Politische Reden der Wendezeit
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24 RAAbits Deutsch Oberstufe Februar 2016
Zeit der großen Worte
Politische Reden aus der Wendezeit und zum 25. Jahrestag des Mauerfalls analysieren
Helmut Dewitt, Zülpich
Foto: picture-alliance/dpa
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ie Bilder vom 4. November 1989 sind Ihnen sicher noch in Erinnerung: An die- sem Tag fand in Ostberlin die größte Pro- testdemonstration der DDR statt. Auf der Abschlusskundgebung auf dem Alexander- platz sprachen zahlreiche Rednerinnen und Redner aus Politik, Kultur und der Opposi- tionsbewegung und forderten Reformen, Mitbestimmung und Freiheit. Aber was wis- sen Ihre Schülerinnen und Schüler über die- sen für Deutschland so historischen Tag und die Reaktionen der Politiker?Vor dem Hintergrund der damaligen politi- schen Situation analysieren Ihre Schüler und Schülerinnen in diesem Beitrag Reden aus dieser historischen Umbruchphase. Sie untersuchen, was diese Reden auszeich- net, vergleichen sie mit anderen politischen Reden und untersuchen, ob sie durch ein besonderes Vokabular der Wendezeit gekennzeichnet sind.
Das Wichtigste auf einen Blick
Dauer: 8–12 Stunden + LEKKompetenzen:
Die Schülerinnen und Schüler
– kennen die Kommunikationssituation bei politischen Reden.
– analysieren politische Reden aus der Wendezeit und zum 25-jährigen Jubi- läum des Mauerfalls nach formalen, inhaltlichen, sprachlichen und histori- schen Gesichtspunkten.
– formulieren eigene kurze Reden zu selbst gewählten Themen.
Helmut Kohl spricht am 19. Dezember 1989 vor der Ruine der Frauenkirche in Dresden.
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Fachwissenschaftliche Orientierung
Die Analyse von Sachtexten nimmt in der Oberstufe einen beträchtlichen Anteil des Deutsch- unterrichts in Anspruch. Diesem Umstand trägt die Themengestaltung in den zentralen Abitur- prüfungen Rechnung, wo stets entsprechende Aufgaben zu finden sind. Neben anderen exposi- torischen Texten werden häufig politische Reden ausgewählt. Dem soll die vorliegende Unterrichtsreihe gerecht werden, indem die Schülerinnen und Schüler eine Hinführung zur Ana- lyse politischer Reden erfahren.
Die ausgewählten Texte zur Unterrichtsreihe haben mit den politischen Umwälzungen im November 1989 in Deutschland einen klaren thematischen Schwerpunkt. Diese Eingrenzung gibt den Schülerinnen und Schülern, die die Situation nicht selbst miterlebt, aber im Geschichts- und Politikunterricht erarbeitet haben, eine größere Sicherheit bei der Analyse der Texte. Einer Überforderung durch häufigen Wechsel der historischen Situation wird so entgegengewirkt. Die Aktualisierung in Form von Reden zum 25. Jahrestag des Mauerfalls bedeutet zwar einen Sprung in die nähere Gegenwart und damit in den Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler, weist aber den gleichen historischen Bezug auf.
Die Analyse von politischen Reden kann nur angemessen erfolgen, wenn die Schülerinnen und Schüler nicht nur den konkreten historischen Hintergrund, sondern auch die Theorie der Kom- munikation kennen. Politische Reden mit ihren spezifischen sprachlichen Zeichen weisen besonders große Interpretationsspielräume auf, man denke nur an Begriffe wie „Freiheit“ und
„Demokratie“. Um den Schülerinnen und Schülern das notwendige Analysewerkzeug an die Hand zu geben, steht am Anfang dieser Unterrichtsreihe ein grundsätzliches Modell der Kom- munikation bei politischen Reden.
Weiterhin muss den Lernenden ein konkretes Modell der Analyse zur Verfügung gestellt werden, an dem sie sich orientieren können. Hierzu wird ein Text des Sprachwissenschaftlers Hans Die- ter Zimmermann untersucht, in dem er auf die Bedeutungsvielfalt der Begriffe, die Rolle der Inter- pretierenden und damit die Unterscheidung zwischen „bloßer“ Beschreibung und persönlicher Bewertung sowie auf die nonverbalen Aspekte der Rede eingeht.
Didaktisch-methodische Überlegungen
Im Anschluss an einen Einstieg in Form einer Zuordnung von Redepassagen zu den jeweiligen Rednern, Redeorten und -zeitpunkten werden die Charakteristik des sprachlichen Zeichens und ein Modell der bei politischen Reden vorliegenden Kommunikationssituation erarbeitet. Auf der Basis theoretischer Textauszüge erarbeiten die Schülerinnen und Schüler anschließend einen Leitfaden für die Redeanalyse.
