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Dem umfangreichen Monographienbestand stehen relevante Zeitschriften, zeitschriftenartige Reihen und Zeitungen zur Seite, welche in der zu besprechen¬ den Ausgabe der ZVOr verzeichnet und systematisiert wurden

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Universitätsbibliothek Tübingen: Zeitschriftenverzeichnis Orient; ZVOr/ Universi¬

tätsbibliothek Tübingen ISSN 0721-5762 Stand August 1991. - 448 S.

Im Jahre 1983 erschien das Grund werk des Tübinger Zeitschriftenverzeichnisses

Orient (265 Seiten), welches 1987 um ein Supplement - Stand Oktober 1986 -

erweitert wurde.

Nun liegt die zusammengefaßte und aktualisierte Ausgabe des ZVOr - Stand August 1991 - mit einem Umfang von 448 Seiten vor.

Die Universitätsbibliothek Tübingen betreut mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG die Sondersammelgebiete 6.22, 6.23 und 6.24 (Alter Orient: Keilschriften u.ä.; Vorderer Orient: Islamwissenschaften, Semitistik, Ira¬

nistik, Turkologie, Kaukasologie usw.; Südasien: Indologie, Drawidistik und Ti¬

betologie) in einer aufgrund der fremden Schriften und Sprachen sehr hohen Arbeitsintensität, wie sie nur von wenigen Fächem gefordert wird.

Die Arbeit der Orientabteilung in Verbindung mit anderen beteiligten Kräften der UB hat den Bestand an Orientalia bekanntermaßen zu einer wertvollen und

einzigartigen Sammlung der obengenannten Wissenschaften und Regionen ge¬

macht. Dem umfangreichen Monographienbestand stehen relevante Zeitschriften, zeitschriftenartige Reihen und Zeitungen zur Seite, welche in der zu besprechen¬

den Ausgabe der ZVOr verzeichnet und systematisiert wurden.

Von den 4716 Titeln sind allein rund 1700 laufende Abonnements. Großes In¬

teresse dürfte jedoch auch die Tatsache wecken, daß über die letzten Jahre frag¬

mentarische Bestände im Altbestand kontinuierlich erfaßt und hiermit der Wis¬

senschaft und Forschung zugänglich gemacht wurden.

Das ZVOr ist im Rahmen des Baden-Württembergischen Zeitschriftenverzeich¬

nisses (BWZ) in Verbindung mit der Zeitschriftendatenbank Berlin (ZDB) entstan¬

den. Es handelt sich sowohl um ein lokales Bestandsverzeichnis als auch, wegen der Menge und Vielfalt der Titel, um eine systematisch und alphabetisch zugäng¬

liche Fachbibliographie orientalistischer Zeitschriften. Der hohe Wert liegt somit neben dem alphabetischen Hauptteil in den beiden anschließenden Registern, dem systematischen sowie dem Länderregister.

im Hauptteil (S. 9-358) sind die Tübinger Orientzeitschriften in alphabetischer Reihenfolge verzeichnet. Der offiziellen Ansetzungsform folgt der Zeitschriftenti¬

tel - originalsprachlich - sowie Unter- und Nebentitel. Angaben zu Vorgängem und Fortsetzungen unter anderem Namen fehlen ebensowenig wie Erscheinungs¬

ort und -beginn, gegebenenfalls auch Datum der Einstellung des Erscheinens.

Jeden Eintrag beendet der Vermerk, welche Jahrgänge etc. in der UB Tübingen vorhanden sind und unter welcher Signatur sie geführt werden:

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Beisp.: Asiatie Society of Bangladesh:

Journal ofthe Asiatie Society of Bangladesh.

Dacca: Soc. 16.1971, 3 - 23.1978

Vorg. - Asiatie Society of Pakistan : Journal of the Asiatie Society of Pakistan.

Forts. - Asiatie Society of Bangladesh : Joumal of the Asiatie Society of Bangladesh / Humanities

Darin - Asiatie Society of Bangladesh : Report of the General Secre¬

tary.

UB ... 16.1971, 3 - 23.1978 : Ci I 398

Dem Hauptteil folgt ein systematisches Register (S. 359-408). Hier wurden alle Zeitschriften in ihrer Kurzform den folgenden Sachgebieten zugeordnet (innerhalb alphabetisch) :

Allgemeines, Alter Orient, Ägyptologie, Semitistik, Äthiopistik, Hebraistik und Judentum, Arabistik, Islamwissenschaften, Turkologie, Iranistik, Kaukasologie, Armenologie, Christlicher Orient, Indologie, Drawidistik und Tibetologie.

Das systematische Register gibt den Wissenschaftlem ein hervorragendes Werk¬

zeug an die Hand, jederzeit den Bestand zu ihren Fächern zu ermitteln und so

auch Neuerscheinungen zur Kenntnis zu nehmen, die in der UB Tübingen zu¬

gänglich sind.

Letzten Schliff bekam das ZVOr durch das Länderregister (S. 409-448). Hier sind von Ägypten über Indien bis zur Türkei und Zypern 65 Länder aufgelistet, unter denen jeweils die dort erscheinenden bzw. erschienenen Titel in Kurzform genannt werden. Beide Register verweisen auf den Hauptteil, und zwar gleich unter dem Ansetzungstitel (s.u.).

Das Zeitschriftenverzeichnis Orient erschien als Paperback und besticht durch

Schönheit und - trotz der hohen Seitenzahl und dem DIN A 4-Format - auch

durch Handlichkeit. Fett-, Normal- und Schrägdmck sowie zwei verschiedene Buchstabengrößen tragen neben dem Zweispaltendruck und ordentlicher Zeilen¬

abstand- bzw. Blockpolitik zu einer außerordentlich guten Übersichtlichkeit bei.

Die reichlichen Verweisungen ermöglichen einen guten Zugriff, doch läßt sich aufgmnd der angewendeten Katalogisierungsregeln nicht verhindern, daß Zeit¬

schriften wie das „Joumal of the Asiatie Society of Bangladesh" ausschließlich unter dem Eintrag: „Asiatie Society of Bangladesh" zu fmden sind, also unter der Körperschaft. Dies mindert nicht die Benutzerfreundlichkeit, doch muß man sich freilich an die Suche auch unter der im Titel genannten Körperschaft gewöhnen.

Das ZVOr ist dazu geeignet, den bibliothekarischen und fachwissenschaftlichen Beitrag der Orientabteilung der Universitätsbibliothek Tübingen in Anschaffung und Bereitstellung wissenschaftlicher Literatur zu verdeutlichen. Das Verzeichnis sollte im Sinne der DFG-Ziele einer überregionalen Literaturversorgung und des damit verbundenen Angebots an die Fachwelt, die Sondersammelgebiete intensiv zu nutzen, in keiner wissenschaftlichen Bibliothek fehlen und in den relevanten Instituten und Seminaren zu finden sein.

Stephan Fliedner, Tübingen

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Shlomo Izre'el/Itamar Singer: The General's Letter from Ugarit. A Linguistic and Historical Reevaluation of RS 20.33 (Ugaritica V No. 20). Tel Aviv: Tel Aviv University 1990. 222 S., 8 Tafeln, 4°

Der sog. „Brief des Generals", ein leider unvollständiger umfangreicher Text

aus dem Archiv des Rap'anu in Ugarit, hat die Forschung schon mehrfach be¬

schäftigt, wobei natürlich immer die Frage nach Absender und Adressat, deren Namen nicht erhalten sind, und damit nach der Relevanz des Textes im Vorder¬

grund stand. Die ungewöhnlich ausführliche Behandlung des Textes durch die

beiden israelischen Gelehrten zeigt den Weg auf, auf dem allein mehr als lediglich Hypothesen zu gewinnen sind, nämlich eine sowohl sprachliche wie auch graphi¬

sche und inhaltliche Analyse des Textes vor einer historischen Deutung. Die bei¬

den Autoren haben vorzüglich zusammengearbeitet. Nach einer von beiden ver¬

faßten Einleitung folgt ein umfangreicher philologischer Teil und erst in einem zweiten Teil die historische Analyse. Besonders zu loben sind die Beigabe aus¬

führlicher Indizes und sogar eines Syllabars.

Das durchaus überzeugende, weil anhand der Amarna-Briefe belegte Ergebnis der sprachlichen Untersuchung ist, daß der Text in einem kanaanäisch gefärbten Akkadisch abgefaßt ist, das im Staate Amurru im 14. Jh. v.Chr. in Gebrauch war, so daß die Herkunft des Generals Sumi[. .. bzw. seines Schreibers aus Mittelsyrien]

so gut wie sicher ist. Die historische Auswertung geht deshalb von einer Analyse

der Daten der Geschichte Amurrus unter Abdi-Asirta und Aziru aus und kommt

zu dem Schluß, daß nur die Regierungszeit des letzteren und zwar nach seiner Rückkehr aus Ägypten für die Situation in Frage kommt, die der Brief voraussetzt.

Dieser ist dann an einen hethitischen (Unter)könig gesandt worden, vermutlich an Piyassili in Karkemis. Die Ergänzung des Namens des Generals wird - durch¬

aus überzeugend - als Summi[ttara] vorgeschlagen, der z.B. in EA 57,13 vor¬

kommt. Ein ungelöstes Problem bleibt, weshalb der Brief nach Ugarit und in das Archiv eines Privatmannes gelangte.

Das Buch enthält eine Menge von Beobachtungen zum Amarna-Akkadischen und viele wichtige Erläuterungen zur historischen Situation und zur historischen Geographie der Amarna-Zeit, die hier nicht diskutiert werden können. Es ist zu

wünschen, daß ihm vergleichbare Untersuchungen anderer Texte ähnlichen In¬

halts folgen. Dann wird es möglich sein, die so interessante Geschichte der Amar¬

na-Zeit noch detaillierter zu erfassen und die vielfältigen diplomatischen Aktivi¬

täten besser zu verstehen, als das bisher geschehen ist.

Wolfgang Röllig, Tübingen

Otto Jastrow : Lehrbuch der Turoyo-Sprache. Wiesbaden: Harrassowitz 1992. xvi, 215 S., Kt. (Semitica viva: Series didactica. 2.) 62.- DM

Mit der Vertreibung der syrischen Christen aus der Türkei ist das im Tür 'Abdin gesprochene Türöyö zu einer weitverbreiteten Immigrantensprache besonders in

Deutschland und Schweden geworden. Es kann nunmehr um so leichter erlernt

werden, als in dem vorliegenden Lehrbuch ein nützliches Hilfsmittel zur Verfü¬

gung steht. Der leider nicht durch einen Index erschlossene grammatische Stoff

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wird in 20 Lektionen erarbeitet, die jeweils auch ein Vokabular und - im Anhang übersetzte - Übungssätze bzw. Lesestücke bieten.

