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Mit Erscheinen des vorliegenden Buches verfügen wir zum ersten Mal über eine versuchte Gesamtdarstellung des Itelmenischen seit seiner grundlegenden und ausführlichen Behandlung in Alexander P

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Von Claus Schönig, Istanbul

Die Anregung zu diesem Artikel lieferte die Publikation von Ralf-Stefan

Georg und Alexander P. Volodin (Die itelmenische Sprache. Grammatik

und Texte) 1 die es ursprünglich zu rezensieren galt. Die Beschäftigung so¬

wohl mit erwähntem Werk als auch mit der Sprache Itelmenisch erwies sich

dabei aber als so anregend, daß der übliche Umfang einer Rezension schnell

überschritten war. Auf Anregung der Herausgeber der ZDMG erlaube ich

somit nun, meine Ergebnisse der Auseinandersetzung mit erwähntem Werk

in der Form eines Artikels zu präsentieren.

Mit Erscheinen des vorliegenden Buches verfügen wir zum ersten

Mal über eine versuchte Gesamtdarstellung des Itelmenischen seit seiner

grundlegenden und ausführlichen Behandlung in Alexander P. Volodin:

Itel'menskij jazyk. 2 Mit sinngemäß diesen Worten beginnt die Einleitung

des hier zu besprechenden Werkes. Es beruht weitestgehend auf erwähnter

Arbeit des hier als Mitautor fungierenden Alexander P. Volodin, ist aber

um einige Materialien aus den Arbeiten Volodins erweitert, ohne deswe¬

gen den Anspruch zu erheben, etwas prinzipiell Neues zu sein. Neu ist vor

allem, daß nun eine ausführliche Darstellung des Itelmenischen nicht in der

häufig unter der Devise Russica non leguntur ignorierten Wissenschafts¬

sprache Russisch vorliegt, sondern in Deutsch, das seinerseits (wie auch

etwa Französisch) als Wissenschaftssprache in zunehmendem Maße vom

Englischen bedroht ist.

Nach der Einleitung (S. 1-2) haben die Autoren unter der Überschrift

„Die itelmenische Sprache" eine kleine Einführung in die Geschichte der

Entdeckung der Itelmenen, ihr Schicksal unter russischer Herrschaft die

Erforschungsgeschichte der itelmenische(n) Sprache(n), die Geschichte der

itelmenischen Schriftsprache sowie ihrer linguistischen Zuordnung gesetzt

(S. 2-6). Schon hier reißen sie kurz die Diskussion darüber an, ob besser von

1 Ralf-Stefan Georg/Alexander P. Volodin: Die itelmenische Sprache. Gram¬

matik und Texte. Wiesbaden: Otto Harrassowitz 1999 (Tunguso-Sibirica. 5.) 323 S. ISBN 3-447-04115-3. € 54,-.

2 Alexander P. Volodin: Itel'menskij jazyk. Leningrad 1976.

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einer tschuktscho-kamtschadalischen „Sprachfamilie" oder einer „Gruppe"

(gemeint ist wohl ein „Sprachbund") zu sprechen ist, und entscheiden sich

für letzteres. Es folgen die Kapitel „Phonologie" (S. 9-52), „Morphologie"

(S. 53-189), „Syntax" (S. 190-215), fünf Appendices (I: „Die Dialekte der

itelmenischen Sprache", S. 216-223, II: „Gedanken zur itelmenischen Frage",

S. 224-241, III: „Liste ablautender Verben", S. 242-245, IV: „Liste der Ver¬

ben der II. bipersonalen Konjugation", S. 246, und V: „Texte", S. 247-311),

ein Morphemindex (S. 312-316) und das Literaturverzeichnis (S. 317-323).

Die Darstellung der Phonologie ist klar und umfassend; gelungen ist die

Präsentation der wahrlich nicht einfachen itelmenischen Vokalharmonie.

