DEUTSCHES ARZTEBLATT
Ärztliche Mitteilungen
Herausgeber: Bundesärztekammer (Arbeitsgemein- schaft der Westdeutschen Ärztekammern) und Kas- senärztliche Bundesvereinigung.
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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen POST SCR1PTUM
Über das Alter
Dem alten Menschen darf man nicht zuviel abneh- men, aber auch nicht zuviel aufbürden.
Häßlich ist das Alter ohne Nachsicht.
Die Altersleiden dürfen nicht Altersinhalt werden.
Man soll nicht als Alter auf sein Alter hinweisen. Hat man nichts Besseres zu sagen? Das Alter sieht man dem Menschen sowieso an.
Es ist für den Jugendlichen leicht, Optimist zu sein, für den Alten mit seinen Erfahrungen schwerer, aber schöner.
Kritik, vielleicht auch Fanatismus des Jugendlichen ist verzeihlich; Kritik des Alten kann leicht Meckern sein; Fanatismus im Alter ist unverzeihlich.
Wer alte Menschen mißachtet, von dem kann man annehmen, daß er auch für Kinder kein Verständnis haben wird.
Liebe kann Last oder Flug sein; im Alter ist es manchmal ganz angenehm, wenn man nicht mehr fliegen oder schleppen muß.
Nicht Versäumtes, Gehabtes soll man festhalten.
Manche sammeln ihr Leben lang Erfahrungen, kön- nen aber mit ihrer Sammlung nichts anfangen.
Die Ruhe des Alters ist die Stärke des Alters.
Ins Alter muß man bewährte Freundschaften mitneh- men. Frühzeitig muß man sich auf die Suche ma- chen. Kunst und Natur sind Freunde, die — früh ken- nengelernt — sich im Alter bewähren.
Manche, die es ihr Leben lang schwer hatten, haben doch gute Gesichter: Es hätte ihnen noch schlechter gehen können. Andere, denen es immer gut ging, können bittere Gesichtszüge haben: Es hätte ihnen noch besser gehen können.
Indem man das Alter ehrt, bereitet man sich am be- sten auf das eigene Alter vor.
Manche Alten gleichen unglücklichen Stafettenläu- fern: Sie gelangen atemlos ans Ende ihrer Strecke, und niemand steht dort bereit, um den Stab abzu- nehmen und weiterzutragen.
Dr. med. Carl von Haller 6 Frankfurt am Main Ganghoferstraße 17
1654 Heft 22 vom 30. Mai 1974 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT