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ZWEI ZEILEN GESCHICHTE

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Academic year: 2022

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ZWEI ZEILEN GESCHICHTE

Es gibt eine Version, die besagt, dass alles mit einer Maschine angfangen hat, besser gesagt mit einer Zeitmaschine.

Aus einer Zeitung

Es war Sonntag. Das Forschungszentrum für Physik war leer. Nur mein Vater und ich standen inmitten eines mit Apparatur vollgestopften Raumes. Das, was uns umgab, war also die Zeitmaschine. Natürlich nennen es die Wissenschaftler anders. Viel länger und komplizierter.

Mein Vater legte einen einfachen Würfel auf einen Tisch.

“Den schicken wir auf eine Reise durch die Zeit”, sagte er und ging in die Steuerungszentrale. Ich schob mein Handy hinter das Versuchsobjekt.

“Vielleicht würde es auf seiner Reise ein wenig prähistorischen Staub sammeln“, dachte ich und folgte meinem Vater.

Ich spähte durch eine Panzerglasscheibe. In der Ferne, hinter den Verflechtungen der Geräte sah ich das, was wir auf dem Tisch gelassen hatten. Dann hörte ich ein unangeneh- mes Surren und der Tisch wurde leer.

“Das war´s”, sagte mein Vater.

Auf dem Display über unseren Köpfen erschien die Inschrift: “Mittelalter; Jahr 485“.

“Zauberei”, sagte ich.

Mein Vater war enttäuscht.

“Was hättest du erwartet?“, fragte er.

“Keine Ahnung. Ich habe noch nie eine Zeitmaschine gesehen. Wann kommt es übrigens wieder?”

”Wann es wiederkommt? Niemals. Dort wo es jetzt ist gibt es keine Zeitmaschine.“

Am Anfang des frühen Mittelalters war die Lage im ehemaligen Römischen Reich katastrophal. Die örtlichen Tyrannen und Statthalter raubten die schutzlose Bevölkerung aus, die Wirtschaft war am Ende, die Künste und die Wissenschaft verwelkten. Derweil bereitete der Frankenkönig Chlodwig einen Angriff auf die Grenzbefestigung Galliens, des letzten Teiles des Römischen Reiches, wo noch ein Statthalter regierte, vor. Im Falle eines Erfolges würde die zerbrechliche politische und militärische Ordnung der Angegrif- fenen aus dem Gleichgewicht geraten und dem letzten römischen Teil des Römischen Reiches den Todesstoß versetzen.

Viele Menschen in Soisson, der Hauptstadt Galliens, waren der Meinung, dass die Poli-

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tik des Syagrius, des römischen Statthalters des besagten Landstriches, an allem Unglück schuld wäre, weil er sich nicht mit den Angelegenheiten seines Landes beschäftigte und Luxus und feierliche Zeremonien liebte.

Einmal, kurz vor einem bevorstehenden Festmahl, versammelten sich die höchsten Be – amten im Palast. Der Verantwortliche für Lebensmittel berichtete, dass das Korn wegen schlechter Ernten lau in die Lagerhäuser einlaufe und von niedriger Qualität sei. Der Feldherr Marcus Aemilius Bombastus berichtete, dass der Bau von Belagerungsmasch- inen, wegen stockender Eisenzufuhr, nicht fortgesetzt werden kann. Immer neue Mängel und Löcher in der Wirtschaft wurden entdeckt. Viele verstanden: Hinrichtungen stehen bevor.

Da trat der Hauptmann der römischen Geheimpolizei vor und sagte: „Geruhe mich anzuhören, oh großer Herrscher .

Syagrius nickte grimmig.

“Meine Leute haben von einem byzantinischen Kaufmann ein neues Muster feindlicher Technologie bekommen.“

Auf einen Handwink hin brachte ein Sklave ein silbernes Tablett herein, auf dem etwas lag, das mit einem seidenen Tuch bedeckt war.

Der Hauptmann der Geheimpolizei riss das Tuch herunter. Auf dem Tablett lag ein

kleiner, blauer Gegenstand mit einigen weichen Erhebungen auf der Oberseite. Er ähnelte stark einem Ziegelstein und auf ihm stand “NOKIA”.

Jemand kicherte. Er wurde abgeführt. Der Herrscher runzelte die Stirn.

“Ziehe keine voreiligen Schlüsse oh großer Herrscher”, sagte der Hauptmann der Geheimpolizei, “Dies ist kein einfacher Ziegelstein. Dies ist der letzte Schrei in der strategischen Kriegsführung.”

Er drückte mit seinem linken Ringfinger auf eine der Erhebungen. Sofort ertönte eine schrille Melodie.