Gegenüber der Darstellung in der Laut- und Formenlehre des neuaramäisehen Dialekts von Midin im Tür 'Abdin des Verf. (Wiesbaden ^1985) ist die Umschrift in mancher Hinsicht ökonomischer und praktischer geworden. So wird weder der Glottalverschluß am Wortanfang noch die Länge von offenen Silben markiert (z. B.

aloho [ 'älöho] 'Gott). Indem auch die größtenteils auf der vorletzten Silbe ruhende Betonung nicht mehr eigens kenntlich gemacht wird, nähert sich die Umschrift einer in bestimmten Bereichen neben der nationalen syrischen Schrift zu verwen¬

denden Orthographie des Turoyo. Der Verf hat sich dabei nicht von der z. B. in dem Schulbuch Toxu qorena (hrsg. v. Y. Ishaq, Stockholm 1983) praktizierten Orthographie leiten lassen, die den Vorteil bietet, daß - bis auf e - alle Zeichen mit der Schreibmaschine wiedergegeben werden können. Das 'ayn sollte endlich auf die Zeile herunter dürfen (cayno Auge', tacio 'Fuchs'). Das auf deutschen und schwedischen Schreibmaschinen nicht vorgesehene Hacek kann leicht durch den Zirkumflex ersetzt werden (samoso 'Diakon', cike 'ein bißchen', znu 'dann erst, endlich") - ebenso wie der Punkt über dem g (garbi 'westlich). Sinnvoll ist auch die Wiedergabe von h durch h (ha '1, ein), die die velarisierten Laute einheitlich durch einen daruntergesetzten Punkt markiert sein läßt. Da das phonetische Schwazeichen typographisch schwierig ist, hat man dafür in Schweden ein durch zwei 'Umlauf-Punkte gekennzeichnetes e geschaffen. Wegen der leichteren Schrei¬

bung empflehlt sich jedoch e (esmo 'Name, etwas', cemro 'Leben). Der Gravis könnte dann auch zur Bezeichnung der reduzierten Vokale ä und ü verwendet werden (zäbas 'Wassermelone', dükto Stelle, Ort).

Ein weiterer Fortschritt gegenüber der Darstellung in der Grammatik des Verf

wurde dadurch erzielt, daß nunmehr zwischen Schwa und reduziertem ü unter¬

schieden wird, wie der den Lektionen vorangestellten Lautlehre zu entnehmen ist.

In der Nähe von Velaren und Uvularen wird nämlich ö in geschlossener Silbe

nicht zu a, sondem zu ü:

(*kälyä >) *kölyö > *kulyo > k^alyo [kulyo]

'sie bleibt stehen' (vgl. m. köle) (*sälqä >) *sölqö > *sulqo > salqo

'sie steigt hinauf (vgl. m. söleq)

Labiovelare können auch in anderen Fällen angesetzt werden, wo sich die Run¬

dung der hinteren Vokale in der Nähe von Velaren und Uvularen hält:

(*dukktä >) *duktö > *d3k"'to [dukto] 'Stelle, Ort' (*dukränä >) *duxrönö > *d9x'^rono [duxröno] 'Erinnerung

Bemerkenswerterweise sind auch die Pharyngale an diesem Prozeß beteiligt.

Das vorliegende Lehrbuch wird sich im akademischen Unterricht hervorragend

bewähren. Es bleibt nur noch hervorzuheben, daß der Darstellung neue Texte

zugrunde gelegt wurden. Man kann aus ihnen nebenbei auch einiges über das

dörfliche Leben, die religiösen Feste und die gegenwärtige Situation des in seiner Heimat bedrohten Volkes erfahren.

Rainer Voigt, Berlin

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Herrmann Jungraithmayr: A dietionary of the Tangale language (Kaltungo, Northern Nigeria) with a grammatical introduction. Berlin: Reimer 1991. 218 S.

(Spraehe und Oralität in Afrika. 12.).

Das Tangale (tanle, d.i. [taijle]), eine tschadische Spraehe in Nordost-Nigerien, ist außer durch einige Artikel vor allem dadurch bekannt geworden, daß H. Jung¬

raithmayr ihr seine Doktorarbeit (Hamburg 1956) gewidmet hat, welche allerdings unveröffentlicht geblieben ist. Deshalb ist man auf vorliegendes Wörterbuch ge¬

spannt, das die eigenen Sammlungen des Verfassers, das religiöse Schrifttum und Wortlisten von Missionaren der Sudan Interior Mission erfaßt. Ein besonderes Verdienst an der Überprüfung und Erweiterung der Wortformen bzw. an der End¬

redaktion haben Njeno Andirya Galadima und Ulrich Kleinewillinghöfer, die

auch beide auf dem Titelblatt des Werkes als Mitarbeiter genannt sind.

Das Lexikon enthält rund 2500 Wörter. Zu jedem Substantiv ist die bestimmte Form genannt (z. B. mäna, def mäni 'Haus', wos, def woji 'Knochen). Die Kategorie des Plurals existiert hier nicht. Daß es zu mai König, Führer einen expliziten Plural anamai gibt, rührt daher, daß das denominale Suffix ana- (vgl. hausa mäi) gelegent¬

lich, wie im Falle von analai 'Eltern, eig. durch Gebären (layi) charakterisiert', plu¬

ralische Bedeutung annimmt Zu jedem Verbum werden die einzelnen Verbalstämme und Verbalnomina (mit bis zu zehn verschiedenen Formen) angegeben. Zahlreiche nominale und verbale Phrasen und Kontextbeispiele erleichtem den Zugang zum Sprachgebrauch und dessen Regeln. Trotzdem wäre man ohne die grammatische Einfühmng recht hilflos. Auf knapp 50 Seiten wird hier zum ersten Mal ein Über¬

blick über die reiche Morphonologie und Verbalmorphologie geboten.

Unter den morphonologischen Prozessen spielt neben der Reduktion der glotta¬

lisierten Laute b und d zu Hamz die Pränasalierung eine besondere Rolle. Sie tritt bei den wortanlautenden stimmlosen Konsonanten p, t, k und j' in Erscheinung, wenn ein vokalisch anlautendes Morphem davortritt. Aus pugum 'Blindheif und tau 'tra¬

ditionelle Medizin' wird so durch Verstimmlichung und Nasaliemng des Anlautes ana-mbugum 'blind' bzw. ana-ndau 'Medizinmann'. Die parallele Entwicklung p b -» mb und t ^ d nd zeigt sich auch bei den stimmlosen velaren Verschlußlau¬

ten k {-^ g ng mit Weiterentwicklung zu n, wie in kaa-nitpn '(im) Himmel' von kitpn 'Himmel) und kw {-^ gw -* ngw mit Weiterentwicklung zu nw, wie in ana- nwaada 'reich' von kwaada 'Besitz, Reichtum), hingegen nicht bei dem Zischlaut j (vgl. ana-njiri Dieb' mit sire stehlen' und mä nje dieses Haus {mäna)' mit gk se 'diesen Weg {pko)'. Die auf S.21 angegebene Entwicklungsreihe s ^ z n/muß modi¬

fiziert werden, weil einerseits z ein marginales Morphem ist, das - wie ein Blick in das Wörterbuch zeigt - im Wortanlaut nicht vorkommt, und andererseits nj nicht die Pränasaliemngsstufe zu z darstellt. Nimmt man jedoch eine Entwicklungsreihe s ^ j nj an, schwinden diese beiden Probleme. Es entsteht ein neues, indem sich die stimmhafte Affrikate j von s nicht nur durch die Stimmhaftigkeit unterscheidet.

Eine Brücke gewinnt man durch die synchrone Beobachtung, daß s gelegentlich frei mit / variiert (S.21), und durch die sprachgeschichtliche Uberiegung, j könne auf 's (oder c) zurückgehen. Mit dieser Annahme ließe sich die Elision von b und d vor s (z.B. bei Antritt des Morphems -si/-ji/-zi, das wie alle unselbständigen Morpheme ohne die vokalharmonischen Varianten angeführt wird: vgl. laude 'ver¬

borgen' mit laasi 'verborgen) erklären: *laad-'si *laa-'si laa-si. Diese Reduk¬

tion einer phonetischen Konsonantenhäufung hätte eine Entsprechung in der'hom¬

organic stop elision' (S.22); vgl. ambe 'klettern' mit *amb-gp (besser *a'"b-gp) am-gp geklettert sein'. Hierher gehört auch die Regel, daß b und d in silbenschließ-

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ender Position zum glottalen Verschluß werden, z.B. kedkede (besser ke'dke'de) ->■

ke'ke'de (ke'kede) 'viel'. Unter Berücksichtigung dieser morphonologischen Regeln läßt sich das konsonantische Phonemsystem systematischer darstellen:

p b b mb m

t d d nd n

s -

j nj n

k -

g (-*) n

kw -

gw (^) nw

Der stimmhafte Sibilant z erscheint in diesem System nicht, weil er nur eine stellungsbedingte Variante zu s darstellt, nämlich in postvokahscher Position und

nach stimmhaften Konsonanten. Das Vorkommen von j nach Vokalen erzwingt

jedoch die Anerkennung des phonemischen Status von z.

Das Vokalsystem und die für tschadische Sprachen ungewöhnliche Vokalhar¬

monie dürften aufgrund von einschlägigen Veröffentlichungen des Verf zu den bekanntesten Zügen des Tangale gehören. Während der offene Vokal a lediglich kurz oder lang sein kann, kommen die Vokale /, e, o und u, seien sie kurz oder lang, in zwei Ausprägungen vor, die früher durch den Öffnungsgrad, jetzt eher

durch die vorgezogene Zungenwurzelposition (/ATR/) bestimmt werden. Dabei

sind die offenen (= /— ATR/) Vokale durch einen daruntergesetzten Punkt mar¬

kiert. Der Verf ist sich wohl bewußt, daß es wegen ihrer weitaus geringeren Frequenz (von den auf S. 31-32 verzeichneten 31 Nomina weisen nur fünf nicht die Form -/ auf) sinnvoller wäre, die geschlossenen (= /+ATR/) Vokale auf diese Weise zu kennzeichnen. Es ergäbe sich ein übersichtlicheres Schriftbild mit weit weniger Punkten und damit Druckfehlermöglichkeiten. Es wäre sprachwissen¬

schaftlieh zweckmäßiger gewesen, die offenen Vokale einheitlich unmarkiert (/ e a o u) zu lassen (wie jetzt schon das offene a) und die geschlossenen Vokale durch Punkt zu markieren (/ e - p u). Der Verf hat sich jedoch im Hinblick auf die in der Schrifttradition der Tangale bereits fest etablierte Praxis von dieser Wiederga¬

be nicht leiten lassen und ist damit nicht der Empfehlung des Weltlautschriftver¬

eins gefolgt (s. The principles of the I. P. A., Lx)ndon 1949, S.16), die auch für

afrikanische Sprachen (z. B. von Meinhof) angewandt wurde. Da es wegen der

Vokalharmonie zwei Arten von Wörtern gibt, solche mit offenen und solche mit

geschlossenen Vokalen, liegt es nahe, die Wörter als ganzes zu markieren (±

ATR) : -runu = runu 'Nachgeburt': runu = runu 'Fremder'. Wörter mit a, welches als offen gilt, bräuchten nicht als solche gekennzeichnet zu werden: ^'*'^adi = adi 'tragen'; s. jedoch das Fremdwort 'saabüh = saabuli (def) 'Seife'.

