung, daß auch die im Priester¬

kodex stehende Forderung des Zehnten vom Vieh so zu ver¬

stehen ist, aus allgemeinen Gründen heraus gar nichts ein¬

zuwenden, wenn hier nur die speziellen Argumente nicht gegen

sie entschieden*). Das hergebrachte Bild vom Verlauf der

israelitischen Religionsgeschichte erfordert also schon Korrek¬

turen. Aber die Art, \yie Eerdmans dies Bild charakterisiert'),

ist doch in Wahrheit ein Zerrbild, und andererseits rechnet

1) Vgl. St. A. Cook: The religion of ancient Palestine in the light of archaeology, London 1930, S. 72—152.

2) Siehe oben S. 181. 187 f. 3) Siehe oben S. 186 f.

(20)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. IQI

Eekdmans selbst durchaus mit einer „Entwicklung". Einmal

nimmt er eine dem Monotheismus vorangehende polytheistische

Stufe an, findet für sie viel mehr Zeugnisseals andere das

zu tun wagen, und läßt sie sich auch in spätere Zeiten hinab

erstrecken, als es sonst geschieht. Sodann betont er nicht

minder nachdrücklich, als es die kritische Forschung tut, die

tief einschneidenden Wirkungen des Deuteronomiums und der

dadurch angeregten Josianischen Eeform und gibt zu, daß

zweierlei dadurch erreicht oder wenigstens angestrebt ist: die

Ausscheidung fremder Kultelemente aus dem Jahwekult und

die Unterdrückung von alten Bräuchen oder Mißbräuchen, die

der Jahwekult selbst konserviert hatte (S. 144 f.). Im Grunde

richtet Eerdmans also seinen Protest nur gegen das auf dem

Fundament der REUSs-GRAF-KuENEN-WELLHAusEN'schen Er¬

kenntnis von der späten Entstehungszeit des Priesterkodex

aufgebaute Geschichtsbild. In Einzelheiten hat er da zweifel¬

los recht; aber, aufs ganze gesehen, dürfte er dies Geschichts¬

bild doch nicht erschüttert haben.

Der Hauptgrund — das wird, wie schon berührt, immer

wieder deutlich —, warum Eerdmans die im Priesterkodex

und sonst vorliegenden Nachrichten über die vormosaische

und die mosaische Zeit mit so großer Zuversicht zu ihrer

Geschichtlichkeit betrachtet, ist der, daß außeralttesta-

mentliche Quellen uns Israels westliche imd östliche Nach¬

barn in dieser alten Zeit und noch früher auf einer hohen

Stufe der Kultur und der Religion stehend kennen gelehrt

haben. Das beurteilt er als eine Bestätigung der auch für

Israels vorkanaanäische Zeit eine derartige Kultur in Anspruch

nehmenden biblischen Angaben. Die aus immanenter Kritik

des A.T. gewonnenen Erkenntnisse, also vor allem diese, daß

die vom Priesterkodex für die alte Zeit behaupteten Verhält¬

nisse sich in den von dem Israel der ersten vier, fünf Jahr¬

hunderte nach seiner Einwanderung in Kanaan berichi enden

älteren Geschichts- und Propheten büchern nicht spiegeln, wohl

1) Hervorgehoben zu werden verdient noch die Erklärung des nach

Eerdmans el sidi zu lesenden el iaddaj in Gen. 28,»; 43, m als .der Genius von Isaak und Jakob' (S. 54).

(21)

192 O- Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell. d. israel. Religionsgesch.

aber in zweifellos jüngeren Schriften wie der Chronik, eine

Beobachtung, die dann zur Annahme der späten Entstehung

des Priestorkodex geführt hat, treten für ihn ganz hinter

jenen aus den außeralttestamentlichen Nachrichten gezogenen

Schlüssen zurück. Aber die Ergebnisse der immanenten Kritik

der alttestamentlichen Überlieferung sind gewichtiger als die

von außen kommenden Erkenntnisse, die sich ja zunächst nur

auf Israels Nachbarvölker beziehen oder auf das vorisraelitische

Kanaan. Mögen dieses und die Nachbarvölker im zweiten

Jahrtausend auf einer noch so hohen Entwicklungsstufe ge¬

standen haben, so ist damit für Israel noch gar nichts aus¬

gemacht. Es kann damals sehr wohl ein nomadisches Leben

geführt haben und dann nach seinem Eintritt in Kanaan in

dessen hohe Kultur hineingewachsen sein. Wohl können und

müssen außeralttestamentliche Angaben zur Ergänzung und

Berichtigung der biblischen Quellen herangezogen werden,

aber den Ausschlag geben können nur diese. Noch in anderer

Hinsicht erweist sich das allzu zuversichtliche Operieren mit

den außerbiblischen Quellen als gefährlich. Die hier in Be¬

tracht kommenden Quellen sind weithin wirkliche Dokumente,

archäologische Zeugnisse, die den wirklichen Niederschlag des

gelebten Lebens darstellen; eigentliche Literatur spielt hier

eine verhältnismäßig geringe Rolle. So können diese Doku¬

mente von dem Historiker ziemlich unbesehen verwertet werden;

