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Archiv "Klinische Probleme der Geriatrie" (01.10.1981)

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Heft 40 vom 1. Oktober 1981

Klinische Probleme der Geriatrie

Hans Franke, Wilmar Chowanetz und Axel Schramm*) Aus der Medizinischen Poliklinik

(Direktor: Professor Dr. med. Hans Franke) der Universität Würzburg

Der steigende Anteil alter Menschen an der Gesamtbe- völkerung stellt die Ärzte- schaft vor wachsende Aufga- ben. Im höheren Alter treten die verschiedenen Leiden und Krankheiten nebeneinander auf (Polypathie und Multimor- bidität). Hierbei ist es beson- ders wichtig, alternsphysio- logische von therapiebedürf- tigen alternspathologischen Veränderungen abzugrenzen.

Einer schwerpunktmäßigen und individuellen Therapie von Grundleiden und Haupt- beschwerden sollte der Vor- zug gegeben werden vor einer ausgedehnten symptomati- schen Polypragmasie.

Die erhöhte Lebenserwartung des einzelnen und die Zunahme des An- teils der Betagten an der Gesamtbe- völkerung stellen unsere Generation nicht nur vor schwierige volkswirt- schaftliche, sondern besonders auch vor große medizinische Pro- bleme.

Die mittlere Lebenserwartung eines weiblichen Neugeborenen in West- deutschland beträgt gegenwärtig 75,6 Jahre, die eines männlichen Säuglings hingegen 69 Jahre. Der- zeit sind 15,6 Prozent der westdeut- schen Bürger älter als 65 Jahre, wo- bei der Anteil der Frauen mit 6,1 Millionen, das sind 19 Prozent, den der 65jährigen und älteren Männer mit 3,45 Millionen, das sind 11,8 Pro- zent der Männer, übertrifft (Darstel- lung 1).

Mit zunehmendem Alter tritt eine Verschiebung des sogenannten Se- xualindexes in der gesamten Bevöl- kerung auf. Während in jüngeren Dezennien das Zahlenverhältnis des weiblichen zum männlichen Ge- schlecht unter 1 beträgt, verschiebt sich dieser Quotient im Höchstalter bis auf etwa 3 (Darstellung 2). Spe- ziell die alleinstehenden Frauen stel- len innerhalb der alten Bevölkerung ein erhebliches geriatrisches Pro- blem dar. So lebten Ende 1978 in der Bundesrepublik Deutschland unter den über 65jährigen Bürgern 3,38 Millionen Witwen und nur 609 000

„Witmänner".

Nach der Erfahrung nicht nur der Geriater, sondern auch der allgemei- nen Ärzteschaft, sind die medizini- schen Bedürfnisse der Betagten über 65 Jahre recht groß. So können nach einer Untersuchung des US- amerikanischen Gesundheitsamtes nur 20 Prozent der 65- bis 75jährigen und nur 16 Prozent der über 75jähri- gen als regelrecht gesund bezeich- net werden.

Die Hauptursachen der einge- schränkten Aktivität der über 65jäh- rigen sind Herz- und Lungenleiden mit 22 Prozent, rheumatische Affek- tionen mit 20,2 Prozent, Seh- und Hörbehinderungen mit 9,1 Prozent, Hochdruckleiden mit 7 Prozent, psy- chische und nervöse Störungen mit 5,8 Prozent. Bei 5,4 Prozent der über 65jährigen sind Behinderungen der unteren Gliedmaßen und der Hüftge- lenke zu verzeichnen.

Da nach bevölkerungsstatistischen Untersuchungen der Anteil der 65jährigen und Älteren voraussicht- lich in den nächsten Jahren noch ansteigen wird, muß in Zukunft we- gen der vermehrten Krankheitsanfäl- ligkeit der Alten mit einem noch grö- ßeren Aufwand an ärztlichen und pflegerischen Leistungen auf dem ambulanten und stationären Sektor

*) Der erste Aufsatz der Geriatrie-Reihe „Phy- siologische und pathologische Phänomene des Alterns" von D. Platt erschien in Heft 37/

1981, Seite 1727 ff.

