Quellen: BMF, Reuter 95 04102 Oimu POLITIK
Ärzteschaft verhindern könnten. Das dem Vertrag über den Standardtarif unterstellte Gefahrenpotential wan- delt sich daher bei realistischer Ein- schätzung des aktuellen Diskussions- standes um die Beihilfeproblematik zu einer wichtigen strategischen Opti- on der Ärzteschaft im Ringen um ver- nünftige Lösungen. Hinzu kommt, daß ein solcher Vertrag auch einem weiteren wichtigen Anliegen der Ärz- teschaft dient, nämlich der langfristi- gen Stärkung der privaten Kranken- versicherung und des Kostenerstat- tungssystems als Alternative zu einer immer stärker wirtschafts- und ar- beitsnehmerpolitischen Diktaten un- terworfenen GKV.
Hohe Bedeutung für die Zukunft
Die ärztliche Selbstverwaltung hat in den vergangenen zehn Jahren eine zunehmende Deformierung auf- grund von staatlichen Interventionen
— vor allem durch das Gesundheits- Reformgesetz und das Gesundheits- strukturgesetz — hinnehmen müssen.
Hier kann die Möglichkeit, für einen völlig anderen, sozialpolitisch nicht unbedeutsamen Bereich der ärztli- chen Versorgung Verantwortung übernehmen zu können, einer
„Trendwende" gleichkommen Die Entscheidung über den Ab- schluß eines Standardtarif-Vertrages mit der privaten Krankenversiche- rung reicht daher weit über die aktu- elle honorarpolitische Diskussion hinaus. Sie ist von ganz grundsätzli- cher Bedeutung für den Stellenwert der ärztlichen und insbesonderen der kassenärztlichen Selbstverwaltung im künftigen Gesundheitssystem.
Wenn es richtig ist, daß auf die zunehmende staatliche Deformie- rung und Schwächung der kassenärzt- lichen Selbstverwaltung der zwi- schenzeitlich vielfach existenzbedro- hende wirtschaftliche Abstieg der Kassenärzte gefolgt ist, so ist das Ge- bot der Stunde nicht die Überwin- dung, sondern im Gegenteil die Festi- gung der Position eben dieser Selbst- verwaltung. Der Vertragsabschluß mit der PKV wäre ein wichtiger Mei- lenstein auf diesem Weg.
Dr. med. Lothar Krimmel
LEITARTIKEL/AKTUELL
Steuerpolitik
Die anstehenden finanzpoliti- schen Entscheidungen sind zugleich ein „Härtetest" für die Koalition. Nur wenn sie geschlossen agiert, hat sie ei- ne Chance, sich gegen die Mehrheit der SPD im Bundesrat zu behaupten.
Aber ohne Kompromisse geht es nicht. Zu befürchten ist, daß diese wie- derum zu Lasten der Leistungsträger gehen. Die SPD setzt auch in der Steu- erpolitik weiter auf Umverteilung; die Koalition kommt ihr auf diesem Weg bereits ein gutes Stück entgegen.
Zunächst einmal muß Waigel den bereits vom Bundestag beschlossenen Haushalt 1995 über die Hürde des Bundesrates bringen. Das dürfte gelin- gen. Die Gesamtausgaben des Bundes steigen nach den Beschlüssen des Bun-
Private Haushalte
A> Steuerliche Freistellung des Existenzminimums — Jahres- einkommen bis 12.095 DM (Ledige) bzw. 24.191 DM (Verheiratete)
4.
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Entlastungen auch für Höher- verdienerte- Vereinfachung bei Steuer- erklärung:
• Kurzveranlagung auf 2 Formular- seiten möglich, bei Verzicht auf Vergünstigungen höherer Frei- betrag
•Alternativ: Einkommensteuer- veranlagung nur noch alle 2 Jahre
destages gegenüber dem Vorjahr um 1,3 Prozent auf rund 447 Milliarden Mark. Die Neuverschuldung soll 49 Milliarden Mark betragen; das sind fast 10 Milliarden Mark weniger als ur- sprünglich geplant. Das sieht nach kräftigem Sparen aus. Tatsächlich pro- fitiert Waigel von den konjunkturbe- dingten höheren Steuereinnahmen, von der Verbesserung der Lage am Ar- beitsmarkt, vom Verkauf von Bundes- beteiligungen, von günstigeren Zinsen und einer geringeren Schuldenaufnah- me in den beiden letzten Jahren.
