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Sa'd, aus denen in der zweiten Generation nach ihm (ca

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(1)

593

Ursprung mul Bedeutuno- der Tabakät,

vünielimlich der des Ibn Sa'd.

Von Dr. Olto Lotli.

Vou den beiden ihrer Natur nacli sehr verschiedenen Werken des

Mul.iammad b. Sa'd, aus denen in der zweiten Generation nach ihm

(ca. 300) Ahmad b. Ma'rüf das bekannte „grosse Classenbuch"

zusammengestellt hat, ist das erste, die Prophetenbiographie, von

hoher Bedeutung, weil sie die fast einzigen Reste der wohl unwieder¬

bringlich verlorenen Arbeiten des Wäkidi enthält. Sie ist aber

ebendeshalb weniger als eine selhstständige Arbeit des Ibn Sa'd

anzusehen, und ihre frühe Veröffentlichung spricht weiter dafür, dass ihn ihre Verarbeitung nicht allzulange bescbäftigte

Erst der zweite und Haupttbeil, die Tabakät im engern

Sinne, sind die eigentliche Lebensarbeit des Ibn Sa'd, über der ihn

ein — wenigstens für einen Ueberlieferungsgelehrten ziemlich früh¬

zeitiger Tod überraschte^). Trotz der unvollendeten Gestalt, in

der es auch unter der pietätvollen Redaetion seines Schülers al-Husain

b. Fahm (t 289) geblieben ist, muss dieses Werk sowohl als selbst¬

ständige Schöpfung des Ibn Sa'd zu seiner vollkommenen Würdigung

an erster Stelle massgebend sein; es darf ferner als die schönste

Blüthe und das classi.sche Muster einer ausgebreiteten Litteratur¬

gattung besonderes Interesse erregen.

Eine Uebersicbt seines Inhaltes nnd Umfanges habe ich n.ach

den handschriftlichen Resten in einer frühern Untersucbung zu geben

versucht*); die dort begangene Versäumniss, Ursprung und Bedeu-

1) Die erste Mittiieilung des Werkes erfolgte noch hei Lebzeiten des Ver¬

fassers an seinen jUngern Zeitgenossen al-ll.irit b. Abi Usäma fgeb. 186, noch Schüler des Wäkidi , gestorben aber erst 282). Durch dessen ^'erlnittelung hat es schon gelegentlich, obwohl flüchtig, al-Tabari (-j- 310) benutzt (vgl. Citate aus al-Tabari's Prophctenbiograidiie in Sprenger's Leben iMohummads I, 191:

bes. l96. Als Werk der arabischen Litteratur ist es schon im Fihrist auf¬

geführt.

2) 4. <inm. II. 230 zu Bagdad. Die Langlebigkeit der Ueberlieferungs¬

gelehrten ist bei den Muslimen s])richw(irtlicb.

3) Das Classenbueh des Ihn Sa d etc. S. 31) fl'.

(2)

594 Loth , Ursprung und Bedeutung der Tnhal-at,

tung derselben zu erörtern, wird mir bier nachzuholen ermög¬

licht. —

Man darf den Entwurf der Tabakät nicbt lur die originelle

Erfindung des Ibn Sa'd oder eines einzelnen Vorgängers von ihm

halten; ihr unmittelbarer Ursprung und ihre erste Anwendung ist

in den Arbeiten der muslimischen Ueberlieferungskritik zu finden.

Indem ich zunächst diesen Ursprung nachzuweisen versuche, ist es

daher wohl erlaubt, etwas in's Allgemeine überzugreifen.

Die Kritik, welche die Muslime an ihrer Ueberlieferung aus¬

übten, hat sich nie anders als in einem sehr beschränkten Gebiete

bewegt, und sie trat erst zu einer Zeit ins Leben, wo das, wofür

sie am nothwendigsten gewesen wäre, schon zur vollendeten und

unerschütterlichen Grundlage geworden war. Beides war die natür¬

liche Folge der Entwickelung des Islam.

Das ganze erste Jahrhundert nach Mubammad, die eigentlich

schöpferische Periode der Tradition, war frei von jeder kritischen

Regung. In ihr wurde hauptsächlich der Stoff gesaramelt, welcher

der Nachwelt für alle Zeit genug zu arbeiten geben sollte.

Die fieberhafte Thätigkeit, welche mau Anfangs in der als be¬

sonders gottgefällig empfohlenen „Wissenschaft" d. h. der Samm¬

lung von Aussprüchen und Nachrichten vom Propheten, entfaltete,

die Begier, mit der man nach neuer und ungehörter Kunde jagte,

liess kaura Jemanden zur Besinnung uud zum Nachdenken kommen.

Und auch wo dies wirklich geschah, war man durch eine zwiefache

Autorität geblendet und zur bedingungslosesten Hingabe getrieben:

die Heiligkeit des Stoffes, welchen der Name des angeblichen Ur¬

hebers zu einem unantastbaren machte, — und die Ehrfurcht vor

deu Lehrern, den Gefährten seiner Laufbahn und Zeugen seiner

Handlungen, Männern, deren Redlichkeit und Wahrhaftigkeit von

Gott selbst anerkannt worden war — So kam dem Hörer nie

ein Zweifel auf, ob das, was als Wort oder Vorschrift des Propheten

mit Recht Glauben und Gehorsam erheischte, auch wirklich von

jenem ausgegangen war. Der Erzähler aber bedurfte keines beson¬

dern Aufwandes von Kunst und Mitteln, um zu überzeugen; Nie¬

mand verlangte von ihm authentische Zeugnisse und urkundliche

Beglaubigungen seiner Berichte. So trägt alles, was jene Zeit ge-

samraelt hat, den gleichen Charakler der Wahrscheiidichkeit, Ein¬

fachheit und Natürlichkeit, welche selbst dem unbefangenen Betrach¬

ter die Scheidung von Wahrheit und Irrthum oder Lüge oft un¬

möglich macht. Um so mehr den Muslimen der spätern Zeit: der

Stoff war ibnen gegebeu und ein für allemal geheiligt; jeder Ver¬

li Vgl. iil-liuljAri zu Anfang des 3. Buchs: I, S. 24 fr. ed. Kiehl.

2) Kor. Sur. 49, l.l; 59, H—10 u. ö.

(3)

vornehmlich der des Ibn Sa'd. 595

such, ihn von Neuem in Zweifel zu ziehen, hätte die Gefahr der

Blasphemie und des Unglaubens mit sich gebracht; die andre Mög-

lichlAit, die unmittelbaren Quellen zu kritisiren, war durch das

Dogma von der Unfehlbarkeit aller Schüler und (jeiährten des Pro¬

pheten abgeschnitten; ein Angriff auf diese war Ketzerei*). Aller

thatsächlichen und innern Kritik war damit also schon von Anfang

und für alle Zeit der Boden entzogen. —

Mit dem ersten Jahrhundert d. H. begannen jene reichströmendeu

Quellen, an denen man so begierig und unablässig schöpfte, all¬

mälig zu versiegen; zu Anfange des zweiten war die ganze Ge¬

neration von unmittelbaren Schülern des Propheten ausgestorben

Die Nachfolger, welche nun als alleinige Lehrer die muslimische

Gemeinde beherrschten, genossen anfänglich auch noch das Ansehen

und unbedingte Vertrauen, zu welchem sie durch ibren langen Ver¬

kehr mit den ältesten Gefährten und als die Generation , welche in

der reinen Luft der neuen Religion zuerst herangewachsen war, wohl

berechtigt waren. Sie bedienten sich desselben auch in ausgedehntem

Masse und die Meisten gewiss ganz ohne Arg, um unbedenklicii

Lehren und Massregeln des Propheten vorzutragen , den sie zwar

nicht mehr persönlich gekannt und gehört hatten, von dessen Geiste

sie aber noch ganz und vielleicht reiner als manche „Gefährten"

erfüllt waren *). Alleiu die jüngere Generation ihrer Schüler stand

jener Zeit, von welcher sie noch wie aus persönlicher Erfahrung

sprechen durften, auch im Geiste fremder gegenüber. Sie suchte

mit ihr einen äusseren Zusammenhang. Gewiss auch durcb manche

schlechte Erfahrung, manchen Vertranensmisshrauch gewitzigt, drang

sie jenen gegenüber auf Zeugnisse; d. h. man verlangte von dem

Erzähler eines Ausspruches des Propheten, dass er sich auf die

persönliche Mittheilung eines „Genossen" als des unmittelbaren

Zeugen berief. Dies musste, wie gesagt, zur Ueberzeugung genügen.

1) Abu Zur a (f 244) bei Ibn Ha^r, biogr. diet. S. „wenn Üu Jemand eineu von den ttefälirten des Gottgesandten herabsetzen siehst, so wisse : er ist ein Zindik''.

2) al-Wäliidi bei Ihn Kutaiba, ed. \V ii s t e n f e Id 173 über die letztgestor- benen Genossen; alle starben noch vor 100. Abu'1-Tufail, der den Propheten wenigstens nocb gesehen, starb erst naeh KX) (ebenda; nach Ihn Sa'd Kuf.

Gen. Cod. Goth. 411b, 203, war er bei Muhammed's Tode 8 Jabr alt uud

beschrieb ihn nach Autopsie; das Todesjahr wird nicht angegeben).

3) Wie häufig und ausgedebnt dies geschehen sein mag , davon giebt die spätere Wissenschaft Zeugniss, indem sie aus solchen von einem Nachfolger un¬

mittelbar auf den Propheten zurückgeführten Traditionen eine besondere Gat- G - b )

tung macht , das sogen. J^x'j* , und die vielfach angeregte und verscbieden beantwortete Frage , ob dieselben ,, gesund'' und beweisgültig seien. Aeltere Lehrer, wie Mälik und Ahu Hanifa bejahten sie, die spätern von al-Säfi'i an, verneinten sie — Nawawi, Takrib no. 9, Cod. der Befa'ija f. 38. Beispiele dieser Ueberlieferungsart baben wir für die grössten Lehrer jener Generation : al-Hasan von Ba.sia , al-öabi, u. A.