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0/0

16 _

1871 1911 1939 1961 1974 1900 1925 1950 1970 1979 15 _

14 _ 13 12 _

11 10 9

1

8 7 6 _ 5 4

10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Jahre

Darstellung 1:

Anteil der Betag- ten an der Ge- samtbevölke- rung

Darstellung 2:

Verhalten des Sexualindexes (y :c) mit zuneh- mendem Le- bensalter in der

„stationären Be- völkerung 1970/

72" (nach Anga- ben des Statisti- schen Bundes- amtes). * = eige- ne Untersuchun- gen an Überhun- dertjährigen

Alterskrankheiten

der Geriatrie gerechnet werden. Die Bettenbelegung durch ältere Patien- ten in Krankenanstalten ist größer als dem Anteil dieser Bevölkerungs- gruppe an der Allgemeinbevölke- rung entspricht. So sind in den so- genannten Akut-Krankenhäusern et- wa 20 Prozent, in den psychiatri-

schen Kliniken gegen 50 Prozent und in den Spitälern für chronisch Erkrankte über 70 Prozent der Bet- ten mit 65jährigen und Älteren be- legt.

Auch die Ärzte in der allgemeinen Praxis müssen sich heute mehr als

früher mit den Belangen von gesun- den und vor allen Dingen von kran- ken Betagten beschäftigen.

Da in Deutschland vielerorts geriatri- sche Kliniken beziehungsweise ent- sprechende Abteilungen in Kranken- häusern fehlen, ist der praktizieren- de Arzt gezwungen, geriatrische Aufgaben so weit wie möglich selbst zu bewältigen. Es ist deshalb für Ärz- te ein Gebot der Stunde, sich mit den neuzeitlichen Problemen der Geriatrie zu befassen.

Die Vielzahl und die Eigenarten der Leiden und Krankheiten von Patien- ten im höheren Alter stellen uns Ärz- te vor größere somatische, psychia- trische, soziale und rehabilitative Aufgaben als die Betreuung jünge- rer Menschen. Daher soll auf einige klinische Charakteristika der Krank- heiten bei Betagten eingegangen werden.

1. Biologisches

und kalendarisches Alter

Nach klinisch-geriatrischer Erfah- rung ist das biologische und nicht das kalendarische Alter für den Be- ginn, den Ablauf, die Therapie und die Genesungszeit eines jeden Krankheitsbildes im höheren Le- bensalter maßgebend. Die Spielbrei- te auf diesem Gebiet ist beachtlich und nach Art einer Gaußschen Kurve durch folgende zwei Extreme ge- kennzeichnet:

Auf der linken Seite der Verteilungs- kurve stehen die greisenhaften Ju- gendlichen mit einer Progerie nach Art des Hutchinson-Gilfordschen Syndroms; diese Probanden sind aus konstitutionellen Gründen ge- genüber ihrem kalendarischen Alter biologisch extrem vorgealtert. Sie sterben bereits vor dem 20. Lebens- jahr an Zerebral- beziehungsweise

Koronarsklerose. Auf der äußersten Rechten dieser Gaußschen Kurve sind die Langlebigen zu finden. Die meisten der von uns untersuchten rüstigen Überhundertjährigen zei- gen im Sinne jugendlicher Greise ein biologisch jüngeres Verhalten als ihrem Kalenderalter entspricht.

1862 Heft 40 vom 1. Oktober 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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3 und mehr chron.

Krank- heiten

2 chron.

Krank- heiten

Anzahl d. Personen (%) 80 -

70 h-

60

50

40

30

20

10

o

unter 15 15-44 45-64 65+

Alter

1 chron.

Krank- heit

1

Die Unterschiede zwischen kalen- darischem und biologischem Alter sind vorwiegend durch Erbmasse und Konstitution bedingt; aber auch äußere Lebensbedingungen wie Krankheiten und Unfälle spielen hierbei eine Rolle. Obwohl die Be- stimmung des biologischen Alters sicherlich zu den reizvollsten Aufga- ben der klinischen Gerontologie ge- hört, ist bis zum gegenwärtigen Zeit- punkt eine allseits befriedigende Lö- sung dieses Problems noch nicht gefunden worden. Am ehesten noch scheinen zur Erfassung des biologi- schen Alters, das heißt des zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichten Zu- standes des Organismus, die Mes- sungen von physischen und psychi- schen Parametern mit Hilfe von so- genannten Testbatterien geeignet zu sein (26)*).