Es gibt insgesamt elf verschiedene Personalpronominalreihen. In den beiden ersten Personen treten in allen Reihen Nasale auf (sg. -n(a/o), pl. -m{u/in{i)).

Die Formen der 2. sg. lauten im Mask. -k(a/o) und im Fem. -s{i). Damit weist das Tangale eine Verteilung auf, wie wir sie aus den neueren semitischen Spra¬

chen, aber auch aus dem Altägyptischen kennen :

sg. 2. *-ka (m.) *-ki (f )

amh. -k/h -s

arab. Dial. -ak -ic, -is

neusüdar. -k -s

ma'lüla -X -s

äg- -k -c

tang. -k(a/o) -s(i)

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Auf die Herleitung von tang. s aus *ts (oder *ts) war bereits verwiesen worden.

Für die 2. pl. ist ein mit k- anlautendes Personalelement zu erwarten. Eine Form -ku kommt in der Tat noch in zwei Personalpronominalreihen vor. Ansonsten wurde es durch ma (o. ä.) ersetzt. In den dritten Personen ist der Ersetzungsprozeß der alten Formen durch transparente neue Bildungen (die 3. m.sg. mbeendäm enthält die Elemente peem{ö) er und tam außerhalb") weit fortgeschritten. Altes Erbe begegnet in den Formen sg. m. yi (und ni), f ta, pl. yini/hin{i). Da h hier und in anderen Fällen vor /-Vokal (z. B. hibat/yibat 'Wind) mit y wechselt, liegt es nahe, die Formen auf sg.m. *si (bzw. *ni), f. *ta, pl. *sun (oder *sin) zurück¬

zuführen (s. C.H.Kraft: Reconstructions of Chadic pronouns. Third Annual Con¬

ference on Afriean Linguistics, Bloomington 1974, S. 69-94).

Vom eingliedrigen Imperativ abgesehen, folgen in den zahlreichen verbalen Konstruktionen auf die Subjektspronomina entweder Suffixe und tonal voneinan¬

der unterschiedene Verbalstämme oder periphrastische Bildungen mit Verbalstäm¬

men (wie im Progressiv na-n saani 'ich esse). Besondere Beachtung verdienen die Plural- oder Wiederholungsstämme. Häufigstes Merkmal ist die Reduplizierung des letzten Wurzelradikals in der Form -uK (z.B. puk-: pukuk- 'bewässern).

Stimmhafte Auslautkonsonanten werden dabei entstimmlicht (z. B. loog- : looguk- 'aufhängen). Der historische Prozeß ist anders verlaufen. Wenn ursprünglich stimmlose Konsonanten stimmlos blieben, d.h. nach Vokal nicht verstimmlicht

wurden, kann man vermuten, daß der reduplizierte Konsonant ursprünglich ge¬

längt war: loog- *look-) : looguk- (^ *lookukk-). Auf diese Weise läßt sich auch die Verkürzung des langen Wurzelvokals erklären: kaaz- : kas- (<- *kaass-) 'fällen'. Bei dreiradikaligen Verben wird der vorletzte Radikal »gelängt (^ ent¬

stimmlicht): sugd-/sugud- : sukt-/sukud- (^ *sukkVd-) '(Loch) reißen".

Bei der sog. „infixation of -/)-" (S.41) handelt es sich um eine Abart der Redu¬

plikation des letzten Wurzelradikals, die nur in der Dentalreihe (/ d d) und bei s auftritt: ed- : ept-/eput- 'essen'. Ich sehe hier eine Dissimilation der Verschlußlaute am Werk:

*et- : *etVtt- -> *epVt-

_» ed- -» ept- (Aor. ep-te)/eput- (Perf epud-go)

*kott- : *kottVtt- ^ *kopVt-

^ /cot- kopt- (Aor. kot-e)/koput- (Perf kopud-go) 'anfangen"

Daß auch Wurzeln mit auslautendem 5 so behandelt werden, erklärt sich durch den ursprünglich affrizierten Charakter des Zischlautes:

*na's- : *na'sV"s- *napV's-

-» nas- naps- (Aor. naps-e)/napus- (Perf napuz-gp)

Unter den verbal-nominalen Ableitungen (Verbalstämmen) muß besonders auf

die Passivbildung verwiesen werden. Der intransitiv-passivische Aoriststamm ist,

außer durch ein bestimmtes Tonmuster, durch auslautende Glottalisierung ge¬

kennzeichnet (S.47), z.B. bali 'zeigen': bdli' 'gezeigt werden', yemi' 'überrascht sein'. Der glottale Verschluß, der leider nicht immer markiert wird, ist der Überrest eines Verbalstammorphems, das auch im Intransitiv-Passivstamm (VII.) des Hau¬

sa vorliegen dürfte.

Das ausführliche Englisch-Tangale-Glossar erleichtert die Arbeit mit dieser wichtigen Neuerscheinung.

Rainer Voigt, Berlin

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Studia Manichaica. II. Internationaler Kongreß zum Manichäismus 6.-10. August

1989 St Augustin/Bonn. Hrsg. von Gernot Wiessner und Hans-Joachim Klim¬

keit. Wiesbaden: Otto Harrassowitz 1992. XIV, 400 S. (Studies in Oriental Re¬

ligions, vol. 23.) ISBN 3-447-03240-5

Die Vereinigung der Forscher auf dem Gebiet des Manichäismus hat sich ge¬

bildet, weil die Entwicklung dieser Lehre als Weltreligion und seine Verkündigung

in verschiedenartigen Sprachen weit auseinander liegende Fächer an seinen

Schriften forschen ließ. Die Zusammenarbeit in regelmäßigen Konferenzen und die Veröffentlichung der Beiträge solcher Kongresse ist für eine umfassende Er¬

schließung der manichäischen Religion sehr ertragreich.

Der vorliegende Band des Kongresses von 1989 enthält 28 Referate. Eingeleitet

wird die Sammlung mit Überlegungen von K.Rudolph: Stand und Aufgaben der

Manichäismusforschung (S.}-\?,). Neuen Forschungsuntemehmen gilt eine be¬

trächtliche Anzahl von Berichten der Arbeit an den koptischen Texten, über deren Schicksal J. M. Robinson referierte (S. 19-62). A. Böhlig führte an Beispielen vor, welche Probleme und Ergebnisse die von S. Giversen veranstaltete Facsimileaus- gabe der Dubliner koptischen Manichaica bietet (S. 63-75). Von der Beteiligung an der Edition erfährt man von R. Kasser (S. 76-79) und M.Krause (S. 80-92). Mit¬

arbeiter des letzteren, S.Richter (S. 248-265) und G.Wurst (S. 266-284), behan¬

deln Psalmen aus dem koptischen Psalmbuch. Zur Terminologie der koptischen Manichaica äußert sich P. van Lindt (S. 213-219), über den Dialog im manichäi¬

schen Psalter P. Nagel (S. 220-238). E. B. Smagina befaßt sich mit der Apostelreihe in den koptischen Texten (S. 356-366). Mit der Beschreibung eines Ausdrucks für das präventive Handeln des Lichtvaters gegenüber der Finsternis erläutert W.B. Oerter eine Gmndvorstellung des manichäischen Systems (S. 239-247).

Zur griechischen Manibiographie des Kölner Codex tragen die Referate von

R. Merkelbach (S. 159-166), C.Römer (S.l 81-188) und J.Ries (S. 167-180) bei.

Auch Turfantexte erhalten ihren gebührenden Platz. W. Sundermann zeigt, daß es iranische Kephalaiatexte gibt (S.305-318). M. Hutter gibt Überlegungen zu den Lehrschriften Manis (S. 285-304), die er in seinem an anderer Stelle bespro¬

chenen Buch ausgearbeitet hat.

P. Zieme teilt Beobachtungen mit, die er anhand von türkischen Turfantexten gemacht hat (S. 319-327).

Über neue Forschungen zum chinesischen Manichäismus äußern sich Geng

Shimin (S. 98-104) und Lin Wushu (S. 342-355). P. Bryder nimmt von da aus

Stellung zur Problematik der Verbreitung des Manichäismus und der dabei etwa entstehenden Variation (S. 334-341).

Zu Hauptproblemen manichäischer Theologie beziehen Stellung G. Wiessner:

Zur Offenbarung im Manichäismus (S. 151-158), H.-J. Klimkeit: Die manichäische

Lehre vom Alten und Neuen Menschen (S. 131-150) sowie G.Casadio: The Mani¬

chaean Metempsychosis: Typology and Historical Roots (S. 105-130).

Manichäische Lehre in der Omajjadenzeit teilt M.Browder mit (S. 328-333).

Wie Theodoret von Kyros nicht nur in seinem Antihäretiker-Kompendium, son¬

dem auch im Pauluskommentar sich zu Manis Lehre äußert, behandelt A. Viciano (S. 198-212), ein koptisches Antimanichaikon bei Schenute von Atripe W. Klein (S. 367-379). L. CiRiLLO geht der Frage nach, warum das in Turfan gefundene Fragment des Hirt des Hermas aus Sim. IX in die manichäische Literatur gekom¬

men ist (S. 189-197). R.N. Frye gibt einige Mitteilungen zu Handschriftenkunde und Literaturgeschichte (S. 93-97).

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Der Band ist sowohl für Philologen wie Religionshistoriker sehr interessant. Da die Beiträge so ziemlich alle Gebiete der Forschung angehen und die Diskussion

sowohl über Grundfragen als auch Einzelprobleme im Manichäismus noch nicht

abgeschlossen ist, geben sie manchen Anlaß zu weiteren Überlegungen. Wegen

der großen Zahl der Beiträge ist eine solche Diskussion an dieser Stelle aber nicht durchführbar. Aber auch unabhängig davon ist das Buch, das auch ein ausführ¬

liches Autoren- und Stellenregister enthält (S.381 -385 bzw. 387-400), wegen sei¬

ner Forschungsbreite zur Lektüre sehr zu empfehlen.