(4)

596 IjoIIi , Uraprung nml liedeutung der Tahak/it,

Es wurde daher zur Gewohnheit und allmälig zur Regel, die Nach¬

folger nur als Autoritäten für die Berichte der Genossen vom J*ro-

pheten anzuerkennen, also auch nnr die von ihnen ausgehenden

Traditionen als rechtsbeständig festzuhalten , welche sich auf solche

äussere Zeugnisse stützten Dieses Verfahren einmal angewendet,

musste dann auch für die Folge massgebend werden. Jeder Lehrer

der dritten Generation musste sich auf die persönliche Mittheilung

eines, selbst durch die eines Genossen gestützten, Nachfolgers, und

so jeder sjiätere sich auf eine in gleicher Weise verbundene Kette

von (iewährsmänncrn, bis auf den Zeugen oder Gefährten des Pro¬

pbeten herab berufen können.

Hiermit war ein erster entscheidender Schritt gethan. Die

Autorität der Nachfolger und damit auch aller spätern Generationen,

gleichviel ob als Lehrer des Gesetzes oder als Quellen der heiligen

Geschichte — denn Beides war damals noch nicht geschieden —

war gebrochen. Sie waren fortan nur Träger und Bewahrer der in

den Aussprüchen der Genossen niedergelegten und abgeschlossenen

jn'ophetischen Ueberlieferung. Diese allein gab die Grundlagen

eines künitigen dogmatischen Ausbaus und die einzig gültigen Quellen

für die Geschichte. ■— Ihr gegenüber gab es keine Kritik; man

beugte sich bedingungslos der bezeugenden AutoritAt jedes Genossen

und man war ebenso wehrlos gegen die dreisteste Lüge und Fälschung,

welche sich oft hinter ihren Namen verbarg. Nur ein Correctiv

gab es dagegen — und darin lag gleichsam ein Ersatz, den man

den Nachfolgenden einräumte für <lie verlorene Autorität —: nur

die Aussprüche und Zeugnisse der Genossen erlangten Gültigkeit

und Beweiskraft, welche durch eine ununterbrochene Ueberlieferung

bis an das Tageslicht der Gegenwart geleitet werden konnten. So

räumte man den nachfolgenden Generationen wenigstens ein bestim¬

mendes Urtheil über den abgeschlossenen Stoff ein, und man be-

scliränkte sich auf die von ihnen sei es nach Urtheil sei es nach

Zufall getroffene Auswahl.

Diese doppelte Controle: der späteren Erzähler nach authen¬

tischen Zeugnissen und der angeblichen zeitgenössischen Aussagen

durch die ununterbrochene Bürgschaft der Nachwelt — ist das Grund-

Itrincip der muslimischen Ueberlieferung. Sie legt daher ihren Haupt¬

nachdruck auf die jede Tradition begleitende Kette der Gewährs¬

männer, die sie in auf- oder absteigender Linie verfolgt, den Isnäd,

und macht von seiner Zurechtbeständigkeit und Vollständigkeit auch

1) Dem ontsprccluiKl urtlieilt nucli die Scliule ^t^JLä) über nl-Hasnn's c Triulitiiiiicti bei Ibii Sul Itnsr. Nnclif. Cod. Gotb. 411, Di): «AÄ«,! L4 ^Ij j

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u~*A3

(5)

■noriwhmUcli tier de» Ihn Sdd. 597

die Gültigkeit der von ihm begleiteten Tradition abhängig. Nur

die Tradition , deren lanäd diese Probe besteht, das Musnad, er¬

hält von nuu an kanonisches Ansehen — In der Prüfung des

Isnäd lag also die hauptsächliche Aufgabe der Traditionen k r i t i k.

Es ist überflüssig zu bemerken, dass eine solche Kritik noch

sehr mangelhaft, namentlich zu äusserlich war und dass sie sich

mit ihrer Controle nur zu oft im Kreise drehte. Aber sie war die

einzige, welche den Muslimen übrig blieb, und man wird ihr zu¬

gestehen, dass sie innerhalb der ihr vorgezeichneten Grenzen noch

das Möglichste geleistet hat. —

Namentlich ist die Bedeutung des Isnäd auch für die innere

Kritik der Tradition höher, als es vielleicht scheint. Sprenger

hat schon in treffender Weise darauf hingewiesen — Der Isnäd,

die „Stütze" der Tradition im eigentlichen Sinne — denn obne ihn

könnte sie gar keine selbstständige Existenz behaupten — macht

auch einen organischen Bestandtheil derselben aus; im Fusse, d. h.

dem ersten Gliede, dem Zeugen oder Theilnehmer des berichteten

Aktes, ist er mit ihr natürlich verwachsen. Der Geschichtsforscher

namentlich wird, an ihm herabsteigend, auf den unmittelbaren Boden

der Handluug versetzt, er wird gleichsam selbst zum Zuschauer

und Zeugen. — Und auch weiai es sich nur um ein überliefertes

Wort handelt , wird uns z. B. ganz anders klingen : „Gäbir hörte den

Propheten sagen" u. s. w. als ein allgemeines: „der Prophet lehrt".

Und endlich bedarf es schon gewichtiger Gründe, wenn man in

einer durch mehrere Jahrhunderte gehenden Kette von Gewährs¬

männern einfach nur Betrüger oder Betrogene sehen will. — Hierin

bietet das nmslimische Isnädsystem die Möglichkeit einer Autben¬

ticität, wie sie wohl keiue andere Geschichtsüberlieferung aufzu¬

weisen hat. —

Als praktische Aufgaben der Isnädkritik im Einzelnen ^) wird

man nun zunächst den Nachweis der Uealität und weiterhin den

der (!0 nti nu i tät jedes Isnäd zu bezeichnen haben.

Mit ersterem, dem Nachweise also, dass die einzelnen Glieder

des betreffenden Isnäd wirklich bekannte oder wenigstens historisch

nachweisbare Muslime sind, steht es allerdings schwach. Er trift't

den wunden Punkt des ganzen Systemes. Znm grossen Theil hatte

man es wohl mit Namen zu thun, deren Andenken vom Gesanimt-

1) Im Gegensätze also zu dem besprodienen J««^.*^ dessen Verwerfung ibre Spitze gegen die Autorität der Niiebfolger riebtet , wie aueb zu den ver¬

sebiedeiieii Arten jlaÖixi oder JwOa«/Oj den Traditionen von Genossen mit iiielir oder welliger liiekeiibafter Ueilie der spätern (iewälirsinäuiier.

2) Leben Mobammnd's I, Ilf. — Vgl. die Urtheile muslimiseher Autori,"

täten Uber die Ib^deutuiig des Isinid in dem Artikel aus Muslim's Sabib be Salisbury in Jonrii. Americ. Grient. Soc. VII, S. 7111',

3) Vgl. auch den allgemeinen Artikel ii>^A^| ^Ic bei Hägg. Ilalf. III, bes. S. 24.

lld X.X III M

(6)

598 Loth , Ursprung und lietleutung dei- Tahnkät,

bewusstsein aller Muslime getragen wurde. Allein der Fortschritt

der Wissenschalt, welche es sich zum Ziel gesetzt zu haben schien,

die Fülle der prophetischen Ueberlieferung bis zur Hefe zu er¬

schöpfen, brachte allmälig eine Menge seltener und obskurerer Ge¬

währsmänner an den Tag, deren Namen nothwendig befremdeten, aber

— wenn man überhaupt den Versuch wagte, nur selten durch Gründe

zurückgewiesen werden konnten — Das Einzige was hier die

Wissenschaft thun konnte, war dass sie die Namen aller auf solche

Weise neu auftretender Gewährsmänner sorgfältig notirte und sie

dann aus weitern Sammlungen zu belegen versuchte. Manchmal

gelang es wohl, andere Traditionen und Isnäde aufzubringen, in

denen sich der fragliche Name wiederfand, und so dessen Echt¬

heit wenigstens bis zur Wahrscheinlichkeit zu erweisen. Häufiger

aber mochte dieser Nachweis nicht zu fübren seiu ; dann war man —

wenigstens in der ältern Zeit — immer geneigt, die Glaubwürdig¬

keit und gute Gesinnung des Gewährsmannes nicht in Zweifel zu

ziehen ^).

Mit diesen Mitteln und Principien war also die sogen. Reali¬

tätskritik sehr bald am Ende. Die Muslime enthielten sich eines

weitern Vorwärtsgehens mit Recht, weil die Resultate nur immer

ungewisse uud unfruchtbare bleiben mussten, — abgesehen davon,

dass ibrem religiösen Gewissen die ganze Frage höchst unerquick¬

lich war. Mit grösserer Vorliebe aber und fast ausschliesslichem

Interesse wandte man sich der beschränkteren Aufgabe zu, die Namen,

die man als gegeben hinnahm, an sich eingehender zu erörtern,

besonders die unvollständigen, ungenauen oder vieldeutigen Angaben,

wie sie in den Isnäden sehr gewöhnlich vorkamen zu ergänzen,

zu verbessern und zu individualisiren. Hier bewegte man sich auf

dem festen Doden der Thatsachen; es galt nur festzustellen, wer,

nicht mehr o b überhaupt Jemand darunter zn suchen sei. Zu einer

solchen Arbeit genügte der blosse, gewissenhafte Fleiss — und

solche Arbeiten waren den muslimischen (ielehrten von jeher die

erwünschtesten.

Natürliche .\nlagen, des Gedäcbtniss und Interesse für Persön¬

liches nnd, unmittelbar, die noch aus ilem arabischen Heidenthum

1) Solclie, besonders ,, Genossen'', wui'den in den einzeluen .Schulen nach¬

träglich ,,enUleckt'' ; vgl. iiber sie und ihre ^■on den iiberall anerkannten Ge¬

nossen der allgemeinen Classe verschiedene N.'ilur, anlangend Kufa und Ba>ra, d. Classenb. S. 51 u. 56 f.

'2) Ei'.st die vorgeschrittene spätere Krilik nainn an Sidclien vereinzelleii Traditionen Anstoss: die ältcie Zeit, auf deren Standpunkte hesonders audi noeh al-\Väkidi und die klassischen Gesdiielitselireiber stehen, nahm sie als schätzbares Material. Vgl. Sprenger, Mobaiiiniad UI, XCI.

3) Z. B. ein reberlieferer nannte nur den zufällig sehr allgemeinen Eigen¬

namen oder die blosse Kunja "der den blossen Stanininamen .seines Gewährs¬

mannes, iu der Vurans^et/.ullg, dass ^i.'iue unniitlelbareii Zuhörer diesen zur Ge¬

nüge kaniit''ii.

