DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
A
uf kaum einem anderen Problemfeld der Gesund- heitspolitik wird so la- viert wie gerade bei der hoch- sensiblen psychiatrischen Ver- sorgung. Von durchgreifenden Weiterentwicklungen der Psych- iatriereform nach Beendigung des mit 250 Millionen DM öf- fentlichen Geldern geförder- ten Modellversuchs „ambulante Psychiatrie" in 14 Modellregio- nen ist kaum etwas zu verspü- ren. Erst kürzlich sind (zum zweiten Mal und nach 50 Sitzun- gen) die Verhandlungen der Deutschen Krankenhausgesell- schaft mit den gesetzlichen Krankenkassen über eine zeit- gemäße Personalbesetzung in psychiatrischen Kliniken ge- scheitert. Nach Angaben der Leiter öffentlicher psychiatri- scher Krankenhäuser fehlen zur Zeit 7000 bis 10 000 Mitarbei- ter, für eine patientenorientier- te Psychiatrie wären weitere 10 000 notwendig.Doch die Krankenkassen haben sich bisher nicht davon
Psychiatrie
Nur Lavieren ohne Ende?
überzeugen lassen, daß zumin- dest die Anhaltszahlen aus dem Jahr 1969 auch in der Psychia- trie überholt sind. Zwar hat sich in den letzten Jahren die Ver- weildauer von Psychiatriepa- tienten erheblich verringert. So ist sie zum Beispiel in Bayern von früher 120 auf jetzt 35 Tage gesunken, im Rheinland von 146 auf 97 Tage. Die psychiatri- schen Kliniken sind durch Ver- ringerung der Abteilungs- und Anstaltsgrößen zwar die „Chro- nifizierten" losgeworden, doch zugleich stieg die Zahl der Auf- nahmen auf mehr als das Dop- pelte. Erfolge sind jedoch zwei- felhaft, wenn die Entlassenen mangels Nachsorge bald wieder vor der Tür stehen ( „Drehtür-
psychiatrie"). Heute hat ein Klinikarzt im psychiatrischen Bereich durchschnittlich 19 Pa- tienten und eine Pflegekraft 2,9 Patienten zu versorgen, im so- matischen Bereich hat ein Arzt nur 4,7 Patienten und eine Pfle- gekraft 1,3 Patienten zu be- treuen.
Die Krankenkassen mauern unter dem Hinweis auf die staat- lich verordnete Kostendämp- fung und die absolute Beitrags- stabilität. 800 Millionen bis eine Milliarde DM Zusatzinvestitio- nen in diesem Bereich sind ih- nen zu teuer. Bei diesem Dauer- dilemma verwundert es nicht, daß die überfällige Begleitstudie zum Modellversuch „ambulante Psychiatrie" immer noch auf sich warten läßt. Zwar ist Pro- gnos AG, Köln, mit einem 2000 Seiten starken Bericht „überge- kommen` doch sind die Kom- munikationsstörungen zwischen Bundesgesundheitsministerium, Wissenschaftlichem Projekt- Beirat und Prognos noch längst nicht behoben. HC
I
n der DDR sind die Anforde- rungen an die Weiterbildung von Krankenschwestern zur„Fachkrankenschwester (bzw.
Fachkinderkrankenschwester) im stationären Bereich" herauf- gesetzt worden. In den vergan- genen zwölf Jahren erforderte der Erwerb dieser Qualifizie- rung, die innerhalb von zwei Jahren und außerhalb der Ar- beitszeit erworben werden muß- te, einen theoretischen Unter- richt von 80 Stunden sowie ei- nen praktischen Teil.
Seit September 1988 muß die Weiterbildung zur Fach- krankenschwester im stationä- ren Bereich — die gleichwertig wie etwa die OP-Schwester oder die Fachschwester für Intensiv- therapie bewertet werden soll — innerhalb eines Jahres durchge- führt werden. Für den theoreti- schen Unterricht von nunmehr 160 Stunden müssen die Schwe- stern an 20 Tagen im Jahr von der Arbeit freigestellt werden (von den 160 Stunden entfallen
Fachkrankenpflege
„Politischer"
Selbstzweck ...
übrigens 20 Stunden auf „Mar- xismus-Leninismus/Gesund- heitspolitik" und je 10 Stunden auf „Marxistisch-leninistische Ethik" sowie auf „Sozialisti- sches Recht").
Für den praktischen Teil der Weiterbildung wurden „An- forderungscharakteristiken" für einzelne Fachgebiete geschaf- fen, in denen die jeweilige Schwester tätig ist und in denen sie auch regelmäßig am „obliga- torischen Dienstunterricht" , an Fortbildungsmaßnahmen, De- monstrationen, Pflegevisiten und ähnlichem teilnimmt. Die neue Weiterbildung soll mit ei- nem Prüfungsgespräch abschlie- ßen, zu dem ein Gesamtprädi-
kat vergeben wird. — Die Not- wendigkeit der Reform wird einmal begründet mit den stei- genden Anforderungen an die Qualität der Krankenpflege.
Zum anderen aber haben seit dem Jahre 1976 fast 70 Prozent der stationär tätigen Schwestern die Weiterbildung zur Fach- krankenschwester durchlaufen.
Es liegt daher nahe, daß Opera- tions- oder Intensivschwestern sich fragen, worin eigentlich der Wert ihrer Weiterbildung liegen soll, wenn die große Masse der Kolleginnen eine Qualifikation haben, die ausdrücklich als gleichwertig eingeschätzt wer- den soll. Deshalb mußte man wohl ganz einfach irgendwo ein- mal wieder die Anforderungen steigern. Hinzu kommt, daß man in der DDR von seinem Arbeitgeber zu einer solchen Weiterbildung „delegiert" wer- den muß — und dies setzt natür- lich auch eine entsprechende Beurteilung der politischen Ein- stellung voraus. gb
Dt. Ärztebl. 85, Heft 37, 15. September 1988 (1) A-2461