2. Das Altern des Organismus Das Altern des Gesamtorganismus und seiner Organe vollzieht sich proportional zur verstreichenden Lebenszeit, wobei jedoch speziell beim Auftreten von Krankheiten Al- terungsschübe, zum Beispiel in Form von arteriosklerotischen Or- ganveränderungen, auftreten kön- nen. Auf den physiologischen Al- ternsprozeß pfropfen sich Alterslei- den und -krankheiten auf, wobei sich Altern und Krankheit gegensei- tig beschleunigen. Mit fortschreiten- dem Alter wird der Organismus an- fälliger gegenüber schädigenden Umwelteinflüssen. Nicht nur die Krankheiten werden häufiger, son- dern auch die Krankheits- und Re- konvaleszenzdauer nehmen im Alter zu.

Im allgemeinen entwickeln sich die im Vordergrund eines geriatrischen Krankheitsbildes stehenden Affek- tionen in drei Entwicklungsstadien.

Zunächst finden wir eine symptom- freie Altersveränderung von be- stimmten Organen, zum Beispiel ei- ne latente Koronarsklerose, eine Ze- rebralsklerose oder eine Alters- osteoporose. Auf der Basis dieser

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks

Darstellung 3:

Altersabhängig- keit der Diagno- senzahl

Darstellung 4:

Prozentsatz der Patienten mit chronischen Er- krankungen in vier Alters- gruppen

Altersaffektionen treten in der Folge sogenannte Alterskrankheiten im chronischen Stadium auf, also zum Beispiel die Angina pectoris bei zu- nehmend stenosierender Koronar- sklerose oder Schmerzen bei Alters-

osteoporose. Später folgt das ge- fährliche Stadium der Komplikatio- nen oder der Sekundär-Krankheiten, wie zum Beispiel der Herzinfarkt auf dem Boden eines Koronararterien- verschlusses bei stenosierender Ko-

(4)

Tabelle 1: Entwicklungsphasen von geriatrischen Krankheitsbildern 1. Altersverän-

derung - - symptomfrei

II. Alterskrankheit - -

chron. Stadium mit zu- nehmender Symptomatik

III. Komplikationen oder Sekundär- krankheiten

latente

Koronarsklerose Zerebralsklerose

Altersosteoporose

Angina pectoris vaskuläre Insuffizienz psychoorganisches Syndrom

Schmerzen bei Fischwirbelbildung

Koronarthrombose Herzinfarkt zerebraler Insult

Wirbelinfraktion Schenkelhalsfraktur

III 1+11+111 Tabelle 2: Verteilung der 575 untersuchten Überhundertjährigen auf die Vitalitätsgruppen

Vitalitätsgruppen:

65 39,4% d.

80 48,5% d.

20 12,1% d.

165 28,7% aller

104 25,4% d.

9

195 47,6% d.

111 27,0% d.

9

410 71,3% aller

169 29,4% aller

275 47,8% aller

131 22,8% aller

gesamt d +

9

575

Alterskrankheiten

ronarsklerose oder der Schenkel- halsbruch bei fortgeschrittener Al- tersosteoporose des Femurs (Tabel- le 1) (Nach Steinmann).

Bei der Manifestation einer Krank- heit des alternden Menschen überla- gern sich meistens gleichzeitig meh- rere Organaffektionen und bedingen ein zunehmend bunteres Bild.

So hat man es im Senium mit einer mannigfachen Zahl von Leiden und Krankheiten im Sinne einer Polypa- thie (= Mehrfachleiden) oder Multi- morbidität (= Vielfachkrankheiten) zu tun.

Das allgemein gelehrte diagnosti- sche Prinzip, subjektive Symptome und objektive Krankheitszeichen bei ein und demselben Patienten auf ei- nen einzigen krankhaften Prozeß zu- rückzuführen, gilt in der Altersheil- kunde nicht. Nach einer Gegenüber- stellung der Diagnosenzahl bei ei- nem ambulanten und stationären Beobachtungsgut der Medizini- schen Universitäts-Poliklinik Würz- burg in Beziehung zum Lebensalter nehmen die im höheren Alter bei ei- nem Kranken erhobenen Befunde fast proportional mit den Dezennien zu (Darstellung 3). Ähnlich verhält es sich mit der Zahl der bei der Autop-

sie eines Betagten gefundenen Lä- sionen (19). Danach ist die Manife- station multipler Affektionen im hö- heren Alter die Regel und die einer einzigen die Ausnahme.