(7)

vornehmlich iler des Ibn Sdd. 599

vererbte genealogische „Wissenschaft" kamen ihnen dabei noch be¬

sonders zu statten. Kein Wunder also, wenn ihre Arbeit auf dieser

Seite ein sicherer und reicher Erfolg begleitete.

Das Niichste war auch hier, dass man gegenseitig verglich und

die Dunkelheiten eines Isnäd durcb eineu andern zu beleuchten

suchte. Diese nothwendig sich immer wiederholende Arbeit führte

allmälig dahin, dass mau für jeden Ueberlieferer, dem man —

persönlich oder nur in Ueberlieferungen — begegnete, die vollstän¬

digen Namen, Eigen- , Vor- (kunja) und Familiennamen (d. i. Name

des Vaters und Stammbaum aufwärts), so wie seine engere Natio¬

nalität (Stamm) festzustellen suchte, und wenn, wie es bald geschab,

das Gedäcbtniss nicht dazu ausreichte, sie schriftlich aufzeichnete. -

Die erschöpfende Samndung des gesammten Traditionenstoffs,

die im Lauf des '2. Jahrhunderts zu Stande kam, stellte also auch

ein vollständiges und detaillirtes Namenverzeichniss aller nmslimi-

schen Ueberlieferer in Aussicht.

Es kam zu Stande; aber den unmittelbaren Anstoss dazu, wie

auch die bestimmte Form gab die andere Hauptarbeit der Isnäd¬

kritik, die Prüfung der Continuität und Vollständigkeit, welche

mit der erstern natürlich von Anläng Hand in Hand geheiul, sie

mehr und mehr an Wichtigkeit und Interesse überwog.

Die erste und nothwendigste Frage nach der richtigen Reihen¬

folge eines Isnäd entschied sich durch die allgemeine Chronologie.

Es galt also für diese, die Lebenszeit eines jeden Üeberlieferers,

zunächst das immer am leichtesten zu bestimmende Lebensende nach

Jahren der Higra festzustellen '). Damit war über die äussere Mög¬

lichkeit entschieden ; es blieb dann noch die kaum minder wichtige

Frage, ob auch zwischen den einzelnen unmittelbar benachbarten

Gliedern des Isnäd iinierer Zusammenhang waltete, ob sie also sich

nicht blos gegenseitig erlebt, sondern auch in persönlichem und

mündlichem Verkehr gestanden hatten ; denn dieser war Grundbe¬

dingung für die richtige Ueberlieferung. Es bedurfte dalier noch

genauerer Hestimmungen ihrer Lebensverhältnisse, besonders ihres

Geburts- uml Wohnorts, wie auch aller zeitlichen Veränderungen

desselben, also hei den spätern Ueberlieferern besonders ihrer nb-

li<'hen Studienreisen. Ilei den angeblichen Genossen, durch welche

die nnmittelbare Verbindung des Isnäd mit dem Propheten herge¬

stellt wurde, bedurfte es also noch besimders der Nachweise ihrer

Theilnahme an den Lebensschicksalen oder wenigstens einzelnen

Handlungen desselben.

Sämmtliche Angaben mussteu natürlich aus authentischen, zum

1) Uiis i.sl \v:is iil-N.nvHAvi im TaUiil) :i. a. O. f. 80, no. (JO : ^).j\yA\

oljLjjJij nennt, wie er iiinzusetzt, zu «lein N.-ieliweise , ob iu einem Isnad

^LojI L'.intiuuitiit , ..der clLail , l'i.terbr... lienbeit . stiittlind.'t.

(8)

600 Loth , Ursprung und Bedeutung der Tahak&t,

Theil auch schon durch mehrere Generationen überlieferten Zeug¬

nissen bestehen oder wenigstens aus solchen nachzuweisen sein.

Die einzige Hülfsquelle dieser Kritik aber war also wieder selbst

die Tradition.

Einer Kritik nach diesen Gesichtspunkten konnte sich kein

wissenschaftlicher Ueberlieferer entschlagen, welcher über den ihm

zukommenden Traditionenstoff selbstständig urtheilen und das, was

er weiter überlieferte, auch selbst verbürgen wollte. Um sie aber

in jedem Falle und augenblicklich ausüben zu können, genügten

nicht zerstreute Notizen über ihm vorgekommene Ueberlieferer, son¬

dern es bedurfte eines systematischen Entwurfs, für welchen ihm

der nächste und wichtigste, chronologische, Gesichtspunkt auch die

natürliche Form gab. Solche chronologisch geordnete Verzeichnisse, in denen jeder muslimische Ueberlieferer allmälig seinen bestimmten

Platz bekam, waren als unentbehrliche Handbücher schon bei den

Gelehrten des 2. Jahrhunderts in allgemeinem Gebrauch. Im 3.

Jahrh. sehen wir verschiedene aus der Hand besonders berühmter

Autoritäten ihrem ursprünglichen Zweck zuwider und wohl auch

gegen die Absicht ihrer Verfasser — als Bücher unter dem ent¬

sprechenden Namen Ta'rih an die Oeffentlichkeit gelangen Lei¬

der .ist uns kein einziges derselben erhalten ; auch selbst die Aus¬

dehnung dieser neuen Litteratur können wir nicht bestimmen, da

es meist unmöglich ist, aus der Masse der Ta'rih's, welche die

Bibliographen aufzählen gerade diese Gattung, den T. „nach Weise

der Ueberlieferer" ^) besonders von den gleichnamigen rein histo¬

rischen Annalen herauszuscheiden. — Indessen stimmen mit dem,

was wir eben über die Gestalt und die nothwendigsten Bestandtheile solcher Verzeichnisse vorausgesetzt haben, sowobl die allgemeineren Ausfuhrungen des Nawawi *), als auch die dürftigen Beschreibungen,

die uns vom Ta'rih des Buljäri gegeben werden''), überein.

Darnach umfasste der Ta'rilj, den sich der wissenschaftliche

Traditionist als die Grundlage seiner selbstständigen Studien uud

1) Der berUliinteate war wolil der sogleich weiter zu hesprechende des Huhäri t 256; nächst ihm der des Ihn Abi Haitama t 279 (HA^;ii! Half. no.

2:'24; Tab. al-Huff. 9, 81; auch Nawawi Tahdib v) , des Ja kttb b. SufjÄn al-Fasawi t 288 (beide bei Ibu Haj>r S. f und mit andern bei al-Salifiwi, I län, Cod. Sprenger. 27, f. 94) u. A.

2) Hesonders I.Iäggi Half. II, S. 95—159.

3) Iläg'g'i Half. no. 2174 bei Krwähnung des T. des UuhAri.

4) In dem angefiihrten Capitel (60) seines Takrib.

5) Am besten Dahabi in Tab. al-llutT. a. a. U. nacb H.'s eigener Erzählung. Da¬

nach schrieb er, nachdem er zu Mekka die nötbigen Vorstudien gemacht hatte, seinen Ta'rih als achtzehnjähriger Jüngling „am (Jrabe des Propheten" zu Medina. -— Fiir jeden ,, Namen" batte er auch eine ,, (ieschichte", also das nölhige biographische Material, zur Ilaud. Doch fasste er sich überall mög¬

lichst kurz.

k 1

(9)

vornehmlich der des Ihn Sdd. 601

Arbeiten anlegte ')> 'üe Namen sämmtlicher ihm bekannt gewordener Ueberlieferer von den „Genossen" an bis auf seine Zeit herab. Bei

der ungeheuren Ausdehnung, die derselbe mit dem Fortschreiten

der Zeit und der Wissenschaft nehmen musste "), war es natür¬

lich, dass man das ausfüllende biographische Material in möglichst

kurzer Form gab und namenllich, da man nichl für die Oeffentlich¬

keit arbeitete, auch von der authentischen Wiedergabe der als Zeug¬

nisse dienenden Traditionen absah.

So war das zum Theil von ihm selbsl beschriebene Verfahren

des Buhäriund im Resultale giebl dazu eine ungefähre Analogie

der hier einschlagende Theil im Kitäb al-Ma'ärif des Ihn Kutaiba*).

Ein solcher Ta'ril) war aber noch ein sehr unvollkommenes Buch ;

cr blieb, so lauge wenigstens die Forschung seines Verlässers dauerte,

unabgeschlossen und steter neuer Zusätze uud Veränderungen ge¬

wärtig — eine offene zusammenhangslose Reihe von Namen, deren

jeder an sich chronologisch fixirt war, aber ohne Verbindung mit

den übrigen blieb.

Als sich im Laufe des 2. Jabrh.'s die Sammlung erschöpfte,

und das Namensverzeichniss der Ueberlieferer absolut für abge¬

schlossen gellen konnle, durfte man auch seine Ausführung von

höheren Gesichtspunkten auffassen. Uer lebendige Organismus des

Ueberlieferungssystems musste auch in einer Geschichte seiner Träger

entsprechend systematisch dargestellt werden. Sein Wesen war

stufenweise Entwickelung; die Generationen, welche sich als Trä¬

gerinnen ablösten und deren eine immer die Lehrerin der andern

war, nmssten zusammengestellt, der Ta'rilj also in eine fortschrei¬

tende Folge gleichzeitiger und gleichaltriger Classen abgetheilt

werden. Die Araber denken sich diese als eine Reihe gleichmäs¬

siger Schichten oder conccntrischer Kreise*) — Tabal^äl •').

1) Wie nl-BuliÄri als die Vorarlieit zu seinein Sal.iih (paliabi, a. a. O.).

2) Kanz al-rtawäbir bei Sprenger, Life of Mob. S. 65 not. 1): „Boliliary mentions, in bis Turylcb , all tbo traditionists from Mohammad to A. H. 250"

(B. t 256] „and they amount to forly thousand."

3) pahabi a. a. 0., vgl. aueh lIA^fei IJalf. no. 2174; Nawawi, Takrib no. 61. — Eine weitere Ergänzung dieser Beschreibung s. unt.

4) ed. Wiistenfeld S. \f bis t^f, wo Genossen von Abu Bakr an,

Nachfolger und spätere Ueberlieferer bis gegen Mitte dos 3. Jabrh.'s , aber ohne Vollständigkeit, aufgezählt werden.

5) Aehnlich denen der sieben Himmelsgewölbe — Kor. Sur. 67, 3 und Bai¬

däwi ; bier der Plural ijLJj, der auch als Buchtitel 'Fab. al-Huff. 9, 96 er¬

scheint {'f).