Der Blick auf das kommende Jahr verdrängt jedoch die Erleichte- rung über die Haushaltsentwicklung im letzten und in diesem Jahr. Das be- ginnt damit, daß schon in der Finanz-
I Unternehmen
I
-Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, Senkung der Gewerbeertragsteuer, aber Verschlechterung der degressiven Abschreibung
Lit- Entlastung bei Erbschaft- und Schenkung- steuer für mittelständ. (Familien-)Betriebe
®Streichung der Anerkennung von Ver- pflegungsmehraufwand bei eintägigen Dienstreisen
®Aufbau Ost: Verlängerung von Investitions- zulage, Sonderabschreibung, Verzicht auf Vermögensteuer bis 1998, Anhebung der Umsatzsteuergrenze
Hohe Haushaltsdefizite drohen im nächsten Jahr
Für die Finanzpolitik schlägt Mitte des Jahres die „Stunde der Wahrheit". Dann entscheidet sich nicht nur, was die Bürger ab 1996 an Steuern zu zahlen haben und wie der Familienla- stenausgleich künftig aussehen wird, sondern auch, ob der Finanzminister Einnahmen und Ausgaben im nächsten Jahr zum Ausgleich bringen kann und ob in der Finanzplanung für die nächsten Jahre Spielraum für den Abbau des Solidarzuschlags vorhanden ist.
Jahressteuergesetz 1996
Auswahl wichtiger Neuregelungen für ...
Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 17, 28. April 1995 (17) A-1215
POLITIK
planung ein Anstieg der Neuverschul- dung auf rund 60 Milliarden Mark vorgesehen ist. Unter dem Druck des Verfassungsgerichts hat Waigel je- doch in der Haushaltsdebatte des Bundestages angekündigt, daß 1996 das Jahr der Steuerentlastung sein werde. Das Existenzminimum soll von der Einkommensteuer freige- stellt, das Kindergeld und der Kinder- freibetrag sollen angehoben und die Unternehmen bei der Gewerbesteuer entlastet werden; zum Ausgleich dafür werden die Abschreibungsmög- lichkeiten eingeschränkt.
Nach Ansicht der SPD klafft im nächsten Jahr eine Deckungslücke von rund 30 Milliarden Mark. Waigel beziffert den bislang nicht in der Fi- nanzplanung enthaltenen neuen Fi- nanzierungsbedarf auf etwa 20 Milli- arden Mark. Dieser schrumpft aller- dings in Waigels Berechnung auf gut 5 Milliarden Mark zusammen. So hofft er, 1996 weitere 7 Milliarden Mark bei der Bundesanstalt für Arbeit einspa- ren zu können. Die konjunkturbe- dingten Steuermehreinnahmen schätzt er auf 3,5 Milliarden Mark.
Das setzt freilich voraus, daß der Kon- junkturaufschwung nicht durch die Aufwertung der D-Mark und die überzogenen Tarifabschlüsse einen Dämpfer erhält. Um weitere 4 Milliar- den Mark könnten die Zinsausgaben gegenüber den früheren Ansätzen schrumpfen. Den Restbetrag von 5 Milliarden Mark will Waigel durch zu- sätzliche Sparanstrengungen decken.
Aber es gibt zusätzliche Etatrisi- ken. Von der Bahnreform müssen 1996 noch 6 Milliarden Mark finan- ziert werden. Mit dem Verkauf von Bahngrundstücken allein wird dies nicht zu schaffen sein. Auch ist nicht klar, ob es der Koalition gelingt, im laufenden Jahr bei der Arbeitslosen- hilfe 1,5 und im nächsten Jahr 5 Milli- arden Mark einzusparen. Die Koaliti- on hat das zwar beschlossen; im Ge- setzblatt steht das aber noch nicht.
Ein hohes Haushaltsrisiko stellt auch das Jahressteuergesetz 1996 dar, das die Koalition jetzt in das Gesetz- gebungsverfahren eingebracht hat.
Darüber wird es harte politische Auseinandersetzungen geben. Die von der Koalition beschlossene Verbesse- rung des Familienlastenausgleichs soll noch eingefügt werden. Die Absicht,
AKTUELL
auch die angestrebte Neuordnung der Förderung des Wohneigentums in das Jahressteuergesetz einzubeziehen, läßt sich jedoch nicht verwirklichen.
Zwar gibt es in der Koalition eine Annäherung der Standpunkte, aber noch keine Einigung.