Alexander Böhlig, Tübingen

W.F. G.J. Stoetzer: Theory and Practice in Arabic Metrics. Leiden 1989. XVI, 201 S., 1 Abb., 8° (Publications van het Oosters Instituut; 1). ISBN 90-72865-01-4.

Die Diskussion darüber, ob die altarabische Metrik nur quantitierend sei oder mit einem zusätzlichen Druckakzent versehen, hat eine lange Geschichte. Mit G. Weils These, daß al-Halll durch seine metrischen Kreise einen Iktus habe zeigen wollen, und mit Weils Kritikem schien sie vorerst in eine Sackgasse geraten zu sein. Stoetzers Arbeit, die wesentlich an der poetischen Praxis orientiert ist, führt aus dieser Sackgasse wieder hinaus. Sie enthält eine ausführliche Erörtemng der Halil'schen Kreise unter dem polemischen Titel 'Metrics of a non-Existing Literature' (14ff) und eine Kritik der Theorie von Weil, wobei der Verf. seine Argumente aus der Untersuchung eines begrenzten Corpus früher Texte, al-Mu- faddaliyät, gewinnt. Die Realisiemng des metrischen Idealtypus und seiner Va¬

rianten durch die arabischen Dichter zeigt eine erstaunliche Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. In einer sorgfältigen, bisweilen etwas umständlichen Beweis¬

fühmng, bei der kein Schritt ausgelassen wird und kein möglicher Einwand un¬

berücksichtigt bleibt, widerlegt Stoetzer Weils These und macht wahrscheinlich, daß al-Halil durch seine Kreise bestrebt war, die metrische Vielfalt auf ein Mini¬

mum zu reduzieren. Dabei scheint er sich von der Praxis so weit entfernt zu haben, daß er aus Gründen der Systematisierung ein künstliches Metmm einführte {al- mudäri') und ein existierendes Metrum (abmutadärik) ausließ.

Stoetzers Arbeit enthält jedoch mehr als eine Kritik der Iktustheorie. Ihr wich¬

tigstes Ergebnis löst auf verblüffende Weise die Probleme, die sich bei Annahme einer rein quantitierenden Metrik im altarabischen Vers ergeben. Es ist die Postu¬

liemng einer Null-Quantität der isolierten kurzen Silbe, bei der sich der Verf. auf ein ähnliches Phänomen im Spanischen und im Italienischen (sinalefa/e) bemfen kann (S.l 26 ff.). Danach wird eine kurze Silbe nur dann gezählt, wenn sich zwei Kürzen folgen, so daß sich in Stoetzers Formel (S = Short; L = Long) die Werte

ergeben: S = 0;L=1;SS = 1. Daraus folgen die metrischen Gleichungen: LL

= SSL = LSL. Mit dieser Lösung lassen sich die Unterschiede in Silbenzahl und

Quantität bei der Realisiemng der einzelnen Metren und ihrer Varianten fast

vollständig aufheben. Die Arbeit enthält eine Reihe weiterer Einsichten, die für die Geschichte der arabischen Metrik von Interesse sind, so u.a. den Nachweis, daß die Termini qasid, ramal, ragaz und haßf vor al-Halil formal zu definierende Gattungsbegriffe gewesen sind. Stoetzer hat sich im übrigen bei seiner Argumen¬

tation nicht allein auf die Dichtung bezogen, sondern zum Teil unedierte metri-

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sehe Traktate berücksichtigt. Er bietet in den Appendices, neben der vollständigen Analyse der Metren in den Mufaddaliyät, die Edition und Übersetzung eines kurzen Textes von Ibn Barrl (st. 1330) über den zihäf. Das Buch ist ein bedeuten¬

der Schritt in der Erforschung der arabischen Metrik und demonstriert in ein¬

drucksvoller Weise, wie unerläßlich es ist, die mittelalterliche Theorie und die Praxis der Dichter miteinander in Beziehung zu setzen.

Renate Jacobi, Saarbrücken

Harald Motzki: Die Anfänge der islamischen Jurisprudenz. Ihre Entwicklung in Mekka bis zur Mitte des 2./8. Jahrhunderts. Stuttgart 1991. 292 S. (Abhandlun¬

gen für die Kunde des Morgenlandes. Bd. 50,2), ISBN 3-515-05433-2.

Eine Studie wie diese Habilitationsschrift - vorgelegt im Fachbereich Orienta¬

listik der Universität Hamburg 1988/89 - war schon, um dies gleich zu Beginn einer kurzen Rezension vorwegzunehmen, längst überfällig. Insbesondere die Grundlagenforschung im Bereich des Fiqh bedarf seit J. Schachts Origins ... (zwi¬

schen 1950-1967 mit immerhin vier z.T. erweiterten und korrigierten Auflagen!) einer konsequenten Aufarbeitung des nunmehr zugänglichen neuen Materials.

'Abd al-Razzäq's Musannaf - die Grundlage von Motzkis begrüßenswerter Stu¬

die - ist erst seit 1970 im Druck zugänglich. Der Verf zieht die thematischen Grenzen seiner Studie - wohl nicht ohne Absicht - eng; in seinen Betrachtungen über die Authentizitätsfrage früher Rechtsdicta beschränkt sich das Buch auf die nikäh/taläq-VvobXemdAtk (Bd. VI-VII). Ob die Ergebnisse der Analyse sich auf andere Rechtsthemata übertragen lassen, werden zukünftige Studien zeigen. Aber wie die Dinge heute liegen, welch umfangreiches Material außerhalb des Musan¬

naf m bisher nur sporadisch gesichteten Handschriften auf Aufarbeitung wartet, weiß man schon seit einiger Zeit und betrachtet daher diese thematische Eingren¬

zung als ein notwendiges Übel, mit dem man weiterhin leben muß, es sei denn, man ignoriert die literarhistorische Existenzberechtigung des gesamten frühen Schrifttums und Überlieferungswesens zu Beginn des 2. Jahrhunderts d.H. und möglicherweise um einige Jahrzehnte davor.

Anhand zahlreicher Beispiele setzt der Verf die Anfänge der isl. Jurisprudenz um 50-75 Jahre früher als Schacht an. Dies ist gerade anhand des neuen Mate¬

rials, hier speziell für die mekkanische Rechtssprechung, nicht selten auch der Fall. Um dies im einzelnen darzulegen, hätte man eines regelrechten Feldzuges gegen Schachts immer neu wiederholte Thesen (nicht nur zu Beginn des Buches, S. 22 ff) m. E. allerdings nicht bedurft. Denn der Verf selbst bestätigt das Überge¬

wicht von Gelehrten-Dicta und ra'y gegenüber einer (damals in der Tat geringe¬

ren?) Anzahl von Prophetenhaditen. Indirekt heißt dies aber auch, daß „the back¬

ward growth of isnads" {Origins 165) keineswegs uneingeschränkt falsch ist.

Die Grenzen, die bei der Datierung und Zuordnung von Dicta wie unüberwind¬

bare Barrieren sichtbar werden, sind dem Verf - etwa in der Überlieferungsstufe bei Ibn 'Abbäs als grundlegender Autorität des mekkanischen Fiqh - durchaus bekannt (S. 256-57 und passim). Ibn 'Abbäs-Hadite als Prophetendicta kannte man um jene Zeit ja reichlich; al-Humaidi (bis 219 d.H.), 'Abd b. Hamid (bis 249/863 - s. Ms Berlin 1261/Landberg 74), aber auch der etwas spätere Abü Ya'lä

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(bis 307 d. H.) wären noch im Vergleieh zu 'Abd al-Razzäq und Ibn Hanbal zu untersuchen.

Der Verf. tritt vorbehaltlos für die Echtheit von Dokumenten ein, die allerdings von Fall zu Fall einer näheren inhaltlichen Überprüfung bedürfen. Die Beweis¬

führung über die Unechtheit solcher Dokumente überläßt er m. E. zu leichtfer¬

tig der Gegenseite. In aller Kürze sei hier nur auf das Testament von 'Ali hinge¬

wiesen (S. 175-76) welches bei 'Abd al-Razzäq (Nr. 13213) 'Amr b. Dinär nach allen Regeln der Kunst (ammä ba'd - Zeugen - Datum: Gumädä, aber welcher?

- Jahr) überliefert. 'Amr b. Dinär kann ein solches Schriftstück durchaus gekannt haben; nur hält es einem inhaltlichen/zeilensynoptischen Vergleich mit der Va¬

riante von 'Atä' b. Abi Rabäh (Nr. 13212) in keiner Hinsicht stand. Zugleich weist

es aber weitgehende Gemeinsamkeiten mit der Rechtsauffassung um die erste

Jahrhundertwende auf Warum also nicht umgekehrt? Es ist doch naheliegend, durch ein fingiertes Testament, dessen Herkunft im dunkeln bleibt, etwas inhalt¬

lich Verwandtes gerade zu den Ibn 'Abbäs zugeschriebenen Äußerungen zu schaf¬

fen. Wie man mit einem solch wichtigen „Dokument" umging, zeigt die stark paraphrasierte Variante bei Ibn Abi '1-Hadid (Sarh nahg abbaläga 4/575. Ed.

al-Saih Hasan Tamim. Beirut 1964), der die wasiya nach Siffin datiert; somit sind Ortung, Datierung, Ja auch der Anlaß nicht gesichert. Nur zu gern können 'Atä'

und 'Amr b. Dinär ein solches Dokument zur Stütze ihrer eigenen Lehren in

Umlauf gebracht haben. Die nahezu perfekte urkundliche Form spricht nicht un¬

bedingt für die Echtheit; die Fuqahä' jener Zeit waren keine Anfänger. Vielmehr konnten sie Vorgefundenes aufstocken. Fehlendes ergänzen und je nach Bedarf verändern. Kurz: Varianten im Vergleich - eine Aufgabe für sich.

Zugleich scheint mir jedoch die Auffassung, daß die Möglichkeit der Fälschung bei „stilistisch so unterschiedlichen Texten" (S. 188 mit Beispielen) a priori auszu¬

schließen sei, nicht generell vertretbar zu sein. Dies ist aber bei der Breite der Untersuchung über die bekannten mekkanischen Vertreter des Fiqh sekundär. Das Ergebnis läßt sich sehen: seit dem Erscheinen von 'Abd al-Razzäqs Werk (1970) ist hier erstmalig eine thematisch begrenzte Analyse über die Echtheitsfrage in der frühen Jurisprudenz um die erste Jahrhundertwende - denn das Werk selbst führt uns zweifelsfrei in jene Zeit zurück - konsequent durchgeführt worden.