Dieses Kapitel endet mit einem Überblick über die bisherigen Verschriftungs-

versuche des Itelmenischen. Die Behandlung der Morphologie beginnt mit

allgemeinen Betrachtungen zur Art der Agglutinations- und sonstiger mor¬

phologischer Techniken, der Veränderlichkeit, der (Un-)Markiertheit der

Wortarten und damit zusammenhängenden Fragen. Im Zusammenhang mit

der Behandlung des Instrumentalkasus ist eine Unkorrektheit zu bemerken,

wenn S. 80 gesagt wird, dieser Kasus könne nicht mit Nomina verwendet

werden, die belebte Wesen bezeichnen, wo doch der Kasus in einem Beispiel

auf S. 81 mit dem Wort für .Pferd' erscheint. Analog gilt dies für die auf S. 90

gestellte Frage, ob im Kasussystem nicht vielleicht eine Klasseneinteilung

in „menschliche vs. nichtmenschliche Gegenstände" fortlebt. Wäre hier

anstelle von „belebt" vielleicht „beseelt" (rus. odusevlennyj) der treffendere

Ausdruck? Dies legt der Autor im Prinzip selbst nahe, indem er S. 92 dar¬

auf hinweist, daß auch das Wort für , Feuer', „ähnlich wie möglicherweise

das indogermanische *egnis, zur Klasse der belebten Gegenstände gezählt

wurde". Dies könnte vielleicht auch erklären, warum manche Tierbezeich¬

nungen mit möglichen Affixen für „beseelte" Entitäten versehen sind, viele

dagegen nicht. Hier fällt vor allem der Rabe auf, dessen Bezeichnung ein

derartiges mögliches Suffix aufweist und nach Ausweis der Autoren im ge¬

samten nordpazifischen Raum eine wichtige Rolle in der Mythologie spielt

(S. 247f.). Daß das wohl von den Russen recht spät importierte Pferd zwar

als belebt aber keineswegs als „beseelt" gelten muß, scheint ebenfalls ver¬

ständlich. Um dies alles zu entscheiden wäre allerdings eine tiefere Kenntnis

nicht nur der Sprache sondern auch der itelmenischen Weltsicht nötig, die

beim heutigen Zustand der itelmenischen Gesellschaft und bei unserem ge¬

ringen Wissen über sie kaum noch erlangt werden kann.

Man kann darüber streiten, ob die Tatsache, daß ein Suffix, das an das den

Possessor bezeichnende Nomen antritt, nur deshalb nicht als Genitiv be¬

zeichnet werden sollte, weil es auch im Zusammenhang mit Kasuskongru¬

enz das Instrumentalsuffix annehmen kann (S. 93). Sogenannte „doppelte

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Kasusmarkierung" zeigt ja etwa auch das Mongolische, und auch in einigen

tungusischen Sprachen scheinen manche spezifischere Raumkasus vom

Dativ auszugehen. Bei solchen letztlich definitorischen Fragen muß der

systematische Zweck über die Sinnhaftigkeit der einen oder anderen Auf¬

fassung entscheiden. Ebenso könnte etwa hinterfragt werden, ob es sinnvoll

ist, das „Abwesenheitssuffix" des Itelmenischen als Kennzeichen des Kasus

„Abessiv" aufzufassen (S. 87) oder ob man es nicht als Adjektivbildungssuf¬

fix wie etwa (meist) in der Turkologie das Suffix +slz beschreiben sollte.

Die Behandlung der Nominalderivative geht nicht über eine knappe

Aufzählung samt notwendigen Kombinationsregeln und kurzen Angaben

zur ungefähren Funktion hinaus. Dies soll den Autoren aber keineswegs

zum Vorwurf gemacht werden, ist die Derivation doch in vielen auch „gut

erforschten" Sprachen schwieriges und häufig vernachlässigtes Terrain. Bei

der Behandlung der Adjektive auf -Iah (etwa om-lah ,warm') bzw. der Ad¬

verbien (etwa om-q ,warm') vermißt man dann aber doch eine Bemerkung

zur Natur der jeweils die Suffixe tragenden Elemente. So bleibt die Frage

offen, von welcher Art von Element etwa der „Adjektivderivator" -Iah bzw.

der „Adverbderivator" -q (S. 314, morphologischer Index) Ableitungen

bilden. Auch wenn das Problem als solches zur Zeit vielleicht nicht lösbar

ist, wären Hinweise auf Ähnlichkeiten zwischen Verben für ,lang werden',

, ausgleiten', .trocken werden', .klein machen' und .dunkeln' und den Adjek¬

tiven für ,lang', , glatt', .trocken, .klein' und .dunkel', wie sie in Appendix III

gegeben werden, im Abschnitt über die Adjektive auf -Iah hilfreich gewesen.

Ansonsten ist die Darstellung der Adjektive, ihrer Komparation, syntakti¬

schen Verwendung etc. ausführlich, übersichtlich und erhellend.

