Eine neue Quelle zur Geschichte Ägyptens im 9./15. Jahrhundert
Von RUDOLF VESELY, Prag
Die Ausarbeitung des Aufsatzes über die arabische iniä'-Literatur für
den 3. Band des Grundriß der Arabischen Philologie^ hat es mir erlaubt,
diese eigenartige Gattung der arabischen Fachliteratur in ihrer Gesamtheit
und ihrer Entwicklung und Mannigfaldgkeit zu verfolgen, wie sie sich den
geseUschafdichen und politischen Veränderungen entsprechend entfaltete,
bis sie mit der Beseitigung der souveränen, das Arabische als Diploma¬
tensprache benutzenden Staaten durch die Osmanen ein plötzliches Ende
gefunden hatte. Die in diesem Fach entstandenen Werke dienten dem
Zweck, den Schriftverkehr privater oder öffendicher, d.h. polidscher oder
rechdicher Natur in einem eleganten Sdl und nach bestimmten, besonders
formellen Regeln zu führen.
Diesen Regeln sollten vor allem jene Schriftstücke folgen, die für
öffendiche Zwecke bestimmt waren: Schreiben verschiedener Art, die von
den pohtischen Repräsentanten des Staates oder der Staatsverwaltung und
den Vertretem der Jurisdikdon stammten, also Staats- und Gerichtsurkun¬
den. Die Beamten der Hofkanzleien und der Kanzleien der Provinzver¬
walter bedienten sich einiger Handbücher, die uns entweder im vollen
Wortlaut oder wenigstens ihrem Titel nach bekannt sind. Den Richtem und
Notaren standen zahlreiche Formularhandbücher zur Verfügung, die aus
der Feder erfahrener Juristen stammten, die sich der sog. Surüt-, resp.
h-o/ö'/Vt- Wissenschaft spezieU widmeten. Neben den Kanzleihandbüchern,
die oft nur Informationen über die protokollarischen, mit der Zeit immer
feiner abgestuften Formen beinhalteten, konnten die Staatskanzleibeamten
behufs ihrer sdlisdschen Weiterausbildung und Vervollkommnung zu
Musterbriefsammlungen greifen, die entweder Schreiben anonymer Sdli-
sten-Kanzleibeamten enthielten (das war besonders später der FaU bei den
mMrtiia'är-Sammlungen im safawidischen Iran und im osmanischen Reich)
' Inzwischen erschienen: 3. Band: Supplement. Wiesbaden: Reichert 1992, S. 188- 208.
Cornelia Wunsch (Hrsg.): XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge, München 8.-13.4.1991
(ZDMG-Suppl. 10). - © 1994 Franz Steiner Veriag Stuttgart
oder - und dies trifft auf die arabischen munSa'ät zu - zu Sammlungen
vorbildlich stilisierter Schreiben, deren Verfasser bekannt waren. Von
diesen Urkundenverfassem, einst berühmten Stilisten, die als Kanzlei¬
beamte tädg waren, sind diejenigen am bekanntesten, deren Urkunden al-
QalqaSandi in seinem diplomatischen Kompendium unter ihrem Namen
wiedergibt, wie z.B. Abü Ishäq IbrähTm ag-Säbi' (+ 994), der Kanzler der
Büyidenherrscher, al-QadT al-Fädil (+ 1199), Sekretär SalähaddTns, oder
die hochrangigen Beamten der mamlükischen Hofkanzlei, wie MuhTyad-
dTn ibn 'Abdazzähir (+ 1292), Sihäbaddin Mahmüd ibn Fahd al-HalabI (+
1325), Sihäbaddin Ahmad al-'Umari (+ 1348), öamäladdin Muhammad
ibn Nubäta (+ 1366) oder Salähaddin Hahl as-Safadl (+ 1386), um die am
meisten zitierten zu nennen. Unter dem Namen des al-Qädl al-Fädil liegen
einige Sammlungen seiner privaten Briefe und der von ihm verfaßten
öffentlichen Schreiben vor, ähnlich wie unter dem Namen Ibn Nubäta oder
des ag-Safadl.
