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Archiv "Onkologische Therapie im Alter: Nicht das kalendarische, sondern das biologische Alter zählt" (25.11.2005)

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ei der routinemäßigen körperli- chen Untersuchung einer 79-jähri- gen Patientin in einer geriatrischen Abteilung fällt ein ausgeprägter Tumor der linken Mamma auf. Zur Vorsorge sei sie schon seit Jahren nicht mehr ge- gangen, sagt die Patientin. Den Knoten habe sie zwar schon vor langer Zeit be- merkt, aber sie sei davon ausgegangen, dass sich eine Behandlung in ihrem Al- ter ohnehin nicht mehr lohne. Operiert wird sie nun doch: Die konsiliarisch hin- zugezogenen Gynäkologen stellen die OP-Indikation – in diesem Stadium nicht mehr zur Heilung, sondern um ei- ne Exulzeration zu verhindern.

Die Patientin ist kein Einzelfall: Ob- wohl die Inzidenz von Krebserkrankun- gen bei älteren und alten Menschen sprunghaft steigt (Tabelle), bleibt eine adäquate Krebsvorsorge und -diagno- stik in dieser Altersgruppe häufig aus.

Die Deutsche Gesellschaft für Geria- trie (DGG) machte daher die Tumorer- krankungen zum zentralen Thema ihres 13. Jahreskongresses „Medizin der Zu- kunft“ Anfang November in Fulda.

„Der Tumor ist die Alterserkrankung per se“, betonte Prof. Dr. med. Dr. rer.

physiol. Gerald Kolb, St. Bonifatius Hospital Lingen. Spätestens 2020 wer- den Kolb zufolge die Herz-Kreislauf- Erkrankungen von den Malignomen als Todesursache Nummer eins abgelöst.

Sowohl bei Ärzten als auch Patien- ten bestehe jedoch das Vorurteil, eine Tumorbehandlung im Alter sei zu risi- koreich und wenig effektiv. Daher wer- de auch die Krebsvorsorge bei älteren Menschen sträflich vernachlässigt, kriti- sierte Kolb. Er plädierte für eine neue

„Vorsorgephilosophie“, beispielsweise beim Mammographie-Screening: „Die

Strategien enden hier zu früh.“ Die Mammographie sei jedoch gerade bei älteren Frauen viel sensitiver und spezi- fischer als bei jungen. Dass Patienten mit zunehmendem Alter Krebsfrüher- kennungsuntersuchungen weniger in Anspruch nehmen, erklärte Kolb mit ei- ner mangelhaften Information. Die meisten Patienten wüssten nicht, dass das Krebsrisiko im Alter immer weiter zunehme. Ebenso sei vielen nicht be- kannt, dass es gute Therapieoptionen gebe. Die Rate der stadiengerechten Behandlung sinkt nach Angaben Kolbs bei über 70-Jährigen erheblich. Dabei seien die Therapieerfolge bei alten Pati- enten denen junger vergleichbar.

Kolb ist davon überzeugt, dass sich die alternde Gesellschaft damit ausein- ander setzen muss, welche Behandlung sie Tumorpatienten im fortgeschritte- nen Lebensalter zukommen lässt.

„Wenn man aus Kostengründen alten Menschen eine adäquate Behandlung vorenthalten will, muss man das offen diskutieren“, forderte er. Rationierung dürfe nicht unter dem Deckmantel der Ethik geschehen. „Der Lebenswille vie- ler Patienten ist größer, als von den Ko-

stenträgern im Allgemeinen unterstellt wird“, betonte der Geriater.

Als Beispiel für die Therapieerfolge im Alter nannte er das Mamma-Karzi- nom. Gleiches gelte für die adjuvante Chemotherapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom (UICC-Sta- dium III). „Ältere Patienten profitie- ren von einer 5-Fluorouracil-haltigen (5-FU) Chemotherapie im gleichen Umfang wie jüngere“, sagte Dr.

med. Gunnar Folprecht, Onkologische Tagesklinik des Universitätsklinikums Dresden. In einer Metaanalyse von 22 europäischen Studien seien aus fast 4 000 Patienten, die eine 5-FU-hal- tige Chemotherapie erhielten, 629 Pati- enten mit einem Alter 70 identifiziert worden. Die 5-FU-basierte Chemothe- rapie war in dieser Alters- gruppe genauso effektiv wie bei jüngeren Patien- ten1.Auch beim FOLFOX- Regime2 sei davon aus- zugehen, dass es für be- lastbare Patienten keine grundsätzlichen Einschrän- kungen gebe.