Bei der Behandlung der Personalpronomen (S. 124-126) ist anzumerken,

daß die Bemerkung zum -n, auf das alle obliquen Formen aller Pronomen

enden, es müsse offen bleiben, ob es historisch auf das Suffix der „posses¬

siven Form" (s.o.) zurückgehe, zumindest um den Hinweis auf das „pro¬

nominale -n" der sogenannten altaischen Sprachen Türkisch, Mongolisch

und Tungusisch (sowie anderer Sprachen) hätte ergänzt werden können.

Ohne damit Position für die altaische oder nostratische Hypothese bezogen

zu haben, hätte man damit auf einen wichtigen Punkt bei der historisch¬

vergleichenden Betrachtung der Sprachen zumindest des nordasiatischen

Areals hingewiesen, der immer wieder von den Anhängern der besagten

Hypothesen ins Feld geführt wird. Die Andeutung des expressis verbis

offengelassenen historischen Zusammenhangs mit den „Possessivformen"

rührt wohl letztlich daher, daß diese zumindest oberflächlich wie „nackte"

oblique Stämme aussehen. Im Zusammenhang mit den „Possessivformen"

der Personalpronomen sprechen die Autoren dann übrigens tatsächlich von

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einem „pronominalen n" (S. 129). Dies kann nun bei altaistisch gebildeten

Lesern leicht den Eindruck erwecken, daß die Autoren annehmen, das -n

des itelmenischen „Possessivs" sei letztlich identisch damit (womit die Form

zumindest oberflächlich vergleichbar mit dem „Kurzgenitiv" des Tschuwa¬

schischen wäre) und nicht lediglich ein -n, das beim Possessiv am Pronomen

erscheint. Ist dann aber auch das auslautende -n des „Possessivs" am Sub¬

stantiv ein pronominales -«?

Die Verfasser rücken dann das Mißverständnis zurecht, daß es sich bei

den von ihnen so genannten „emphatischen Pronomen" um Ergativformen

des Pronomens handele (S. 127). Die gewählte, mit „etwa" in ihrer Schärfe

eingeschränkte deutsche Übersetzung „ich, du etc. selbst" erweckt leicht den

Eindruck, sie würden damit die traditionell Reflexivpronomina genannten

Einheiten meinen, zumal diese ebenfalls oft als emphatische Pronomen be¬

zeichnet werden. Als „Reflexivpronomen" wird dann aber die Einheit uwik

behandelt (S. 130), die als Substantiv auch .Körper' bedeutet - eine bemer¬

kenswerte semantische Parallele zum Mongolischen und, davon entlehnt,

auch im Jakutisch-Dolganischen und Südsibirischen Türkisch.

Die Numerale (S. 136-139) gehören zu den seltenen Fällen, in denen dan¬

kenswerterweise auch historische Materialien Eingang gefunden haben.

Die Verbalformen mit ihrer überbordenden Komplexität sind bereits

von Volodin in bemerkenswerter Weise systematisch dargestellt. Nun ist

diese nicht nur für indoeuropäische Begriffe bizarre Welt nicht nur dem

Russisch zumindest lesenden, sondern auch dem des Deutschen kundigen

Publikum zugänglich(er) geworden. Bei der ersten Einteilung der Verbal¬

formen in solche die „lediglich die Person des Subjekts (monopersonales/

intransitives Verb), oder aber auch die Person des Objekts (Patiens) be¬

zeichnen (bipersonales/transitives Verb)" wäre meines Erachtens aber ein

Hinweis auf ähnliche Verhältnisse in uralischen Sprachen recht nützlich

gewesen. Die Präsentation der Verbalparadigmen kann als überaus gelun¬

gen gelten, ebenso die Darbietung und die Erklärungen der mitunter recht

eigenwillig-labyrinthischen Formenwelt und Verwendungsweisen der un¬

terschiedlichen Paradigmen.

Der Abschnitt über die aspekto-temporalen Formen (S. 149-154) läßt

bei seiner Kürze notgedrungen viele Fragen offen. Man darf sicherlich

davon ausgehen, daß die in diesem Abschnitt getroffenen Aussagen ganz

auf den Forschungen Volodins basieren, soweit Verf. dies aus dessen o. a.