Die Urkunden, die al-Qalqa§andI in seinem Subh al-a'Sä reproduziert,
sind von Historikem des mamlükischen Ägypten oftmals bearbeitet wor¬
den - es sei auf die zahlreichen Studien von C.E. BOSWORTH hingewie¬
sen, um wenigstens ein Beispiel zu nennen.
Bei der Suche nach den arabischen mM«^a'är-Werken, deren Verfasser
namentlich bekannt sind, stieß ich auf eine dieser Sammmlungen, die man
m.W. äußerst selten zu Rate gezogen hat. Es ist jenes Werk, das sein
Autor, Abü'l-Mahäsin Taqiaddin Abü Bakr ibn 'Ah ibn Higga al-HamawI
al-HanafI (1366 bis 1434) als Qahwat al-inSä' betiteh hatte.
Der Lebenslauf dieses Mannes ist gut bekannt.^ Er war ein berühmter
Dichter seiner Zeit, dessen Begabung ihm nicht nur ein hohes Ansehen als
Literat und Kritiker und einen beträchtlichen Reichtum verschafft hatte,
sondem auch zahlreiche Rivalen und Neider, die ihm seine literarischen
Erfolge und seinen materiellen Wohlstand mißgönnten. Zu diesen Anti¬
pathien hat wohl auch sein in den zeitgenössischen Berichten erwähntes
Selbstbewußtsein beigetragen, so daß einige ihm feindlich gesonnene
Schriften entstanden waren und er selbst durch diese Feindseligkeiten
gezwungen wurde, Kairo, wo er lange Jahre als munSi' der Hofkanzlei
gearbeitet hatte, zu verlassen und sich in seine Geburtsstadt Hamä zurück¬
zuziehen. Das war aber schon ein paar Jahre nach dem Tode seines
Gönners, des Sultans al-malik al-mu'ayyad Sayh, mit dem er während
dessen Statthalterschaft in Damaskus in Verbindung gekommen war und
der ihn später, als Sultan, als einen fähigen und gewandten Stilisten,
2 C. BROCKEU4ANN: Geschichte der arabischen Litteratur. Bd. 2, S. 15-17; Supple¬
ment 2, S. 8.
138 RUDOLF VESELY
dessen Lobgedichte er in Damaskus kennengelemt und genossen hatte,
nach Kairo berief und angesichts seiner hterarischen Fähigkeiten in der
Hofkanzlei als munSi' anstellen ließ. In Kairo lebte er von 815/1413 bis
830/1427, dem Zeitpunkt seiner Übersiedlung nach Hamä. Aus ungefähr
dieser Zeitspanne stammen die Schreiben, die in seinem Qahwat al-inSä'
enthalten sind und von ihm im Auftrag von Sultan al-mu'ayyad Sayh und
seinen Nachfolgem - al-muzaffar Ahmad, dem Sohn des Sayh, az-zähir
Tatar und dessen Sohn a^-jähh Muhammad und al-a§raf Barsbäy - verfaßt
wurden.
Ibn Hi||as Qahwat al-inSä' liegt in einer verhältnismäßig großen
Anzahl von Abschriften vor. Nach BROCKELMANN ist es in 13 Biblio¬
theken in 14 Kopien zu finden. Es war also ein weit verbreitetes und
beliebtes Werk.