6) Ueber die urspriingliche Bedeutung und die verschiedeuen abgeleiteten Anwendungen des Wortes hat Klügel in der 1. Anm. zu den ., Classen der hanefit. Kecbtsgelehrten" (Abhh. d. k, sächs. Ges. d. Wissensch. VlU [1861]

S. 269f.) erschöpfend gehandelt (vgl. auch Hammer, Liter. I, CXVHl). Uie Wiedergabe mit „Classen" ist durch den Vorgang dieses nnd anderer Ge¬

lehrten sanktionirt; auch dUrfte sich schwerlich ein Wort in unserer Sprache

(10)

602 Loth, Ursjmiiij) mid Hcdciitniifi der Tiihakdt,

Als die erste glcicliartige Scliielit oder Classe stellten sieh von seihst die Wurzeln aller Isnäde, die ,.Genossen" heraus, welehe ihren

genieinsamen Mittelpunkt in der unmittelbaren Ueberlieferung vom

Propheten hatten. Dadurch zugleich von der ganzen übrigen Masse

scbarf abgesondert, bildeten sie eine erste Ilauptclasse der Ueber¬

lieferer. Sie zerfielen im Einzelnen, wie wir schon am Classen¬

buch des Ihn Sa'd nachgewiesen in eine .Vnzalil Unterabtbeilungen wesentlich nach dem cliromildgiscbeii Princip , welche oft gleichfalls als Classen bezeichnet werden.

Als zweite Ilauptclasse scbliessen sich ihnen die „Nachfolger"

an, die Generation, welche nicht mehr vom Propheten, aber un¬

mittelbar von den Genossen überliefert. — Und nach dem näm¬

lichen Principe, der unmittelbaren Ueberlieferung von der vorber¬

gebenden Classe , zugleicb mit möglichstem Ausschluss der nächst¬

vorigen , folgen die übrigen Generationen bis znr Gegenwart. Die

dritte Ilauptclasse bilden „die Nacbfolger der Nachfolger"^), die

von letzteren nnmittelbar, aber nicht mebr von den Genossen über¬

liefern u. s. f.

Diese (Massen waren ein getreues uml aiisclianlicbes Abbild

des natiiiiirlien Entwickelungsganges der Ueberlieferung; jeili^ ein¬

zelne stellte eine besondere Generation dar, weicbe ihren wesent¬

lichen Schwerpunkt , d. b. ihre gemeinsamen Lehrer in der nächst¬

vorbergebenden hatte und die nächstlolgende als ihre Hörer und

Schüler beeinflusste und beherrschte. Ans der „Tabaka" jedes ein¬

zelnen ^) liess sich also scblicssen, welcher (Jeneration er angehörte

und wo seine Lebrer und seine Schüler zu suchen seien ; dariiacb

liess sicb dann weiter bestimmen, ob seine Stelinng in einem Isnäde

der Wirklicbkeit entsiirecbend oder uninüglicli war ').

Freilich waren diese Schlüsse nur für so lange allgemein wahr,

als Gleichzeitigkeit, die ja hier einzig nachgewiesen wird, auch den

tiiidiMi , welclies die siiiiilielie Ciriindltedeutiing ( ..Seliieliteii" ii. ;i. ) hewjtlieeiid ziigleieli eine genügende Ansehauuiig des aljgoleitelen Hegi ill's gülie , welelien wir mit ,, Classen'* liezeiehneii.

1) I). Classenh. S. 3ü—ö!».

2) ll'^;*^^*''' • "icr ist noch unter den ,,Seliaiclieii" die nächstvor- hergeheiidc ('lasse olme Ausnahme au.sge.-iclilosscn ; in den weiler lidgeiulen Stil¬

len ist dies nielit mehr allgemein durelitülirhiir.

3) Her Ausdruck: die T. Jemandes für: seine (ieneralinn , seine Zeit- und .Mtersgeno.sscn ist sehr gewölinlich nnd wird abkür/.uiigsweise angewendet , an¬

statt die Individuen einzeln aufzuzählen ; so ill'ter in 'j'ali. al-Uiifl'. ; \gl. sÄi?

S.a-.LJI al-WäUidi hei Ihn Kutaiba 1.5», 3 v. u. ; ÜlUkil lil^Ij Um llall, no. .'«7, S. 1,'); ^J^A^L/i..* S.2aL>, Um Ilagr f Z.2 bedeutet nur die Oeueralion, zu der al-Iiuliäii's Seliaiehe gehörten - denn IbnSa'd, der zu dieser gezählt wird, war nieht sein iicr.-öiilielicr l/elirer.

■Ii Nawawi, 'l'aliriii. f. KSl' , no, (i;! (!>i_)_;JI oLiUb).

(11)

vornehmlich tier de« Ihn, Sdd, 603

persönlichen Verkehr zweier Ueberlieferer in sich schloss. Dies

war aber nur für die erste Zeit des Islam der Fall; und durch¬

gängig genügte jene Eintheilung auch nur für die erste Classe; denn

hier brachte es der Begriff des „Genossen" mit sich, dass man die

gegebene Gleichzeitigkeit auf den wirklichen persönlichen Verkehr

mit dem geistigen Mitteljiunkte der Classe, dem Propheten, zurück¬

führte.

Aber schon in der Periode der Nachfolger — nach den ersten

Ei oberungen ~ waren die Muslime über ein weites Gebiet zerstreut

und eine AnzabI neuer Mittelpunkte des geistigen Lebens gebildet.

.Ieder derselben entwickelte sich selbstständig in seinem beschränkten Kreise; gegenseitiger Verkehr und Austausch der wissenschaftlichen

Errungenschaften fand nur auf ausserordentlichem Wege statt.

Daher war ein bloss chronologisch geordneter Entwurf von

Tabakät ') noch nicbt an dem gewünschten Ziele. Zur vollständigen

Uebersicht und für die Folgerichtigkeit der aus ihm zu ziehenden

Schlüsse, musste er jenen Verhältnissen durch eine weitere örtliche

Eintheilung nacb Hauptmittelpunkten und darin sich entwickeln¬

den Schulen Rechnung tragen ; und um endlose Wiederholungen

zu vermeiden, musste diese zu Grunde gelegt, und nach ihr für

jeden Ort «oder jede Schule das Gerüst der Tabakät von den Ge¬

nossen bis zur Gegenwart herauf neu aufgefübrt werden.

Die einzelne Ausführung dieses Planes — die Classen von

Medina, Mekka . .., Küfa, Basra u. s. w. — haben wir scbon an

den Tabaltät des Ihn Sa'd (f 230) erörtert 2). Denn dieses

ist das erste, oder wenigstens das erste uns hekannte Werk, welches

danach entworfen und conseciuent durchgeführt worden ist. In der

That ist Ihn Sa'd als Verfasser von Tabakät nicht obne Vorgänger;

der bekannte Gescbichtsscbreiber al-Haitam b. 'Adi (t 209) wird

als Verfasser von Classen der Recbtsgelehrten und Ueberlieferer ge¬

nannt *); anch den Tabakät seines Zeitgenossen Hali fa b. Hajjät *)

if 240), die er selbst gekannt nnd bisweilen benutzt zu haben

scheint*), mag vor ihm die Priorität zugesprochen werden müssen;

1) Dei Hrt sind die spiitei n TabaliKt al-Huffftz des I>alia1)i ; ihre Uiivollltoni- nienlndt zeigt sieli al)Cr aneh auf jedem Seliritte. In den meisten Artikeln müssen die Seliaiehe und die Seliüler des Betreffenden von neuem aufgezählt werden, aber eiic dies vollständig geschieht, ist sehon die Geduld ries Autors ermi'.det, oder der Kaum ist zu beschränkt, nnd jede Aufziililung brielit schliess¬

licli mit einem inhaltsvollen: ,,u s. w." (*S'j/.i.j , Otli-j u. ii ) ab.

2) Da.-^ Classenb. von S. 40 ali.

3^ (J^i->..:>'4l. tL4äaJi oLÜaL» , und zwar in vier Bänden, Hagii Half.

IV. no. 7913, vgl im. T!IJ2, und Ihn llall. no. 190.

■n Tab. al-Huir. 8,22; l.bigii Malf. no. 7898 (IV, S. 1381: is!,.]! oLiUL.

5) 0 hintereinander fulueude Artikel in Ihn Sa d's basiiscber Genossen¬

klasse beruhen Icdiglieb nuf IJalifa's Autorität (Cod. Goth. 411, f. 1)4 f. , vgl.

f. OS;.

A 1 *

(12)

604 Lnlli , lirKpriiiKj anil Jialcaliini/ der Tahakät,

endlich — und das ist das Wichtigste, hat nach den besten Zeug¬

nissen sein eigener Lehrer und Vorarbeiter al-Wäkidi (1207)

'rabakat verfasst *).

Ueber das Werk des IJalifa können wir nicht urtheilen ^); von

dem des Haitam steht dem Titel nach wenigstens soviel lest, dass

es nur die späteren Ueberlieferer, jedenfalls nicht die Genossen

umfasste. Von den Tabakät des Wäkidi endlich ist es zwar selbst¬

verständlich , dass sie dem Ibn Sa'd nicht blos zum Vorbilde, son¬

dern auch zur materiellen Grundlage gedient baben. Dies geht aus

einer Untersuchung der Wakidi'schen Bestandtbeile seiner Tabakät ^)

bestimmt hervor. Allein ebenso bestimmt ergiebt sich daraus, dass

diese Grundlage nur für den Anfang, die Classen der Genossen und

der medino-higazenischen Nachfolger und Ueberlieferer, durchgehend

ausreichte; dass ihre Beiträge für die übrigen, hauptsächlich Kufa

und Basra*), nur noch so vereinzelt sind*), dass man unmöglich

eigene kufische u. s. w. Classen daraus bilden könnte. Wahrschein¬

lich waren also die 'rabakat des Wäkidi nur ein allgemeines syn¬

chronistisches Verzeicbniss der ihm bekannten muslimischen Ueber¬

lieferer, zu denen natürlich die seiner eigenen Schyile von Medina

bei Weitem das grösste Contingent stellten. Diesem seinem Vor¬

gänger gegenüber war also Ibn Sa'd mit seiner örtlichen Eintheilung

selhstständig; und dann darf man auch mit ziemlicher Sicherheit

1) Kilirist l)oi Hnminev, Liter. UL 402. no. 6). — Alm Biikr iil-Hatib (t 463), angelübrt in dem einleitenden Artikel der Ujün al-iitr über id-Wäkidi

(Cod. Goth. 103r), f. 10): oLft^JaJl^ ,..^^jUI! O"^' CJ.^-*' i •

Angensebeiidieb aueb Quelle des Ibn Kutaiba (j 276), wo dieser al-\Vakidi umnillelbnr citirt ((__5iAi!^J! JLi); vgl. besonders Stellen wie (ed. Wüsten¬

feld) S. ioi, Z. 3 V. u., wo ausdrüeklicb von einer Tabaka des llassän ge¬

sprocben wird. Vgl. endlicb Sprenger, Mobd. III, LXXI, obwohl hier die Identiüeirung mit den Tabakät des Ihn Sä d wohl zu weit geht.