Grammatik ersehen kann. Dieser scheint davon ausgehen, daß das itel¬

menische Aspektsystem dieselbe Polung aufweist wie das slawische, was

sich schon in den Bezeichnungen „perfektiv" und „imperfektiv" zeigt. Es

muß zukünftigen Untersuchungen überlassen bleiben, die Richtigkeit einer

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solchen Annahme zu klären. Immerhin hat Lars Johanson gezeigt, daß

viele Aspektsysteme anders gepolt sind als das slawische System, 3 und ei¬

nige seiner Schüler sowie andere Wissenschaftler konnten die Gültigkeit des

von Johanson für das Türkeitürkische gezeigten Aspektsystems für andere

türkische und auch mongolische Sprachen zeigen. Die von den Autoren

gegebenen Erklärungen für das Funktionieren der itelmenischen Formen

sind zwar auf den ersten Blick anschaulich, lassen aber viele Fragen offen.

So wird für den perfektiven Aspekt gesagt, er entspräche in seinen Funk¬

tionen „weitgehend" denen der slawischen Perfektivformen, was denjenigen

völlig im Unklaren läßt, der nichts über den slawischen Aspekt weiß. Eine

entsprechende Bemerkung wäre u. U. auch über türkische terminale Formen

zu treffen, je nach dem, was man geneigt ist, als „weitgehend" zu verstehen;

bei aller Übereinstimmung unterscheiden sie sich nämlich doch in einigen

wichtigen Punkten. Weiterhin meinen die Autoren über den imperfektiven

Aspekt, „daß seine Funktionen sich in gewissem Sinne denen einer Aktions¬

art nähern" (S. 149). Im Präsens ergäbe sich so die Betonung des Andauerns

einer gegenwärtig verlaufenden Tätigkeit, weswegen man das imperfektive

Präsens auch als „duratives Präsens" bezeichnen könne. In Präteritum und

Futur läge das Spezifikum der Formen darin, „den Endpunkt der Verbal¬

handlung zu defokussieren. Dies kann dazu führen, daß eine imperfektive

Vergangenheitsform eine Handlung in ihrer Dauer beschreibt, aber auch,

daß ihr Beginn betont wurde, oder etwa, daß sie lediglich versucht wurde"

(S. 149). Hier stellt sich mir die Frage, ob die Form nicht einfach so zu inter¬

pretieren ist, daß eben - wie etwa bei türkischen Intraterminalia - Anfangs¬

und Endpunkt der Tätigkeit aus der Betrachtung ausgeschlossen bleiben,

womit sich weitgehend die von den Autoren beschriebenen Funktionen

ergäben, teilweise - wie im Falle der Betonung der „Dauer" einer Tätigkeit -

als kontextuelle Nuance. Die Bemerkung, der Beginn der Tätigkeit werde

betont, wäre in dem Sinne zu ändern, daß das Begonnenhaben (aber auch

noch nicht das Ende Erreichthaben) einer Tätigkeit ausgedrückt wird. Wenn

dem so ist, wäre das Beispiel 227 auf S. 150 als „Da, Ememqut ist dabei, die

Rentiere anzuspannen." zu übersetzen anstatt als „hat begonnen ... anzu¬

spannen". Doch solche komplexen Fragen können nur im Rahmen sorgfäl¬

tiger Untersuchungen an zusammenhängenden Texten, möglichst gestützt

durch Tests mit Muttersprachlern und zusammen mit der Untersuchung

der Aktionsarten der Verben gelöst werden. Die von den Autoren als for¬

mal markierte Aktionsarten des Itelmenischen erkannten Formen werden

nach den Modi (S. 155-160) so knapp wie die aspekto-temporalen Formen

3 Lars Johanson: Aspekt im Türkischen. Uppsala 1971.

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behandelt (S. 160-162); es folgt die Behandlung der angeblich eher margina¬

len Diathesen (S. 163-166).

Die infiniten Formen werden auf den Seiten 167-186 unterteilt in die so¬

genannten Infinitive I bis VI, ein Supinum und ein Verbum habendi; beson¬

ders der Bezeichnung „Infinitiv" für Formen ganz verschiedener Funktion

mag man kritisch gegenüber eingestellt sein. Etwas ungewöhnlich aber im

Grunde nicht zu kritisieren ist die Plazierung des Abschnitts über Verbal¬

derivation am Ende des Abschnitts über die Verben (S. 186-189), getrennt

von der Nominalderivation. Auffälliger ist schon, daß der Kausativ (durch

unterschiedliche Suffixe anzeigbar) offenbar nicht als diathetische Form be¬

trachtet und außerhalb des Diathesenabschnitts als nur derivationale Form

behandelt wird, was durchaus kritisch betrachtet werden kann.