Die folgende Besprechung dieses Werkes ist auf einer sehr guten,
vollständigen Abschrift begründet, die in der Universitätsbibliothek von
Tübingen aufbewahrt wird.^ Sie ist auch nicht allzu weit von der Entste¬
hungszeit des Werkes entfemt: Sie ist am 20. ra|ab 872 h. abgeschlossen
worden.'*
Bevor wh uns dem Inhalt der Sammlung zuwenden, ist es ratsam sich
klarzumachen, daß sie nicht notwendig alle von Ibn-Hi||a verfaßten
Schreiben enthalten muß. Es handelt sich wahrscheinlich eher um eine
Auswahl von stilistisch besonders gelungenen Stücken, bei deren Studium
der Leser durch ihre Eleganz und Geschliffenheit wie mit Wein (qahwa)
berauscht werden sollte, wie es der Verfasser im Vorwort bei der Begrün¬
dung des Titels selbst sagt.^
Das Werk - nach der Tübinger Handschrift wenigstens - enthält
insgesamt 119 Schriftstücke, die im wesenthchen chronologisch aufein¬
ander folgen. Es handelt sich um eine ununterbrochene Serie von Schrei¬
ben, die mit dem am 13. Sawwäl 815 (16. Januar 1413) datierten Stück
beginnt und mit dem 114. Schreiben endet,welches das Datum der ersten
Dekade von ragab 827 (Anfang Juni 1424) trägt. Die letzten fünf Schrift¬
stücke stammen aus früherer Zeit, und zwar aus den Jahren zwischen
810/1407-08 und 813/1410-11. Praktisch alle Schreiben sind politischer
Natur. Ausnahmen davon stellen zwei Heiratsurkunden (sadäq) für die
3 MAX WEISWEILER: Verzeichnis der arabischen Handschriften U: Universitätsbib¬
liothelc Tübingen. Leipzig 1930, S. 17 f (Signatur Ma VI 70, foi. 2b - 131b).
" Kolophon. fol. 131b.
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Töchter hoher Staatsleute (eine davon war die Tochter des al-mu'ayyad
Sayh) und zwei Paar Privatbriefe (iljwänlyät) hoher Würdenträger an Ibn
Higga mit dessen Antworten dar. Mit der Erwähnung dieser zwei Brief¬
paare muß auf einen wichdgen Zug der Sammlung Ibn Higgas aufmerk¬
sam gemacht werden, und zwar, daß er nicht nur die von ihm selbst
verfaßten Schreiben in seine Sammlung aufgenommen hatte, sondem auch
Schreiben, die Antworten verlangten, welche er dann stilisierte, ebenso
wie die eventuellen Antworten auf die von ihm verfaßten Briefe. Dies ist
bei der auswärtigen Korrespondenz fast eine regelmäßige Erscheinung, die
der Sammlung eine besondere Bedeutung verleiht.
Was die Verteilung der Schreiben nach den Regierungszeiten ihrer
einzelnen großherrschaftlichen Urheber anbelangt, gehört die Mehrzahl -
86 Stück - den Jahren des Sultanats von al-mu'ayyad Sayh an. In die Zeit
seines Sohnes al-muzaffar Ahmad gehören vier Urkunden; aus der Zeit
des az-zähir Tatar stammen fünf und aus der Zeit von dessen Sohn as-^älih
Muhammad vier Schreiben. Aus den ersten drei Jahren der Regiemng des
al-a§raf Barsbäy enthält die Sammlung vierzehn Urkunden.
Der Form und damit auch dem Inhalt gemäß enthält die Sammlung
Emennungsdiplome, Gelegenheitsbriefe verschiedenen Inhalts und Briefe
aus dem Bereich der auswärtigen Korrespondenz.
Fast die Hälfte aller Schriftstücke (52 Nummern) bilden Ernennungs¬
diplome (taqälid und tawäqV) für zivile und militärische Funktionäre. Von
diesen stammen 42 Stück aus der Regierungszeit des al-mu'ayyad Sayh.