„Die adjuvante Chemo- therapie wird derzeit unzu- reichend eingesetzt“, sagte Dr. med. Ul- rich Wedding, Klinik für Innere Medizin der Universität Jena. Die Indikation einer solchen Therapie sei nicht starr nach dem kalendarischen Alter des Patienten zu stellen, sondern nach dem erwarteten Zeitpunkt des Auftretens eines Rezidivs im Vergleich zur Lebens- erwartung. Wedding bemängelte die Unterrepräsentanz älterer und alter Patienten in onkologischen Studien.

Eine fundierte Datenbasis für die in- M E D I Z I N R E P O R T

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A3234 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 47⏐⏐25. November 2005

Onkologische Therapie im Alter

Nicht das kalendarische, sondern das biologische Alter zählt

Eine angemessene Früherkennung und Therapie von Malignomen bleibt bei älteren und alten Menschen häufig aus.

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie fordert ein Umdenken.

Inzidenz und Mortalität nach Altersgruppen, Deutschland 2000 (Fälle pro 100 000 Einwohner)

Alter in Jahren Männer Frauen

Inzidenz Mortalität Inzidenz Mortalität

bis unter 45 58,7 13,3 82,4 15,3

45 bis unter 60 461,5 220,3 484,8 163,6 60 bis unter 75 1 610,9 832,5 958,8 464,5 75 und älter 2 864,0 2 115,3 1 700,3 1 243,3

Insgesamt 498,6 271,3 462,7 238,5

Quelle: Broschüre „Krebs in Deutschland“,

Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebsregister/Robert Koch-Institut

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dividuelle Therapieentscheidung bei Senioren fehle häufig.

Eine antitumoröse Therapie geria- trischer Patienten ist bei Non-Hodgkin- Lymphomen, insbesondere den hoch- malignen, sinnvoll. Die Ergebnisse einer entsprechenden Beobachtungs- studie präsentierte Dr. med. Michael Schroeder, Klinik für Innere Medizin

und Geriatrie im St. Vincenz-Hospital Duisburg. Schroeder stellte die Daten von 23 geriatrischen Lymphom-Patien- ten im Alter zwischen 68 und 96 Jahren (Median 81) vor, die zwischen 2003 und 2005 in der Duisburger Klinik behandelt wurden. 15 von ihnen litten an einem hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphom, fünf an einem niedrigmalignen. Bei vier Patienten lag ein mittlerer Malignitäts- grad vor. Die Therapie erfolgte je nach Grad und Stadium. Die Hälfte der Pati- enten wurde nach Standardtherapie be- handelt. In zwei Fällen entschied man sich gegen eine tumorspezifische Thera- pie, für eine „best supportive care“. Die anderen Patienten erhielten modifizier- te Regime.

Ein Follow-up im Oktober 2005 er- zielte folgendes Ergebnis: 14 der 23 Pa- tienten lebten noch, sechs von ihnen befanden sich in einer kompletten Remission. Schroeder betonte, dass ein fortgeschrittenes Lebensalter kei- ne Kontraindikation für eine Stan- dardtherapie sei. Vielmehr müssten die Begleiterkrankungen und die funktio- nelle Kapazität berücksichtigt werden.

Viele Ärzte sind in der Tumorthera- pie älterer Menschen zurückhaltend, weil sie vermehrt auftretende Neben-

wirkungen und Komplikationen fürch- ten. Die meisten Chemotherapien je- doch können auch bei älteren Patienten eingesetzt werden, wenn physiologische und pharmakokinetische Unterschiede berücksichtigt werden. Entscheidend für Auswahl und Dosierung sind Kreati- nin-Clearance und Leberfunktion. Eine Interaktion mit der Dauermedikation ist ebenfalls zu beachten.

Neuere Substanzen, wie Gemcitabin, bieten auch für ältere Menschen ne- benwirkungsärmere The- rapieoptionen3. Eine wich- tige Rolle spielen außer- dem additive und suppor- tive Maßnahmen. Ein gefürchteter Effekt im Rahmen einer Chemothe- rapie ist die Myelotoxi- zität. Alte Menschen ha- ben eine relativ geringe hämatopoetische Reser- vekapazität und ebenfalls eine erniedrigte Funkti- onsfähigkeit der Granulo- zyten. „Hämatopoetischer Stress“ wird schlechter abgefangen. Hier ist der Ein- satz von Wachstumfaktoren indiziert.