Es wäre zugleich sehr nützlich gewesen, wenn der Verf in seinen scharfsinnigen Analysen auch auf andere Quellen zurückgegriffen hätte. Die mehrfach beleuch¬

tete Rechtsmaxime „abwalad libfiräs ..." hat man offensichtlich schon damals sehr differenziert diskutiert*. Der Mekkaner 'Amr b. Dinär weiß sogar von einer sahifa zu berichten, die Abü '1-Sa'tä' (Gäbir b. Zaid) besaß und die an Ibn 'Abbäs gerichtete masä'd zu diesem Problem beinhaltete (Ibn 'Abd al-Barr: al-Tamhid li-mä fll-Muwatta\.. 8/192. Rabat 1980; siehe dort die ings. zwanzig (!) Seiten starke Sammlung von Quellen zu der Frage). Die Erfassung von Varianten können bei der Rekonstruktion früher Entwicklungsstufen durchaus hilfreich sein, denn daraus ergeben sich nicht selten Rückschlüsse auf die Textgestaltung selbst.

Und schließlich: wie wares um die gegenseitige Einflußnahme zwischen Mekka und Medina in der spätumayyadischen Zeit bestellt? Über die Zeit vor Mälik b.

Anas wissen wir heute noch zu wenig. Sein Name und sein Mt/wa/to'überlagern frühere Gelehrtenaktivitäten. Verfuhr man im Bereich der 'ibädät - bei deren Analyse im übrigen wohl andere Maßstäbe anzusetzen sein werden als hier - etwa

• Siehe darüber vom Verf in: JNES 50/1991/16ff

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unterschiedlich? Vieles deutet schon heute auf eine solche Entwicklung hin. Dies in den Griff zu bekommen, wird mit 'Abd al-Razzäq's Musannaf nicht zu bewäl¬

tigen sein. - Des Verfassers Aufgabe und Absicht war dies ohnehin nicht; sein Buch wirft, gottlob, viele Fragen auf, mit denen sich die Grundlagenforschung im Bereich des Fiqh und Hadit auseinanderzusetzen hat. Die zukünftige Fiqh-For¬

schung wird in diesem Bereich noch einiges zu leisten haben; Grundsätzliches hierzu hat der Verf. begrüßenswerter Weise im Nachwort {S.265) seines Buches bereits genannt.

Miklos Muranyi, Bonn

Frank Henderson Stewart: Texts in Sinai Bedouin Law. Part 1: The Texts in

English Translation with the assistanee of Haim Blanc and Salamih Hsen, Part 2: The Texts in Arabic, Glossary, with the assistanee of Haim Blanc and Sala¬

mih Hsen. Faculty of Humanities, Tel Aviv University. Wiesbaden: Otto Har¬

rassowitz 1988 (Part 1), 1990 (Part 2). 232 S. (Part 1), 348 S. (Part 2). (Mediter¬

ranean Lanugage and Culture Monograph Series, Vol. 5, edited by Alexander Borg, Sasson Somekh, Paul Wexler, published under the auspices of the Irene Haimos Chair for Arabic Literature and the Department of Linguistics).

Die zweiteilige Monographie, erschienen im Englischen und transliteralisierten Arabischen, versteht sich als Beitrag zur Erkenntnis einer Rechtskultur in der

Tradition von modemen Anthropologen wie Franz Boas und Bronislaw Mali¬

nowski. Sie wurde durch die originale Aufnahmesprache während mehrerer For¬

schungsaufenthalte des Autors von 1976 bis 1982 unter den Ahäyawät-Beduinen in zentralen Sinai-Stammgebieten erstellt. Der Autor stellt diese Sammlung über¬

wiegend aus Erzählungen über juristisch klagbare Konflikte als Vorgänger zweier später zu erscheinender Werke über „Rechtswesen eines beduinischen Stammes"

und „Fälle im beduinischen Recht" dar. Aber die jetzige Veröffentlichung betrifft nur 1 bis 2 Prozent aller gesammelten Fälle. Sie wurden auf Gmnd ihres Alltags¬

sprachstils ausgewählt, nicht als hervorzuhebende Beispiele des juristischen Sprachstils der Ahäyawät. Von daher sind die Texte eher für Linguisten als Juri¬

sten interessant. Trotzdem umfaßt das Inhaltsverzeichnis nur die juristischen Aspekte.

Das erste Kapitel befaßt sich mit einer Nebenklageeinrichtung wegen Beleidi¬

gung im Verlauf eines Streits über territorialen Zugang und schließt ab mit dem Urteil in Sachen dieser Nebenklage.

Das zweite Kapitel unter der Rubrik „Hausfriedensbrach" endet mit einem Schadensausgleichsurteil. Das Urteil begünstigte nicht nur den Hausherrn, son¬

dem auch seinen Schützling, eine Frau, die aus Krankheitsgründen ihre Haus¬

haltspflichten nicht erfüllen konnte, und deshalb von ihrem Mann verprügelt wurde.

Im dritten Kapitel über Schutzverträge, betitelt „Blutmäßige Zugehörigkeit", wird wieder die Nebenklage wegen Beleidigung des Klanhauptvertreters ausführ¬

licher dargestellt als die Hauptsache, die Vollstreckung wegen Vertragsbmchs. Es wird lediglich über ein vorläufiges Urteil erzählt. Ob es ein endgültiges Urteil gibt, bleibt ungeklärt.

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Das folgende Kapitel über Schutzverträge enthält keine Aufnahme von Ge¬

richtsverfahren vor Richtern, sondem Erzählungen von Parteien oder Zeugen über ihre Version des Verfahrens. Ob die Erzählungen dem entsprechen, was vor dem Richter geschah, wird nicht klargemacht. Es ist sicher vorstellbar, daß eine Auf¬

nahme der Version des Richters linguistisch gesehen weniger interessant sein könnte als die Erzählungen von den betroffenen Parteien. Weitere Beispiele schil¬

dem Vorverhandlungen, Schlichtungsverfahren zum Zwecke der Präzisiemng von

Streitfragen sowie Vereinbamngen über Klanbürgschaften zur Sicherung der An¬

wesenheit der streitenden Parteien vor dem Richter und eventueller Vollstreckung des zu erwartenden Urteils in einer Gesellschaft, in der traditionellerweise die Polizei abwesend ist oder, wenn anwesend, nur als Vertreter des fremden Staates gesehen wird.

Im nächsten Kapitel geben die Erzählungen zum Thema Bodenstreit provisori¬

sche Urteile betreffend Beweisfordemngen, Information über die Verschiedenheit der Charaktere der Richter und die Spezialisiemng der Richter auf Fachgebiete wieder. Zur Sprache kommt auch das Recht der betroffenen Parteien, einen Rich¬

ter unter den Fachleuten auszuwählen, und deren Recht auf Ausgleich eines Scha¬

dens, der wegen Einschalten einer Partei der unbeliebten Staatsgewalt in einem Streit unter den Beduinen entstanden ist.

Zur Sache Grenzstreitigkeiten im nächsten Kapitel sind nur Dokumente ohne Datum, jedoch keine Fälle präsentiert, die mehrere Vereinbamngen über Grenz¬

linien, Bürgschaften und Schwurprozeduren enthalten.

Laut Titel des folgenden Kapitels bekommen wir Einblick in die Sache „Vieh¬

raub". Die Texte selber jedoch bieten mehr über Bürgschaftsrecht. Das Urteil im Text ist knapp und unbegründet.

Im letzten Kapitel, betitelt „Frauen", erklärt der Autor, daß er zu spät für das richterliche Verhör ankam und sich mit einer Wiederholungserzählung vom Onkel der entführten Ehefrau (wegen fehlender Mitgift) zufriedengeben mußte. Neben¬

sachen, wie Auswahlkriterien für den Revisionsrichter, Frauen als Zeugen und Gerichtskosten, aber werden hervorgehoben.

Im allgemeinen sind die Fußnoten im arabischen Band ausführlicher als im

ersten Band. Nur durch mühsamen Vergleich der Fußnoten in beiden Bänden sind Unklarheiten in den Texten zu verstehen. Was aus allen Texten aus juristischer Sicht deutlich hervorgeht, ist die riesige Aufgabe der beduinischen Richter und Advokaten, die Hauptklage und die Nebenklage zu definieren und voneinander zu unterscheiden, sowie die nötige Beteiligung aller Stammesmitglieder an der Aufrechterhaltung des Rechtssystems.

Für die zukünftigen Bände über Rechtsregeln unter den Beduinen wird es im

Interesse einer objektiveren Darstellung der Rechtsfälle nötig sein, einen Ver¬

gleich zwischen den verschiedenen Informationsquellen (Richter, Advokaten, Zeugen, Parteien, Klanführer) anzustellen. Die Informanten des Autors in den bisher erschienenen Bänden waren in fast allen Fällen Parteien, die eigene Inter¬

essen vertraten. Die Authentizität der Rechtsregeln kann deshalb in Frage gestellt werden.

Chris Jones, Bayreuth

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Claude Gilliot: Exegese, langue et theologie en Islam. L'exegese coranique de Tabari. Paris: Librairie Philosophique Vrin 1990 (Etudes musulmanes XXXII).

320 S., brosch. 252 Ff. ISBN 2-7116-1033-0

Als Muhammad starb, gab es den Koran als das Zeugnis seiner Botschaft und als einende Mitte einer verhältnismäßig kleinen Schar von Gläubigen. Dreihun¬

dert jahre später war eine gewaltige Landmasse mit Völkern unterschiedlicher Kultur unter islamische Herrschaft geraten, und sie alle wurden dureh eine isla¬

mische Zivilisation geprägt, die auf der koranischen Botschaft errichtet worden war; dieser war also eine weithin gebilligte Auslegung menschlicher Verhaltens¬

normen und Wertvorstellungen abgewonnen worden. Wie dies geschah, ist noch kaum bekannt. Ja es ist in der Forschung nur ab und an gesehen worden, daß hier einer der wichtigsten Gegenstände der Islamwissenschaft liegt.