Als taqälid werden auch zwei Urkunden bezeichnet, die anläßlich der
anatolischen Expedition ausgestellt wurden, die der Sohn al-mu'ayyads,
Särimaddin Ibrähim, i.J. 822/1419 führte.^ Die eine Urkunde ist für
Muhammad b. Dilgädir bestimmt, dem dadurch die Verwaltung von
Qaygäriya zugewiesen wird, die andere wurde 'Alä'addin 'AH b. Qaramän
überreicht, der mit der Verwaltung von Qonya und dem dazugehörigen
Gebiet betraut wurde.'' In diese Gattung der Ernennungsdiplome gehören
auch zwei Investitumrkunden ('uhüd), die für az-zähir Tatar und al-a§raf
Barsbäy im Namen des Chalifen ausgestellt wurden.
Zu verschiedenen festlichen Gelegenheiten wurden neun Frohbotschaf¬
ten (baSä'ir) verfaßt. Mit der Revolte des Emir Nourüz im Frühjahr
^ Al-MaqrizT: Sulük. Hrsgg. von MUSTAFÄ ZIYADA. Bd. 4, S. 478; Ibn Tagribirdi:
Nugüm. Dar al-kutub Bd. 14, S. 50.
Al-Maqrizl: op. cit. (Anm. 5), Bd. 4, S. 517, 548; Ibn Tagribirdi: op. eil. (Anm. 5).
Bd. 14, S. 80, 88, 92.
140 RUDOLF VESELY
817/1414* und ihrer Unterdrückung sind zwei Glückwunschschreiben
{tahäni) verbunden: das eine wurde anläßlich der Zurückeroberung von
Syrien und das andere nach der Festnahme von Nourüz nach Kairo
gesandt. Neben diesen durch Dokumente belegten Ereignissen begegnet
man in der Sammlung auch zwei Trostbriefen (ta'äzT), die dem Sultan
nach dem Tode seines Sohnens Ibrähim i.J. 823/1420^ aus Syrien vom
Emir öaqmaq und dem Statthalter von Damaskus zukamen. Aus der
Regierungszeit des al-mu'ayyad Sayh stammen auch zwei Erlässe
(maräsim), von denen der eine das Verbot für Christen und Juden
endlich, als höhere Beamte (mubäSirün) in den zentralen Behörden und in
den Behörden der Emire auf dem ganzen Staatsgebiet tätig zu sein.'O
Neben diesen mit den inneren Verhältnissen verbundenen Dokumenten
finden sich in der Sammlung insgesamt 37 Urkunden verstreut, die die
Beziehungen des mamlükischen Staates zu seinen Nachbarn widerspie¬
geln. Wie schon gesagt, handelt es sich sehr oft um Briefpaare: einen Brief
mit einer Antwort darauf. Am reichhchsten ist der Schriftverkehr mit dem
Ayyübidenemir al-'ädil Sulaymän b. öäzT von Hi§n Kayfa vertreten: aus
der Zeit des al-mu'ayyad Sayh liegen vier Briefpaare vor, aus der Zeit des
a§-sälih Muhammad b. Tatar ein Brief von Hisn Kayfa an ihn, und aus
den ersten Jahren der Regierung von al-a§raf Barsbäy sind hier zwei
Briefpaare enthalten. Alle 13 Schriftstücke stammen aus der Zeitspanne
zwischen 820/1417 und 826/1423.
Aus der Korrespondenz mit den Qara Qoyunlu-Turkmenen enthält die
Sammlung vier Briefpaare: zwei gehören dem Briefaustausch zwischen al-
mu'ayyad Sayh und Qara Yüsuf an, während die beiden anderen Schrei¬
ben des Iskander b. Qara Yüsuf an aj-sähh Muhammad b. Tatar bzw. al-
a5raf Barsbäy sind, dabei stets mit Antworten versehen. Die schrifdiche
Verbindung mit den Osmanen ist durch drei Briefe dokumentiert: einen
Brief des Muhammad b. Bäyazid an al-mu'ayyad Sayh mit einer Antwort
(vom Jahr 819/1416) und einem Brief an Muhammad b.Bäyazid über die
Expedition gegen die Qaramaniden und die Dilgadiriden i.J. 822/1419
unter der Führung des SärimmadTn Ibrähim. Aus dem Jahr 820/1417
stammt ein Brief des Muhammad b. Qaramän an al-mu'ayyad Sayj) über
die Prägung von Dinaren und Dirhamen mit dem Namen des ägyptischen
* Al-Maqrizi: op. cit. (Anm. 5), Bd. 4, S. 255; Ibn TagrTbirdT; op. cit. (Anm. 5), Bd.