2^ Itemerkcnswerth ist. dass or auch stets als Verfasser eines Ta'rilj be¬

zeichnet wird \i\n den angef. 00. und Häggi Half. II, S. 129 und Nawawi ed.

Wüstenfeld S. v u.).

Ich meine im Besondern die aus der Masse des übrigen Traditionen- materials sich durch die Einführung mit einem blossen ,,al-W. sagt" (lA*.^ Jli

auszeiebnendcn Stellen , welche durebaus als Entlohnungen aus einem Buclie oder Systeme zu betracbten sind. \'orzüglicii Cliroiiologiscbes (bes. Todes¬

jahre^ , Hiographiselies unil Charakteristik der Ueberlieferung, also die Grnnd- hestaiidtbeile von TabalvAt enthaltend . keiireu sie in den oben sogleieh weiter bezeichneten Tbeilen mit grosser Kegelniässigkeit wieder.

4 ' Nacbber hört überbaupt jede Qiiellenaiifübruiig auf.

5^ l'nd zwar nur iu den beiden ersten Classen; unter Küfa kann man als das letzte Stück eine kurze Skizze über den hekannten Naelifolger .\bii Burda 1f 103\ Sohn des lielianiiteren Abu Müsa. bezeichnen (Cod. (lotli 412a, f. 188 ; nnter llasia >iiid die letzten, aueb sehon vereinzelten Angaben W.'s die Todes¬

daten der unmittelbar lienaelibarten (l'od. fiotb. 411, IUI f. ; Nachfolger (»ahir

b. Zaid Ui3i und Abu Kilaba (f 104 od. 5).

4 1 *

(13)

rornrhndich der tics Ilm Sa d. 605

ihm (ias Verdienst dieses hedeutenden Fortschritts in der Behand¬

lung der Tabakät überbaupt zucrkeinien.

Gleichwohl leistete er daiuit nichts Ausserordentliches, sondern

schloss sich nur dem Strome der Entwickelung an , die wir bisber

verfolgt haben. Seine Tabakät si;hienen das universale Organ für

Traditionskritik uud Traditionsgescbichte zu sein, das allen bis dahin sich geltend machenden Bedürfnissen entsprach.

Allein gerade um die Blüthezeit des Ibn Sa'd batte die Ueberlie- ferungswissenscliaft einen entscheidenden Schritt weiter gethan.

Ebenso wie für die Kritik war das Princip des Musnad bis

dabin auch für die schriftlichen Sammlungen von Traditionen maas¬

gebend gewesen. Die Namen der Zeugen und Gewährsmänner gaben

die Rubriken ab, unter die man die einzelnen Traditionen eintrug ').

Seit dem 3. Jahrhundert werden Sannidungen dieser Art, welche

selbst den Namen Mus nad bekamen, zahlreich namhaft gemacht -).

Noch von einem der jüngeren, dem Musnad des Mu sl i m (t 261),

wird ausdrücklich bezeugt, dass er „nacb den Männern" angeordnet

war ^). Dadurch standen sie also mit den Organen der Kritik, dem

Ta'riij und seiner verbesserten Auflage, den Tabakät, im besten

Einklang.

Jedocb mit dem Abschlüsse der Sammlinig trat der Zweck,

für den man gesannnelt, in seine vollen Rechte ein. Die iiraktische

Anwendung der prophetischen Ueberlieferung für das religiöse und

bürgerliche Gesetzbuch nöthigte vor Allem, die Traditionen nacb

den Stoffen, nach den Lehren und Gesetzen zu ordnen, weicbe sie

belegen sollten und sie, wie die Muslime sagen, „in die Capitel"

(al-abwäbi zu vertbeilen. Hier trafen nun allmälig, unter dem

gegenseitigen Austausch der einzelnen Schulen, Traditionen des ver¬

schiedensten Ursjirungs und damit des verschiedensten, oft wider¬

sprechenden Inhaltes auf einander Der Zweck aber erforderte

1) I.Ii'ijisi Half. III, 27: man inailitc z. Ii. die Kubiik Alm ItaUr und trug untrr diese alle Traditionen ein, welelie auf die Autorität desselhen iilieilieferl wurden; ehenso die iihrigen.

2^ S. llaggi Ilalf. suh lXa^Ü , vgl. III, 27. Hesimilers heriilimte sind der M. des Alimad Ii. llaiilial . des Alm Dä'iid (al-Tajalisi f 2(1.'!', Ubaidalhili ll. Müsä it 213) u. A. Der erste, der von Dalialii iianiliaU geniaelil wird, ist der des Sürini (,t 221 — 'l'ali. al-llnll'. S, .'')).

;(;. JLä.jJ! J.E - al-llaliim in 'ruh. al-l.luir. !l, (i.^i; vgl. Xawawi ed. Wü¬

stenfeld S. 00., Inf.

4) llaggi IJalf. a. a. (V Man nnielite z. Ii. die Kiilirili : (iehet, und trug unter diese alle anf das Gehet hezüglielien Tiailitionon ohne Ktieksielit auf den Urheber ein.

b) Der erste Anfang dieser Sammlungen, der Sluw.atta'des .'Malik, lieseliräiikle sich noch auf die Uebeilieleriiiigeii der eigenen Schule. Auders al-l!uliäri, wel¬

cber stets die Versionen aller Schulen verglich.

(14)

606 ImIIi, (Irsjirniif) und Bcd<!ntnn/j dir Tnhah&t,

Uebereinstimmung. Für die Kritilt, welche nun hier das Wahre

vom Falschen zu scheiden hatte, war aber der Stoff, aus dem man

erst Belehrung suchte , vorläufig unantastbar ; sie blieb also wie

bisher nur gegen die Form gerichtet. Da es aber zu jener Zeit,

wenigstens in den mustergültigen Sammlungen, nnr noch Traditionen

mit äusserlich correktem Isnäd , Musnad's gab , so sah man sich

von nun an darauf hingewiesen, auch die innere Beschaffenheit

der Isnäde, also den persönlichen Charakter ihrer einzelnen Ge¬

währsmänner und darnach ihre Glaubwürdigkeit zu untersuchen.

Diese hing hauptsächlich von zweierlei ab: einmal von ihrer genügen¬

den Befähigung und Sachkenntniss, andrerseits von ihrer Wahrheits¬

liebe und lauteren, d. h. dem dermaligen Ideale der Orthodoxie ent¬

sprechenden Gesinnung. Jenachdem sie eines dieser Erfordernisse

nicbt oder sie nur ungenügend erfüllten, sank der Werth und die

Zuverlässigkeit ihres Zeugnisses.

liiermit eröffneten sich der Kritik ganz neue und noch un¬

absehbare Bahnen. So tief in das Wesen der Männer einschnei¬

dende Fragen waren natürlich nicbt so leicht und einfach zu ent¬

scheiden, wie die früheren über ibre äussere Lebensgescbichte. üie

Zeugnisse von Zeitgenossen und die Ui theile angesehener Fachmänner,

auf die man hauptsächlich angewiesen war, waren gewöhnlich je nach

dem Partei-Standpunkte derselben sehr verscbieden, und ihr Wider¬

spruch gab oft Veranlassung zu bitterem Streite. Es bedurfte ge¬

raumer Zeit und besonderer Verhältnisse, che man daraus zu einer

gewissen Sicherheit und Einigkeit gelangte.

Die ersten Anfänge dieser neuen Kritik sind schon bei einzel¬

nen besonders umfassenden Uebcrlielerern des 2. Jahrhunderts zn

suchen. Der berühmte Su'ba von Basra (fKH)) wird gewöhnlich

als der erste bezeichnet, welcher „über die Männer discutirte"

Allgemeine Aufnabme aber fand sie erst mit dem oben bezeichneten

Fortschritte der Traditionssammlung, nnd somit fällt ihre lebhafteste

P^ntwickelnng gerade in die Lebenszeit des Ibn Sa'd. Scbon „aus

der Classe seiner Schaiche" werden Abu Mushir (t 218), Sulaimän b.

Harb (t 224) u. a. als Vertreter derselben hervorgehoben Mebr

noch aber waren es seine eigenen Altersgenossen und die ihn über¬

lebende Generation, die Ahmad (b. 1 lanbai t241), Ibn Ma'in

(t2y.'i). Ihn al-Madini (t2;34) n. s. f. welche mit den wesent¬

lich übereinstimmenden Uesultaten ihrer vom gleichen (Jeiste beseel¬

ten Forschungen *) die Grundlagen eines umfassenden Systems der

1) JLj>jJ! j5 |»l^iä O"« Jji, Sujuti, .\wM'il Ipoi (iosi'lio, S. 1; aujl'iilu- licher Ibn Muiigawaili in Tab. al-llufl". 5, 28; vgl. Nawawi i d. W ii s t c n 1'. Tli Z. G.

2) Tab. al-Hutr. 7, 62 u. 71.

.'i) Zanioist 8. und ü. der Tab. al-I.Iiiir.

4) Sie gebiirten im Wesenlliclien ilor puiLMTvativ altgtauliigen Pailei an, wriidic im 'Iiäk die Orundsiitze der altmedinisclien Seliule aufreclit erbielt, uud dcieii Il.'iupt der liiiäm Aliniad war.

(15)

vornehmlich der des Ihn Seid. 607

innern (Zuverlässigkeils-) Kiitik legte, welches für die Folgezeil,

massgebend blieb ').