von einer Tendenz, die erst festgestellt und dann in Abzug

gebracht werden müßte, kann hier im allgemeinen nicht die

Rede sein. Im A. T. liegen auch solche Niederschläge realen

Lebens vor, und es ist eben den archäologischen Entdeckungen

des letzten halben Jahrhunderts zu danken, wenn die alttesta¬

mentliche Wissenschaft jetzt dafür einen Blick bekommen hat

und diese Dinge viel lebendiger und anschaulicher sieht, als

es frühere Geschlechter konnten. Aber neben solchen Doku¬

menten enthält das A. T. weithin Literaturwerke, die mit

schriftstellerischen Tendenzen abgefaßt sind und völlig mi߬

verstanden werden, wenn man sie als kritiklos zu verwertenden

Niederschlag naiven, unreflektierten Lebens glaubt auffassen

zu dürfen. Wenn, wie mir scheint, Eeedmans sich dieses

(22)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. 193

Mißverständnisses gelegentlich schuldig macht, so erklärt sich

das daher, daß er — und nicht er allein ») — durch die Be¬

trachtung der außeralttestamentlichen Nachrichten sich den

Blick für die Besonderheit der biblischen hat trüben lassen*).

1) Eine Überschätzung des Niveaus der vormosaischen Religion Israels und der Religion Moses selbst findet sich auch bei I. Rabin: Studien zur vormosaischen Gottesvorstellung I, 1929 und W. F. Albbioht : A Millen¬

nium of Biblical History in the light of recent excavations (Proceedings of the American Philosophical Society, Vol. LXlX, No. 7,1930, S. 441—461).

Albright's Ausführungen sind höchst lehrreich, soweit sie die Archäologie

und die Profangeschichte angehen. Aber in seinen Bemerkungen zur

Religionsgeschichte scheint mir manches problematisch, vor allem der

Satü (S. 452): .That Mose was a thorough monotheist seems to me prac¬

tically certain'.

2) Anmerkungsweise mögen noch einige Eigenheiten der EERDMANs'¬

schen Darstellung genannt werden. Merkwürdig viel Erscheinungen der

kanaanäischen und der israelitischen Religion werden aus der sexuellen Sphäre hergeleitet, auch solche, bei denen die Quellen wenigstens diese Herleitung nicht nahelegen. Die beiden Säulen vor dem Salomonischen

Tempel uud ihre Namen jäktn .er steht aufrecht' und bö'az .in ihm ist

Kraft' sind phallischer Art. Das .Schandbild' (mipUfet) von 1 Kön. 15, is ist ein beweglicher Phallus (S. 105). Die Mazzebe ist Symbol des männ¬

lichen Gliedes, die Äschere Abbild der Vagina (S. 117). Mir will scheinen, als ob die ja nicht zu bestreitende Tatsache, daß in den kanaanäischen

Kulten geschlechtliche Vorstellungen und Bräuche eine große Rolle

spielten, hier doch etwas übertrieben wird.

Eerdmans' schon berührte Keniter-Theorie hat auch für die Vor¬

stellung Bedeutung, die er sich von dem Wesen Jahwes macht. Moses

Schwiegervater, ein Midianiter, war von Beruf ein Keniter, d. h. ein

Schmied, und als solcher Diener des Feuergottes, der göttlichen Hypo-

stasierung des dem Schmied unentbehrlichen Schmiedefeuers. Dieser

Feuergott der Schmiede ist dem Mose in einer im Gesträuch brennenden

Flamme erschienen (S. 35f). Auch die Theophanie am Sinai Exod. 19

setzt weder Unwetter-Erscheinungen noch den Ausbruch eines Vulkans

voraus, sondern eben nur das Feuer, die Offenbarungsform des Schmiede¬

gottes. Auch die anderen hierhergehörenden Phänomene wie die Rauch-

und Feuersäule erklären sich in derselben Art. .Die Art der Keniter,

der Feuer-Handwerker in der Wüste, setzt uns gut in den Stand, zu er¬

klären , wie diese Uberlieferung entstanden ist. Das Altertum sah in

allerlei Dingen, die uns gewohnt vorkommen, göttliche Kräfte und be¬

zeichnete Diüge als göttlich, die für sie Sitz einer geheimnisvollen Kraft

waren, wie Korn, Eisen und auch Feuer. Der Schmied, der das Feuer

bewahrt oder macht, es anfacht und für seine Arbeit gebraucht, arbeitet mit einem Element, das Sitz einer göttlichen Kraft ist. Darum war Jethro,