14, S. 5-21.
9 Al-MaqrizT; op. cit. (Anm. 5), Bd. 4, S. 530; Ibn Tagribirdi; op. cit. (Anm. 5), Bd.
14, S. 165.
'0 Al-Maqrizi; op. cit. (Anm. 5). Bd. 4, S. 494; Ibn Tagribirdi; op. cit. (Anm. 5), Bd.
14, S. 81-82.
Sultans und über die Erwähnunung seines Namens in der Freitags¬
predigt." Auch dieser Brief ist von der Antwort des ägyptischen Hofes
begleitet. Zu dem Briefwechsel zwischen Qonya und Kairo gehört ein
anderes Paar von Briefen, die i.J. 825/1422 verfaßt und zwischen dem¬
selben Emir und dem Sultan Barsbäy ausgetauscht wurden. Die Verbin¬
dung mit den Rasüliden von Jemen ist durch fünf Briefe dokumendert.
Unter ihnen hegt auch ein Briefpaar vor; dieses steht im Zusammenhang
mit den Unruhen in Mekka von 819/1416. Die übrigen drei waren von
Sayh, Tatar und Barsbäy für den Jemen besdmmt.
Die diplomadschen Beziehungen Ägyptens zu den Aq Qoyunlu (ein
Brief von 'Utmän b. Tür'all a.d.J. 817 h.), zum Herrscher von Tunis (ein
Brief von Sayh a. d. J. 816 h.) und zu den Timuriden (ein Schreiben
Sähruhs an al-mu'ayyad Sayh von Ende muharram 824) sind jeweils
durch einen einzelnen Brief dokumentiert
Zwei Briefe, von denen nur der zweite tatsächlich abgeschickt worden
war, hat Ibn Higga für den Chan der Goldenen Horde, den Chan Cegre,
verfaßt.
Von den fünf am Ende der Sammlung reproduzierten Urkunden sind
drei Emennungsdiplome {tauqV) für zivile Funktionäre in Syrien (zwei in
Hamä und einen in Damaskus) bestimmt, die alle a.d.J. 810 h. stammen.
Aus demselben Jahr ist die Heiratsurkunde datiert, die für den Sultan an-
nä^ir Farag und die Tochter des Emirs Yilbugä az-Zähiri verfaßt wurde.
Merkwürdig ist das letzte dieser Schriftstücke, das eine im Namen des
Chalifen al-Musta'in bi'Uäh für den Herrscher von Gugerät, Samsaddin
Mu?affar Säh, ausgestellte Bestallungsurkunde enthält, die Ende ramadän
813 (Mitte Januar 1411) datiert ist
Diese auf uns etwas unlogisch und störend wirkende zeitliche Verschie¬
bung der Urkunden aus Ibn Higgas vorägyptischen Zeit wird durch ästhe¬
tische und schöngeistige Gründe erklärt: der Leser sollte "sich nach den
Kairoer Süßigkeiten an den Früchten von Hamä ergötzen".'^
Obwohl man in dem Qahwat al-inSä' eine einzigartige und inhaltsreiche
Urkundensammlung sehen darf, ist sie - soweit ich imstande bin, es zu
beurteilen - bislang äußerst selten herangezogen worden. Es ist mir bisher
nur eine Arbeit bekannt, die sie unter den benutzten Quellen verzeichnet.