“Nicht verstanden”, sagte Syagrius

”Der byzantinische Kaufmann sagte, dass es eine sehr nützliche Sache sei und er nur ein Exemplar davon habe. Ich vermute, dass der Ziegelstein von den byzantinischen Priestern erfunden wurde, um alle Zugänge zu den Städten und sogar zu den byantinischen Gren- zen mit solchen Steinen zu pflastern. Somit wird das Herannahen eines feindlichen Heer- es von weitem hörbar und ein plötzlicher Angriff unmöglich.“

“Quatsch”, sagte jemand. Er wurde abgeführt. Syagrius dachte nach. Dann ließ er Ziegel- steinexperten rufen.

Die Experten, die sich in vier Parteien aufgeteilt hatten, stritten sich lange. Einige glaubten, dass man keine solchen Ziegelsteine herstellen kann, weil es in Gallien keine

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Rohstoffe dazu gäbe. Andere behaupteten, dass die Ziegelsteine gar nicht echt, sondern eine Erfindung der byzantinischen Propganda wären. Sie schlugen vor, den Ziegelstein zu zerschlagen, um ein silbernes Glöckchen in seiner Mitte zu finden. Die dritte Partei war dafür, dass man die Ziegelsteine importieren sollte. Die vierte Partei letztlich, besteh- end aus dem anfangenden Priester Gaius Antonius Publicus schwor sofort, nach zehn Jahren genauso einen nur noch besserer Qualität zu erfinden und herzustellen.

Syagrius hörte alle an. Dann zerschlug man den Ziegelstein nach seinem Befehl.

Man fand in ihm kein Glöckchen und fütterte deshalb die Skeptiker mit seinen Resten. Die Optimisten aber, dargestellt von Gaius Antonius Publicus, bekamen den Auftrag, im Laufe eines Jahres einen vaterländischen klingenden Ziegelstein herzustellen.

Der Werkstatt, die den klingenden Ziegelstein herstellen sollte, wurde der Sommer- palast des Syagrius zugeteilt. Der Ziegelstein bekam den Namen “TeDe I”. Das ganze an das Versuchsgelände anliegende Gebiet wurde mit unüberwindbaren, aus Arabien import- ierten Dornen abgesichert und ein schwieriges System von Passierscheinen entwickelt. Da das Unternehmen für die ersten paar Monate 1000 Silberdenare verlangte, wurde das Bu- dget für die Landwirtschaft und die öffentlichen Schulen gekürzt. Nach drei Monaten arbeiteten an der Herstellung des „TeDe I“ schon 90.000 Sklaven und über 40.000 freie Spezialisten. Der Priester und Leiter des Unternehmens Gaius Antonius Publicus wurde zum besonderen Ratgeber ernannt und bekam das Recht, jedes Eigentum zum Nutzen des Projektes zu beschlagnahmen. Zum Winter hin konfiszierte er das Tal des Flusses Marne, wo er sich und seinen Angehörigen aus den misslungenen “TeDe I“ Probeexemplaren Paläste erbauen ließ.

Da sich die Lage der Bevölkerung weiterhin verschlechterte, wurden Hinrichtungen in Gallien häufiger. Gleichzeitig ging das Gerücht um, dass die Hersteller des “TeDe I”

umsonst das staatliche Geld verschlingen und sich nicht mit der Erfindung des klingenden Ziegelsteins beeilen, während die anderen Zweige der Wissenschaft allmählich verdor- rten .

Einige Menschen finge an Denunziationen auf Papyrus zu schreiben. Allerdings hörte das bald auf, nachdem der ganze Papyrus im ganzen Reich von dem Unternehmen „TeDe I“ als Brennstoff beschlagnahmt wurde. Den gälischen Massenmedien wurde angeboten Briefe und Bücher mit Stöcken in den Sand zu kratzen.

So verging das erste Jahr. Dann rief der Herrscher Syagrius seinen Ratgeber Gaius Antonius Publicus zu sich und fragte ihn:

“Wo bleibt der Ziegelstein? Die Feinde nähern sich meiner Hauptstadt, aber ich höre es nicht.”

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“Sie sind noch weit”, antwortete Publicus, der nach seinem letzten Urlaub im Tal des Flusses Marne merklich dicker, ausgeruhter und gesünder aussah.

„Wo ist das, was du herstellen solltest“, bohrte Syagrius weiter.

„Ich wäre froh, oh großer Herrscher, dir über die Vollendung der Arbeiten zu berichten.

Aber leider hat eine Massensabotage einer Kollegen meine Pläne abgerissen.“

„Erkläre“, sagte Syagrius.