(23)

194 O. Eissfeldt, Zwei Leidener Dantell. d. israel. Religionsgescli.

So hat die Gegenüberstellung der beiden Leidener Dar¬

stellungen der israelitischen Religionsgeschichte der an dem

Gegenstand arbeitenden Forschung mancherlei zu sagen. Die

neuere zeigt — wie könnte es auch anders sein! —, daß

die alttestamentliche Wissenschaft in den letzten sechs Jahr¬

zehnten nicht geruht, sondern sich bemüht hat, auf ihrem

eigenen Gebiet die Beobachtungsmethoden zu verfeinern und

zugleich die außerhalb des A. T. für den alten Orient er¬

schlossenen Quellen für ihren Gegenstand nutzbar zu machen.

Freilich bleibt an der Art, wie sich in Eeedman's Buch dieser

doppelte Fortschritt der alttestamentlichen Wissenschaft spie¬

gelt, doch einiges zu wünschen übrig. Die Scheidung zwi¬

schen literarisch spät bezeugter Gestalt und stofflich altem

Gehalt ist gelegentlich nur thetisch vorgenommen und läßt

die behutsam argumentierende Art, mit der etwa W. W. Geav

der Keniter, ein Priester in Midian. Er, das Familienliaupt, bewahrte

die nait diesem Feuerdienst verbundenen Traditionen. Dieser Umgang

mit heiligen Dingen, das Sie-Zum-Vorschein-Rufen, heißt einen Gott

erscheinen lassen. Uns scheint die durch Menschen geschehende Vor¬

bereitung einer Gotteserscheinung nicht viel anderes als Entweihung zu sein, vielleicht auch Betrug. FUr sie war das die Ausübung ihres heiligen

Amtes als dienender Priester. In diesen Gedankengang müssen wir uns

beim Lesen der alten Erzählungen im Exodus hineinversetzen' (S. 37).

Ob diese im Grunde doch »ehr rationalistische Erklärung des Tatbestandes den 80 farbigen, deutlich ganz gewaltige Naturphänomene als Hintergrund

aufweisenden Sinai-Erzählungen wirklich gerecht zu werden vermag, ist

mir sehr zweifelhaft. Freilich liegen hier bei Kuenen die Dinge nicht viel besser. Er leitet den Jahwe-Glauben aus einer persönlichen Erfahrung

des Mc?e her, dem aus der Vergleichung der ägyptischen Naturgötter

mit dem majestätischen Gott der Patriarchen, El-Schaddaj, dieser neue Glaube erwachsen sei. Wie gnnz anders das, was H. Ghessmann in seinem

.Mose' von 1913, S. lOSff. ; 431 ff. über das Aufkommen der Jahwe-

Verehrung in Israel und über die ursprüngliche Art dieses Sinai-Gottes zu sagen vermag! Seine von poetischem Schwung getragene Darstellung läßt gewiß der frei kombinierenden Phantasie allzu viel Spielraum, aber

— das wird einem gerade durch den Vergleich seiner Ausführungen mit

den hierher gehörigen Stellen aus Eerdmans und Kuenen klar — insofern weisen seine Darlegungen zweifellos in die richtige Richtung, als hier wirklich ein neuer, bis dahin Israel unbekannter Gott in die Erscheinung tritt, und als zweitens es sich hier um einen Gott bandelt, der von Hau»

aus mit vulkanischen Eruptionen in Verbindung steht.