" Al-MaqrizI: op. cit. (Anm. 5), Bd. 4, S. 521; Ibn Tagribirdi: op. cit. (Anm. 5), Bd.
14, S. 48.
'2 Al-Maqrizi; op. cit. (Anm. 5), Bd. 4, S. 367.
13 ijj^|<si^Llj_^liJ| »jiUI djuj<iiiaj (Fol. 2a).
142 RUDOLF VESELY
nämlich SUBHI Y. LABIBS Handelsgeschichte Ägyptens, und auch dort
wurde nur einmal eine Urkunde aus dieser Sammlung zitiert.''*
Bei besagter Urkundensammlung handeh es sich um eine wichtige und
interessante Sammlung von authentischen Urkunden. Die Authentizität der
Texte wird durch Angaben über Papierformate oder Schriftarten einzelner
Urkunden bekräftigt, die man bei manchen der kurzen Inhaltsangaben
findet, welche den Text jedes Schriftstückes einleiten. Durch eine beson¬
dere Ausführlichkeit zeichnet sich die Beschreibung der äußeren Ausstat¬
tung des Sendschreibens an Chan Cegre aus.
Die Bedeutung dieser Sammlung für die Dokumentation der ersten drei
Jahrzehnte des 15. Jh. n. Chr. oitt besonders dann klar vor Augen, wenn
wir uns den Umstand vergegenwärtigen, daß sie aus einer Zeit stammt, als
al-Qalqa§andi sein Subh schon abgeschlossen hatte: der jüngste von ihm
zitierte munSV war HalTl ag-Safadl (+ 1386). Sie stellt nicht nur den ein¬
zigen Urkundenkomplex dar, der nach dem Abschluß von Subh entstand,
sondem der auch - abweichend von den Kanzleihandbüchern und inSä'-
Werken aus dem Bereich der arabischen Staaten - die Schriftstücke im
vollen Wortlaut reproduziert. Der Gmnd dafür lag in Ibn Higgas eigener
Zielsetzung für sein Werk: Er wollte kein methodisches Handbuch aus¬
arbeiten, sondem es war ihm sehr daran gelegen, seine stilistischen Fähig¬
keiten auch auf dem Gebiet des offiziellen Schriftverkehrs zu demonstrie¬
ren. Das war nur dann möglich, wenn er die ganze Komposition dem
Leser vorlegte: die Kunst der rhetorischen Figuren, den Rhythmus der
gereimten Prosa, die stilistische Ausgewogenheit der einzelnen Urkun¬
denteile sowie des ganzen Textes usw. Es sollte doch eine berauschende
Blütenlese der Rhetorik sein.
Durch jene große Vollständigkeit der Urkundentexte wird diese Samm¬
lung erstens zu einer wichtigen historischen Quelle, zweitens zu einer
Bereiehemng unserer Kenntnisse über die arabische Diplomatik und
schließlich im Falle der reichlichen auswärtigen Korrespondenz auch zu
einer interessanten Quelle für das Studium der diplomadschen Sprache -
das alles aus einem Zeitalter, in welchem sich der islamische Osten von
den schweren Folgen der Streifzüge Timurs allmähhch erholte: Anatolien
LH. UZUN(;;aR§ILI hat es in seinem Aufsatz über Mehmed I. Celebi in Islam Ansi¬
klopedisi i)enutzt (Bd. 7, S. 505; vgl. auch die Bibliographie dazu ibid.). Merlcwürdi- gerweise hat es H. INALCIK in seinem Aufsatz über denselben Sultan in EI^, Bd. 6, S.
973-8) unt)eachtet gelassen. K.Y. KOPRAMAN hat das Qahwat al-inM' in seiner un¬
längst erschienenen Studie Misir Memlükleri Tarihi. Sultan al-Malik al-Mu'ayyad ^eyh al-Mahmüdi Devri (1412-1421). Ankara 1989, benutzt und des öfteren ziüert (z.B. S.