Das Kapitel über Syntax (S. 190-215) reflektiert in seiner Kürze wohl den

aktuellen unbefriedigenden Forschungsstand. Die ablehnenden Bemerkun¬

gen zur angeblichen Nicht-Ergativität des Itelmenischen sind interessant

und gut vorgebracht, aber vom Rezensenten wegen mangelnder Erfahrung

im Umgang mit Ergativsprachen sowie fehlender Kenntnis der itelmeni¬

schen Verhältnisse insgesamt nicht wirklich zu bewerten.

Appendix I, der den itelmenischen Dialekten gewidmet ist, vermittelt in

verständlicher und übersichtlicher Weise einen Überblick über die dialek¬

talen Verhältnisse. Nach Meinung der Autoren wäre sogar von verschiede¬

nen itelmenischen Sprachen auszugehen, eine Ansicht, der man durchaus

zustimmen könnte, wenn genauer definiert (oder definierbar) wäre, was

denn nahverwandte Sprachen von verschiedenen, teilweise weit voneinander

entfernten Dialekten einer Sprache unterscheidet. Appendix II behandelt die

Gedanken der Autoren zur Frage der Urverwandtschaft des Itelmenischen

mit den tschuktscho-korjakischen Sprachen, der die Autoren eher ablehnend

gegenüberstehen. Die Autoren verstehen es, die Gründe für diese Haltung

argumentativ klar darzubieten. Doch wie sie selbst zugeben müssen, können

sie - trotz aller Punkte, die ihres Erachtens gegen eine Urverwandtschaft und

für areale Entwicklungsgemeinschaft sprechen - eben nicht beweisen. Mir

erscheinen ihre Erörterungen durchaus bedenkenswert, jedoch keineswegs

so überzeugend, daß man deswegen die Urverwandtschaftsannahme auf¬

geben müßte. Die von den Autoren herangezogenen archäologischen Daten,

die nahelegen sollen, „daß die Itelmenen die Ureinwohner der Halbinsel sind

(mit den späteren Itelmenen in Zusammenhang zu bringende Zeugnisse da¬

tieren vom Ende des Paläolithikums ...)" (S. 239), mögen ein Argument gegen

das Vorhandensein einer unbekannten Sprache sein, die für die Sezession des

Itelmenischen vom Rest des von anderen Wissenschaftlern angenommenen

„Tschuktscho-Kamtschadalischen" verantwortlich gemacht wird; jedoch ken-

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nen wir nun einmal dasjenige nicht, was (bisher) nicht ausgegraben wurde.

Auch die Argumentation mit der Mythologie der Itelmenen ist, obwohl sie

auf den ersten Blick überzeugend erscheint, letztlich nicht zwingend: Auch

wenn heute Gruppen tief im Inland der gewaltigen Halbinsel leben und viel¬

leicht nie das Meer gesehen haben, können ihre Vorfahren sehr wohl von der

Küste erst später ins Inland gezogen sein, nur um eine der möglichen anderen

Erklärungsmöglichkeiten zu nennen. Um nicht falsch verstanden zu werden:

Ich möchte hier nicht für die eine oder andere Hypothese Partei ergreifen. Ich

sehe allerdings hier (wie auch etwa im Falle der altaischen Hypothese) die Dis¬

kussion an einem Punkt angelangt, an dem man sich vorläufig damit abfinden

muß, daß man - weil ausreichende Daten fehlen - bestenfalls zwei (oder auch

mehrere) plausible konkurrierende Hypothesen formulieren kann. Letztlich

entscheiden hier persönliche Vorlieben für die einen oder anderen Argumente

darüber, welches der konkurrierenden Modelle attraktiver erscheint.

Die am Ende des Buches beigegebenen Texte sind im Prinzip gut aufbe¬

reitet, wenn auch das Fehlen eines Glossars als ein echtes Manko bezeichnet

werden muß, ebenso die Abwesenheit eines Kapitels über itelmenische Lexik.