Dieses Problem ist jedoch nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Therapie betagter Patienten von Bedeutung. Wegen der großen klini- schen und pathologischen Spiel- breite ist die Geriatrie eine ausge- prägte Individualmedizin, da die zahlreichen Variationen und Kombi- nationen der gleichzeitig registrier- ten Krankheiten und Leiden zu ei- nem individuell sehr unterschiedli- chen Bild der kranken Betagten füh- ren. Speziell wird durch eine Sum- mation von chronischen Erkrankun- gen die Gesamtmorbidität der Be- tagten über 65 Jahre belastet (32).

Nach einer Untersuchung aus den Health Statistics der USA leidet ein großer Prozentsatz älterer Patienten gleichzeitig an drei und mehr chro- nischen Affektionen (Darstellung 4).

Die exakte qualitative Analyse der Vielfachaffektionen im höheren Al- ter läßt zwei verschiedene Gruppen erkennen:

0

Eine unabhängige Multiplizität im Sinne von Begleiterkrankungen. Da- bei treffen bei ein und demselben Senioren Affektionen zusammen, die zunächst keinen unmittelbaren Kausalzusammenhang aufweisen.

49 Eine abhängige oder gebündelte Multiplizität kausalabhängiger Kom- binationserkrankungen. Als Beispiel sei die im Alter sehr oft bagatellisier- te Bronchitis angeführt, die von der akuten in eine chronische Form übergehen kann und eventuell zu Al- tersbronchiektasen führt, die wie- derum rezidivierende Herdpneumo- nien auslösen. Bei schlechtem Ver- lauf kommt es letztlich zum Lungen- abszeß. In über 80 bis 90 Prozent der Alterspolypathie bei chronisch kran- ken Betagten handelt es sich im Sin- ne von Rößle (1923) um eine soge- nannte begleitende oder komitieren- de, meist ruhende, sich zunächst nicht beeinflussende Multiplizität (Gruppe I unserer Einteilung), das heißt, bei ein und demselben Greis 1864 Heft 40 vom 1. Oktober 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Tabelle 3: Einteilung der Vita- litätsstufen der Betagten

~ Vitalitätsgruppe I:

Rüstige, die ihr Heim verlas- sen und praktisch keine frem- de Hilfe brauchen.

~ Vitalitätsgruppe II:

"Angeschlagene" mit einge-

schränktem Lebensraum, teil- weise hilfsbedürftig.

~ Vitalitätsgruppe 111:

Sieche, ständig bettlägerige und pflegebedürftige Perso- nen, oft "vita minima".

zum Beispiel um eine Arthrosis de- formans, ein Emphysem, einen Gal- lenstein oder eine Koronarsklerose.

Derartige Altersgebrechen können jedoch durch einen hinzukommen- den Infekt, aber auch durch stärkere seelische Belastungen sofort da- kompensieren. Bei solchen betagten Patienten ist eine genaue Berück- sichtigung der sich gegenseitig be- einflussenden Altersgebrechen und -Krankheiten von seiten des Arztes unabdingbar. Speziell spielen bei der Letalität im höheren Alter die sich gegenseitig beeinflussenden Kombinationserkrankungen eine zu- nehmende Rolle. Die Analyse der or- ganpathologischen Veränderungen bei verstorbenen Betagten läßt nicht nur die geschilderte Vielfalt der Be- gleit- und Kombinationserkrankun- gen erkennen, sondern überdies die spezielle Polypathie von einzelnen Organen, zum Beispiel des Herzens, der Lunge und des Gehirns.

Dieses Zusammentreffen der zuneh- menden Alterspolypathie der einzel- nen Organe, speziell des Herzens, mit der Polypathie des alternden Ge-

Tabelle 4: Theoretisch mögliche Korrelate der Langlebigkeit

A) genetische Faktoren

I. katamnestische Erhebungen an familiären Stammbäumen von Überhundertjährigen

B) exogene Faktoren I. soziale

II. Zwillingsstudien (Kallmann)

111. molekularbiologische Theorien (Hayflick, Medvedev)

II. psychologische

111. ökologische

IV. medizinische

Tabelle 5: Zu diskutierende exogene Faktoren der Langlebigkeit

1. Soziale Faktoren: höherer sozialökonomischer Status, Ehestand, Geschlecht.

11. Psychologische Faktoren: höhere Intelligenz, aktives Persönlich- keitsverhalten (Aktivität, Stimmung, Anpassung).

111. Ökologische Faktoren: Wohnlage, Umwelteinflüsse.