155, 157, 182, 185 f, 193 f , 205).
unter der Herrschaft der kriegssüchtigen Turkmenen, der Schwarzen
Hammel, deren Rivalen, die Weißen Hammel, sich erst am Anfang ihres
Machtaufsdeges befanden, und inmitten dieser komphzierten polidschen
Verhältnisse war das verarmte Ägypten bestrebt, mit letzter Kraft die Rolle
einer ostmediterranen Macht zu spielen. Es ist dies ein Zeitalter, das trotz
seiner dramadschen Spannung und einer reichen Dokumentation durch
zahlreiche ausführliche erzählerische Quellen seltsamerweise nur wenig
Interesse bei den modemen Historikem erweckt hat.'^
'5 Die Ereignisse des 14. und 15. Jh.s vor und nach Timur im islamischen Osten sind von HANS R. ROEMER: Persien auf dem Weg in die Neuzeit. Iranische Geschichte von 1350-1750. Beirut 1989 (bes. S. 15-218) neu ausführlich geschildert und ausgewertet worden.
Der TarTh des Ibn al-'Agami als Quelle für die Geschichte
Kairos um 1600
Von HEINZ GROTZFELD, Münster
Auf den TärTl} des Ibn al-'A|ami bin ich gestoßen, als ich für den
Raum Ägypten-Syrien nach unveröffentlichten Chroniken, vor allem aus
der osmanischen Zeit, suchte.' Die Durchsicht der Handschriften zeigte,
daß der Typ der Ereignischronik wie die Sulük des Maqrizi oder die
Nugüm az-zähira des Ibn Tagribirdi, der im 12. bis 15.Jh. in Ägypten
wie in Syrien reichlich vertreten ist, nach 1500 nur noch vereinzelt
vorkommt Das hängt wohl mit einem gewandelten Geschichtsverständnis
zusammen. Geschichte wird nicht mehr, wie bisher, als die Summe der
Ereignisse an einem bestimmten Ort während einer bestimmten Zeit
begriffen, sondem als die Summe der Viten berühmter Männer (und
vieUeicht auch der einen oder anderen Frau), die zur gleichen Zeit oder am
gleichen Ort gelebt haben. Ein typischer Vertreter für die neue Geschichts¬
auffassung ist das Kitäb Sadarät ad-dahab des Ibn al-Tmäd. Das gewan¬
delte Geschichtsverständnis schimmert schon bei Ibn Tagribirdi durch. In
der Einleitung zu seinen Hawädil ad-duhür fi madä l-ayyäm waS-Suhür
stellt er leicht tadelnd fest, sein Scheich Maqrizi habe den hawädit allzu
große Aufmerksamkeit gewidmet und die wafayät vernachlässigt; er habe
damm die tarägim erweitert.^ Daß aber weiterhin ein Interesse für hawädit
bestand, belegt etwa Ibn Iyäs.
1 Anlaß war die Mitart)eit in der Forscliungsgruppe "Terresüisctie Paläoklimatologie"
im Ralimen des Klimaforsciiungsprogramms des BMFT. Unsere Aufgal)e war es, aus den vorliandenen Quellen, vor allem Annalen und Clironiken, den Witterungsverlauf im Vorderen Orient seil der muslimisclien Eroberung zu eruieren. Voriäufiger Abschluß- bericlit HEINZ GROTZFELD: Klimageschichle des Vorderen Orients 800-1800 AD. nach arabischen Quellen. In: R. GLASER—R.WALSH (Hsg.): Historische Klimatologie in versclüedenen Klimazonen. Würzburg 1991, S. 21-43 (Würzburger Geographische Ar¬
beilen. 80.).
2 Ed.W. POPPER. Berkeley 1930, p.B.
Cornelia Wunsch (Hrsg.): XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge, München 8.-13.4.1991
(ZDMG-Suppl. 10). - © 1994 Franz Steiner Veriag Stuttgart