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Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 31–32, 4. August 1997 (1)
Krankenversicherung
Ein alter Hut
enn es um die finanziel- le Stabilisierung der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) und die Ab- wehr von Zuzahlungen geht, fällt den Sozialdemokraten nichts wei- teres ein, als nach einer Erhöhung der Pflicht- und Beitragsbemes- sungsgrenze zu rufen. Im Sofort- programm der SPD-Bundestags- fraktion vom Oktober 1996 wird dringender Handlungsbedarf in Sachen Pflichtversicherungsgren- ze angemahnt und behauptet, falls die Bemessungsgrenze auf das Ni- veau der gesetzlichen Rentenver- sicherung angehievt würde (zur Zeit: 8 200 DM Brutto-Monats- verdienst), könnte der durch- schnittliche GKV-Beitragssatz um mindestens 0,6 Prozentpunkte ge- senkt werden. In früheren Äuße- rungen der SPD wurde sogar an- gedeutet, der Wegfall einer Versi- cherungspflichtgrenze und die Überleitung der GKV in eine all- umfassende Volksversicherung seien die Ultima ratio und die Vollendung des sozialen Wohl- fahrtsstaates.
Rudolf Dreßler, Sozialexperte und stellvertretender Fraktions- vorsitzender der SPD, empfahl diesen alten Hut ausgerechnet vor einem Expertenforum aus Anlaß des 50jährigen Jubiläums des Ver- bandes der privaten Krankenversi- cherung e.V. (PKV) in Bonn. Die Festlegung einer Grenze sei pure Willkür und die Pflichtversiche- rungsgrenze in der gesetzlichen Versicherung „kein Religionser- satz, sondern das Ergebnis prag- matischer Erwägungen“. Die Poli- tik müsse die Grenzen zwischen den beiden Systemen der Gesetzli- chen und privaten Krankenversi- cherung so ziehen, daß die private Krankenversicherung nicht finan- ziell ausblute oder ihren Mitglie- dern astronomische Tarife zumu- ten muß. Andererseits müsse sie so
hoch angesetzt werden, daß die Gesetzliche Krankenversicherung ihre Schutzfunktion gegenüber ihren Mitgliedern (und darin sind mehr als 93 Prozent pflicht- und freiwillig versichert) wahrnehmen kann. Die Umverteilungs- und So- lidarfunktion müsse fundiert wer- den.
Das Rütteln an der „Friedens- grenze“ zwischen Gesetzlicher und privater Krankenversicherung, die bereits vor 30 Jahren durch den Gesetzgeber festgelegt wurde und eine Marktteilung bewirkte, hat mehr als nur strategisch-ideologi- schen Tiefgang. Eine Anhebung der Grenze hätte verheerende Fol- gen für die Gliederung und Struk- turierung des Krankenversiche- rungsmarktes, könnte existentiell bedrohend für die PKV wirken.
Höhere Pflicht- und Bemessungs- grenzen würden der PKV viele Mitglieder abspenstig machen und gegen deren Willen der gesetzli- chen Versicherung zuschanzen.
Von Schutzbedürftigkeit jener Schichten, die mehr als 6 150 DM monatlich verdienen (die geltende Pflichtversicherungsgrenze in der GKV) kann wohl nicht die Rede sein, allenfalls von einer Siche- rungsbedürftigkeit – und die gilt für alle. Die vielbeschworenen mündigen Bürger müssen gerade hier ein erweitertes Wahl- und Ent- scheidungsrecht auch im Hinblick auf den Versicherungsträger erhal- ten – und dies sollte für GKV und PKV gleichermaßen gelten –, zu- mal bei einer um 25 Prozent er- höhten Versicherungspflichtgrenze monatlich 135 DM mehr zu zahlen wären, ohne mehr an Leistungen zu erhalten. Ein aktuelles Gutach- ten weist nach, daß sich per saldo die Mehreinnahmen für die Kassen nur auf 3,65 Milliarden DM stell- ten. Dies entspräche weniger als 0,25 Beitragssatzprozentpunkten – gewiß nicht die von der SPD ange- peilte große Spar- und Manövrier- masse! Dr. Harald Clade
W
ie 95. Vollversammlung der Österreichischen Ärz- tekammer hat im Juli letz- te Einzelheiten zur Reform der Ärztekammern beschlossen. Auf Grundlage der Beschlüsse des Ärztekammertages soll das Ge- sundheits- und Sozialministerium den Entwurf einer Ärztegesetzno- velle fertigstellen.
Die Österreichische Ärzte- kammer bleibt danach föderali- stisch organisiert. Die Reform sieht jedoch vor, die Struktur der einzelnen Ärztekammern durch die Bildung von drei Kurien zu ver-
ändern. Demnach soll es künftig innerhalb der Kammern jeweils ei- ne Kurie der angestellten Ärzte, der niedergelassenen Ärzte und der Zahnärzte geben. Diese drei Kurien sollen die Interessen ihrer Angehörigen beispielsweise bei Kassenverträgen oder Dienst- rechtsfragen autonom vertreten.
Vorstand und Präsidium der Lan- desärztekammern vertreten die gemeinsamen Angelegenheiten wie Ausbildungsfragen, gesund- heitspolitische Anliegen, das ärzt- liche Berufs- und Disziplinarrecht sowie ethische Fragen. DÄ