Kernpunkt der Unterrichtseinheit ist die Untersuchung politischer Reden, die 1989 im Rahmen der „Wende“, des Mauerfalls, in Berlin gehalten wurden, besonders die Reden von Stefan Heym auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 und von Willy Brandt am 10. November 1989 vor dem Rathaus Schöneberg. Hierzu soll Basiswissen über die damalige politische Situa- tion vermittelt werden.
Ergänzend wird aus dem Jahr 1989 eine Rede des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl vor der Frauenkirche in Dresden thematisiert. Zudem sollen zum Abschluss der Unterrichtsreihe Auszüge
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Schematische Verlaufsübersicht
Zeit der großen Worte
Politische Reden aus der Wendezeit und zum 25. Jahrestag des Mauerfalls analysieren
Stunde 1 M 1, M 2
Die politische Rede als Sonderform der Kommunikation
Stunden 2/3 M 3–M 5
Politische Reden – vom Sachtext zum Analyseschema
Stunde 4 M 6
4. November 1989 – Stefan Heym auf dem Alexanderplatz in Berlin
Stunden 5/6 M 7
10. November 1989 – Willy Brandt vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin
Stunden 7/8 M 8
19. Dezember 1989 – Helmut Kohl vor der Frauenkirche in Dresden
Stunden 9/10 M 9, M 10
9. November 2014 – Martin Schulz und Klaus Wowereit
Stunden 11/12 M 11
Redewerkstatt – Schülerinnen und Schüler verfassen Reden
Minimalplan
Die Unterrichtsreihe kann auf 6 bis 8 Stunden gekürzt werden, wenn die Theorie der politischen Rede bereits thematisiert worden ist oder wenn man auf den Vergleich mit Reden aus dem Jahr 2014 (M 9, M 10) verzichten möchte. Bei dieser Kürzung kön- nen auch die beiden Abschlussstunden entfallen, in der die Schülerinnen und Schüler im Gegensatz zu den übrigen Stunden nicht vorliegende Reden analysieren, sondern selbst eine Rede formulieren sollen. Als Kern der Unterrichtsreihe sollten die Materia- lien M 6 bis M 8 erhalten bleiben, da sie die „Rhetorik der Wende“ verdeutlichen.
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ch Oberstufe Februar 2016 Sprechen und zuhören • Beitrag 5
Das folgende Kommunikationsmodell gibt Ihnen einen Überblick.
Aufgaben
1. Sehen Sie sich das Kommunikationsmodell genau an.
2. Erläutern Sie anhand des Modells die Besonderheiten der Kommunikation bei politischen Reden.
Gegenstand/Inhalt der Rede
decodiert Kommunikationskanal
codiert
Code Zeichen - inventar
Innere und äußere kommunikative Situation Ort, Zeit, historische Situation
kommunikative Kompetenz Absicht
Erfahrung Sprachkompetenz Sachwissen
Einschätzung des Zuhörers
kommunikative Kompetenz Erwartung
Erfahrung Sprachkompetenz Sachwissen
Einstellung zum Redner Redner
(Sender)
Zuhörer/
Publikum (Empfänger)
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M 3
Ein Schuh ist gleich ein Schuh? – Die Theorie des sprachlichen Zeichens
Bei alltäglichen Begriffen sind wir leicht der Meinung, dass sie Sachverhalte eindeutig wiedergeben. Doch so einfach ist das nicht. Machen wir einen kleinen Versuch: Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich einen „Schuh“ vor. Tauschen Sie sich nun untereinander aus und beschreiben Sie, was Sie vor Ihrem inneren Auge gesehen haben. – Sie werden merken, dass die eindeutige Zuordnung von Worten und Vorstellungen doch nicht so ein- fach ist. Über dieses Phänomen erfahren Sie auf diesem Arbeitsblatt mehr.
Das sprachliche Zeichen
Hans Manz
Wörter und Bilder
Das Wort Stein einer Kirschenesserin
Dem und jenem einem Mühlespieler
jener und dieser in den Mund einer Juwelenhändlerin
gelegt: einem Hartherzigen
Einem Maurer einer Bildhauerin
einer Gärtnerin und zusehen,
einem Friedhofsbesucher wie sich die Bilder
einer Ärztin zum immer gleichen Wort
einem Zahnarzt verändern.
Aus: Hans-Joachim Gelberg (Hg.): Großer Ozean. Gedichte für alle. Weinheim und Basel: Beltz&Gelberg 2000, S. 137.