Mitten in dieser mächtigen Strömung, blieb natürlich auch Ihn

Sa'd von ibr nicht unberührt. Vielmehr suchte er bei der Abfassung

seiner Tabakät auch hierin dem vorgeschrittenen Standpunkte seiner

Zeit und den vermehrten Anforderungen ihrer Kritik gerecht zu

werden. Er ergänzte dieselben so weit es ihm möglich war, mit

Urtheilen über den Charakter und die Zuverlässigkeit jedes Einzel¬

nen , wie sie seine Zeit- und Fachgenossen zu fällen pflegten. In

kurzen, prägnanten Ausdrücken, die sich bei gleichmässiger Wieder¬

holung schon der Form stehender Prädikate nähern, findeu sich

dieselben gewöhnlich am Ende jedes Artikels ^). Obwohl darin ein¬

zelne nicht geschont werden, so erscheinen sie doch gegenüber der

Schrofflieit eines Ahmad und seiner Zunftgenossen noch ziemlich

zurückhaltend, selbst im Tadel, und im Zweifel immer zur günstigen

Auffassung geneigt ^). Sie entbehren auch noch der fast mathema¬

tischen Präcision und Consequenz, welche das spätere System kenn¬

zeichnet *). Auch bleiben sic reines Nebenwerk — wie es scheint,

nur ein notbwendiges Zugeständniss an die Gewohnheit der Schule —

im Vergleich zu dem reicben Einzelmaterial, welches er, im Sinne

und Plane seines eigenen Werkes, in Form von Traditionen, ent¬

haltend kleine Züge, charakteristische Aussprüche u. s. w. , gleich¬

sam zur näbern Motivirung beigebracht hät. Auf diese legt er sicht¬

lich den Ilauptnachdrnck; denn nur in ihnen wird die individuelle

Besonderheit und Mannigfaltigkeit der Charaktere gewahrt, welche

jene allgemeinen Schlussurtheile zu verwischen drohen. Sie dienen

dainit zugleich der weitern Ausfübrung des lebensvollen Bildes, wel¬

ches die Tabakät von jedem Manne zu entwerfen bemüht sind.

Allein dies war nicht, was die Scbule wollte; sie drängte

immer mehr nach System und Schematismus. Je scbärfer sich ihre

Resultate fassen liessen , je kategorischer die Urtheile und je enger

und begrenzter die Terminologie wurde, desto näher kam sie dem

1) Ihre Urtheile werden nelnni denen der Spätern , die in ihre Fusstapfen traten, regelmässig iu den Tah. iil-Hull'. angel'iiint.

2) Natürlich erst von den t"ll. der Nachlulgi'r an, da ülier die (leiiosscii nach dem, was wir ohen sagten , keine Kritik erlauht wm-.

ti) A\'ciiii ihm positive Zeugnisse für die Zuver|äs.sigkeit eines Üeberlieferers fehlen, [illcgt er seine Zweifel mit einem nU! cLil ^,^\ Käj zu bescbwiclitigen.

4) Uassi-dbc giebt in \'ollständigster Durelibildung und genauer C'lassilieirung der Prädikate al-Nawawi, Talirib f. 4.'j, no. 23: *''>i!jj li^j CT" Khenso Salisbury a. a.O. S. G2 ff. Am meisten ausgebildet erselieint es bei Ibn Sad in den Classen der Basrenser; für dic^c lag ihm offen' ar das allgemeine Sy¬

stem seiner eigenen Scbule vor; am uiientwielieltsleii liingegen iu den inedino- bigäzenischen Classen, v.n al-Wäkidi seine liauptsächliche Grundhige ist. Dieser aber war sowohl durch seine Zeitstellung wie seine ganze, positive, liicbtun;;

dieseu Fragen völlig entrückt.

(16)

608 ImIIi , Vmpriiiifi mid BedeiUung der Taluikät ,

gewünschten Zwecke. Derselbe war aber kein anderer, als die

Ueberlieferer nach ihrem innern Werthe möglichst zu unterscheiden und zu classificiren, um sic zuletzt schlechthin in zwei grosse Lager

theilen zu können, deren eines die Zuverlässigen, deren anderes

die Unzuverlässigen oder wie die Muslime sagen , die „Schwachen"

enthielt

Diese strenge Scheidung erblicken wir in der zunächst folgen¬

den Generation schon als vollendete Thatsache; denu die da erfolgte

erste Aufstellung des Sahih, des reinen Ergebnisses einer defini¬

tiven Scheidung der „gesunden" und „schwachen" Traditionen, setzt

voraus, dass eine gleiche ihrer Urheber und Gewährsmänner bereits

vollzogen war. Wie al-Buhäri mit jener den Anfang machte,

so war er wohl auch der erste, der in der Vorarbeit dazu, dem

Ta'rih, die Unterscbeidung der guten und schlechten Ueberlieferer

systematisch durchgeführt ebenso wie er in einer besondern Schrift

die „Schwachen" für sich behandelt hatte ^). In beiden Formen

war er das Vorbild für die kritischen Arbeiten der Folgezeit

welche sich über mehr als ein Jahrhundert ausschliesslich mit der

nämlichen Arbeit, der weitern Sammlung und Ausscheidung gesunder

Traditionen, sowie deren Anordnung und Verwerthung für das Ge¬

setzbuch , beschältigte.

Mit dieser raschen Entwickelung, welche die Kritik der Zu¬

verlässigkeit unter den lländen der Fachleute nahm, waren nicht

blos die bescheidenen Anfänge des Ibn Sa'd weit überflügelt; auch

die Gesichtspunkte hatten sicb so wesentlich verändert, dass die

Tabakät überhaupt als Organ für ihre Zwecke unbrauchbar gewor¬

den waren.

Die liedürfnisse, auf welche diese vorzugsweise angelegt waren,

wareu nun zum grössten Theil nicht mehr vorhanden. Die Fragen

über die Lebensverhältnisse der Männer, ohnehin durch die bis¬

herigen ausschliesslich ihnen gewidmeten Arbeiten so gut wie er¬

ledigt, waren schon dnrch die neue Wendung zur Kritik ihres in¬

nern Charakters in den Hintergrund gestellt ■''). Durch die blosse

1) cUniijJlj oLftiJI, N,nv,uvi Tiikiili, nci. (U. C'o.l. cit. f. 43.

2) KliiMida 11. l.Iiiiiiii lliUr. 110. 2174. Vpl. llnmiiicr, Lit. I, S. CLXXVII.

3) Filuist lioi HiUinncr, Liter. IV, s. v.; XinvjiAvi a. a. O.

4) Im Ta'rili zuiiaelist fiir Ibii Alii Haitama (»her diesen olien, naeli l.laiiü Half. HO. 2221 u. Xiiwawi a. a.O.; iiber die ..Seliwaehen" fiir al-Xisa'i (f 3031.

al-Haraliiitni . f 3S0') naeli Nawawi ebenda; vgl. Tab. al-Hnff. 12, 70.

,'i) Was liierüber weiter noeb gearbeitet wurde — und cs war imnier imeh reiclilicli genug — gebört niebt mebr zum Kaiuni der Kritik . sondern ist Oe- geustand einzelner Spezialiiioiiograpliieii . welebe sieh zu einem besondern Litte- r.ilnrlaeli ausbildeten; so die zablreicben Arbeiten der niicbsten ,l;ilirliuiiderte iiber die Naincn ^tLfvx^i ji) ^ andere speziell über die Genossen (s. solcbe in den Quellcnverzeicbnisscn des Ibn llagr S. f u. Xawawi S. ^) u. s. w.

(17)

vornehmUch der des Ihn Seid. 609

Unterscheidung von Zuverlässigen und Schwachen, auf welche die

letztere hinaus lief, waren auch auf diesem Gebiete die Einzelaus¬

führungen der Charakteristik überflüssig gemacht. — Die Männer

waren jetzt nicht viel mehr als blosse Ziffern, mit denen man rech¬

nete, wenn sie sich als gültig erwiesen. —

Man hätte sich zwar dieses nun überflüssigen Ballastes entle¬

digen können. Allein auch der Classenentwurf an sich, von so

hohem Werthe für eine universale Auffassung und Uebersicht der

Entwickelung, hörte da auf ein Vorzug zu sein, wo man ohne In¬

teresse für den Zusammenhang des Ganzen nur jeden Ueberlieferer

einzeln herausgriff, um über Sein oder Nichtsein seines Zeugniss¬

rechtes zu entscheiden. Für ein rasches Aufsuchen war er mit

seinen mannigfaltigen Ueber- und Parallelclassen sogar hinderlich.

Man hat daher von Seiten der Fachtraditionisteu wohl nie daran

gedacht, die Tabakät als das, was sie eigentlich sein wollten, ein

Hülfsbuch zur Ueberlieferungskritik zu adoptiren. Vielmehr behielt

man, wie das Beispiel al-ßuhäri's u. A. zeigt, den an sich viel

unvollkommeneren Ta'rih auch weiterhin bei, weil er sich für die

veränderten Zwecke der Wissenschaft ohne Schwierigkeit umgestalten

liess. Denn in der That behielt er von seinem ursprünglichen Wesen

jetzt nicht viel mehr als den Namen. — Wenn ihn aber noch ein¬

zelne, wie Halifa oder Muslim noch zu Tabakät verarbeiteten

so war dies nur ein Luxus, den sie für sich trieben, ohne dass sie

damit bei ihren Facbgenossen Nachahmung fanden. Denn nach

Muslim kommen nachweisbar in den .Arbeiten der kritischen Ueber-

lieferungswissenschaft die Tabakät uicht mehr vor.

Mit dem Abschlüsse des Kanon zu Anfang des 4. Jabrh.'s ^)

begann aber eine neue Periode. Neben der scholastischen Beschäf¬

tigung mit dem Stoffe, die den kommenden Zeiten übrig blieb, ge¬

wann aucb allmälig eine objektive und historische Betrachtung der

zurückgelegten Entwickelung an luteresse. Namentlich galt es die

Namen und Persönlichkeiten der hochverdienten Männer, deren Ar¬

beit man diesen Sloff verdankte, der Vergessenheit zu eutreissen.

1) L'eber IJalifa s. o. Ta'rilj und '['abaUät werden gewübnlicb zusammen erwähnt; dass ersterer die letztern sogar überlebt bat, scheint aus Nawawi ed.

