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elten genug kommt es vor, dass noch vor der Hochzeitsnacht die Braut widerspenstig wird. Wenn sich aber zwei erste Adressen des deutschen Bankgewerbes den Spaß machen, ein grade gegebenes Hochzeitsverspre- chen wieder abzuläuten, dann ist das fast ein Jahrhun- dertereignis.Wie ein Paukenschlag schlug vor gut einem Monat die Nachricht auf den Finanz- märkten ein, dass die Deut- sche Bank und die Dresdner Bank fusionieren werden. Es sollte ein so genannter „Merg- er of Equals“ werden, beide Partner seien also gleichbe- rechtigt, tönten die Vorstands- herren beider Häuser, und bei der Besetzung von Führungs- positionen hatten die Braut- leute vor, nach dem Prinzip
„Blending of the Best“ die je- weils profiliertesten Banker auf den (reduzierten) Positio- nen zu belassen.
Doch die Realität ist manchmal einfach grausam gegen Konzernstrategen. Dies gilt vor allen Dingen, wenn eine solche Mammutfusion ganz augenscheinlich dilet- tantisch vorbereitet wurde.
Das Fass zum Überlaufen brachte offenbar der Streit, ob die Investmenttochter der Dresdner Bank, Kleinwort Benson, übernommen wird, wenn ja, mit welchem Aufga- benbereich und unter wel- cher Führung. Bei der Deut- schen Bank war anscheinend von Anfang an alles darauf ausgelegt, Dresdner Klein- wort Benson zu verscherbeln.
Durch diese Absicht fühl- ten sich die Dresdner Banker verschaukelt und über den
Tisch gezogen. „Hier zeigt sich klar, dass es der Deut- schen Bank doch gar nicht darum geht, gleichberechtigt zu fusionieren. Die wollen vielmehr in Wirklichkeit die Dresdner Bank einsacken“, formulierte ein Kenner der Szene.
Es mutet abenteuerlich an, dass eine solch wichtige Frage der Eingliederung von Dresdner Kleinwort Benson in die neue Deutsche Bank im Vorfeld offensichtlich nicht geklärt wurde.
Bei der Kundschaft wurde unglaublich viel Porzellan zerschlagen, ebenfalls ein In- diz für die schlecht vorberei- tete und schlampige Umset- zung des Fusionsvorhabens.
„Arme“ Kunden mit einem Vermögen unter 200 000 Mark sollten wie auf dem Rangierbahnhof verschoben werden, Ähnliches war für kleine Mittelständler beab- sichtigt.
Die logische Konsequenz:
Empörte Anleger und Fir- men liefen sowohl der Deut- schen Bank als auch der Dresdner Bank in Scharen davon. Ähnliche Absetzbe- wegungen waren auch von völlig irritierten Bankan- gehörigen zu vermelden, und, so war zu hören, gerade nicht die Schlechten suchten das Weite. Das „Desaster of Equals“, wie es ein Londoner Finanzanalyst treffend um- schrieb, kann für den Anleger nur heißen, Aktien der Deut- schen und Dresdner Bank, aber auch der Allianz AG mit Vorsicht zu betrachten. Zu- mindest so lange, bis die Scherben unter den Teppich gekehrt sind. Börsebius
[64] Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000
S C H L U S S P U N K T
Post Scriptum
Chirurgen und Interni- sten unterscheiden sich nicht nur in ihrer Arbeitsweise im Kampf für die Volksgesund- heit. Auch im nicht unmittel- bar professionellen Leben treten oft gravierende Ge- gensätze auf, die selbst in der Kantine immer wieder deut- lich werden. Während wir In- ternisten zuerst sorgsam den Speiseplan studieren und die Mahlzeit auf ihre Auswir- kungen auf unser zukünfti- ges Leben hin überprüfen, hasten die schneidenden Kol- legen schnell an uns vorbei und fragen am Tresen kurz:
„Was gibts?“ Sekunden spä- ter wird ihr Teller beladen, und auf dem Weg von der Kasse zum Sitzplatz haben sie bald die Hälfte der Porti- on verzehrt. An guten Tagen haben wir zu diesem Zeit- punkt die kontroverse Dis-
kussion um die beste Menü- wahl gerade erst abgeschlos- sen.
Am Freitag gibt es neben saurem Hering in Gelee als Auswahlgericht Grünkern- Gnocci, wozu ich mich ent- scheide. So etwas habe ich noch nie gegessen, und Gnocci erinnern mich an meinen letzten Italien- Urlaub. Ehe ich die Tragweite dieser Ent- scheidung erfasst ha- be, befindet sich auch schon ein Teller auf mei- nem Tablett. Zwei grünliche Halb- kugeln, die aus- sehen wie zer- kochte Tennisbäl- le, glotzen mich von dort an. Dazu gesellt sich eine un- förmige ockerfarbene
Masse, die laut Speiseplan Vollkornnudeln darstellen sollten. Ohne archäologische Basiskenntnisse ist es mir je- doch nicht möglich, ihre ur- sprüngliche Form zu rekon- struieren.
Wenn man zum ersten Mal ein neues Gericht isst, darf man sich
etwas wünschen, sagt meine Frau immer. Das Pro- blem ist hier je- doch, dass man es essen muss.
Während ich noch über- lege, ob es sinnvoll sein kann, sich zu wün- schen, keinen Hunger mehr zu haben, höre ich lau- tes Scheppern ne-
ben mir. Mein Kollege Uwe aus der Chirurgie ist an meinem Tisch zwischenge- landet, um einen Geleewür- fel mit Kartoffeln einzuneh- men. „Hallo!“ ruft er zackig und setzt sich, während er den ersten Bissen nach ra- schen Kaubewegungen hin- unterschluckt.
Plötzlich hält er inne und raunzt: „Das Salz ist schwach!“ Ein beherzter Griff zum Salzstreuer, Deckel abgeschraubt, kurze Kipp- bewegung, und schon ist das Problem für ihn gelöst.
Neidisch sehe ich meinem pragmatischen Kollegen bei der Nahrungsaufnahme zu.
Warum nur können wir In- ternisten die Dinge nie auf das Wesentliche beschrän- ken? Als Uwe bereits wie- der fröhlich pfeifend ent- schwindet, verlasse ich hungrig die Kantine. Und wieder einmal schwöre ich mir: Morgen bewerbe ich mich in der Chirurgie!
Dr. med. Hubertus Bürgstein
Der Genuss von Grünkern-Gnocci
Unterschiede zwischen Chirurgen und Internisten
Börsebius zur geplatzten Bankenfusion
Scherbenhaufen
Hahne