Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 18⏐⏐1. Mai 2009 A849
S E I T E E I N S
G
endiagnostik taugt nicht als Thema für den Wahlkampf. Diese Tatsache mag dazu beigetra- gen haben, dass sich Union und SPD beim bereits als gescheitert angesehenen Gendiagnostikgesetz nun doch noch einigten. Am 24. April beschloss die Große Koali- tion das Gesetz, das den Umgang mit und die Informa- tion über Tests am menschlichen Genom regelt. Somit nutzte sie nach jahrelangen Kontroversen die letzte Chance, vor Ablauf der Legislaturperiode eine Geset- zeslücke zu schließen. Zugleich entgeht sie damit gerade noch einmal einer Blamage. Denn die grund- legenden Empfehlungen zu dem Gesetz hatte eine En- quetekommission bereits vor sieben Jahren erarbeitet.Vorausgegangen waren der Abstimmung im Bundes- tag intensive Gespräche innerhalb der Großen Koalition.
Strittig waren bis zuletzt vor allem zwei die Pränatal- diagnostik betreffende Punkte. So war zum einen un- klar, wie Untersuchungen zu bewerten sind, die zwar keine Gentests sind, jedoch ebenfalls Rückschlüsse auf genetische Erkrankungen zulassen. Zum anderen sorgte die Debatte um die pränatale Diagnostik von sich erst spät manifestierenden Erkrankungen für heftigen Streit innerhalb der Koalition.
Entscheidend war das Einlenken der SPD: Man wolle das gesamte Gesetz nicht an der Frage des Umgangs mit spät manifestierenden Erkrankungen scheitern lassen, hatten die Sozialdemokraten kurz vor der Abstimmung verlauten lassen. So gelang es der Union, den Kabinetts- entwurf zum Gendiagnostikgesetz noch einmal zu än- dern. Anders als ursprünglich geplant sind jetzt Pränatal- untersuchungen auf Krankheiten, die erst im Erwachse- nenalter auftreten können, verboten. Ferner stellte die Koalition nicht gendiagnostische Untersuchungen in der Schwangerschaft den Gentests gleich. Erlauben diese Untersuchungen eine Voraussage über die Gesundheit des ungeborenen Kindes, ist ebenso wie bei Gentests ei- ne Beratung vor der Untersuchung zwingend vorge- schrieben.
Ansonsten gleicht das verabschiedete Gendiagnos- tikgesetz dem bisherigen Entwurf. Danach hat jeder Mensch das Recht auf Wissen oder Nichtwissen. Gen- tests dürfen ferner nur mit Zustimmung der Betroffenen
und ausschließlich von Ärzten vorgenommen werden.
Diese wiederum sind verpflichtet, ihre Patienten zu be- raten, wenn die Untersuchungen eine Vorhersage über ihre Gesundheit oder die eines ungeborenen Kindes er- lauben. Die vorgeburtliche genetische Untersuchung wird auf medizinische Zwecke beschränkt. Tests allein zur Geschlechtsbestimmung sind untersagt. Ebenfalls verboten sind bis auf wenige Ausnahmen genetische Untersuchungen auf Verlangen des Arbeitgebers und auf Anfrage von Versicherungen. Auch heimliche Vater- schaftstests sind rechtlich nicht mehr zulässig.
Ob das Gendiagnostikgesetz jedoch der große Wurf ist, wird die Praxis der nächsten Jahre zeigen. Denn trotz sehr vieler vernünftiger Regelungen bleiben Lücken: Absichtlich ungeregelt gelassen hat die Koali- tion vorerst den Forschungs- und Pharmazeutikbereich.
Er soll im späteren Biobankengesetz behandelt werden, über das es noch zu debattieren gilt. Hauptsächlich befürchten jedoch Kritiker, dass die Ausnahmen nachträglich durch neue Regelungen zunehmen könn- ten, die das Arbeitsrecht und die Versicherungswirt- schaft betreffen. Auch ein Medizintourismus in andere Länder, in denen die jetzt hier verbotenen Gentests vor- genommen werden, ist nicht unwahrscheinlich. Nicht zu unterschätzen ist ferner der Einfluss des medizini- schen Fortschritts, der gerade im Bereich der Gendia- gnostik gewiss schon bald neue Fragestellungen auf- werfen wird.
GENDIAGNOSTIKGESETZ
Einigung in letzter Minute
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik in Berlin