Die Deutsche Gesellschaft für Hämato- logie und Onkologie (DGHO) emp- fiehlt in Übereinstimmung mit der Amer- ican Society of Clinical Oncology und der European Organisation for Re- search and Treatment of Cancer bei Pa- tienten ab 70 Jahren die routinemäßige Gabe von G-CSF (Granulozytenkolo- niestimulierender Faktor), und zwar bei einer Chemotherapie, die in ihrer Inten- sität mit dem CHOP-Schema4 äquiva- lent ist. Inwieweit auch Erythropoetin eingesetzt werden sollte, ist unter Exper- ten umstritten.

Objektive Risikoabwägung durch Assessment

Der alte Patient stand bislang nicht im Fo- kus onkologischer Bemühungen, ebenso wenig war die Krebstherapie eine Do- mäne der Geriater. Die DGG und die DGHO haben daher die interdiszipli- näre Arbeitsgruppe „Geriatrische On- kologie“ gegründet. Den Akteuren geht es dabei nicht darum, alte Patienten in jedem Fall maximal zu therapieren.

Vielmehr soll eine objektive Risiko- Nutzen-Abwägung erfolgen (Grafik).

Folgen für die individuelle Lebensqua- lität müssen berücksichtigt werden.

Eine Therapieentscheidung soll nicht anhand des chronologischen Alters, sondern des funktionellen Status und der Komorbidität erfolgen. Entschei- dend dabei ist, inwieweit eine erhöhte Toxizität oder ein Therapieabbruch zu erwarten ist. Wie diese Risikostratifi- kation aussehen soll, erläuterte Dr.

med. Christoph Friedrich, Klinik für Al- tersmedizin und Frührehabilitation der Ruhr-Universität Bochum im Marien- hospital Herne. Bei Patienten ab einem Alter von 70 Jahren soll Friedrich zufol- ge eine Einteilung in drei Gruppen er- folgen:

>Gruppe 1: gesunde, belastbare Pa- tienten §Therapie analog der jüngeren Patienten

>Gruppe 2: Patienten mit relevanten Komorbiditäten oder funktionellen Ein- schränkungen, die eine Therapie ge- fährden oder begrenzen § angepasste Therapie

>Gruppe 3: gebrechliche Patienten

§ Versorgung durch „best supportive care“.

Inwiefern ein Patient eingeschränkt und gebrechlich ist, wird durch Assess- ment-Instrumente gemessen: Erhoben werden Komorbidität (Charlson Ska- la), Kognition (Mini Mental State Test), Mobilität (Timed up & go, Tinetti), Selbsthilfefähigkeit (Barthel-Index), Ernährungsstatus (Mini Nutritional Assessment), soziale Situation (stan- dardisierter Sozialfragebogen) und De- pressivität (Geriatrische Depressions- skala). Friedrich plädierte dafür, die bis- herige Versorgung alter Tumorpatien- ten mithilfe der Einteilung zu verbes- sern.Allerdings wies er auch darauf hin, dass die Behandlung der zweiten Grup- pe eine wesentliche Herausforderung der Zukunft darstelle. „Das ist mit Si- cherheit die größte Gruppe“, sagte er.

Die Ergebnisse von Studien zum Nut- zen einer assessmentgestützten Tumor- therapie erwartet Friedrich erst in eini- gen Jahren. Dr. med. Birgit Hibbeler

1 Folprecht G. et al.: Annals of Oncology 2004; 15:

1330–1338.

25-Fluorouracil, Leukovorin, Oxaliplatin.

3 Kolb G: Der Internist 202; 8; 959–964.

4 Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison.

M E D I Z I N R E P O R T

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A3236 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 47⏐⏐25. November 2005

Entscheidung bei Patienten mit relativ kurzer Lebenserwartung

> Tumorüberleben < Tumorüberleben

Gebrechlichkeit Lebensqualität

nein ja beeinträchtigt unbeeinträchtigt

lebensverlängernde Therapie

Palliation Beobachtung

Lebenserwartung

Nach:Balducci,Stanta,Hematology/Oncology Clinics of North America,2000

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