IV. Medizinische Faktoren: geringe Krankheitsanfälligkeit; keine bio- logischen Risikofaktoren wie Hochdruck, Zuckerkrankheit und Hyper- lipidämie; bescheidene Lebensweise.

Samtorganismus stellt einen wahren Altersvorgang dar (Franke, Linz- bach).

So wies zum Beispiel die älteste von

uns klinisch beobachtete Langlebi- ge, eine 111 Jahre und 4 Monate alte relativ rüstige Frau, bei ihrem Able- ben autoptisch eine kardiale Poly- pathie mit 7 Einzelaffektionen und eine Polypathie des Gesamt- organismus mit 21 mehr oder min- der ausgeprägten Leiden auf.

Die moderne Geriatrie verfolgt drei Ziele:

0

soll die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit von relativ ge- sunden alten Menschen durch pro- phylaktische oder präventive Be- treuung möglichst lange erhalten bleiben.

f) sollen die behinderten kranken Betagten mit medizinischer Sach- kenntnis, Geduld und Einfühlungs- vermögen in somatischer, psychi- scher und sozialer Hinsicht betreut werden.

0

versucht man die speziellen Krankheiten im höheren Alter ge- zielt zu therapieren und die chro- nisch Kranken zu rehabilitieren.

Die präventive Betreuung von Be- tagten beinhaltet die Gesundheits- überwachung durch ärztliche Vor- sorgeuntersuchungen, die Gerohy- giene mit gesunderhaltender Le- bensführung im Alter, die Maßnah- men und Ratschläge für eine zweck- dienliche Ernährung, die Richtlinien für eine körperliche und geistige Ak- tivierung der älteren gesunden Per- sonen sowie die eingehende Bera- tung der Betreffenden beim eventu- ellen Einzug in ein Altenwohnheim beziehungsweise Altenheim oder beim Abfassen eines Testamentes. Bei 80 Prozent der betagten Patien- ten werden gegen die vielseitigsten

Leiden und Krankheiten zusätzlich

Medikamente eingesetzt. Die medi- kamentöse Behandlung von Krank- heiten im höheren Alter muß die Al- terspolypathie mit Reduktion der Or- ganreserven, besonders des Ge- hirns, des Herzens und der Nieren

(6)

30 40 50 20

5

-

/ /

60 ALTER (Jahre) 70

1

80

Dm (mm)

7 u

16, 15r 14!-- 13r 12r

1o r

9 r

85

0

Darstellung 5: Mittelwerte des mittleren Aortendurchmessers (Dm) von 208 Proban- den (120 weiblich, 88 männlich) in Abhängigkeit vom Lebensalter

Darstellung 6: Verhältnis von LDL- zu HDL-Lipoprotein im Serum von Probanden verschiedener Altersstufen

Alterskrankheiten

mit sekundärer Beeinträchtigung der Arzneimitteltoleranz streng be- achten. Besonders Medikamente mit renaler Elimination neigen in oft fol- genschwerer Weise zur Kumulation und müssen entsprechend einer ein- geschränkten Nierenfunktion vor- sichtiger dosiert werden.

Die Multimorbidität beziehungswei- se Polypathie verleitet auch viele Ärzte dazu, gleichzeitig verschieden- artige Medikamente zu verordnen.

Hierdurch können bei bestimmten

Arzneimittelkombinationen Inter- aktionen entstehen, die den vermu- teten Effekt einer Wirksubstanz ver- mindern, aufheben oder verstärken.

Unter Berücksichtigung der gero- pharmazeutischen Besonderheiten sollte der Arzt bestimmte allgemeine

Richtlinien für die geriatrische und medikamentöse Langzeitbehand- lung beachten.

Die allgemein gültigen fünf Leitsätze lauten:

• Gebrauche keine Medikamente, solange eine andere Therapiemög- lichkeit besteht.

(;) Beachte stets die verminderte Verträglichkeit der medikamentösen Behandlung im Alter.