Wüstenf. S. V u. horvorzugehen , der nur ibn (den Ta'rih) als Quelle be¬

nutzte. — (ölj^JI) O'Jiflj von Muslim, al-liubäri's berühmtem Schüler (f 2ül) erwähnen lläggi IJalf. no. 7898 und 'j'ab. al-lluft'. 9, ti.") a. K. Nawawi ed.

W üste n f. S. oo! , 2 bezeichnet sie als jjvxjLäJ! oLsAla j also schlössen sie niebt die fieuossen mit ein. Dies entspricht ganz dem Standpunkte joner Kritik, welche sich bei den Männern fast mir um die Zuverlässigkeit bekümmerte;

diese aber war bei den (ienossen nicbt zu niitersncben.

2) Aus dieser Zeit stammen die letzten der anerkannt kanoniselien Samm¬

lungen.

(18)

610 Lotli , Ursprung urul Bedeutung der Tahakät ,

Als eine für diese Zwecke sehr geeignete Form suchte man die ver¬

nachlässigten Tahakät, die unterdess durch gelegentliche Verwendung

auf andern Gebieten *) ihre Existenz, zwar kümmerlich, weiter ge¬

fristet hatten, wieder hervor, und brachte sie nun doch noch als

Organ der Ueberlieferungs ge schiebt e zu Ehren.

So war es seit dem 5. Jabrh. der Fall ; aus diesem werden

uns wenigstens die ersten Tabakät der „Gesetzesgelehrten", wie

män jetzt die Hauptvertreter der Ueberlieferung nannte von Abu

'A.sim al-'Abbädi (t4.')8) und das berühmte und noch jetzt vor¬

handene Werk des Abu Ishäk von f^iräz (1 472) namhaft ge¬

macht ^). Zu gleicher Zeit aber begann man , die Tabakät auch

auf die im weiteren Bereiche der Wissenschaft liegenden, verwandten Fäcber anzuwenden *); man dehnte sie bald auf alle Bildungszweige

und endlich auf alle Berufs- und Lebenskreise der muslimiscben

Welt aus, so dass uns zuletzt nicht weniger als 40 nach dem Gegen¬

stand verschiedene Arten von Tabakät aufgezählt werden Die

Zahl einzelner derselben, besonders die der Recbtsgelehrten, welche

dann wieder nach den vier orthodoxen Gemeinden geschieden wur¬

den, der Ueberlieferer, Gelehrten und Dichter wucbs ins Unendliche.

Sie blieben ebenso bei östlichen wie westlichen Arabern bis in

neuere Zeit die beliebteste oder besser die eigentlich kanonische

Form, unter der sie die Hauptströmungen ihrer Culturentwickelung

darzustellen versuchten ") — dies zuletzt soweit, dass der Name

Tabakät geradezu den Begriff: biographische Geschichtsdarstellung

deckte, und man ihn missbräuchlich selbst auf solche Werke über¬

trug, deren Form ihm gar nicht mehr entsprach, wie nur von den

uns bekannten die alphabetisch geordneten Classen der Hanefiten

von Ibn Kutlübugä und die der Koranausleger von al-Sujüti.

1) /.. B. uls Clussen der ])ieliter durcli Ilm Kutnibn.

2) tLjäsJl . Aucb einzelne Classen des Ibn Sa d fübren scbon die auf die Nacbfolger fidgeiideu jüngern Generationen unter diesem Nainen ein.

3) Beide nennt Nawawi als seine Qnellen Tahdib S. A (der dritte dort genannte, Abn 'Amru ist jünger f C43); über Abu "Äsim ebenda S. vrv und Hammer, Liter. 1, CLXXXll, aber mit Verwechselung von Geburts- und Todes¬

jabr, nacb Ihn Hall. - Abu Isbak wird aueli vou Uäggi Half. no. 7912 ge¬

nannt. — Ebenda werden aueh die CII. der Gesetzesgelebrteu von dem be- rühnden Historiker al-Haitam b. Adi (s. o). einem Zeitgenossen des Wakidi, wohl n.ach Ihn Hall. s. v. , und von dem Cordovaner 'Abdalmalik b. llabib (t 239) genannt. Von beiden blieb keine Spur; auch siml letztere naeb dem, was al-IJababi ('l ab. al-Hufl'. 9, 1) sagt, sehr zweifelhaft. — Beide stehen jeden¬

l'alls ausserhalb der gezeichneten Entwickelung.

4) So werden Cll. der Koranleser tijßji O^iLkL} des Sp.aniers Abu Aniru al-Däni 444'), also ans gleicher Zeit mit jenen Anfängen, genannt. Hüggi Half. 110. 7915; vgl. al-Makliari ed. Krchl. L 60. und v^|*'.

b) In der vei dienstlichen Einleitung Hammer's zur Liter. 1, C.\LVH1 f.

G Siehe die Ausfülnungen über 3(1 Arten ebeuda CLX.\.Ml bi- C.XC.

(19)

rnriu'liiiilir]i iter ili'x Ihn Sliil. Gll

Man honioikt bei eineni Ueberblick dieser ganzen Litteratnr,

dass es sicb immer nnr um einzelne Kreise der Hiblung und des

Lebens, nm einzelne Siieziallacber bandelt, nnd niemals wieder eine

(icsammtdarstelliiiig auch nnr der Ueberlieleriiiii,' mit ibren lliilfs-

wisseiiscbalten versuclit wurde, wie sie im Werke des Ilm Sa'd

ausgi'liiliit ist. Nnr etwa Tabakät, wie die des l.ialiabi, wi^b-lie

unter den „Merkern" der Ueberlieferiuijj; meist auch ilire Kritiker nml Sclii iltsteller einscbliessen, reicben eiiiigeinuisseii in der Anlage,

wenn aucb durebaus nicbt in der Kinzelausfiibrung an Jenes heran ').

— Es entspricht dies nur dem spätem Stamlpniikte der Wissen¬

schart, welche, als sic nicht mehr durch eine grosse i.ebensaiit'gabe,

wie die Herstelinng des Kanon's, zn gemeinsamer Arlii^it vereinigt

wurde, sich in zahlreiche, bald sich zn sclbststiiiiilim'ii Wissen-

sclialti'ii entwickelnde Fächer getheilt nnd das ISewiisstseiii ihrer l'',iii- lieit verloren hatte. Von iiiiii an nahm man immer die aiigeiiblick- licb besteliemleii t.'lassen und Fächer zu tirunde nnd verfolgte ihre (iesibiclite gewölinlich nur bis zn ihrem selbststämligen Ursjirunge.

Die älteste gemeinsame Eiitwickelniig wurde meist nicht oder nur

so bearbeitet, dass man Jene moderne (Jlassiiiriiiiii;^, noch weiter

rückwärts gebend , künstlich in sie hineintrug -).

Mif der Wieileranfnabnie der Tabakät-Form wendete man sicb —

aber weniger, nacb dem oben (icsagleii, um sic als Vorbilder, als

um sie als FiiiKlgriibeii liir Material iiber die ältere Zeit zn be¬

nntzen - dem Sliiilium der klassiselieii Werke ilieser Art. aus der

ersten l'eridile zn. L'nter diesen nabmen iiatlirlicli die 'Fabakät

des Ilm Sa'd die erste Stelle ein. Obwobl silimi mit dem .\iilange

des -I. .Iiiliiliiiiiderts veriitrcntliclil •'), sehen wir sie doch erst mit der Seliiile des (ianliari (t 4.'')-l), deren Uliitliezeit mit dem neuen Aul'scliwung dieser Litteratur gerade ziisammeiiliillt , zu allgemei¬

nerer Verbreitiiiii;' kommen. Erst Jetzt stellte sieh das Hediiiliiiss

ein. Wie eifrig man es nnn zu befriedigen siielite, beweist die

grosse Zabl der lliirer, welclie Imtgeset/.l neben der piivilegiiten llanjitlinie den Text des ( 'lasseiiimclies emiirmuen ■•). bedeutende

KiiiHüsse dieses Werkes zeigen sich bei den uns bekannten Sclirift-

1) \N'ir kninifii ilicsi' «Ü?LÄ?ii oLäa!.) fi'filicli nur aus ili-ni Auszüge lie- urllieilen. tier in \V ii s I e ii fe 1 il's Ausgalie vtirliegl.

M >

2) So, AN'enn inim uueli unter den Genossen ilio .IjLA::^ oder i^L.^_ä_3 Iieiailsseiiietl.

3) Uiiivli die Vorli suiit,' des Ilm Mn riil' an Hin Il.ijjawaili i. .(. 31S; vgl.

darüher uiul üli< r das \\ eilere d. t'l.-issenh. S. 10 II'.

-1 S. tlie üeiigni-se iilt.'r llie ein/.i liien Vnrlt siiiigen ebemla S. (jG I

(20)

612 IjoIIi , Ursprung nnd Bedentung der Tohiilail,

Steilem vom 7. Jahrli. an >), denen es nicht allein für ihre Tahakät,

sondern auch verwandte oder nur theilweise entsprechende Arbei¬

ten zur Hauptquelle diente.

Allein schon mit dem Ende des 8. Jabrh.'s scheint man sein

Material hinreichend verwerthet, d. h. in eine gentlgende Anzahl

neuer Bücher übergetragen zu haben, welche spätern Geschlechtern

als Quelle dienen konnten. Das Originalwerk verlor damit an In¬

teresse. Das Aufhören der geschlossenen Ueberlieferung die

vollkommene Zerstreuung der einzelnen Bände, welche bis dahin

sorgfältig zusammengehalten worden waren, zeigt, dass man nichts

mehr für seine Erhaltung that oder einen Auszug, wie ihn z. B.

al-Sujuti davon machte *), für genügend ansah.

Diese schnelle Abnutzung erklärt sich aus der Art, wie man

es benutzte.

Einmal legten selbst die 'rabakät-Schreiher von Fach keinen

Werth auf die Vorzüge seiner Form. Al-Pahabi, dessen Werk unter

den uns bekannten das vollkommenste ist, begnügte sich mit einer

blos chronologischen Classeuordnung, ohne die örtliche Ueberabthei-

lung; andere, sahen wir, behielten davon nicht mehr, als den Namen.

Aber auch der Stoff ward nur in sehr beschränkter Weise ge¬

würdigt. Gemäss dem verknöcherten Standpunkte der damaligen

Wissenschaft, entnahm man von Ibn Sa'd's 'Tabakät eigentlich nur

das Skelett ; die Namen , Daten und schematiscben Prädikate *).