“Ich werde dir alles erzählen, oh großer Herrscher”, sagte Publicus, “obwohl ich deinen Zorn hervorzurufen riskiere. Um unser Reich zu retten und ein ganzes Knäuel von Problemen zu zerschlagen, braucht man eine volle Konzentration aller Kräfte auf einen Punkt. Was sehen wir in Wirklichkeit? Die Einen züchten weiterhin Schafe und Pferde, die anderen gewinnen Eisenerz, wieder andere erfinden Katapulte, Dritte haben sich etwas ganz utopisches in den Kopf gesetzt, eine Kampfmaschine, die von Dampf angetrieben wird! Mehr noch, ich kenne einige Verräter und Saboteure, die stillschwei- gend eine Flotte bauen und einen großen Ballon mit stinkigem Rauch füllen wollen, um damit in die Lüfte zu steigen. Das ist es, lieber Herrscher, worauf staatliches Geld ver- schwendet wird! Und du und ich können deshalb nicht das Reich sichern.“

Syagrius geriet in schrecklichen Zorn. Erst ließ er alle Priester zu sich rufen, die sich hartnäckig mit irgendwelchen unnützen Erfindungen beschäftigten, während das Schick- sal des “TeDe I” und des ganzen Reiches auf dem Spiel stand. Auf dieser Versammlung trat der Ratgeber Publicus mit einer zornigen Rede vor und bewies glaubwürdig, dass alle diese Priester fränkische Agenten seien. Danach bereuten die meisten Priester ihre Fehler und die anderen mussten in die Sklaverei verkauft werden.

Die Gelder und Ressourcen, die bei dieser “großen Säuberung der Wissenschaft“ frei wurden, kamen dem Unternehmen „TeDe I“ zugute. Seine Schornsteine rauchten dreimal stärker und Publicus baute an der Oise vier Paläste für seine Konkubinen.

Leider verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage Galliens zusehends, aber das Land einschließlich Syagrius lebte in der Hoffnung, dass das Programm “TeDe I” bald voll- endet werden würde.

Derweil war der listige Chlodwig schon in den fruchtbaren Tälern der Seine und Loire und überall floss Blut und brannte das Land. Von hier aus marschierte er mit seinem Heer auf die Hauptstadt Galliens zu. Von den Schritten seiner Soldaten bebte der Boden, was auch in Soisson zu hören war.

Am Tag vor der entscheidenden Schlacht bei Galliens Hauptstadt Soisson berief Syag- rius eine Heeresversammlung ein.

“Sind die Mauern meiner uneinnehmbaren Hauptstadt bereit zur Abwehr des Feindes?“,

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Fragte er.

”Nein”, sagte der Aufseher über Stadtmauern. Alle Ziegelsteine wurden dem Unter- nehmen “TeDe I” übergeben. Dahin ging auch der ganze Lehm. Die Mauern sind teil- weise eingestürzt.“

Syagrius befahl natürlich den Aufseher über Stadtmauern hinzurichten. Nach ihm verloren die Aufseher über Katapulten, Schützer der Tore, Aufseher über Lebensmittel- lager und auch die Priester, die es nicht geschafft hatten operativ die königliche Masch- ine, den Heißluftballon, die Segelflotte und das griechische Feuer zu erfinden, das Leben.

Aber noch war nicht alles verloren. Von Minute zu Minute wurde von dem Unterneh- en “TeDe I” eine Ladung von Probeexemplaren des klingenden Ziegelsteins erwartet.

In der Erwartung des “TeDe I” organisierte Syagrius ein Festmahl für alle noch leben- den Beamten.

Am nächsten Morgen rief der noch immer stark an Kater leidende Syagrius seinen Rat- geber Gaius Antonius Publicus zu sich. Man suchte ihn lange. Schließlich griff man ihn am Westtor auf, als er auf dem besten Rennpferd der Stadt in Begleitung einer treuen Konkubine, zweier Säcke voller Gold und eines Probeexemplars des “TeDe I” aus der Stadt verschwinden wollte. Der Deserteur wurde zum Herrscher gebracht.

“Auch du Publicus? , fragte Syagrius enttäuscht.

“Ich wurde nicht richtig verstanden”, antwortete der Ratgeber, “Ich evakuierte gerade die Probeexemplare um ihre Herstellung in schwer zugänglichem bergigem Gelände auf die Beine zu bringen.“

Er streckte dem Herrscher den ersten Ziegelstein entgegen. Syagrius schlug mit dem Finger dagegen. Der Ziegelstein quiekte leise.

“Nach vier Jahren bringen wir ihn zur Kondition”, versicherte ihn Publicus.

Syagrius lauschte. An den Palasttüren brodelte der Kampf. Es stand ein Lärm, dass man schreien musste.

“Er klingt!“, brüllte Syagrius.

Er hob den Ziegelstein und zerschmetterte Publicus damit den Schädel. Danach floh er auf dem von dem Ermordeten so gut ausgerüsteten Pferd in die Hauptstadt des Westgot- ischen Reiches, Toulouse.

Ich öffnete das “Historische Lexikon des Mittelalters“. Dort stand:

“Im Jahre 486 n. Chr. schlugen die Franken in einem hartnäckigen Kampf bei Soisson das Heer des letzten römischen Statthalters in Gallien Syagrius und unterwarfen sich große

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Teile Galliens. Dieser Sieg vergrößerte das Reich des Frankenkönigs Chlodwig stark.

Syagrius floh zum Westgotenkönig Alarich II nach Toulouse.“

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