Aufgaben
1. Partnerarbeit: Betrachten Sie das Modell zum sprachlichen Zeichen und lesen Sie den Text daneben. Erklären Sie sich gegenseitig, was mit „Sig- nifikat“ und „Signifikant“ gemeint ist.
2. Lesen Sie anschließend das Gedicht von Hans Manz.
3. Werten Sie das Modell und das Gedicht im Hinblick darauf aus, was sie über die Begriff- lichkeit in politischen Reden aussagen.
Statt Signifikat und Signifikant kann man auch die Begriffe „Wortinhalt“ und „Wort- körper“ verwenden.
Sicher hat sich keiner aus Ihrer Lerngruppe genau den gleichen Schuh vorgestellt wie eine Ihre Mitschülerinnen oder einer Ihrer Mitschüler – und wenn nur die Farbe anders war! Wie viel schwieriger muss es da sein, eine gemeinsame Vorstellung von abstrakten Begriffen wie „Freiheit“ oder
„Demokratie“ zu haben!
Signifikat (Bezeichnetes)
Schuh Signifikant
(Zeichen)
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Raster zur Analyse politischer Reden
Tragen Sie hier zunächst die aus dem Text von Hans Dieter Zimmermann erarbeiteten Aspekte ein und ergänzen Sie sie durch Hilfsfragen. An den Aspekten dieser Hilfsfragen können Sie sich bei der Analyse einer konkreten Rede orientieren.
Aufgabe
Füllen Sie die Tabelle mit Aspekten, die bei der Analyse von politischen Reden zu beachten sind. Ergänzen Sie mögliche Hilfsfragen.
Aspekt Hilfsfragen Ergebnisse
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M 11
Selbst eine Rede schreiben und halten
In den vergangenen Unterrichtsstunden haben Sie sich intensiv mit politischen Reden beschäftigt, die den Fall der Berliner Mauer, die „Wende“ und das wiedervereinigte Deutschland zum Thema hatten. Nun sollen Sie selbst zu Wort kommen und eine eigene Rede formulieren. Überlegen Sie sich dafür ein Thema, über das Sie sprechen möchten!
Alternative Aufgabe
Formulieren Sie Ihre Rede, indem Sie die oben genannten Aufgaben als Anregung gedank- lich umsetzen und auf die Erfahrungen aus der Unterrichtsreihe zurückgreifen.
Halten Sie dann Ihre Rede vor dem Plenum, nachdem Sie Ihre Zuhörer kurz über die zu - grunde liegende Situation informiert haben.
Erläuterung (M 11)
Stundenverlauf – Redewerkstatt: Schülerinnen und Schüler verfassen Reden Zunächst wird die Reihe zur „Rhetorik der Wende“ in Form des Unterrichtsgespräches rück- blickend betrachtet, dann erhalten die Schülerinnen und Schüler M 11 und bearbeiten in Einzelarbeit die Aufgaben 1 bis 5. Alternativ formulieren sie eine Rede zu einem selbst gewählten Thema. Nachdem bei der Auswertung im Plenum die Notizen zu den fünf Auf- gaben erläutert worden sind, halten diejenigen, die die Alternativaufgabe gewählt haben, ihre Rede vor den Mitschülerinnen und Mitschülern. Diese bewerten die Gestaltung der Rede und den Vortrag, wobei zunächst die positiven Aspekte, dann Verbesserungsvor- schläge vorgebracht werden.
Ein konkreter Erwartungshorizont lässt sich nicht darstellen. Wichtig ist, dass die Schülerin- nen und Schüler die konkrete Situation, die Adressaten und ihre Intention in einen Zusammenhang bringen, den Inhalt konkret auf die Thematik ausrichten sowie die sprach- lichen Gestaltungsmittel im Hinblick auf die damit verbundene Absicht erläutern. Dies gilt auch für die Schülerinnen und Schüler, welche die Rede ausformuliert haben.
Aufgaben
1. Überlegen Sie sich ein Thema, das Sie interessiert.
2. Entwerfen Sie eine Situation, in der Sie eine kurze Rede zu die- sem Thema halten könnten. Erläutern Sie kurz, wie sich diese Situation auf die Gestaltung Ihrer Rede auswirken könnte.
3. Erklären Sie, welche Absicht Sie mit Ihrer Rede im Hinblick auf die Adressaten verbinden.
4. Geben Sie einen kurzen Überblick über die Strukturierung und den Inhalt Ihrer Rede.
5. Beschreiben Sie, welche sprachlichen Mittel Sie in Ihrer Rede mit welcher Absicht verwenden wollen.