Steuertarif
Das Jahressteuergesetz enthält folgende wichtige Vorschläge:
• Von 1996 an werden Ein- kommen bis zu 12 095/24181 DM (Al- leinstehende/Verheiratete) von der Einkommensteuer freigestellt. Dies wird außerhalb des Tarifs durch einen Abzug von der Steuerschuld erreicht;
der bisherige im Steuertarif berück- sichtigte Grundfreibetrag wird abge- schafft. Der vorgesehene Grundentla- stungsbetrag wird mit steigenden Ein- künften abgebaut; er entfällt ober- halb zu versteuernder Einkünfte von 43 000/86 000 Mark. Dies ist ein Systembruch, denn bei allen, die durchschnittlich oder mehr verdie- nen, werden Einkommen, die das Exi- stenzminimum gewährleisten und die damit keine steuerliche Leistungs- fähigkeit vermitteln, in die progressi- ve Besteuerung einbezogen. Das höhlt das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungs- fähigkeit aus.
• Allerdings ändert sich am Steuertarif wenig; der Eingangssteu- ersatz liegt künftig bei 19,5 Prozent, der Spitzensteuersatz beträgt wie bis- her 53 Prozent. Bezieht man jedoch die degressive Grundentlastung in die Rechnung ein, so ergeben sich will- kürliche Belastungssprünge. Bei Ein- künften zwischen 12 000 und 15 000 schnellt die Grerüsteuerbelastung auf 29 Prozent in die Höhe; danach schließt sich eine proportionale Bela- stungszone bis 43 000 Mark an, die dann in den geltenden Progressi- onstarif einmündet. Faktisch bedeu- tet dies das Ende des 1990 eingeführ- ten linear-progressiven Tarifs. Eine Mehrbelastung bestimmter Einkom- mensgruppen soll jedoch dadurch verhindert werden, daß die Steuersät- ze generell um 0,7 Prozentpunkte ge- senkt werden. Um die steuerliche Be- günstigung der Renten nicht noch weiter zu verstärken, sollen Renten
bei der Bemessung der steuerlichen Grundentlastung angerechnet wer- den. Durch eine komplizierte Sonder- regelung soll gewährleistet werden, daß Rentner mit relativ kleinen Ren- ten nicht höher belastet werden. Bei Rentnern mit höheren Einkommen bleibt es jedoch dabei, daß in die Be- steuerung nur der Ertragswert einbe- zogen wird. Der zweite Schwerpunkt des Steuerpakets bezieht sich auf die Unternehmen (vgl. den Kasten auf der vorigen Seite).
Familienlasten- ausgleich
Ein politisches Tauziehen wird es um die Neuordnung des Familienla- stenausgleichs geben. Die Koalition hat sich auf folgendes Modell geei- nigt: Die Familien mit Kindern erhal- ten ein Wahlrecht zwischen der Inan- spruchnahme von Kindergeld und Kinderfreibetrag. Die Leistungen für die ersten und zweiten Kinder sollen einheitlich 200 Mark im Monat betra- gen, für die dritten und die weiteren Kinder 300 Mark. Der Kinderfreibe- trag soll von 4 104 auf 6 264 Mark an- gehoben werden. Der Freibetrag, der verhindern soll, daß Ehepaare mit Kindern gegenüber Ehepaaren ohne Kinder unabhängig von der Höhe des Einkommens benachteiligt werden, kommt nach diesem Modell nur noch rund 5 Prozent der Familien mit Kin- dern und relativ hohen Einkommen zugute. Es ist damit abzusehen, daß der Freibetrag in absehbarer Zeit sei- ne Funktion verlieren und durch ein einheitliches Kindergeld ersetzt wird.
Dies wird weiterhin von der SPD in Höhe von 250 Mark je Kind gefor- dert. Sie sieht aber in dem Koalitions- konzept einen Schritt in die „richtige"
Richtung.
Die Koalition schlägt vor, das Kindergeld nicht mehr vom Arbeits- amt, sondern durch die Finanzämter auszahlen zu lassen. Das Kindergeld würde jeweils mit der Steuerschuld verrechnet. Wer weniger als 2 500 Mark Steuern zu zahlen hat, dem soll das Finanzamt den Differenzbetrag oder das ungekürzte Kindergeld über- weisen. Wenig spricht dafür, daß die
„Finanzamtlösung" schon 1996 einge- führt werden kann. wst A-1216 (18) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 17, 28. April 1995