In der vorliegenden Untersuchung über at-Tabari und seinen Korankommentar bildet diese Frage das Leitmotiv: Wie hat man im frühen Islam den Koran gelesen, wie hat man ihn ausgelegt, und wie hat man mittels dieser Auslegung die Gesamt¬

heit der Lebenswirklichkeit auf diesen Text bezogen? Man kann diesen Vorgang zunächst an ganz äußerlichen Indizien ablesen. At-Tabari sieht sich bisweilen genötigt, zwischen mehreren Lesarten einer bestimmten Textstelle zu „wählen"

(ihtära). Als Kriterien für seine Wahl nennt er 1. die Üblichkeit und Korrektheit einer Ausdrucksweise; 2. die aus dem Textzusammenhang erhellende nächstlie¬

gende Bedeutung; 3. den Konsens der alten Koranlehrer, und zwar in Fällen, in denen die von ihnen bevorzugte Lesung eine grammatische Härte enthält. At-Ta¬

bari „wählt aus", genau wie es die großen Meister der Koranwissenschaft vor ihm taten, und seine Kriterien dürften im wesentlichen auch die ihrigen gewesen sein.

Trotzdem bedeutet im Hinblick auf den soziokulturellen Hintergrund, vor dem at-Tabari zu sehen ist, „auswählen" bei ihm etwas anderes als bei den Altvorde¬

ren: At-Tabaris „Auswahl" konstituiert keine neue Lesart des Korans; sie bleibt eine vielleicht beachtenswerte. Jedoch die späteren Generationen zu nichts ver¬

pflichtende Variante; verpflichtend für sie sind nach wie vor die Altvorderen und deren Pionierleistungen. Was Männer wie at-Tabari hervorbrachten, mochte es von noch so viel Gedankenfülle und Schärfe des Geistes zeugen, errang lediglich das Ansehen von Variationen eines inzwischen gefestigten Ganzen (155). Zu Recht beharrt der Verf gegen Bergsträsser darauf daß es at-Tabari in seiner Arbeit am Koran und seiner Auslegung nicht vordergründig um die Harmonisierung unterschiedlicher, auch gegensätzlicher Ansichten gegangen ist. Das wäre nur folgenloses Spiel des Intellekts! Es geht um das „Vereinen, um der Gruppe einen Konsens zu verschaffen, der ihre Eintracht gewährleistet, und es geht darum, alles das als Anomalie oder Unregelmäßigkeit zu brandmarken, was einem - wenn auch noch so zerbrechlichen - Konsens entgegensteht, der erst insofern existiert, als das Bewußtsein gegeben ist, daß er existiere" (161). Es ist in der islamischen Gesell¬

schaft, der at-Tabari angehört, die Überzeugung herangewachsen, es gebe einen allseits für richtig empfundenen Durchschnittsislam, dessen Inhalt Jedoch noch nicht klar umrissen ist - und da es sich um einen Durchschnittsglauben handelt, wohl auch nie klar umrissen werden kann. At-Tabaris Koraninterpretation wird von der Berufung beflügelt, dessen Inhalt zu umschreiben - wobei zuzugestehen ist, daß andere aus der gleichen Überzeugung heraus arbeitende Autoren zu in

Teilbereichen abweichenden Lösungen kommen; da diese Lösungen Jedoch vor

demselben soziokulturellen Hintergrund zu betrachten sind, tragen sie nur mehr, wie schon angedeutet, den Charakter von Varianten. - Gilliot hat sich, wie an

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diesem einen Gesichtspunkt dargelegt, ein weit über das bisher Erreichte hinaus¬

weisendes Verständnis vom Wesen des tafsir erarbeitet, das in mannigfacher Hin¬

sicht für die eingangs skizzierte Kernfrage der Islamwissenschaft fruchtbar ge¬

macht werden kann.

Gilliot nähert sich dem Korankommentar at-Tabaris von der Biographie des Verfassers her und unterscheidet den Bildungsgang, den die Lehrer vermittelten, von den wichtigen Zeitströmungen, die ebenfalls auf at-Tabari eingewirkt haben müssen. Es schließt sich eine ausführliche Sichtung der Titel seiner Werke, der echten und der ihm nur zugeschriebenen, an. Der zweite Teil, der den Titel

„Langue et coran" trägt, dient der Entfaltung und partiellen Beantwortung des umrissenen Kernproblems des Buches. Gilliot erörtert, mit vielen Beispielen sei¬

nen Gedankengang veranschaulichend, die Beziehungen zwisehen der Wissen¬

schaft der Koranlesarten und der arabischen Grammatik; daß letztere in enger Beziehung mit der „Institutionalisierung" des Islams gesehen werden muß, ist in

jüngster Zeit auch von anderen Autoren erkannt worden, worauf Gilliot aus¬

drücklich verweist (169). Das Fazit seiner Analyse der Nutzung der Grammatik durch den Koranausleger at-Tabari lautet: Die Ansichten der „alten" Interpreten haben Vorrang vor solchen Auffassungen, die sich auf den arabischen Sprachge¬

brauch stützen (202). Der Prozeß der Islamisierung der Gesellschaft ist also un¬

trennbar mit der Abscheidung einer arabischen Gelehrtensprache vom alltäglich gesprochenen Wort verknüpft.

Die gleiche Geisteshaltung - Beschwörung einer einenden, auf die „Alten"

zurückgeführten Überlieferung - kennzeichnet selbstverständlich den dogmati¬

schen Gehalt der Koranauslegung at-Tabaris. Gilliot stellt die Aussagen des Kommentars zu den wichtigsten theologischen Streitfragen zusammen und kommt wieder auf die schon genannte These zurück, es sei at-Tabari nicht darum gegan¬

gen, einen harmonisierten Mittel-Islam zu schaffen. Vielmehr habe er nach der Begründung einer Art von „Orthodoxie" gestrebt, die sich nicht allein in bestimm¬

ten theologischen Sätzen ausdrückt, sondern ein Spektrum bestimmter Werte und Ziele als unanfechtbar betrachtet. Gahmija, Murgi'a und viele andere sogenannte Glaubensrichtungen des frühen Islams sind je für sich Versuche einer umfassen¬

den Auslegung der prophetischen Botschaft gewesen. Im gegenseitigen dogmati¬

schen Streit haben sie jedoch ihre Plausibilität eingebüßt, weil sie gezwungen waren, ihre Grundüberzeugnungen, mit denen sie sich gegeneinander abgrenzten, bis ins Absurde zuzuspitzen - und so verkümmerten sie zu Minderheitenpositio¬

nen. Dies ist der Entwicklungsstand, unter dem at-Tabari sie wahrnimmt. Er dient ihm als der dunkle Hintergrund, vor dem seine auf die Ansichten der Altvorderen gegründete „Orthodoxie" desto heller erstrahlen kann.

Eine Besprechung kann nur die leitenden Ideen dieser ausgezeichneten, gedan¬

kenreichen Studie herausstellen, deren Lektüre mir immer wieder neue Erkennt¬

nisse vermittelt hat. Gilliot belegt alle seine Ausführungen mit reichhaltigem Material. Der Leser verliert dennoch nicht die Übersicht, denn er wird immer wieder zum Wesentlichen zurückgeführt. Ich hoffe, daß dieses Buch anregend wirken und der Erforschung der ersten Jahrhunderte islamischer Geschichte zu weiteren fruchtbaren Fragen verhelfen wird.

Tilman Nagel, Göttingen

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[Ehsan Yarshater] Iranica Varia - Papers in Honor of Professor Ehsan Yarshater.

Leiden: Brill 1990. (Acta Iranica - Eneyclopedie permanente des etudes iranien¬

nes publiee par le centre international d'etudes indo-iranien 30: troisieme serie - textes et memoires, volume XVI).

Viele französische bzw. im frankophonen Kulturbereich erseheinende gelehrte Werke zeichnen sich unter bibliographischen Gesichtspunkten dadurch unange¬

nehm aus, daß ihre Titelaufnahme durch komplizierte Zuordnungen zu oft genug langatmig benannten Reihen und Unterreihen, durch Doppel- oder Mehrfachzäh¬

lung der jeweiligen Bände etc. die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht und auch überschreitet. Für den vorliegenden Band trifft diese Beschwerde durchaus zu, verschärft durch den Umstand, daß die nahezu drittelseitige Präsentation der verstorbenen und lebenden Mitglieder des Internationalen Komittees des im Titel der Reihe genannten Centre international d'etudes indoiraniennes im Impressum die Nennung des (der) Herausgeber(s) nicht ersetzt. Bibliothekaren und Biblio- theksbenützern wird durch derlei antidjuiert anmutenden Pomp fürwahr nicht ent¬

gegengekommen !

Diese seit langem immer wieder zu hörende Klage ist mithin (endlich!) schriftlich fixiert worden. Nunmehr soll jedoch auf den Inhalt der vorliegenden Festschrift für den viele Jahre an den Universitäten Teheran und Columbia (New York) tätigen Altmeister der iranischen geisteswissenschaftlichen Erforschung der iranischen Kultur, Professor Ehsan Yarshater, eingegangen werden. Die Vita des Gelehrten wird in einem fUnfzehnseitigen Beitrag von Mary Boyce und Gernot Windfuhr vorgestellt, der von wissenschaftlicher Wertschätzung und persönlicher Verehrung durchdrungen ist, die die beiden Autoren dem Jubilar entgegenbringen. Das daran angeschlossene Verzeichnis der Werke Yarshaters weist sechzehn Monographien,

97 Aufsätze und 24 Rezensionen auf Ohne die soeben erwähnte Laudatio hier

wiedergeben zu wollen, ist hervorzuheben, daß Yarshater auf dem Gebiet der Wissenschaftsorganisation Jahrzehnte hindurch alle Bereiche der geisteswissen¬

schaftlichen Forschung innerhalb Irans maßgeblich gefördert und in den letzten fünfzehn Jahren in Amerika mit großem Erfolg vergleichbare Aktivitäten entwickelt hat. Seine eigenen Forschungen umfassen unterschiedliche Gebiete wie iranisch-is¬

lamische Geistesgeschichte, die Kulturgeschichte des vorislamischen Irans, persi¬

sche Literaturgeschichte und linguistische Analyse neuiranischer Dialekte. Eine Reihe der Beiträge schließt durchaus an das üppige Oeuvre Yarshaters an, insbe¬

sondere über neuiranische Sprach- und Dialektforschung einschließlich jüdisch¬

persischer Themen (Asmussen, Doerfer, Eilers, Lazard, Netzer, Shaked, Thor¬

darson, Vahman und Asatrian). Beiträge aus der islamischen (Bosworth,

Hanaway, Madelung, Rosenthal, Spuler) und vorislamischen Geistes- und Kul¬

turgeschichte Irans (Boyce, Choksy, Gnoli, Irani, Negahban, Rüssel, Shahbazi) sind gleichfalls den wissenschaftlichen Interessen Yarshaters beizuordnen. In quantitativer Hinsicht ist der Bereich der persischen Literaturgeschichte erstaunlich schwach vertreten; von Jerome Clinton stammt ein Beitrag zur Erforschung der frühneupersischen Epik, Hamid Dabashi und G. Michael Wickens befassen sich mit Themen der persischen Gegenwartsliteratur. Hervorzuheben ist Eckart Eh¬

lers' kulturgeographischer, kritischer Beitrag zur Erforschung der islamischen Stadt, in dem er die Notwendigkeit hervorhebt, diesem Forschungsbereich vertiefte Kenntnisse des islamischen Rechts, islamischer gesellschaftlicher und ethischer In¬

stitutionen (als Beispiel wird das Stiftungswesen näher behandelt) etc. zugrunde zu legen. Der Begriff der „islamischen Stadt" sei dadurch von phänotypischen Erschei-

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nungen abzulösen und näher an strukturelle Erwägungen heranzubringen. Zsig¬

mond Telegdy verdanken wir einen wissenschaftsgeschichtlichen Beitrag, in dessen Zentrum Wilhelm von Humboldt und seine Überlegungen zur Sprachentwicklung stehen (daß es sich tatsächlich um Wilhelm und nicht um seinen Bruder handelt, ist dem uninformierten Leser nur durch mühsames Durchforsten der Fußnoten möglich, da in dem Artikel durchgehend nur von Humboldt die Rede ist).

