A-1712
S P E K T R U M
AKUT
Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 25, 23. Juni 2000
Wissenschaftsbetrug
Eine Affäre zieht Kreise
G
efälscht sind 29 Publikationen; bei 65 Arbeiten
besteht konkreter Verdacht auf Fälschung;
hinzu kommen vier zumindest in Teilen auf
Fälschungen basierende Habilitationsschriften: Das
ist mehr als drei Jahre nach Bekanntwerden die Bilanz
der Betrugsaffäre um die Krebsforscher Friedhelm
Herrmann und Marion Brach. Vier Gutachter um
Prof. Ulf Rapp von der Universität Würzburg hatten
von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
und der Deutschen Krebshilfe den Auftrag bekom-
men, fast 350 Arbeiten zu untersuchen, die Herrmann
und Brach bis 1996 publiziert hatten. Zwei Jahre
brauchte diese „Task-Force“ für die Analyse der Pu-
blikation, sie befragte mehr als 100 Co-Autoren und
Mitarbeiter. Am Ende blieben nur etwa 132 Publika-
tionen frei von einem Fälschungsverdacht, bei 121
weiteren blieben Fragen offen.
W
elche Konsequenzen der jetzt in Bonn der
Presse vorgestellte Bericht für die kritisier-
ten Forscher haben wird, steht noch nicht
fest. Hermann und Brach sind mittlerweile aus dem öf-
fentlichen Dienst ausgeschieden. Ob die auffälligen
Habilitationen widerrufen werden müssen, klären
derzeit die betroffenen Universitäten. Sprecher der
DFG machten aber auch deutlich, dass die Aufarbei-
tung der Affäre noch nicht abgeschlossen ist. Die
Task-Force hat auch von Herrmann unabhängige Ar-
beiten seiner häufigsten Co-Autoren untersucht. Der
wichtigste ist Prof. Roland Mertelsmann (Freiburg),
immerhin sei er über einige Jahre hinweg „hinsichtlich
seiner publikatorischen Aktivitäten fast identisch mit
dem Forscher Herrmann“ gewesen, schildert der
Task-Force-Bericht.
D
ie DFG räumte bereits ein, dass zumindest in
einer Publikation, die Mertelsmann ohne
Herrmanns Mitwirkung publiziert hatte, „Hin-
weise auf einen Umgang mit Daten außerhalb der lex
artis“ aufgetaucht seien. Genaueres wollte die DFG
erst nach Abschluss der laufenden Untersuchung mit-
teilen. Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zei-
tung“ (SZ) geht es offenbar um eine Arbeit, die Mer-
telsmann 1994 zusammen mit Prof. Lothar Kanz und
Dr. Wolfram Brugger, mittlerweile an der Universität
Tübingen, publiziert hat. „Die Gesamtumstände legen
mit hoher Wahrscheinlichkeit nahe, dass ein bestimm-
ter Zielwert durch Manipulation von Daten erreicht
werden sollte“, zitiert die Zeitung die Gutachter. Kanz
und Brugger hätten gegenüber der Task-Force zwar
mangelnde Exaktheit eingeräumt, wiesen einen Fäl-
schungsvorwurf jedoch zurück. Klaus Koch