(24)

O. Eissfeldt, Zwei Leidener Darstell, d. israel. Religionsgesch. 195

BATTDissm») und A.Alt*) unter der monotheistischen Schicht

des Elohisten Schichten bloßlegen, die den Glauben an mehrere

Elim oder Vätergötter erkennen lassen, manchmal vermissen,

und die Bedeutung, die den neuerschlossenen außeralttesta¬

mentlichen Angaben zukommt, wird nicht selten überschätzt

oder doch an einer falschen Stelle gesucht. Daß trotz solcher

Un Vollkommenheiten die neuere Darstellung dem gegenwärtigen

Stande der Forschung entspricht, bleibt gleichwohl bestehen

und wird einem besonders klar, wenn man sie an der Dar¬

stellung Kuenen's mißt, die noch ganz wenig von den durch

die neueren archäologischen Forschungen in die alttestament¬

liche Wissenschaft gekommenen Impulsen erkennen läßt. Das

bedeutet aber wiederum nicht, daß Kuenen's Werk durch

Eebdmans' Buch überholt wäre und der Forschung nichts

mehr zu sagen hätte. Das Gegenteil ist richtig. Die ältere

Darstellung — das werden die vorangehenden Ausführungen

gezeigt haben — erhält sogar durch das Erscheinen von Dar¬

stellungen der EEEDMANs'schen Art gesteigerte Bedeutung,

indem sie vor einer Überschätzung der in den letzten 60 Jahren

gemachten Fortschritte warnt und daran erinnert, daß das

damals entworfene Bild vom Verlauf der israelitischen Reli¬

gionsgeschichte auch heute noch zu Recht besteht und durch

neuere Erkenntnisse wohl in vieler Hinsicht ergänzt und be¬

richtigt, aber nicht .erschüttert wird.

1) Kyrios III, 1929, S. 123-176.

2) Der Gott der Väter, 1929, S. 10—31. — Zur Sache vgl. auch

Eissfeldt: Der Gott Bethel (Archiv f. Religionswiss. XXVIII [1930]

S. 1—30).

Zeitschrift d. D. M. G., Neae Folge Bd. X (Bd. 85). 14

(25)

Gilgamesch und Alexander Von Wilhelm Printz

Herrn Geheimrat Prof. Dr. Theodor Zachabiab

zum 80. Geburtstag 3. Februar 1931

„Ich will eröffnen, GilgameS, verborgene Kunde, / und ein Kraut des Lebens will ich dir sagen I / Selbiges Kraut ist wie ein Stechdorn, /

Sein Dorn wie die Rose durchbohrt deine Hand, / wenn jenes Kraut

deine Hände erreichen, . .." / Als GilgameS dies hörte, / öfEnete er. .., /

band schwere Steine an seine Füße. / Sie zogen ihn zum Ozean hin¬

ab .../ Er nahm das Kraut, es durchbohrte seine Hand. / Er schnitt

die schweren Steine ab ... / dann legte er es auf seine . . . / Gilgames spricht zu ihm, zu UrSanabi, dem Schiffer: / „UrSanabi, dieses Kraut

ist ein Kraut . .., / wodurch der Mensch seinen Lebenshauch ge¬

winnt. / Ich will es bringen nach dem umfriedeten Uruk. / Ich will es

essen lassen .. ., das Kraut will ich abschneiden. Sein Name ist ,Als

Greis wird der Mensch wieder jung'. / Ich will davon essen und wieder jung werden." / Nach 20 Doppelstunden aßen sie einen Bissen; / nach

30 Doppelstunden hielten sie Nachtruhe. / Da sah Gilgame^ eine

Grube, deren Wasser kalt waren, / er stieg hinab und badet sich mit

dem Wasser. / Eine Schlange roch den Duft des Krautes, / . . . stieg

empor und nahm das Kraut fort. / Als sie es "fortholte, warf sie die

Schuppenhaut ab. / Da setzte sich Gilgames und weint, / über seine

Wangen fließen seine Tränen. /»)

Pyrophilus lapis est preciosissimus ut narrat scriptura Esculapij

philo.sophi ad Octavianum missa. videlicet enim quod cor hominis

ueneno perempti non potest comburi igne. quod si ipsum cor in igne

novem annis continuis servetur vertitur in lapide qui dicto nomine

nuncupatur. Miram ut dictum habet potentiam. Protegit enim gestau¬

tem contra fulmina et tonitros. Reges et duces facit victoriosos in

bellis et contra venenum securos. Hunc Alexander fertur portasse in

subligari purpureo. Cumque redisset ab India et Eufraten fluvium

transisset deposuit vestes ut se lavaret in flumine. Interim autem

venit serpens et subligar morsu praecidit cum lapide et in Eufraten

1) Nach Erich Ebeling's Übersetzung in: Altoriental. Texte zum

A.T., hrsg. von Hdgo Gressmann. 2. Aufl. Berlin 1926, S. 182-183.

Klammern und Fragezeichen sind weggelassen.

Referenzen

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