Demgegenüber ist das Feld herkömmlicher alt- und mitteliranischer Sprachwis¬

senschaft sehr stark vertreten. Keine Frage, daß das all-round-Genie Yarshater diesem Gebiet der Iranforsehung wie vielen anderen eng verbunden ist! Im Ver¬

gleich mit der schwach vertretenen persischen Literatur und der überhaupt nicht repräsentierten historischen Forschung ruft die Präsenz von nicht weniger als sie¬

ben sprachwissenschaftlichen Beiträgen zur Alt- und Mitteliranistik (Bailey, Dan¬

damayev, Emmerick, MacKenzie, Schmitt, Schwartz, Sims-Williams) allerdings einiges Staunen hervor. Der Eindruck ist kaum abzuweisen, daß diese Gewichtung nicht so sehr dem Forschungsinteresse des Jubilars als dem des eingangs erwähn¬

ten Internationalen Komittees des den Band herausgebenden Centre international d'etudes indo-iraniennes entgegenkommt, dessen Besetzung eindeutig vorislamisch und sprachwissenschaftlich dominiert ist. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sich der zu Feiernde über jeden dieser wertvollen Beiträge gefreut hat! Die internationale und interdisziplinäre, Professor Yarshater aufs engste verbundene Iranforschung hätte sich allerdings auch darüber gefreut, wenn sich die Heraus¬

geber dieser Festschrift etwas mehr darum bemüht hätten, das breite Interessen¬

spektrum des großen Gelehrten durch genauso breite thematische Vielfalt der Beiträge widerzuspiegeln.

Diese Rezension wurde durch eine Formalien betreffende Kritik eingeleitet, sie soll auch mit einer solchen abgeschlossen werden. Die meisten Beiträge zu Yar¬

shaters Festschrift wurden auf Englisch verfaßt; Gilbert Lazard hat seinen Bei¬

trag auf Französisch geschrieben, außerdem enthält der Band vier Beiträge in deutscher Sprache. Sicherlich hat niemand etwas gegen die Aufnahme deutsch geschriebener Artikel in einen derartigen Sammelband einzuwenden; es sollte aber auch seitens der Herausgeber die Bereitschaft bestehen, deutsche Beiträge angemessen lektorieren zu lassen und nicht - so wie etwa den Beitrag Bertold Spulers - mit so vielen Fehlern in den Druck gehen zu lassen, daß nicht nur die ästhetischen Empfindungen der Leser beleidigt werden, sondern der Text an man¬

chen Stellen nicht mehr zu verstehen ist. Die eingangs angeregte Beschränkung der Herausgeber bei den nahezu barock anmutenden Nennungen von Titeln, Rei¬

hen, Unterreihen, Zentren, Kommissionen und Komittees könnte vielleicht größe¬

rer Sorgfalt im redaktionellen Bereich zugute kommen!

Bert Fragner, Bamberg

Karl Hoffmann, Johanna Narten: Der Säsänidische Archetypus. Untersuchungen zu Schreibung und Lautgestalt des Avestischen. Wiesbaden, Reichert, 1989. 98 S.

DM 62,-. ISBN 3-88226-470-5.

Das Werk, an dessen Zustandekommen J. N. entscheidenden Anteil hat, faßt frühere Arbeiten von K. H. zusammen, erweitert deren Dokumentation und fügt Neues hinzu. Mit dem Titel gemeint ist der verlorene Säsänidische Archetypus des

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Avesta, das schrifthch fixierte Ergebnis von dessen Sasanidischer Redaktion. De¬

ren Ziel war es, die auch weiterhin gepflegte mündliche Tradition für alle Zeiten zu sichem. Dem diente ein eigens zu diesem Zweck aus der zeitgenössischen Pahlavischrift entwickeltes, hochdifferenziertes phonetisches Alphabet. Dieses enthält eine Reihe von Buchstaben, die wir selbst in der von K.H. eingeführten wissenschaftlichen Tradition normalerweise nicht mehr berücksichtigen {ä, a, rf.

g, n, rp, y). Die meisten von ihnen tauchen in unseren Handschriften nur noch gelegentlich auf und sind in der Regel durch uns geläufigere Schreibungen ersetzt {maniwus dXso durch maniiäus oder mainiiäus). In diesem Verlust an graphischer Differenziemng spiegelt sich eine Verwahrlosung der mündlichen Tradition wi¬

der, die mit dem Einbruch des Islams begann und zu einer undifferenzierten

„Vulgataaussprache" führte. Begonnen hatte dieser Verlust bereits im „Hyparche¬

typus" (engl, „subarchetype"), jene dem 9. Jh. zuzuschreibende, verlorene Mutter unserer sämtlichen Avestahandschriften. Damit erklärt K. H. in genialer Weise die orthographischen Merkwürdigkeiten der letzteren, die immer wieder Anlaß zur Verwundemng gaben und schließlich auch den Ausgangspunkt für die unglück¬

selige schriftgeschichtliche Theorie von F. C. Andreas bildeten, welche die Ave- staforschung ein halbes Jahrhundert lähmte.

Leider bleibt die geographische Heimat des Avesta weiterhin im dunkeln. Die

Erwähnung von Marv und Herat (S.87 „der Weg des Avesta-Corpus von Merv

oder Herat aus dürfte zunächst nach Arachosien und dann in die Persis geführt haben") zeigt Anschluß an W.B.Hennings nicht mehr haltbare chwaresmische Theorie. S. dazu Rez. Gäthäs^ I, 1991, 36-40. Ebenda S. 49-55 ist eine Synopse der einheimischen Quellen zur Textgeschichte des Avesta nachgeliefert.

Helmut Humbach, Mainz

Krisztina Kehl-Bodrogi : Die Kizilbaf/Aleviten, Untersuchungen über eine esote¬

rische Glaubensgemeinschaft in Anatolien. Berlin: Klaus Schwarz Verlag 1988.

279 S. 8° (Islamkundhche Untersuchungen. 126)

Frau Kehl-Bodrogi untersucht in ihrer Arbeit die Religionsgemeinschaft der Kizdba§/Aleviten in der Türkei. Einen großen Teil ihrer Informationen hat die Autorin in Gesprächen mit Aleviten gesammelt.

In der ersten Hälfte ihres Buches geht Frau Kehl-Bodrogi ein auf die histori¬

sche Entwicklung der Kizilba?/Aleviten von der Safaviden-Bewegung bis ins

20. Jahrhundert. Sie untersucht die Herkunft der heute pejorativen Bezeichnung

„Kizdba§", die Entstehung des Sufi-Ordens der Safaviden und den Aufstieg der Safaviden zur politischen Macht, die zunehmende Isoliemng der Kizdba§/Alevi-

ten im Gefolge der Auseinandersetzungen zwischen Osmanen und Safaviden und

die daraus entstehende Beziehung vieler Kizilba§/Aleviten zum Bekta§i-Orden.

Interessant ist die Rolle, die die Kizilba§/Aleviten bei der Entstehung der Türki¬

schen Republik spielten. Da sie etwa 20-25% der Bevölkemng ausmachten, war

ihre Unterstützung für Atatürk wichtig. Mit seiner Forderung nach einem moder¬

nen laizistischen Staat fand er bei den Kizilba§/Aleviten viel Anklang, da für diese ein Staat ohne $eriat von Vorteil war. Doch die Entstehung der Türkischen Republik brachte den Kizilba?/Aleviten auch Nachteile: sie wurden aus ihrer

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Isolation gerissen, und es entstanden neue Reibungspunkte mit der sunnitischen Bevölkerung, die vor allem in den 70er Jahren zu Auseinandersetzungen führten, als sich die jüngere Generation der Aleviten dem Marxismus-Leninismus zuwand¬

te (Massaker von Kahraman-Mara§ u. a.). Den Abschluß des ersten Teils bildet ein Überblick über die verschiedenen alevitischen Gruppen in der Türkei und über die Literatur zum Thema Kizilba§/Alevitum.

In der zweiten Hälfte untersucht Frau Kehl-Bodrogi die Religion der Kizil- ba§/Aleviten und ihre Lebensweise. Sie stellt ausführlich die Theologie der Kizilba§/Aleviten dar sowie ihre Glaubenspraxis. Ein kurzes Kapitel beschäftigt sich mit der alevitischen Frau, die verglichen mit ihren sunnitischen Geschlechts¬

genossinnen eine freiere und geachtetere Stellung genießt. (Nach meinen persön¬

lichen Erfahrungen mit alevitischen Asylbewerbern in der Region Basel muß ich allerdings feststellen, daß auch diese Regel ihre Ausnahmen kennt, genauso wie die mancherorts aufgestellte Behauptung, die kurdischen Frauen seien freier als die türkischen, auch nur bedingt stimmt). Im letzten Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit vor- und außerislamischen Einflüssen.