• Behandle zunächst die aktive Grundkrankheit mit so wenig Medi- kamenten wie möglich, bei exakter Individualisierung der zugemesse- nen Wirkstoffmenge.

(r) Vermeide eine ausgedehnte sym- ptomatische Behandlung der Alters- polypathie.

(I) Berücksichtige bei einer in Aus- nahmefällen notwendigen Polyprag- masie die wechselseitige Beeinflus- sung von Medikamenten.

Besonders bedeutsam für eine opti- male geriatrische Arzneimittelbe- handlung ist ein harmonisches Arzt- Patienten-Verhältnis (Compliance).

Darunter versteht man die Bereitwil- ligkeit des Kranken, die ärztliche Verordnung genau einzuhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, muß der behandelnde Arzt in besonderem Maße Zeit und Geduld aufwenden, um dem alten Patienten Zusammen- hänge und Notwendigkeiten klarzu- legen.

Jüngste Forschungsergebnisse bei Überhundertjährigen

Das Problem der Langlebigkeit ge- hört zu. den anziehendsten der Ge- rontologie. Im Laufe der letzten 20 Jahre haben meine Mitarbeiter und ich in gezielten Studien nunmehr 575 amtlich registrierte und durch Taufschein belegte hundertjährige und ältere Personen untersucht, und zwar 410 Frauen und 165 Männer (Tabelle 2).

Nach ihrem körperlichen Befund und nach ihrer seelischen Verfas- sung lassen sich die Hundertjähri- gen in drei Vitalitätsstufen einteilen (Tabelle 3).

Über die von uns erzielten For- schungsergebnisse haben wir in 1866 Heft 40 vom 1. Oktober 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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entsprechenden Veröffentlichungen berichtet (Franke und Mitarbeiter).

Dabei sei abschließend auf einige neuartige Befunde hingewiesen:

0 Bis vor kurzem huldigte jeder Geriater dem bekannten Ausspruch des südfranzösischen Marinearztes A. Cazalis (2):

„Der Mensch ist so alt wie seine Ge- fäße". Tatsächlich nehmen mit an- steigendem Alter sukzessive das Herzschlag-, das Herzminutenvolu- men und das maximale Sauerstoff- aufnahmevermögen des Körpers ab, während der allgemeine arterielle periphere Gefäßwiderstand zunimmt (31).

Im Laufe des fortschreitenden Alters kommt es zu einer bereits seit Jahr- zehnten bekannten Altersektasie der Aorta, speziell der Aorta abdomina- lis. Exakte sonographische Untersu- chungen der Breite der Aorta abdo- minalis an gesunden Probanden in verschiedenen Altersstufen haben folgendes ergeben:

Die Weite der Aorta abdominalis des gesunden Menschen nimmt bis zum 70. Lebensjahr mit fortschreitendem Alter zu, danach findet sich anschei- nend bei gesunden Betagten ab 8.

bis 9. Lebensjahrzehnt ein gewisser

"Stillstand" der Altersektasie der Aorta abdominalis (siehe Darstel- lung 5).

(9

Unsere Studien an Höchstbetag- ten erlauben, auch zum lehrreichen Problem der überdurchschnittlichen Lebenserwartung Stellung zu neh- men. Nach der kritischen Analyse der bisher vorliegenden Theorien und unseren eigenen Untersuchun- gen auf diesem Gebiet scheint das optimale Zusammenspiel von gene- tischen und exogenen Faktoren für die Langlebigkeit ausschlaggebend zu sein (Tabellen 4 und 5).

Nach unseren eingehenden Analy- sen von klinischen, kardiologischen, blutchemischen und pathologisch- anatomischen Daten handelt es sich bei den Überhundertjährigen um ei- ne positive Selektion der Gesamtbe- völkerung.

Besonders klar kommt die biologi- sche Ausnahmesituation der Langle- bigen beispielsweise in ihrem gün- stigen Verhältnis von LDL- zu HDL- Lipoprotein im Blutserum zum Aus- druck. Dieser sogenannte Athero- matose-Index liegt bei Überhundert- jährigen nur insignifikant höher als bei einer jungen Vergleichsgruppe von 20- bis 29jährigen, jedoch signi- fikant niedriger als bei 70- bis 80jäh- rigen aller Vitalitätsstufen (Darstel- lung 6).