Ganz bei Seite liess man das diese erst beglaubigende , lebensvolle

Einzelmaterial der authentischen Traditionen. Ferner streifte man

sorgfältig alle historischen Elemente ab, durch Weglassung rein ge¬

schichtlicher Stücke, wie ganzer Artikel, welche mehr durch Thaten,

als durch Wissenschaft im engern Sinne ausgezeichnete Personen

behandelten. Daher schwinden selbst iu den reineu Ueberlieferer-

'l'abakät die bei Ihn Sa'd umfänglichsten und reichsten Theile, die

Genossen und Nachfolger, auf ein Geringes zusammen

Hierin liegt ein stillschweigendes Urtheil gegen Ibn Sa'd selbst gerichtet. Kamen auch bei der spätern scholastisch-historischen

Ueberliefernngswissenschaft die 'l'abakät als Buchform zu Ehren,

so doch nicht die Art nnd Weise, in der jener sie ausführte. Auch

jetzt gaben noch dieselben Eigenschaften Anstoss, welclie ehemals

ihre Verwendung zu ki'itischen Zwecken erschwert hatten.

1) Viellt'iclit wilrdoii dicscllioii aueli sebon früher uaclizuweisen sein, wenn wir mit der Litteratur des ö. und 0. Jahrhunderts besser bekannt wären.

2) So dem Nawawi für den 'l'ahdib, dem Ibn al-Atir für die Usd al-(iäba u. a.

3) Mit der Schule des iihnjäti (f 705) zu Kairo.

4) l'nter dem Titel : Julm ^^,jt oLfl*i> eriy'**^' Ac^l , m&k>

Ilalf. no. 71103 (IV, 8. 14Ü, 101 und 7808 (ib. S. 13S).

5) Diese werden mit N'orliebe von Tab. al-Ilufl'. entlehnt, und gewöhnlich am Schluss aufgefidiit, s. t. H. .5, .^>0-, G, 1, 4, 5, 12, 17; 7, 1, -JÜ; 8, I u. s. l.

ii) S. z. 1(. die beiden erslen l'lassen in 'I'ab. »l-llull.

(21)

vornehmlich der des Ihn Sdd. 613

W i r würden aber sebr einseitig urtbeilen , weun wir in diesen

Mängeln nach der einen Seite hin, nicht auch ebenso grosse Vor¬

züge nach der andern, und nicht in seiner Auslührung weniger das

Unvermögen der Schule gerecht zu werden, als einen freien, grossen

Schritt in ein neues, für diese unverständliches Gebiet, die Geschichte,

erkennen wollten. Die Tabakät des Ihn Sa'd haben sich vom Dienste

einer lialbtheologischen Ueberlieferungswissenschaft emancipirt; sie

streifen schon an die Profangeschichte, vor allen den genealogischen

Zweig; nur die äussere Anlage, die orthodox islamisch bleibt

unterscheidet sie von dem nationalen Nasab '■').

Wir können ihm diesen Schritt, in den Augen seiner Fachge¬

nossen freilich eine Ketzerei, nicht genug danken ; denn er hat uns

die Tabakät, ausser dass wir in ihneu eine ziemlich vollständige

Geschichte der muslimischen Ueberlieferung in den beiden ersten

Jahrhunderten haben, auch noch zu einer werthvollen Quelle für

die politische und besonders die Culturgeschichte des Islam ge¬

macht Zwar ein wesentlicher Mangel liegt in ihrer Anlage, welche

für den historischen Zweck möglichst unpassend ist. Allein auch da

kommen die Verhältnisse der dargestellten Zeit zu Statten, in wel¬

cher, besonders in den ersten Generationen, die Ueberlieferer und

Gelehrten zugleich Männer der That sind; und Ihn Sa'd hat das Recht,

welches der Ueberlieferercharakter grosser Männer der Geschichte

ihm gab, sie in den Tabakät aufzuführen, auch meist in ausgedehn¬

ter Weise und mit sichtlicher Vorliebe im Interesse der Geschichte

benutzt. — In den spätern Perioden ist er durch seinen Stoff mehr

auf die innere Entwickelung beschränkt; da aber auch da noch die

Religion, die Gesetzgebung und Wissenschaft ihren hauptsächlichen

Stoff und ihr einziges Organ in der Ueberlieferung hatten, so lassen

sicb, als Träger dieser, die grossen Vertreter von jenen leicbt heran¬

ziehen. Wir haben schou darauf hingewiesen, ein wie fruchtbares

Material die fast vollständig erhaltenen Classen von Kufa und Basra

für die Geschichte der religiösen Entwickelung bieten

1) Ks konnten darin immer nur anerkannte Träger und (jewälirsniäuner der Uelierlieferung . geseliictitliclie Personen also auch nur , wenn sio diese Eigenschaft hatten, ciucn Platz finden; also fehlt dem Werke noch viel, um eine allgemeine Geschichte in biographischer Darstellung zu sein.

2) Man darf hoffen, dass das von Ihn Sa'd nur iimerhalb seines beschränk¬

teren Gesichtskreises benutzte Kitäb al-Nasab des Ili.säm b. Muhammad al- Kalbi , welches noch seines Erlösers aus dem Kerker des Escorials harrt , in dem nicht benutzten Theile eine vortrefiTlicbo Ergänzung bilden würde.

3) Freilich im engsten Sinne ; alle von dem orthodoxen Islam abweichende Itichtuugcn und gegnerische, oder auch nur dabei unbetheiligte Elemente blei¬

ben ausgeschlossen; zu den erstern gehören alle Sektirer, deren Ueberliefernng principiell verworfen wird , in der geschilderten Zeit also hauptsächlich die Härigiten; zu letzteren die altarabiscbe, halb-heidnische Aristokratie, welche in der politischen Geschichte eine grosse Rolle spielt.

4) Namentlicli gilt dies von Basra , wu die Ursprünge der ältesten musli¬

mischen Sekten , wie auch die der asketischen Kichtung zu suchen sind. Vgl.

das Classenb. S. 58 f. u. 53 f.

lld. xxm. 40

(22)

614 Loth, Unjiruiig untl lifiiciituiig der Tahakät ii. « ir.

Matoriiil ist aber das einzige, was unsere Gescliiclitsforscliung

in den niuslimiselien Quellen suchen und brauchen kann ; und sol¬

cbes bieten die Tabakät in der günstigsten P'orni. So ermüdend

die endlose Folge und die iiedantische Vollständigkeit der Finzel-

traditionen zum Lesen sein mag, so wertlivoll sind docb alle als

urkundliche Zeugnisse; und der Grundsatz, den der Verlässer mit

seinen besten Facbgenossen tbeilt: keine der zahlreichen, cnnen

nnd denselben Gegenstand bebandelnden und oft sich widersprechen¬

den Versionen zu unterdrücken, ermöglicht uns nocb eine Kritik

der historisehen Wahrheit, als wären wir selbst nur durch ein oder

zwei Jahrhunderte von den geschilderten Ereignissen und Zuständen

entfernt. — Selbst wo es sich um die unbedeutendsten Personen

oder Dinge handelt, sind die Zeugnisse werthvoll genug als Heiträge

aus dem Privat- und Culturleben jener Zeit. In diesem Pnnkte

dürften die l'abakät nur durch die besser geordneten inid umfas¬

senderen kanonischen Sanmilungen des Buljäri und seiner Nachfolger

übertrotfen werden.

(23)

615

Nachträge

zu den „Bemerkungen über die Samaritaner"

(Zeitschr. XVI, 389 ff).

Von M. GriliibaniD.

(Zu Seile 402.) Dureh eine Iturze Notiz des Ilrn. Dr. Geiger

(Ztschr. XIV. 745) auf einen Aufsatz desselben in Ozar Nechmad

(III, 114 f.) aufmerksam gemacht, war es mir sehr erfreulich, an

letzterer Stelle Manches — wenn auch nur in theilweiser Ueberein¬

stimmung — wieder zu finden, was ich vermuthungsweise berührt

hatte. So die Vergleichung von ■'Shd: und Nabatäer, von ^T[A

mit dem TiXi der Mischnah ■) (auch l£.\S' , welches Maimonides bei

Erklärung dieser Stelle — Porta Mosis p. 163 — gebraucht, hat

dieselbe Bedeutung), von COp , und (letzteres auch in

Ztschr. XV. 414). Dr. Geiger erklärt „Aussprechen" für die einzige

Bedeutung vqu ^i}5^P „woher auch im Arab. |*-~^ III. u. IV.

schwören". Allein der Bedeutung „schwören" liegl, wie bemerkt,

die von „fluchen" sehr nahe; zudem scheint auch dem ar.

die Bedeutung „Zaubern" (und damit auch die des Verfluchens)

1) Michaelis (Supplem. p. 4i)3) vergleicht nsn mit L.S\?, welches lelztere Wort auch Maimonides hei Erklürung der hotr. Mischnahstelle (Porta Mosis p. 163) gehraucht; aber auch das hehr. ^13" gohraueht Maimonides in diesem Sinne, indem er i'Mischnah Thora, Vom Priestersegen XIV. lOi das Tetragram-

' // ^ // '/ /*

maton mit NTI INT NM '^\^ V2 iTri STBrl bezeichnet. — In eiuem litur¬

gischen Stücke , das die Eigenschaften Gottes in alphabetischer Ordnung auf¬

zählt, heisst es ebenso unter Hö : M^.fj?? •^?.'7'*? ""I-*""- il^" und 'JT'Sn kommen ferner aucb in der Bedeutung „ Lesen '• vor ( Talmud jerus.

Synhedr. Cap. X. Midrasch Koheleth 12, 12.) und es scheint, dass Baschi das Berachoth 28 (Buxtorf s. v.) aucb in diesem Sinne auffasst, als Ab¬

mahnung gegen zu vieles Lesen (nicht gerade der Bibel); ähnlich deu syrisehen von Lj. O) gebildeten grammatischen Terminis , kami aber auch unter "pljÜ eine mit grammatischer Strenge an den Buchstaben haftende, jede freiere Deu¬

tung ausscbliessende Erklärung gemeint sein , und in diesem Sinne scheint Arucb das Wort zu erklären. Wie O».iai.<o vou oiilj , so bedeutet — wenig¬

stens iu späteren Schriften — yMT") auch Grammatik , Logik u. s w.

40*

4 ?

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