Dieses Buch ist wohl das ausführlichste Buch, das z.Z. zum Thema Aleviten erhältlich ist. In der Region Basel leben viele Aleviten als Asylbewerber. Dieses Buch hat mir viel dabei geholfen, diese Leute besser zu verstehen, es hat mir z. B.

klar gemacht, warum sich die Aleviten meist leichter an die hiesigen Verhältnisse anpassen. Auch die Hinweise, die Frau Kehl-Bodrogi zur Frage der kurdischen Aleviten gibt, sind sehr lehrreich. Bei Gesprächen mit sunnitischen Türken ge¬

winnt man nämlich oft den Eindruck, die Aleviten seien alle Kurden, dabei sind sie zum größten Teil Türken. Das Thema „kurdische Aleviten" wäre aber sicher eine eigene üntersuchung wert, wobei u.a. folgende Fragen von Interesse wären:

Die jungen Aleviten scheinen durch ihre Herkunft prädestiniert für „linke"

Ideologien, doch auch politisch aktive Kurden sunnitischer Herkunft neigen zum Marxismus; woher kommt deren „Neigung nach links", und genügt eine soziali¬

stische Ideologie, um alevitisch-sunnitische Gegensätze aufzuheben? Unter wel¬

chen Umständen ist die nationale Zugehörigkeit wichtiger als die religiöse? Lassen sich unter den linken Türken und Kurden je nach religiösem Hintergrund Vorlie¬

ben für bestimmte Parteien nachweisen? Bei Gesprächen mit politisch aktiven Kurden habe ich teilweise den Eindruck gewonnen, daß sich alevitische Kurden den Türken gegenüber weniger stark abgrenzen als ihre sunnitischen Landsleute.

Ist hier vielleicht der Alevismus noch ein verbindendes Element, während der sunnitische Islam durch den Mißbrauch in der staatlichen Türkisierungspolitik kompromittiert wurde? Bei der heutigen Weltlage interessant wäre auch die Frage, wie die jungen Aleviten, die sich dem Sozialismus verschrieben haben, auf den Zusammenbruch des Ostblocks reagieren.

Es ist erfreulich, daß sich Frau Kehl-Bodrogi mit diesem Thema befaßt hat, bevor die letzten traditionellen Aleviten, die die Religion noch in ihrer alten Form kennen, verschwunden sind.

Tanja Duncker, Basel

(20)

Wolfhart Heinrichs: Orientalisches Mittelalter. In Verbindung mit J. Christoph Bürgel u.a. Wiesbaden: Aula-Verlag 1990. 589 p. (Neues Handbuch der Lite¬

raturwissenschaft 5)

Wo vor wenigen Jahren noch dem an arabischer Literatur Interessierten - außer etwa Carl Brockelmanns unschätzbar verdienstvoller, aber als solcher unlesbarer Geschichte der arabischen Litteratur - wenig an grundlegenden Einführungen und umfassenden Handbüchern zur Verfügung stand, konkurrieren mittlerweile mehrere Werke miteinander. Der noch von H. Gätje herausgegebene Band 2, Literaturwissen¬

schaft, des Grundriß der Arabischen Philologie (Wiesbaden 1987) wendet sich dabei in Konzeption und Ausführung an das Fachpublikum, ähnlich - wenngleich anders konzipiert und in der Dokumentation weniger detailliert erarbeitet - die Cambridge History of Arabic Literature, deren zweiter Band, 'Abbasid Belles-Lettres (ed.

J.Ashtiany/T.M.Johnstone/J.D. Latham/R.B.Serjeant/G.Rex Smith) 1990 vor¬

hegt. Gleichzeitig befindet sich ein von J.S. Meisami (Oxford) und P. Starkey (Dur¬

ham) als lexikonähnliches Nachschlagewerk konzipierter Companion to Arabic Lite¬

rature in Vorbereitung, dessen Publikation für 1993 vorgesehen ist. Angesichts dieser Sachlage scheint es gelinde paradox, den hier anzuzeigenden, von W.Heinrichs betreuten Band, dessen Erscheinen bereits seit mehreren Jahren angekündigt war und wegen Schwierigkeiten seitens des ursprünglichen Verlages mehrfach verscho¬

ben wurde, als ausgesprochenes Desiderat zu begrüßen. Und doch muß mit allem Nachdruck gesagt werden, daß der Band nicht nur eine seit langem vorhandene Lücke im Bereich der islamkundlichen Handbücher füllt, sondem dies zugleich in einer vorbildlichen Weise tut, die ihn sowohl für das Fachpublikum als auch für eine eher allgemein interessierte Leserschaft als unerläßliches Referenzwerk prädestiniert.

Dies aus verschiedener Hinsicht.

Zum ersten handelt es sich keineswegs ,nur' um eine Geschichte der arabischen Literatur. Gemäß der im Titel vorgegebenen Richtlinie werden alle größeren Be¬

reiche literarischen Schaffens in der islamischen Welt behandelt. Der Haupttitel des Buches ist dabei irreführend, denn unter Orient wird hier explizit , Islamischer Orient' verstanden, keinesfalls der bis nach China reichende , Orient' im traditio¬

nellen Verständnis der .Orientalisten', wie ihn mancher Leser primär erwarten könnte. Dieses mögliche Mißverständnis wird in dem außerordentlich problem¬

bewußten Vorwort des Herausgebers einleitend geklärt, ebenso wie die praktizier¬

te Eingrenzung von , Mittelalter' auf die Zeit etwa zwischen dem zweiten/dritten und 16./17. Jahrhundert. Behandelt werden somit, angefangen mit den hellenisti¬

schen und iranischen Traditionen, die verschiedenen zentralen Bereiche der ara¬

bischen, iranischen und türkischen Literaturen und verwandter Gebiete, so die jüdischen und christlichen Literaturen, sowie (abschließend, gewissermaßen als , Zugabe') das Phänomen des literarischen , Orientalismus' (eingeschränkt aufdie deutsche Literatur). Zum zweiten sind die insgesamt 28 Beiträge ausgesprochen leserfreundlich gestaltet, sowohl in bezug auf ihre Länge (durchschnittlich 20 Sei¬

ten) als auch hinsichtlich ihrer inhaltlichen, sprachlichen sowie formalen Gestal¬

tung. Anmerkungen zu den als selbständigen Essays von (insgesamt 17) verschie¬

denen Autoren verfaßten einzelnen Abschnitten stehen am Schluß, nach

allgemeinen Literaturhinweisen zum jeweiligen Thema. Zum dritten berücksichtigt die Auswahl der behandelten Gebiete zwar alle traditionell als literarisch relevant erachteten Bereiche (dankenswerterweise inklusive Volksliteratur), tut dies aber einerseits in teils recht unkonventioneller Form (etwa in den Beiträgen von H. Fähndrich oder J.T. P. de Bruijn) und erweitert andererseits den hinsichtlich

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der konventionellen Gattungsbegriffe abgesteckten Erwartungshorizont ganz er¬

heblich (etwa in den Beiträgen von D. Kremers zu Dante oder B. Reinert zum

Concetto-Stil). Die einzelnen Abschnitte behandeln folgende Themen:

Heinrichs, W. : Einführung (13-30); Colpe, C: Von der Ausbreitung des Grie¬

chentums zur Enthellenisierung des Orients (31-67); id.: Iranische Traditionen (68-85); id.: Literatur im Jüdischen und Christlichen Orient (86-122); id.: Der Gnostizismus als literarisches Phänomen (123-141); Lichtenstädter, I.: Altara¬

bische Literatur (142-165); Graham, W. A.: Koran und Hadit (166-185); Thack¬

ston, W. M.: Islamische Mythologie. Schöpfungslegenden, Prophetengeschichte, Eschatologie (186-201); Kremers, D.: Islamische Einflüsse auf Dantes »Göttliche Komödie« (202-215); Jacobi, R.: Die arabische Qaside (216-241); Reinert, B.:

Die persische Qaside (242-257); Flemming, B.: Die türkische Qaside (258-264);

BÜRGEL, J.C. Das persische Gasel (265-277); Flemming, B.: Das türkische Gasel (278-283); Reinert, B.: Der Vierzeiler (284-300); Bürgel, J.C: Die persische

Epik (301-318); Flemming, B.: Türkische Epik (319-325); Fähndrich, H.: Der

Begriff »adab« und sein literarischer Niederschlag (326-345); Gutas, D.: Ethi¬

sche Schriften im Islam (346-365); Reinert, B.: Der Concetto-Stil in den islami¬

schen Literaturen (366-408); Thackston, W. M.: Prosodische Systeme (409-422);

Heath, P. : Arabische Volksliteratur im Mittelalter (423-439); Schoeler, G. : Mu- wassah und Zagal (440-464); Bruijn, J. T. P. : Die persische Volksliteratur im Mit¬

telalter und ihr Verhältnis zur klassischen Literatur ((465-474); Flemming, B. : Das Verhältnis von Hoch- und Volksliteratur im Türkischen (475-481); Bürgel, J.C:

Liebestheorien (482-498); Schimmel, A. : Der Sufismus und seine Literaturen (499-523); Maier, J. : Jüdische Literatur des Mittelalters im islamischen Bereich (524-545); Schimmel, A.: Orientalische Einflüsse auf die deutsche Literatur (546- 562).

Die abschließende Dynastientafel bietet eine willkommene Ergänzung, um ei¬

nen raschen Überblick über die politische Ereignisgeschichte der betreffenden Jahrhunderte zu ermöglichen. Namen- und Werkregister (567-589) sind prinzipiell zwar auch willkommen, in der Verwirklichung aber dermaßen unübersichtlich gestaltet, daß sie ausgesprochen unfreundlich wirken. Die angeführte Erläuterung, ein Gesamtregister sei „aus Platzmangel nicht möglich" (583) gewesen, klingt angesichts der verschwenderischen typographischen Gestaltung wenig überzeu¬

gend. Dieses Fehlen eines Gesamtregisters ist allerdings der einzige Wermutstrop¬

fen bei einer rundweg positiven Beurteilung des Bandes.

Ohne hier Beiträge im einzelnen besprechen zu können, muß es wohl als un¬

vermeidlich angesehen werden, daß bei einem derartigen Gemeinschaftsunterneh¬

men die Qualität der Beiträge recht unterschiedlich ist. Teils handelt es sich um höchst originelle, aussagestarke Essays, wie etwa die beiden von B. Reinert bei¬

gesteuerten ; teils haben anerkannte Fachleute ihr Spezialgebiet beschrieben, wie etwa D. Gutas, H. Fähndrich, oder A. Schimmel zum Sufismus; teils drückt aber gerade auch die Wahl der Autoren eine offensichtliche Stagnation im jeweiligen Forschungsbereich aus, wie dies etwa für die altarabische Literatur (I. Lichten¬

städter) oder die türkische VolksUteratur (B. Flemming) der Fall ist. So ist der methodologische Rahmen der Darstellungen gespannt von innovativen Ansätzen bis hin zu relativ trockenen Bestandsaufnahmen.

Unbedingt lesenswert, und zwar nicht als Einführung in den vorliegenden Band, sondern als eine sensible Einführung in die Kulturwissenschaft der islami¬

schen Welt überhaupt, ist das (kurze) Vorwort des Bandherausgebers. Heinrichs

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