Abgesehen vom isolierten Problem der Langlebigkeit gewinnen die oben skizzierten geriatrischen Sach- verhalte der Klinik, Diagnose und Therapie von Krankheiten im höhe- ren Alter für uns Ärzte ständig an Bedeutung, da in den nächsten Jah- ren nach statistischen Untersuchun- gen der Anteil der Betagten an der Gesamtbevölkerung noch zuneh- men wird.

Literatur

Cazalis, A.: Zitat nach Cazalis, H.: Hygiöne et Rögime des Arthritiques, p. 2, Editeur Librairie Octave d'Voin, Paris (1891) - Franke, H.: Theo- rien der Langlebigkeit, akt. gerontol. 9 (1979) 167-177 — Franke, H.; Chowanetz, W.;

Schramm, A.: Geriatrie, Springer-Verlag, Ber- lin/Heidelberg/New York (1979) - Franke, H.:

Allgemeine Therapieprinzipien bei Betagten, Therapiewoche 30 (1980) 5278-5284 — Franke, H.: Polypathie und Multimorbidität im Alter, Med. Klinik 15 (1980) 702-708 — Hollister, L. E.:

Arzneimittelverschreibung in der Geriatrie, Sandorama 3 (1978) 20-22 — Linzbach, A. J.;

Akuamoa-Boateng, E.: Das Herz im Alter, Ma- teria Med. Nord mark 31 (1979) 140-154 — Ries, W.: Betrachtung und Untersuchung zur Be- stimmung des biologischen Alters, Vortrag auf der Jahrestagung der Sektion Klinische Ge- riatrie der Deutschen Gesellschaft für Geron- tologie, Erlangen (1979) - Steinmann, B.: Me- dizinische Aspekte des Alterns — Innere Medi- zin, Internist 19 (1978) 405-409 — Zilli, A.: Vor- beugung, langdauernde Behandlung und Mul- timorbidität, in: Schubert, R.; Störmer, A.:

Schwerpunkte in der Geriatrie, Banaschewski- Verlag, München-Gräfelfing, Bd. 2 (1973) 77-88

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Hans Franke Direktor der Medizinischen Poliklinik

der Universität Würzburg Klinikstraße 8

8700 Würzburg

Ulcus duodeni

heilt auch ohne Therapie

In den meisten Ulkusstudien neh- men die Patienten zu einer Wirksub- stanz noch Antazida zur symptoma- tischen Behandlung dyspeptischer Beschwerden ein.

In einer kontrollierten Doppelblind- studie wurde darauf geachtet, daß keine Antazida verabreicht wurden.

Bestand der Patient auf einer sym- ptomatischen Behandlung, so er- hielt er ein Antazidum-Placebo ohne Neutralisationskapazität. 11 Patien- ten wurden primär mit 1200 mg Ci- metidin, 12 Patienten mit Placebo behandelt.

Unter Cimetidin waren nach 2 Wo- chen 54 Prozent, nach 4 Wochen 63 Prozent und nach 6 Wochen 72 Pro- zent der Ulzera abgeheilt, unter Pla- cebo 8 Prozent, 50 Prozent und 67 Prozent zum entsprechenden Zeit- punkt.

Beschwerdefrei wurden unter Cime- tidin nach 2 Wochen 64 Prozent der Patienten, nach 4 Wochen 82 Pro- zent, unter Placebo 67 Prozent be- ziehungsweise 75 Prozent.

Zusammenfassend ergibt sich somit folgendes:

Cimetidin beschleunigt die UI- kusheilung während der ersten 14 Behandlungstage.

El Über 50 Prozent der Ulzera hei- len spontan innerhalb von 4 bis 6 Wochen ab. Bei diesem Beobach- tungszeitraum ergibt sich kein signi- fikanter Einfluß einer medikamentö- sen Therapie mehr.

0

Die Beschwerdefreiheit korre- liert nicht mit der Gabe einer Wirk- substanz.

Collen, M. J.; Hanan, M. R.; Maher, J. A.; Rent, M.; Stubrin, S. E.; Arguello, J. F.; Gardner, L.:

Cimetidine vs Placebo in Duodenal Ulcer Therapy. Six-week controlled double-blind in- vestigation without any antacid therapy, Diges- tive Diseases 25 (1980) 744-749, University of California, Irvine and Gastroenterology Sec- tion, VA Medical Center, Long Beach, Califor- nia, USA

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