Letzteres vermißt man ganz besonders schmerzlich im Zusammenhang mit

der Urverwandtschaftsdiskussion. Aber auch wichtige kulturhistorische

Aspekte bleiben damit unberücksichtigt. So dürfte etwa das Verb kansa-

.rauchen' (S. 148) letztlich chinesischen Ursprungs sein, was die Frage nach

seiner Vermittlung aufwirft. Und könnte das S. 139 erwähnte, etymologisch

unklare ältere Wort tu us für .hundert' (für das auch alternative Bezeichnun¬

gen existieren), nicht mit türkisch yüz (im Sibirischen Türkisch cüs etc.) zu

verbinden sein (wenn man denn eine weitgespannte und gewagte Hypothe¬

sen formulieren will)?

Bei allen kritischen Anmerkungen, die in dieser Besprechung gemacht

wurden, möchte ich zum Ende doch anmerken, daß dieses Buch ein wichti¬

ger Beitrag zur Vermittlung von Kenntnissen über eine der extrem bedroh¬

ten und im Aussterben befindlichen Sprachen dieser Welt ist, selbst wenn

es nicht das Produkt eigens zum Zwecke seiner Erstellung durchgeführter

Feldforschung ist. Wie so oft haben auch hier vorangegangene Forschungen

oftmals bereits schon ein solches Maß an Informationen erbracht, daß man

sich - bei aller Anerkenntnis der Notwendigkeit von Feldforschung - stets

überlegen sollte, daß man zumindest einen Teil der finanziellen und wis¬

senschaftlichen Kapazitäten dafür verwenden sollte, bereits vorhandenes

Wissen in Form und Inhalt zu aktualisieren und falls notwendig, einer brei¬

teren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zumindest auch dafür ist den

Autoren zu danken.

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Kunstgeschichte am Ende des 19. Jahrhunderts

Von Annette Hagedorn, Berlin

In diesem Artikel wird das Wirken des Architekten und Bauforschers

Richard Borrmann (1852-1931) gewürdigt, der im allgemeinen Bewusst¬

sein wegen seines grundlegenden Buches von 1893 Die Bau- und Kunst¬

denkmäler von Berlin blieb. Hier soll gezeigt werden, wie eng Borrmann

auch mit der Islamischen Kunstgeschichte und ihren Pionieren in Berlin

Julius Lessing (1843-1908), Wilhelm von Bode (1845-1929) und Fried¬

rich Sarre (1865-1945) verbunden war.

Richard Borrmann wurde am 27.12.1852 in Orle bei Graudenz in

Westpreußen 1 geboren. Sein Vater war Rittergutsbesitzer und Borrmann

machte große Reisen mit ihm. 2 1866-1872 besuchte er die königliche Lan¬

desschule Schulpforta und lernte unter anderem alte Sprachen und Literatur.

Borrmann meinte später, dass diese Ausbildung „für sein ganzes Leben

Bedeutung gehabt habe". Die alten Sprachen „haben ihn [wie er selbst gesagt

hat] zu einer idealeren Auffassung seines Architektenberufs über das Prakti¬

sche hinaus befähigt." 3 Es ging ihm nicht vor allem um die Errichtung neuer

Bauten, sondern um die kulturhistorischen Zusammenhänge innerhalb der

Architektur. Hierin zeigen sich philosophische Ansätze. In den Nachrufen

von 1931 4 beschrieb Daniel Krencker (1874-1941), sein Nachfolger an

der Technischen Hochschule, Richard Borrmann als edlen Menschen,

der geachtet und geliebt wurde und keine Feinde gehabt habe. Er sei gerade

und pflichttreu gewesen, habe klar und ohne Phrasen gesprochen. Er sei ein

1 Abkürzungen für die Signaturen der Archivalien im Geheimen Staatsarchiv, Preus-

sischer Kulturbesitz = GStAPK; Hauptabteilung = HA; Archivalien aus dem Bestand

des Kultusministeriums = Rep. 76; Bestand des Zivilkabinetts = Rep. 89. Abkürzung für

Technische Hochschule: TH; Reichshandbuch, 1930, S. 376. Dazu auch: GStAPK, hand¬

geschriebener Lebenslauf von Borrmann für seine Bewerbung der Professur für Bauge¬

schichte an der TH. (GStAPK, I. HA, Rep. 76 Vb, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. VII, o. pag.).

2 D. Krencker 1931b, S. 207.

3 D. Krencker 1931a, S. 273; Reichshandbuch 1930, S. 376.

4 D. Krencker 1931a und 1931b.

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